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V wie Vereinswesen

Personen und Themen mit V

Vaterländischer Bund jüdischer Frontsoldaten

Am 17. November 1919 gründete sich in Hamburg eine Ortsgruppe des V. Man folgte damit einem reichsweit ergangenen Gründungsaufruf, der 1920 zum Zusammenschluss der inzwischen entstandenen Ortsvereine zum Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF) führte.

Die Gründung war innerjüdisch umstritten, weil sie der Trennung zwischen Juden und Nichtjuden Vorschub leistete. Der V. trat der Behauptung, die jüdische Minderheit habe in nicht genügender Weise für die Verteidigung des Vaterlandes Opfer gebracht, mit genauem Zahlenmaterial über den Anteil der Juden am Kriege entgegen. Im Leben der Deutsch-Israelitischen Gemeinde war der Vaterländische Bund stets präsent. Die alljährlichen Gedenkfeiern mit nichtjüdischen Traditionsverbänden und prominenten Vertretern des Hamburger und Altonaer öffentlichen Lebens, die bereits 1922 verwirklichte Errichtung eines Ehrenfriedhofs für die jüdischen Gefallenen auf dem jüdischen → Friedhof [1] Ilandkoppel (Ohlsdorf) und die Herausgabe einer programmatischen Zeitschrift waren Teil einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit des Vereins. Langjähriger Vorsitzender des V. in Hamburg war Rechtsanwalt Siegfried Urias (1895-1953). Dieser wies nach, dass 457 Hamburger Juden im Weltkrieg gefallen waren und dass damit die Zahl der Gefallenen im Verhältnis zu der Zahl der zum Kriegsdienst Eingezogenen in Hamburg erheblich höher war als die für die deutsche Gesamtbevölkerung. Im Februar 1933 überreichte der Bund das Gefallenengedenkbuch des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten mit einer gesonderten Liste der Hamburger jüdischen Gefallenen in einer feierlichen Gedenkstunde dem Hamburger Senat.

In den Jahren 1933 und 1934 organisierte der V. zahlreiche öffentliche Kundgebungen, auf denen man sich dezidiert gegen Auswanderung aussprach. Damit traten die ideologischen Differenzen zum → Zionismus [2] offen zutage. Nach der Wiedereinführung der Wehrpflicht im Mai 1935, die Juden ausschloss, und nach dem Erlass der so genannten Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 rückte der Bund jedoch von seiner strikten Ablehnung der → Emigration [3] ab und sprach sich seit 1936 für diese aus. Im Oktober 1936 wurde der RjF durch Heinrich Himmler mit der Betreuung der jüdischen Kriegsopfer »beauftragt« und zugleich in allen anderen Tätigkeiten eingeschränkt. Nach dem → Novemberpogrom [4] 1938 stellten der RjF und seine Ortsvereine jede Tätigkeit ein. 1939 wurden die Mitglieder in die von der Gestapo kontrollierte Reichsvereinigung der Juden in Deutschland eingegliedert.

Ina Lorenz

Verband der Jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte

Nach dem Vorbild bereits bestehender preußischer Provinzialverbände 1912 in Kiel gegründet, bezweckte der Verband der Jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins die wirksame Förderung gemeinsamer Interessen der Verbandsgemeinden, und zwar insbesondere durch deren Vertretung gegenüber Behörden, durch die Schlichtung von Streitigkeiten sowie durch die Regelung der Armenpflege und der Fürsorge für Wanderarme.

