Personen und Themen mit R
Seit dem 13. Jahrhundert beauftragten die europäisch-jüdischen Gemeinden Rabbiner mit der Lehre und Auslegung des Religionsgesetzes. Während im Rahmen der vormodernen Gemeindeautonomie »Oberrabbiner« und deren Assessoren die Gerichtsbarkeit über die Juden eines bestimmten Sprengels ausübten, erstrecken sich die Funktionen des neuzeitlichen Rabbiners eher auf Predigt und Religionsunterricht. Auch die Hamburger Juden haben im Laufe ihrer Geschichte unterschiedliche Modelle rabbinischer Autorität gekannt.
Die Rabbiner, die seit etwa 1617 in den → portugiesischen Gemeinden [1] wirkten, waren Prediger ihrer jeweiligen Synagogen; sie führten den Titel »Chacham« (Weiser). Der bekannteste unter ihnen, → David Cohen de Lara [2], wurde 1652 auch Rabbiner der Gesamtgemeinde, musste aber 1656 dem neuen Oberrabbiner (haham geral) weichen. Seit dem frühen 18. Jahrhundert wurde die nur mehr kleine portugiesische Gemeinde von ehrenamtlichen Gelehrten und dem Personal der Talmudstudienstiftung des Abraham Sumbel betreut. Die aschkenasischen Juden Schleswig-Holsteins hatten seit 1664 einen Oberrabbiner mit Sitz in Altona. Kraft einer Übereinkunft der → Drei Gemeinden [3] aus dem Jahr 1672 war dieser auch für Hamburg zuständig, dessen Juden keine eigenen Kultusinstitutionen unterhalten durften. Ein Quotensystem bestimmte die Zusammensetzung und die Wahl des rabbinischen Gerichtshofs, welcher Religions- und Sittenvergehen mit Geldbußen ahndete und in allen innerjüdischen Zivilprozessen das Urteil erster Instanz sprach. Übliches Zwangsmittel war der Synagogenbann. Die Stadt Hamburg verwahrte sich erfolglos gegen das Wirken des Altonaer Oberrabbinats auf ihrem Territorium; im »Gottorfer Tractat« von 1768 musste sie dessen Befugnisse sogar ausdrücklich anerkennen. Die Altonaer Rabbinatswürde bekleideten bedeutende Talmudisten des 18. Jahrhunderts, darunter → Zwi Aschkenasi [4], Ezechiel Katzenellenbogen, → Jonathan Eibeschütz [5], Isaak Horowitz und → Raphael Cohen [6]. Das Oberrabbinat verlor seine Zuständigkeit für Lübeck 1802 und für Hamburg 1812, behielt aber seinen holsteinischen Sprengel; überdies blieb ihm, als letztem Rabbinat Westeuropas, seine zivilgerichtliche Kompetenz noch bis 1863 unbenommen. An seiner Spitze wirkten mit → Jakob Ettlinger [7], Elieser Loeb und → Maier Lerner [8] drei bedeutende Vertreter der Neuorthodoxie. Das Altonaer Oberrabbinat und das seit 1863 in Wandsbek beheimatete Ortsrabbinat wurden beide unter dem Druck der Verfolgungen des Jahres 1938 aufgelöst. Einer der Beisitzer im Altonaer Gerichtshof war in der → Frühe Neuzeit [9] zugleich Ritualgutachter, hebräisch »More-Zedek«, der Hamburger Gemeinde. Die französische Besatzung erhob diesen zum Konsistorial-Oberrabbiner (1813-14). Auf diese Stelle berief der Gemeindevorstand 1821 → Isaak Bernays [10], einen akademisch gebildeten Kandidaten (ein Novum in der Rabbinatsgeschichte), und gewährte ihm die Kultus- und Schulaufsicht. Nachdem schon Bernays sich den sefardischen Titel »Chacham« zulegte, versuchte auch die Gemeinde 1851 den in Stellung und Gehalt herabgestuften »More-Zedek« wenigstens nominell aufzuwerten; doch musste es aus Rücksicht auf den → Tempel [11] bei dem vagen Titel »Oberrabbiner in Hamburg« bleiben. Auch diese Stelle wurde von Rabbinern der neuorthodoxen Richtung versehen, nämlich → Anschel Stern [12], Markus Hirsch, → Samuel Spitzer [13] und schließlich → Joseph Carlebach [14], der von 1938 bis zu seiner → Deportation [15] als einziger Rabbiner des → Verbands der jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte [16] verblieb. Die → Jüdische Gemeinde [17] zu Hamburg berief in den fünfziger Jahren wieder einen Rabbiner, der bis 2003 zugleich Landesrabbiner von Schleswig-Holstein, zeitweilig auch von Niedersachsen war. Die Stelle besetzten zunächst Ludwig Salmonowicz, später H. I. Gruenewald und derzeit Dov-Levi Barsilay. Rabbiner wirkten auch an manchen privaten Synagogenvereinen, etwa am Tempel, dessen Erster Prediger seit 1921 »Oberrabbiner« hieß, und an der → Neuen Dammtor Synagoge [18]. Die zahlreichen Stiftsgelehrten der »Klausen« (Lehrhausvereine, → Jeschiwa [19]) vertraten ein streng traditionelles Talmudstudium. Von ihnen war der in Auschwitz ermordete Altonaer Klausrabbiner → Eduard Duckesz [20] wichtigster Geschichtsschreiber des Hamburger Rabbinats.
