Personen und Themen mit F
Pädagoge und Verbandsfunktionär, geb. 24.10.1863 Wittlich (Rheinprovinz), gest. 11.3.1938 Hamburg-Blankenese
F., ältester Sohn des Metzgers Simon Feiner und seiner Frau Karoline, besuchte die Höhere Stadtschule in Wittlich und absolvierte dann das jüdische Lehrerseminar der Marks-Haindorf-Stiftung in Münster. Nach dem Studium an der Universität Berlin und an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums war er seit 1884 zunächst als Lehrer in Sonsbeck/Niederrhein, danach in Finsterwalde tätig. 1892 bestand er das Mittelschullehrerexamen und wurde als Lehrer und Direktor an die städtische Anton-Rée-Oberrealschule in Hamburg berufen, an der er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1928 wirkte. F. engagierte sich in mehreren Gremien der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [2]. Als Kandidat der liberalen Liste saß er sowohl im Repräsentantenkollegium der Gemeinde als auch im Schulvorstand (1924/25). Einen Namen machte er sich vor allem als langjähriger Vorsitzender des Lehrervereins Mendelssohn und des Verbandes der jüdischen Lehrervereine im Deutschen Reiche, die sich für die berufsständische Selbstorganisation der jüdischen Pädagogen einsetzten. F., der viele Jahre als Redakteur beim Israelitischen Familienblatt (→ Zeitungswesen [3]) tätig war und sich als Verfasser zahlreicher Schriften an der zeitgenössischen innerjüdischen Diskussion beteiligte, nahm sich angesichts des Nazi-Terrors das Leben.
Im November 1930 wurde unter dem Vorsitz des Tuchgroßhändlers und Gemeindevorstandsmitglieds Hermann Philipp (1863-1938) die F. ins Leben gerufen. Der Bildungsausschuss der Gemeinde unter der Leitung Fritz Warburgs sowie der Gemeindevorstand unterstützten die Stiftung finanziell. Benannt nach dem Philosophen Franz Rosenzweig (1886-1929), der zu den wichtigsten Exponenten der jüdischen Renaissance in der Weimarer Republik gehörte, widmete sich die F. der jüdischen Erwachsenenbildung.
Rosenzweig hatte mit seinem Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt a. M. eine neue Bildungsstätte für Erwachsene geschaffen, die sich mit jüdischer Tradition und Philosophie in zeitgemäßer Auslegung beschäftigen wollten. Im Anschluss an dieses »Neue Lernen« bot die F. in Hamburg seit dem Herbst 1932 akademische Arbeitsgemeinschaften, unter der Leitung namhafter Persönlichkeiten wie z. B. dem Bibelwissenschaftler und Rabbiner Benno Jacob oder der Kunsthistorikerin → Rosa Schapire [4], an. Aber auch öffentliche Vorträge für ein breiteres Publikum zu religiösen, philosophischen oder künstlerischen Fragen standen auf dem Programm. Im Ehrenpräsidium der Stiftung waren mit → Ernst Cassirer [5], Hermann Gumpertz, Alfred Levy, → Paul Ruben [6] und → Max Warburg [7] alle religiösen Richtungen der Gemeinde vertreten. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten entwickelten sich die Arbeitsgemeinschaften zu einer wichtigen Stütze für die Bedrängten. 1935 hatte die F. ungefähr 180 Mitglieder, es nahmen aber rund 750 Menschen an ihren Veranstaltungen teil. Nachdem Philipp im März 1938 gestorben war, ging der Vorsitz auf Paul Ruben über, bis im Juni 1938 alle Veranstaltungen der jüdischen Lehrhäuser im Reich verboten wurden. Die F. löste sich daraufhin auf, ihr restliches Vermögen von 900 RM erhielt der → Jüdische Religionsverband Hamburg [8].
Jeder jüdische Friedhof (hebr. »Haus des Lebens«, »Haus der Gräber« oder »Haus der Ewigkeit«) spiegelt das wechselvolle Leben seiner Gemeinde wider, somit ist seine Geschichte aufs engste mit Geschichte und Schicksal der Gemeinschaft verbunden, und die Formensprache und Inschriften erzählen von der Geschichte der Juden und ihrer Kultur.