Zudem zielte seine Arbeit auf die Unterstützung finanziell leistungsschwacher Mitgliedsgemeinden bei der Aufrechterhaltung von Gottesdienst, Religionsunterricht und ritueller Schlachtung. Größere Aktivitäten auf diesen Gebieten entwickelte er erst nach seiner Neukonstituierung 1925 in Altona, als sich ihm alle jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins anschlossen. Da diese mehrheitlich selbst unterstützungsbedürftig waren, bemühte sich die Führung – um der finanziellen Konsolidierung des Verbandes willen – um dessen Erweiterung über die Provinzgrenzen hinaus. Mit dem 1929 erfolgten Beitritt Hamburgs, Bremens und Lübecks wurde der V. geschaffen und damit erstmals ein Zusammenschluss jüdischer Gemeinden aus verschiedenen Ländern des Deutschen Reiches. Später kamen noch die jüdischen Gemeinden des Freistaats Oldenburg und des Regierungsbezirks Stade hinzu. Verbandsvorsitzender war von 1912 bis 1931 der Wandsbeker Rechtsanwalt → Willy Victor [5], von 1932 bis 1935 sein Altonaer Kollege Alfred Manasse (1881-1958) und nach dessen → Emigration [3] der Kaufmann Paul Möller (1892-1944). Lag der Schwerpunkt der Tätigkeit des V. in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts auf der Sicherung des religiösen Kultus in den Kleingemeinden durch die Einstellung von Bezirksrabbinern und Bezirkslehrern, so stand nach der NS-Machtübernahme die Wohlfahrt (→ Sozial- und Wohlfahrtswesen [6]) im Mittelpunkt der Arbeit, außerdem die seelische Betreuung der zusehends in die Isolation getriebenen kleinstädtischen Juden, für die man eine Wanderbibliothek einrichtete, Kulturabende und Ferienkurse durchführte sowie eine Provinzial- und Wanderfürsorgerin einstellte. Dokumentiert sind die Aktivitäten des V. und seiner Mitgliedsgemeinden im Israelitischen Kalender für Schleswig-Holstein, der von 1926 bis 1928 herausgegeben wurde, und im Jahrbuch für die Jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte, das von 1929 bis zur erzwungenen Einstellung der Arbeit im Jahr 1938 erschien.

Bettina Goldberg

Verein ehemaliger jüdischer Hamburger, Bremer und Lübecker in Israel

Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts gründete sich unter der Leitung von → Baruch Zwi Ophir [7] (1910-2004) in Jerusalem ein »Verein ehemaliger jüdischer Bürger der Stadt Hamburg in Israel«.

Der V. setzte sich zum Ziel, Erinnerungen an die alte Heimatstadt sowie Kontakte dorthin zu pflegen und zugleich Anregungen für das Gedenken an das zerstörte jüdische Leben in Hamburg zu geben. Für das »Besuchsprogramm für verfolgte ehemalige Bürgerinnen und Bürger Hamburgs«, das vom Senat der Stadt seit 1965 durchgeführt wird, war und ist der V. ein wichtiger Ansprech- und Vermittlungspartner. 1992 schloss er sich korporativ dem V. an. Dieser gibt seit 1995 ein zweisprachiges Rundschreiben für die Mitglieder heraus, das über Ereignisse und Personen in Deutschland berichtet. In Israel organisiert der V. die Initiative »Brücken-Bauen«, die Gäste aus Hamburg in Israel begrüßt und begleitet. Daneben hat der V. eine Reihe von kulturellen und wissenschaftlichen Veranstaltungen in Hamburg und Israel mit Hinweisen, Dokumenten und Exponaten unterstützt, so z.B. 1991 die Ausstellung Vierhundert Jahre Juden in Hamburg. Auch die ständige Sonderausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte über jüdisches Leben in Hamburg geht auf eine Initiative des V.s, insbesondere seines Vorsitzenden, zurück. 1998 publizierte der V. eine Broschüre mit Erinnerungen ehemaliger Hamburger an die Pogromnacht (→ Novemberpogrom [8]) in Hamburg in Hebräisch und Deutsch. Ophir leitete den V. bis 1991, ihm folgten Jonny Kern (bis 1994) und Abraham Seligmann (bis 2004). Zurzeit ist Frank Meir Löwenberg Vorsitzender.

Kirsten Heinsohn

Verein selbständiger jüdischer Handwerker und Gewerbetreibender in Groß-Hamburg

1906 gründeten Handwerker und Gewerbetreibende innerhalb der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [9] den V., der das unter den Juden wenig verbreitete Handwerk und entsprechende Lehrlingsausbildung fördern wollte.