Politiker und Jurist, geb. 2.4.1806 Hamburg, gest. 22.4.1863 Hamburg
R. wuchs in einer traditionellen jüdischen Familie Hamburgs auf. Der Vater Lazarus war zunächst Sekretär seines Schwiegervaters, des Rabbiners → Raphael Cohen [6], gewesen, betätigte sich aber zur Jugendzeit seines Sohnes als Lotterie- und Geldhändler. R. besuchte die Eliteschulen Katharineum in Lübeck und Johanneum in Hamburg. 1824 bis Ende 1826 studierte er in Kiel und Heidelberg und schloss seine juristische Ausbildung summa cum laude ab. Danach gelang es ihm infolge der gegen Juden bestehenden Bestimmungen nicht, beruflich Fuß zu fassen. Der Konversionsdruck, den viele Regierungen ausübten, bewog ihn 1830, eine von Pathos erfüllte Schrift Über die Stellung der Bekenner des mosaischen Glaubens in Deutschland zu verfassen. Auf eine Replik des Heidelberger Theologie-Professor H. E. G. Paulus (Über die Nationalabsonderung der Juden …, Heidelberg 1831), der die Erteilung staatsbürgerlicher Rechte an die Bedingung einer Massentaufe geknüpft wissen wollte, reagierte R. wiederum scharf. 1832 gab er eine neue politische Zeitschrift Der Jude heraus (→ Zeitungswesen [21]), in der er die Debatten über die Rechtsstellung der Juden in den deutschen Staaten und in England kritisch kommentierte. Diese Form der säkularen Berichterstattung war neu und übte prägenden Einfluss auf die Entwicklung der jüdischen Presse in Deutschland aus. R.s Schriften erregten öffentliches Aufsehen und wurden auch vom christlichen Publikum gelesen. Von wichtigen jüdischen Notabeln wurde er gebeten, weitere Eingaben zu verfassen. In Hamburg gründete er 1833 das Comité zur Verbesserung der bürgerlichen Verhältnisse der Juden und wies ethnische Argumentationen gegen eine Gleichstellung der Juden energisch ab. Gegen Übergriffe auf Juden in Hamburg während der so genannten »Kaffeehauskrawalle« (→ Ausschreitungen [22]) setzte er sich 1835 persönlich ein. Nachdem ihm in Hessen-Kassel das Bürgerrecht und damit die Niederlassung als Rechtsanwalt verweigert worden war, nahm er 1839 die jüdische Notariatsstelle in seiner Vaterstadt Hamburg an. Als namhaften Juristen und Publizisten entsandten ihn die Wahlmänner des Herzogtums Lauenburg, das Juden bis dato keine Niederlassungsrechte gewährt hatte, in die Nationalversammlung der Frankfurter Paulskirche, wo er im August 1848 wiederum für die Gleichberechtigung der Juden eintrat. R. verurteilte die rechtlichen Benachteiligungen der Juden als Druck zum Religionsübertritt. Er wandte sich gegen den Wuchervorwurf gegenüber Juden und forderte gleiche Rechte ein, da sie ja schon gleiche Pflichten, etwa bezüglich des Militärdienstes, erfüllten. »Deutschtum« bedeutete für ihn in Deutschland geboren und durch deutsche Kultur geprägt zu sein sowie loyal zu den Gesetzen zu stehen. Auf den oft vorgebrachten Einwand, die Juden seien eine der deutschen entgegengesetzte »fremde Nation«, erwiderte er, dass sie weder eine ihnen gemeinsame Regierung aufwiesen noch durch Gesetze, Sprache oder Territorium eine Einheit bildeten. Er verband die allgemeinen Forderungen der Liberalen nach Gleichstellung und Gewissensfreiheit mit dem Anliegen der → Emanzipation [23] der Juden. Auch im innerjüdischen Bereich waren ihm liberale Prinzipien wichtig, so etwa, als orthodoxe Rabbiner 1841 die zweite Auflage des Gebetbuches des Neuen Israelitischen → Tempelvereins [11] heftig kritisierten. Mit der Gleichberechtigung für die Juden im Stadtstaat Hamburg im Jahr 1859 wurde R. Obergerichtsrat und Vizepräsident der Bürgerschaft. Er hatte endlich sein Lebensziel erreicht, verstarb aber im Alter von 57 Jahren. R. gehörte durch sein politisches Engagement zu den bekanntesten Juden seiner Zeit und hat sich große Verdienste im Kampf um die Emanzipation erworben.