Von den sieben noch bestehenden jüdischen F. liegen zwei in Wandsbek (Königsreihe (119), Jenfelder Straße (120)), drei in Altona (Königstraße (100), Bornkamp (102), Langenfelde (103)), einer in Harburg (Schwarzenberg (128)) und einer in den Grenzen Hamburgs vor 1937 (Ilandkoppel). Von diesen sind sechs historische F., d. h., sie wurden von der jeweiligen Gemeinde auf ewige Zeiten erworben, der F. Ilandkoppel jedoch nur auf Zeit. Auf den F. Königstrasse, Bornkamp und Ilandkoppel gibt es klar abgetrennte Bereiche für die sefardischen Juden (Portugiesen) und für die deutschen Juden (Aschkenasim). Von den aufgelassenen bzw. von den Nationalsozialisten zerstörten F. Neuer Steinweg (3), Grindel (57) und Ottensen (101) befinden sich zahlreiche Grabsteine auf dem F. Ilandkoppel. Jeder dieser F. hatte einen unterschiedlichen gesellschaftlichen Stellenwert. Die F. Königstraße und Ottensen wurden vor allem als Begräbnisplatz für berühmte Rabbiner und Gemeindeführer genutzt, der Grindelfriedhof hingegen galt lange Zeit als Begräbnisstätte für Abtrünnige, Dienstboten, uneheliche Kinder und für Fremde, die am unteren Ende der sozialen Ordnung standen. Der F. Langenfelde wurde ausschließlich von orthodoxen Mitgliedern der Hamburger Gemeinde genutzt. Auf dem F. Königsreihe liegen die Wandsbeker Ortsrabbiner bestattet. Völlig verschwunden sind die zehn Gräber des kleinen, 1841 von Michael Nathan angelegten jüdischen Privatfriedhof Bergedorf. 1938 wurde er nach längeren Verhandlungen auf massiven staatlichen Druck aufgehoben und von den Nationalsozialisten zum staatlichen Eigentum deklariert. Nach der Exhumierung der Toten wurde die Fläche für Krankenhauszwecke (AK Gojenbergweg) überbaut.
In künstlerischer und epigraphischer Hinsicht weisen die F. große Unterschiede auf: Dominieren auf den drei sefardischen Arealen flache, liegende Grabplatten sowie sarkophagähnliche Blöcke und lang gezogene pyramidenartige Grabmale (hebr. ohalim, »Zelte«), so dominieren auf den aschkenasischen F. ausschließlich relativ schmucklose Stelen. Sefardische Grabinschriften sind meist einsprachig (Hebräisch bzw. Portugiesisch, seltener Spanisch), mitunter zweisprachig (Hebräisch und Portugiesisch). Auf den ornamental reich geschmückten sefardischen Grabmalen fallen Darstellungen biblischer Szenen auf, vor allem als Anspielungen auf den Namen des Verstorbenen. Dazu kommen noch Darstellungen von Stamm- bzw. Lebensbäumen und überall Memento-mori-Symbole wie Totenschädel, gekreuzte Knochen, Stundenglas, Engels- und Fledermausflügel. Aus den Inschriften ist viel über die Herkunft der Verstorbenen zu erfahren. Auf dem Neuen Jüdischen F. Ilandkoppel fallen Grabsteine in persischer und russischer Sprache ins Auge, ein Hinweis auf die hohe Anzahl jüdischer Neueinwanderer, die nach 1945 nach Hamburg kamen. Mit ihren Inschriften und ihrem Grabschmuck stellen die über 40.000 jüdischen Grabmale der Hansestadt Hamburg, von denen ein Großteil fotografisch dokumentiert wurde, ein eindrucksvolles Archiv aus Stein dar, das die wechselvolle Geschichte und Größe, die Heterogenität und einzigartige Struktur der jüdischen Gemeinschaften des Hamburger Raums widerspiegelt. [10]
Königstraße (100): 1611 erwarben sefardische Juden das Gelände an der heutigen Königstraße in Altona, da ihnen Hamburg einen innerstädtischen Begräbnisplatz »auf Ewigkeit« verwehrte. Wenig später wurde an der Königstraße auch ein aschkenasischer Begräbnisplatz angelegt. Der heute noch knapp 20.000 m2 große Begräbnisplatz mit seinen ca. 7.000 Steinen und Bruchstücken wurde als einziger jüdischer F. Hamburgs unter Denkmalschutz gestellt (1960). Auf dem portugiesischen Teil befinden sich heute noch 1.652 mehr oder weniger gut erhaltene Grabsteine bzw. Steinfragmente. Zu den liegenden Grabplatten kommen 29 Tumben oder Zeltgräber, zwei Steinsarkophage sowie einige pflockartige Stelen. Der aschkenasische Teil des F. mit seinen ursprünglich 6.700 Steinen diente den Aschkenasen aus Altona und Hamburg als Begräbnisplatz.