Bei den Wahlen zum Repräsentanten-Kollegium 1911 konnte mit der Wahl des Steinmetzmeisters Eduard Berlin ein erster Erfolg verbucht werden. Bei der Gemeindewahl von 1920 erreichte die so genannte Handwerkerpartei 13,7 Prozent der Stimmen und entsandte nun auch den Malermeister Max Cossen in das 21-köpfige Kollegium. Bei den letzten regulären Wahlen von 1930 konnte die Wirtschaftsgruppe Handwerk und Gewerbe die Zahl der Mandate auf vier erhöhen. Einen Platz im Vorstand der Gemeinde konnte die »Wirtschaftspartei« bis 1938 jedoch nicht erreichen. In der Gemeindearbeit stand der Verein zumeist der liberalen Richtung nahe. 1935 hatte der V. 420 Mitglieder.

Der V. richtete eine eigene Berufsberatungsstelle ein, die auch Stellenvermittlung und später Berufsumschichtungen (→ Hachschara [10]) übernahm. Er gründete eine Lehrlingsabteilung, aus der sich eine Jugendgruppe des Handwerksvereins und ein selbständiger Lehrlings- und Gehilfenverein entwickelten, und errichtete 1928 unter Leitung von Rebekka Zadik ein eigenes Lehrlingsheim. Den allgemeinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten Ende der zwanziger Jahre und der Diskriminierung durch das NS-Regime stellte sich der V. aktiv entgegen. 1931 hatte er eine Darlehenskasse gegründet, die dem Vorschuss-Institut der Gemeinde angegliedert wurde. Nach dem Boykott jüdischer Geschäfte bemühte sich der V., einen innerjüdischen Wirtschaftskreislauf herzustellen, und warb für solidarische Aufträge durch Angehörige der jüdischen Gemeinde. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, durch die kontinuierliche → Emigration [3] verstärkt, trafen vor allem die Handwerker und die Kleingewerbetreibenden. Gerade ihnen bot der Verein durch zahlreiche Veranstaltungen und Hilfsmaßnahmen einen Rückhalt. Ende 1938 löste die Gestapo den Verein auf.

Ina Lorenz

Vereinswesen

Wie in anderen Großstädten gab es auch in Hamburg ein entfaltetes jüdisches V. Entsprechend dem Anliegen und der sozialen Funktion lässt sich eine Gliederung in traditionelles und neues V. vornehmen, das sich insbesondere in Auseinandersetzung mit dem → Antisemitismus [11] ab Mitte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts konstituierte.

Es waren zunächst vornehmlich religiöse Anliegen, die die Gründung eines Vereins veranlassten und die den jeweiligen Akteuren hohes Sozialprestige verliehen. Unverzichtbar im Gemeindeleben war die Chevra Kadischa (→ Beerdigungswesen [12]), die Verstorbene für die Bestattung herrichtete und das Begräbnis vornahm, die die ordnungsgemäße Durchführung der täglichen Gebete unterstützte, das gemeinsame Studium von Talmud und Tora ermöglichte sowie wohltätige Aufgaben wahrnahm. Aufgrund der besonderen Wohnverhältnisse der Hamburger Juden bildeten sich die Anfänge des traditionellen Vereinswesens besonders vielfältig heraus: Talmud-Tora-Vereine zum gemeinsamen Studium des Schrifttums, die manchmal im Besitz einer eigenen Betstube waren, Bikkur-Cholim-Vereine für Krankenbesuche und religiösen Beistand insbesondere am Sterbebett, Hachnassat-Kallah-Vereine für die Ausstattung mittelloser Bräute. Andere Vereinigungen gründeten sich – analog zum Versorgungssystem der Zünfte – für gegenseitige finanzielle Unterstützung bei Krankheit und Tod, die im Laufe des 19. Jahrhunderts zahlreich zu modernen Kassen umgeformt wurden. Sie gewährten ihren Mitgliedern auch während der religiös vorgeschriebenen siebentägigen Trauer beim Tod eines Familienmitgliedes Beihilfen. Geradezu unüberschaubar war weiterhin das Feld der Wohltätigkeitsvereine (→ Sozial- und Wohlfahrtswesen [6]). Ein separates Vereinswesen mit einer eigenen Beerdigungsbrüderschaft entstand im Kreis des Neuen Israelitischen → Tempelvereins [13].