In der Geschichte der Hamburger Kaufmannsfamilie R. spiegeln sich beispielhaft zwei historische Entwicklungen im 19. Jahrhundert, die für viele deutsche Juden prägend waren: Ein erfolgreicher sozioökonomischer Aufstieg ins Bürgertum zum einen sowie eine fortschreitende Säkularisierung der Gesellschaft zum anderen.
Rund vier Generationen lang, vom 18. Jahrhundert an, lebte die weitverzeigte Familie R. in Hamburg. Gründungsvater der Dynastie war der in Polen geborene Marcus (1770-1840), der von Altona aus eine Karriere als international tätiger Kaufmann und Bankier startete. Seine Heirat mit Emma Beit (1784-1830), Tochter eines wohlhabenden jüdischen Unternehmers, stärkte zusätzlich seinen sozialen Aufstieg ins hamburgische Bürgertum. Marcus R. war Mitglied in der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [24], von 1820 bis 1825 dort als Vorsteher tätig, und zugleich Mitbegründer des reformorientierten → Tempelvereins [11], in dessen Vorstand er von 1817 bis 1839 wirkte. 1820 gründete er seine eigene Firma. Sein ältester Sohn Siegmund (1808-1870), verheiratet mit Therese Dieseldorff (1810-1890), übernahm das Unternehmen nach dem Tode des Vaters zusammen mit seinen Brüdern Adolph (1809-1885) und Meinhard (1814-1895), die beide jeweils eine Filiale in Schottland leiteten. Nach einem Konkurs der Firma 1848 trennten sich die Brüder, und Siegmund gründete 1859 zusammen mit seinem ältesten Sohn Hermann (1837-1922) erneut ein sehr erfolgreiches, internationales Import- , Export- und Kommissionsgeschäft. 1859 wurde Siegmund als Vertreter der Liberalen in die Hamburger Bürgerschaft gewählt, der er bis 1865 angehörte. Wie sein Vater engagierte er sich auch im Tempelverein und in jüdischen → Wohlfahrtseinrichtungen [25]. Doch verstand sich Siegmund als Freidenker, der nur zwangsweise Mitglied einer konfessionellen Gemeinschaft war. Nachdem 1864 durch ein Gesetz der Bürgerschaft dieser Zwang entfiel, trat er zusammen mit seiner Familie im Dezember aus der Jüdischen Gemeinde aus, ohne zugleich zu konvertieren. Sein Sohn Hermann Moses (1837-1922), der das Geschäft des Vaters zusammen mit seinem Bruder Johannes (1838-1897) erfolgreich ausbaute, konnte den Weg der R.s in die hamburgische Wirtschaftselite weiter fortsetzen. Hermann, verheiratet mit Flora May (1845-1891), war Mitglied der Deputation für Handel und Schifffahrt, von 1895 bis 1902 Vizepräsident der Handelskammer sowie bis 1907 Mitglied der Bürgerschaft. Seine vier Kinder blieben, wie er selbst, konfessionslos. Einige seiner Neffen wurden allerdings getauft, so zum Beispiel Franz R. (1880-1960), der 1921 als Ministerialrat in die Reichsverwaltung nach Berlin ging. Dennoch blieben die R.s den Kreisen der assimilierten jüdischen Familien Hamburgs verbunden. Den weitverzweigten Handelsbeziehungen und internationalen Verbindungen des Unternehmens ist es schließlich zu verdanken, dass in den dreißiger Jahren fast alle Familienmitglieder der nationalsozialistischen Verfolgung entkommen konnten.