Ilandkoppel: Der 1883 angelegte und 93.500 m2 große Jüdische F. Ilandkoppel liegt an der Südwestecke des 1877 errichteten Zentralfriedhofs Ohlsdorf. Er besteht heute aus dem Neuen Jüdischen F., dem historischen Grindelfriedhof (aschkenasischer und sefardischer Teil) mit ca. 450 Steinen (von ursprünglich 8.000), dem Ehrenfriedhof für die prominenten Mitglieder der Hamburger Gemeinden, dem Neuen Portugiesenfriedhof (145 Steine), dem historischen F. Ottensen mit 285 Steinen (von ursprünglich ca. 9.000), einem Ehrenf. für die im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten sowie einem Gedenkstein für die von den Nationalsozialisten ermordeten Hamburger Juden. Eine Platte und ein verrostetes Gitter erinnern an die von Januar bis Mai 1814 auf dem Jüdischen F. Neuer Steinweg begrabenen 57 aschkenasischen und sefardischen Toten. Von Tüchern drapierte und halb verhüllte steinerne Urnen in einigen Bereichen des F. deuten symbolisch auf eine Feuerbestattung hin, denn eine offene Zurschaustellung von Urnengräbern war nicht gestattet. Die erste Urnenbestattung fand 1897 statt. [11]
Hamburg-Wandsbek (119): Unter den jüdischen F. der → Dreigemeinde Altona-Hamburg-Wandsbek [12] zählt der fast 5.000 m2 große und ab 1637 angelegte F. Königsreihe mit seinen 1.006 Steinen zu den kleinsten im Hamburger Raum. Der älteste erhaltene Grabstein stammt aus dem Jahr 1675, doch dürften bis dahin schon etwa 50 Gräber existiert haben. Neben Mitgliedern der Wandsbeker Gemeinde fanden hier auch Mitglieder der Hamburger Gemeinde ihre letzte Ruhe. Mitte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts verfügte die Regierung von Schleswig-Holstein die Schließung des nahezu vollständig belegten F., Beerdigungen fanden aber noch bis 1909 auf reservierten Stellen statt. Die erste Beerdigung auf dem Nachfolgefriedhof an der Jenfelderstraße fand erst 1889 statt.
Langenfelde (103): Der F. am Försterweg geht auf die Weigerung der Stadt Hamburg zurück, den orthodoxen Mitgliedern ein Friedhofsgelände »auf Ewigkeit« zu verkaufen. Diese Minderheit erwarb daraufhin im damals preußischen Langenfelde ein 2,5 ha großes Stück Land und begrub dort bis 1941 ihre Toten. In der südöstlichen Ecke befinden sich zehn Reihen mit Kinder- bzw. Kleinkindergräbern. An die Kinderreihen schließen sich Reihen für Ehepaare sowie für verwitwete bzw. unverheiratete Frauen und Männer an. Hinter dem Neubau (rechts) befinden sich in einer Extrareihe die Gräber der Kohanim (Priester), da die Nachkommen des biblischen Aron dem Priesterdienst geweiht wurden und nur auf gesonderten Feldern in der Nähe des Eingangs oder eines eigenen Eingangs bestattet werden durften. [13]
Bornkampsweg (Bahrenfeld) (102): Nach der Schließung des F. Königstraße 1873 diente der neue, ca. 1 ha große F. Bornkamp der Altonaer Hochdeutschen Israelitengemeinde sowie der Altonaer Portugiesengemeinde bis 1939 als letzte Ruhestätte. Auf dem heute geschlossenen F. gab es nach 1945 noch einige Beerdigungen.