Das alte V. bestand fort, als sich das neue herausbildete. An der Schwelle zum 20. Jahrhundert gab es in Hamburg an die 150 jüdische Vereine. Aufgrund ihrer strukturellen Beschaffenheit (langfristige Festlegung des Zweckes bei freiwilliger, jederzeit zu beendender Mitgliedschaft) tradierten Vereine alte Anliegen über einen langen Zeitraum und gaben Impulse für neue, wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen es erforderten. So richtete sich beispielsweise seit alters her Vereinsaktivität auf die Unterbringung und Verköstigung durchreisender Fremder am Schabbat. Als nach den Pogromen in Russland seit Beginn der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts viele Flüchtlinge die Hafenstadt passierten (→ Auswanderung [14]), entfaltete sich binnen kurzem ein Netzwerk von Hilfsinitiativen. Am Ende eines Jahrhunderts, das von sozialer Integration geprägt war, entstanden neue innerjüdische Zusammenschlüsse mit ausschließlich auf Juden bezogenen säkularen Zielen. In Hamburg lassen sich dabei drei Zentren ausmachen:

1. Das in vieler Hinsicht wichtigste neue Aktionsfeld war das der 1887 gegründeten Henry Jones-Loge (→ Logenwesen [15]), die zahlreiche Initiativen als organisatorisch selbstständige Einheiten entfaltete. Seit 1903 bot das Logenhaus in der Hartungstraße (92) vielen Vereinsaktivitäten ein Heim.

2. Zum Zentrum der »Sammlungsbewegung« wurde auch die 1898 gegründete Hamburger zionistische Ortsgruppe, deren ideelles Ziel primär darin bestand, osteuropäischen Juden eine neue Heimat in Palästina zu schaffen. Auch die Zionisten etablierten bzw. förderten weitere Vereine. 1913 sollen ca. 1.500 Mitglieder zum »harten Kern« Hamburger zionistischer Vereinigungen gehört haben.

3. Während Zionisten und Henry Jones-Loge in der Hansestadt zusammenarbeiteten und auf Vorstandsebene personelle Verflechtungen aufwiesen, gestalteten sich die Beziehungen zwischen Zionisten und dem dritten Zentrum, der erst 1901 gegründeten Ortsgruppe des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV) von Anfang an schwierig. Der CV, der bis 1906 in Hamburg ungefähr 1.500 Mitglieder zählte, trat überwiegend mit programmatischen Großveranstaltungen auf.

Mit der Entfaltung des jüdischen Vereinslebens vollzog sich eine allgemeine innerjüdische Politisierung, die Hamburger Besonderheiten aufwies, aber zunehmend auch überregionale Gegebenheiten in die Hansestadt brachte. Nach dem hier 1909 durchgeführten Zionistenkongress, dem einzigen auf deutschem Boden, formierte sich die Orthodoxie auf Vereinsebene. Der religiös-zionistische Misrachi gewann erheblich an Zulauf, ausdrücklich als Gegengewicht zum → Zionismus [2] konstituierte sich die Vereinigung Moriah, eine frühe Umsetzung des Strebens nach einem weltweiten Bündnis der Orthodoxie. Eine Ortsgruppe der orthodoxen Weltorganisation Agudas Jisroel gründete sich 1913.

Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich die Zersplitterung des jüdischen V.s fort. Ursachen hierfür waren zum einen Politisierung und Wertepluralismus innerhalb der Jüdischen Gemeinde. Zum anderen führten die bei den Hamburger Juden vorhandenen Grundströmungen der religiösen Orthodoxie, des Zionismus und des Liberalismus unverändert zu weiteren Differenzierungen auf praktisch allen Gebieten des religiösen, sozialen und kulturellen Lebens. Daneben verstärkte die sich fortsetzende Assimilation die Neigung, in nichtjüdischen Vereinen Mitglied zu werden, soweit dem nicht antisemitische Tendenzen entgegenstanden. Innerhalb der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [9] führte dies zu Zuordnungen entweder im Hinblick auf die Kultusverbände oder die jüdischen politischen Parteigruppierungen. Allerdings gab es Veränderungen in den Mitgliederzahlen. Vereine mit zionistischen Zielsetzungen konnten sich in der Weimarer Zeit stärker etablieren. Außerdem trat seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts ein Generationsbruch deutlich hervor. Die jüdische Jugend suchte sich eigene Vereine (→ Jugendbewegung [16]), vor allem im Bereich des Sports (Bar Kochba, Makkabi, Blau-Weiß, später Schild, → Sportvereine [17]), der Wanderbewegung (Jung-Jüdischer Wanderbund, Blau-Weiß, Esra) und des Zionismus (Hechaluz). Demgegenüber verstärkte sich bei der älteren Generation die Hinwendung zu kulturellen Vereinen (→ Franz Rosenzweig-Gedächtnisstiftung [18], Jüdische Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft, → Gesellschaft für jüdische Volkskunde [19], Verband der Vereinigten Jüdischen Lernvereine), zu wirtschaftlichen Interessenverbindungen (u. a. → Verein selbständiger jüdischer Handwerker und Gewerbetreibender von 1909 [20]) und unverändert zu zahlreichen Wohltätigkeitsvereinen (u. a. Hilfsverein der deutschen Juden) und zu → Stiftungen [21]. Eine gewisse Sonderstellung nahm die Ortsgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten (1920) ein (→ Vaterländischer Bund Jüdischer Frontsoldaten [22]). Einige dieser Vereine waren Ortsgruppen von auf Reichsebene organisierten Dachverbänden.

Im NS-Staat veränderte sich die Struktur jüdischer Vereine grundlegend (→ Jüdisches Leben zur Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung [23]). Nicht-jüdische Vereine übernahmen im Sommer 1933 den so genannten Arierparagraphen und schlossen damit Juden aus. Das führte trotz einsetzender → Emigration [3] zunächst zur Zunahme der Mitgliederzahl der jüdischen Vereine, gleichzeitig aber zur sozialen und kulturellen Ghettoisierung. Dem jüdischen Vereinsleben, obwohl unter Überwachung der Geheimen Staatspolizei, erwuchs zunehmend die Aufgabe, einen innerjüdischen Freiraum und Schutzbereich herzustellen. Dies war insbesondere bei der Gründung und Tätigkeit des → Jüdischen Kulturbundes [24] der Fall. Die stete Auswanderung, welche die Führungsstruktur und die Mitgliederzahl traf, die Minderung der Vereinseinnahmen – auch aufgrund der allgemeinen Verarmung der Hamburger Juden – erschwerten es immer mehr, ein differenziertes jüdisches Vereinsleben aufrechtzuerhalten. Die Jüdische Gemeinde versuchte, diese Entwicklung durch eigene Maßnahmen personell und finanziell auszugleichen, konnte dies unter den Bedingungen des NS-Staates aber nur eingeschränkt leisten. Nach der Pogromnacht (→ Novemberpogrom [4]) löste die Geheime Staatspolizei 1938 nahezu alle jüdischen Vereine auf und überführte 1939 einige Bereiche wie das Schul- und das Wohlfahrtswesen (→ Schulwesen [25]) in die Zuständigkeit der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Nur der Jüdische Kulturbund blieb im Interesse des nationalsozialistischen Regimes bis zum September 1941 auch in Hamburg weiter bestehen.