Schwarzenbergstraße (Harburg) (128): Auf dem vermutlich um 1614 angelegten F. (der früheste Plan stammt aus dem Jahre 1757) sind heute noch 239 Grabsteine aus der Zeit nach 1812 erhalten, einige wenige davon als Fragmente, sowie ein Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs und eine Gedenktafel. Im Juli 1937 fand die letzte Bestattung auf dem gänzlich belegten F. statt. Zwei Jahre später ordnete der Hamburger Reichsstatthalter Karl Kaufmann die Schließung des F. für Bestattungen an, Anfang 1943 wurde der Harburger F. für 2.982 RM an die Stadt Hamburg verkauft.
Der Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit ist weniger durch Ereignisse denn durch Prozesse gekennzeichnet. Für die Juden im Alten Reich sind in ihrer europäischen Vernetzung folgende Prozesse von Bedeutung: Die Vertreibung der Juden von der Iberischen Halbinsel und die Conversos-Politik der dortigen habsburgischen Könige ab 1492, die Verdrängung aus den meisten Reichsstädten sowie zahlreichen Territorien im ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhundert und die damit verbundene Herausbildung der Landjudenschaften; ferner die Fortsetzung der altkirchlichen Judenfeindschaft auch in den neuen reformierten Kirchen sowie der kulturelle Bedeutungsverlust unter anderem aufgrund demographischer Veränderungen.
Die Wende zur Moderne im ausgehenden 18. Jahrhundert wird bestimmt durch das Gesellschaftskonzept der Aufklärungselite mit dem Vorhaben, die Juden nach einem längeren Erziehungsprozess zu akkulturieren; weiterhin die Akzeptanz dieses Konzepts durch die jüdischen Aufklärer, die Maskilim, sowie deren Akkulturationsprogramme, ferner die sich anbahnende politische Emanzipation in der napoleonischen Ära. Insgesamt zeigt die Entwicklung der Juden im Alten Reich während der Frühen Neuzeit eine aufsteigende Tendenz, nämlich von einer gravierenden Existenzbedrohung zu Beginn des 16. Jahrhunderts zur Stabilisierung im ausgehenden 18. Jahrhundert, wobei für diese Zeit jedoch eine starke Marginalisierung und Verarmung des Gros der jüdischen Bevölkerung in Deutschland in Rechnung zu stellen ist.
Die Vertreibung aus den Reichsstädten und zahlreichen Territorien führte zu einem stärkeren Zusammenschluss der Juden im Alten Reich. Josel von Rosheim (1478-1554), »Befehlshaber der Jüdischheit teutscher Nation« seit 1530, verhinderte durch geschickte Politik gegenüber Kaiser Karl V. die endgültige Verdrängung der Juden, konnte aber Vertreibungen aus den protestantischen Territorien wie im Fall des Kurfürstentums Sachsen (1537) nicht verhindern. Luthers Haltung bei diesem Vorgang zeigt, dass die neue reformierte Kirche den traditionellen Judenhass der alten Kirche fortsetzte. Als Folge entstand eine erneute Vertreibungswelle, diesmal aus lutherischen Städten und Territorien, bzw. eine Zulassung von Juden in protestantischen Territorien nur unter restringierten Bedingungen für den jüdischen Kultus. Das Privileg Karls V. von 1544, das den Juden ein Bleiberecht im Reich garantierte, konnte gegen die Territorialherren nicht durchgesetzt werden, denen 1548 endgültig die Verfügungs- und Schutzrechte über die Juden in ihren Territorien zugesprochen worden waren. Im 17. und 18. Jahrhundert beschränkte sich der kaiserliche Schutz auf die Sicherung der Rechte der Juden in den ihnen verbliebenen Reichsstädten. Unter diese kaiserlichen Schutzmaßnahmen ist auch der Erlass des 1710 herbeigeführten Hamburger → Juden-Reglements [14] zu rechnen.
In den wenigen Territorien oder Adelssitzen, die den Juden für Niederlassungen verblieben, entwickelten diese mit der Einrichtung der Landjudenschaften neue Organisationsformen. Alle männlichen Mitglieder bildeten eine Gemeinde. An der Spitze standen der Vorsteher, die Kollektoren sowie der Landrabbiner. Die Gemeindeangelegenheiten, vor allem die Aufteilung der Schutzgeldsumme auf die einzelnen Mitglieder (Repartition), regelte ein jährlich tagender Landtag, dem alle beitragzahlenden Mitglieder angehörten. Soweit Juden in Städten ein Aufenthaltsrecht erhielten, galt dieses vielfach nur zeitlich begrenzt (5 oder 10 Jahre) und wurde auf einzelne Familien beschränkt. Im Umfeld bedeutender Handelsstädte, in denen Juden kein Wohnrecht erhielten, bildeten sich größere Land- oder Kleinstadtgemeinden (z. B. Fürth, Altona, Moisling).