Erika Hirsch, Ina Lorenz

Victor, Willy

Jurist, geb. 20.1.1876 in Posen, gest. 2.4.1956 Israel

V. kam 1904 mit seiner Frau Lisbeth, geb. Rinteln, nach → Wandsbek [26], wo er sich als Rechtsanwalt und Notar niederließ. Obwohl nicht religiös, machte er die Stärkung der jüdischen Gemeinschaft nach innen und außen zu seiner Sache. So wurde er 1905 Mitbegründer des Jüdischen Volksvereins, trat 1906 dem Vorstand der zionistischen Ortsgruppe Hamburg bei (→ Zionismus [2]) und verfasste 1913 eine Abhandlung über den schwierigen Weg der → Emanzipation [27] der Juden in Schleswig-Holstein. Seit 1914 vertrat er als Stadtverordneter die SPD in Wandsbek, nach der Kriegsteilnahme fungierte er 1920 als unbesoldeter Stadtrat. Die jüdischen Belange behielt er weiterhin im Blick: als Mitglied der Jüdischen Gemeinde Wandsbek und durch seine langjährige Tätigkeit im → Verband der jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte [28]. Bereits im April 1933 wurde V. als Jude und Sozialdemokrat von der SA verfolgt. Er versteckte sich vorübergehend bei Verwandten in Altona und reiste dann in die Schweiz aus, wohin ihm die zurückgelassene Familie nachfolgte, um gemeinsam nach Palästina zu emigrieren. Dort setzte sich V. als Mitherausgeber eines Mitteilungsblattes für Einwanderer aus Deutschland wiederum für andere ein. Der Versuch, als Geschäftsmann in Tel Aviv Fuß zu fassen, scheiterte jedoch. Gezwungen, sein Unternehmen nach vier Jahren aufzugeben, verlor V. den Großteil seiner aus Deutschland geretteten Kapitalanteile. Auch als Gemüse- und Blumenzüchter gelang es ihm nicht, den Lebensunterhalt ausreichend zu sichern, zumal er erkrankte, mehrfach operiert werden musste und schließlich fast erblindete. Erst 1954, knapp zwei Jahre vor seinem Tod, besserte sich seine finanzielle Situation, als Entschädigungszahlungen aus Deutschland eintrafen.

Astrid Louven

Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Beim Schlump 83, 20144 Hamburg
Mehr Informationen: www.igdj-hh.de


Quellen-URL (abgerufen am 09.05.2025 - 16:01): https://dasjuedischehamburg.de/node/141

Verweise:
[1] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/friedh%C3%B6fe
[2] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/zionismus
[3] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/emigration
[4] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/novemberpogrom
[5] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/victor-willy
[6] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/sozial-und-wohlfahrtswesen
[7] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/ophir-baruch-zwi
[8] https://dasjuedischehamburg.de/../../inhalt/novemberpogrom
[9] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/deutsch-israelitische-gemeinde-dig
[10] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/hachschara
[11] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/antisemitismus
[12] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/beerdigungswesen
[13] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/tempel-neuer-israelitischer-nit
[14] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/auswanderung
[15] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/logenwesen
[16] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/jugendbewegung
[17] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/sportvereine
[18] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/franz-rosenzweig-ged%C3%A4chtnisstiftung
[19] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/gesellschaft-f%C3%BCr-j%C3%BCdische-volkskunde
[20] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/verein-selbst%C3%A4ndiger-j%C3%BCdischer-handwerker-und-gewerbetreibender-gro%C3%9F-hamburg
[21] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/stiftungen
[22] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/vaterl%C3%A4ndischer-bund-j%C3%BCdischer-frontsoldaten
[23] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/j%C3%BCdisches-leben-zur-zeit-der-nationalsozialistischen-verfolgung-1933-1945
[24] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/j%C3%BCdischer-kulturbund-hamburg
[25] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/schul-und-erziehungswesen
[26] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/wandsbek-j%C3%BCdische-gemeinde
[27] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/emanzipation
[28] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/verband-der-j%C3%BCdischen-gemeinden-schleswig-holsteins-und-der-hansest%C3%A4dte