Im ausgehenden 16. Jahrhundert setzte eine demographische Wende ein. Die Stadtgemeinden (Prag, Frankfurt a. M.) wuchsen wieder, neue (Mainz, Metz, Glogau) entstanden. Eine wichtige Rolle spielten in diesem Prozess Altona und Hamburg. Im Zuge seiner Territorialpolitik ermöglichte um 1600 der Schauenburger Graf die Niederlassung aschkenasischer Juden im Flecken Altona und erteilte ihnen 1612 ein Generalgeleit. Bereits 1622 konnten die 30 jüdischen Familien eine Gemeinde mit entsprechender Infrastruktur (Stubensynagoge, → Friedhof [15]) bilden. Von Altona aus versuchten die Aschkenasim auch in Hamburg Fuß zu fassen. Unabhängig davon ließen sich zur selben Zeit in der Hansestadt portugiesische Marranen, d. h. getaufte Juden, als Marchant Adventurers nieder, unterstützt vom Hamburger Senat wegen dessen Orientierung auf den Amerikahandel. Als die Marranen rejudaisierten, verlangte die Bürgerschaft die Ausweisung der sefardischen Juden. Der Rat setzte sich jedoch durch und stellte sie 1612 in einem Kontrakt »Kaufmannshantierung« den anderen Bürgern gleich, verbot aber die Einrichtung einer jüdischen Infrastruktur.
Die Rechtssicherheit der Juden im Reich wurde im 16., aber vor allem im 17. Jahrhundert von den Territorialherren durch Judenordnungen verbessert. Diese definierten Regeln für das Zusammenleben von jüdischer Minderheit und christlichen Untertanen sowie die Höhe der Schutzgeldabgaben. Neben dem Schutzgeld hatten Juden weitere Steuern zu entrichten. Für die eigenen Kultus- und Schulkosten mussten die Gemeinden selbst aufkommen. Der durch die Landgemeinden bedingten Abkapselung jüdischer Gemeinden konnte unter anderem durch Rabbiner abgeholfen werden, die an den deutschen Talmudhochschulen ausgebildet worden waren und den Kontakt zwischen den Gemeinden aufrechterhielten. Zur Überwindung der Vereinzelung trug auch die jiddische Literatur bei, die durch jüdische Druckereien in Umlauf gesetzt wurde. Jiddischsprachige Epen griffen häufig Sagenstoffe der deutschen Literatur auf und beweisen eine kulturelle Öffnung der jüdischen Gemeinde zur christlichen Mehrheitsgesellschaft.
Die jüdischen Untertanen lebten weitgehend vom Hausierhandel. In größeren jüdischen Gemeinden wie in Prag gab es auch Handwerker der Nahrungsmittel- und Konfektionsberufe. Bedingt durch die Nachfrage der absolutistischen Höfe gelang einigen jüdischen Händlern im 17. Jahrhundert der Aufstieg zu Hoffaktoren. Diese hatten die fürstlichen Haushalte mit Krediten, Preziosen oder auch Heeresausrüstungen zu versorgen. Im 18. Jahrhundert differenzierte sich das soziale Feld sehr breit von den reichen Hoffaktoren bis zu den Betteljuden. Zu Letzteren zählten die Juden, die ihr Schutzgeld nicht aufbringen konnten und deshalb bettelnd durchs Land zogen. Das jüdische Armenwesen (Chalukka) ermöglichte diesen zumindest am Schabbat und an den Feiertagen die Versorgung durch die Gemeinden.
Durch die Judenpolitik des brandenburgischen Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm konsolidierte sich die Niederlassungspolitik in einem der bedeutendsten Länder des Alten Reiches. Sein Judenprivileg von 1671 ermöglichte den Zuzug der aus Wien vertriebenen Juden sowie der Juden, die nach den polnisch-ukrainischen Chmelnicki-Pogromen nach Deutschland geflüchtet waren. Auch wenn seine Nachfolger Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. durch ihre Judengesetze (1730, 1750) die judenfreundliche Politik wieder einschränkten, wurde Brandenburg-Preußen mit Berlin zum Zentrum der deutschen Juden in der Neuzeit. Auch Hamburg und Altona zählten im 17./18. Jahrhundert zu den Zentren der deutschen Judenheit. Zur Infrastruktur der jüdischen Gemeinde in Altona gehörte seit 1616 der Friedhof Königstraße (100) und die vermutlich seit 1620 oder früher existierende Stubensynagoge, für die 1622 ein »Schulklopfer«, d. h. ein Gemeindediener, bezeugt ist. Eine eigene Synagoge entstand nach 1682. Das »prächtige Gebäu« (J. J. Schudt) lag allerdings versteckt in einem Hinterhof in dem Quartier Papagoyen-/Kirch-/Breite Straße. Nach ihrer Zerstörung beim Stadtbrand (1711) wurde sie bis 1716 wieder aufgebaut und blieb bis ins ausgehende 18. Jahrhundert die einzige Synagoge im Hamburger Raum. Die Hamburger aschkenasische jüdische Gemeinde entwickelte sich nach mehreren gescheiterten Versuchen nach 1650 von Altona aus. Als Versuch zur Selbständigkeit ist 1663 der Kauf eines Ackers für einen eigenen Friedhof in Ottensen (101) zu sehen. Seit der Gründung der Hamburger Chewra Kadischa 1670 (→ Beerdigungswesen [16]) ist von der Existenz einer eigenen Gemeinde auszugehen, die sich aber schon 1671 mit der Altonaer und der → Wandsbeker Gemeinde [17] zur → Dreigemeinde [12] zusammenschließen musste. Die Wandsbeker Gemeinde, deren Nucleus ebenfalls eine Chewra Kadischa (»Heilige Bruderschaft«) bildete, entwickelte sich seit 1637. Sie entstand unter dem Schutz des dortigen Gutsbesitzers von Rantzau. Dass die Dreigemeinde über die Territorialgrenzen hinweg gegründet wurde, der Altonaer Oberrabbiner damit auch über die Untertanen der Freien Reichsstadt Hamburg verfügte, war einmalig im Alten Reich. Doch bestimmte der Hamburger Rat politisch mit seiner Judenordnung von 1710 über seine Juden. Diese war allerdings durch Vermittlung eines kaiserlichen Gesandten zustande gekommen, was beweist, dass der Kaiser zumindest in den Reichsstädten seinen Anspruch auf das kaiserliche Judenregal auch im 18. Jahrhundert noch nicht aufgegeben hatte. Die napoleonische Politik beschleunigte ab 1806 den Emanzipationsprozess, wurde aber nicht fortgesetzt, als durch den Wiener Kongress (1815) wiederum eine restaurative Phase eingeleitet wurde und die Juden in Lübeck und Bremen ihr dort erlangtes Wohnrecht wieder verloren. In Hamburg galt zwar wieder das Reglement von 1710, doch wurde staatlicherseits nach Auflösung der Dreigemeinde (1811) die Gründung einer Gemeinde mit entsprechender Infrastruktur nicht mehr in Frage gestellt (→ DIG [2]). Durch die Gründung des Neuen Israelitischen → Tempelvereins [18] (1817) wurde Hamburg dann zu einem Vorort der Reformbewegung in Deutschland. Mit dem Untergang der alten Gemeindestruktur und der Definition eines reformierten Judentums endet für die Hamburger Juden die Epoche der Frühen Neuzeit.
Verweise:
[1] https://dasjuedischehamburg.de/bilder/feiner-joseph
[2] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/deutsch-israelitische-gemeinde-dig
[3] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/zeitungswesen
[4] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/schapire-rosa
[5] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/cassirer-ernst
[6] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/ruben-paul
[7] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/warburg-max-m
[8] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/j%C3%BCdischer-religionsverband-hamburg
[9] https://dasjuedischehamburg.de/bilder/friedhof-k%C3%B6nigsstra%C3%9Fe-aschkenasisch
[10] https://dasjuedischehamburg.de/node/468
[11] https://dasjuedischehamburg.de/node/469
[12] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/dreigemeinde-ahw-ahu
[13] https://dasjuedischehamburg.de/node/470
[14] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/judenreglement-1710
[15] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/friedh%C3%B6fe
[16] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/beerdigungswesen
[17] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/wandsbek-j%C3%BCdische-gemeinde
[18] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/tempel-neuer-israelitischer-nit