(auch: a. Imanuel (Manuel) Bocarro Francês; b. Jacob Hebraeus), Kaufmann, Astronom/Astrologe und Schriftsteller, geb. vor 1593 Lissabon, gest. nach 1662 Italien
Der aus einer angesehenen kryptojüdischen Arztfamilie stammende R. studierte nach dem Besuch des Jesuitenkollegs Medizin, Physik, Astronomie und Mathematik in Alcalá de Henares, Montpellier und Coimbra. In seinem 1624 veröffentlichten gelehrten Gesang Anacephaleoses da monarchia Luzitana feierte er die glorreiche Vergangenheit Portugals und sagte die Wiederherstellung und großartige Zukunft des portugiesischen Weltreiches voraus, was die Aufmerksamkeit der spanischen Inquisition erregte. Nach kurzem Gefängnisaufenthalt floh R. nach Rom, wo er 1626 den vierten Teil dieses Buches veröffentlichte, für das Galileo Galilei ein Vorwort verfasste. Mit dieser Schrift gab sich R. als Anhänger der politisch-literarischen Richtung des Sebastianismus zu erkennen, in dem jüdischer und christlicher Messianismus zusammentrafen. 1631 ließ er sich in Hamburg nieder, wo Mitglieder seiner weit verzweigten Familie offen als Juden lebten. Im Juni 1641 wurde er vom deutschen Kaiser Ferdinand III. wegen seiner Verdienste um die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit zwischen Spanien und Deutschland mit der Würde des »kleinen Palatinats« sowie mit einem Freibrief ausgezeichnet, der ihn und seine Nachkommen »vom Makel der jüdischen Abstammung« befreite. 1645 wurde R. Spaniens Vertreter in Hamburg. 1652 unterzeichnete er die Gründungsvereinbarung der → Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde [1] Bet Israel. Als ihn die spanische Regierung nicht mehr bezahlte und er zahlungsunfähig wurde, ließ er sich in Italien nieder. 1662 berief ihn die Herzogin Strozzi nach Florenz, doch verstarb R. auf dem Weg dorthin.
Architekt, Architekturtheoretiker und Kunstschriftsteller, geb. 5.1.1809 Kassel, gest. 15.8.1893 Wiesbaden
R. zählte zu den ersten in Deutschland tätigen jüdischen Architekten. 1826 begann er seine Ausbildung an einer privaten Zeichenschule und der Akademie der bildenden Künste in Kassel, 1827 nahm ihn die Oberbaudeputation Kassel als Eleven an. Mit einem Residenzentwurf, für den er den Prix de Rome der Kasseler Akademie gewann, schloss er seine Ausbildung 1829 ab. In die Zeit als Assistent A. Schuchardts in der Oberbaudeputation Kassel fiel 1833-1839 die Planung und Realisierung der Kasseler Synagoge im bis dahin nur für öffentliche Bauten üblichen romanisierenden Rundbogenstil, der den Synagogenbau in den folgenden Jahrzehnten prägte. Anschließend an die mit dem Prix de Rome finanzierte Studienreise nach Paris, Rom, Venedig und Belgien übersiedelte R. 1842 nach Hamburg, wo er bis 1882/83 eine rege Bau- und Publikationstätigkeit entfaltete. Für christliche und jüdische, private und öffentliche Auftraggeber entstanden Wohn- und Geschäftshäuser, Villen, Wohnstifte, das Gast- und Krankenhaus St. Georg, Kapellen, das Grab-Denkmal für → Gabriel Riesser [26] (heute Jüdischer → Friedhof [27] Ohlsdorf) sowie vier → Synagogen [28] und die → Talmud Tora-Schulgebäude [29] an den Kohlhöfen (9, 18, 19). Seine Publikationen umfassen Reiseberichte, Architekturrezensionen, Architekturtheorie und Übersetzungen. An der Formulierung einer jüdischen Identität war R. weder bei seinen Synagogen oder den Schulen noch in seinen Publikationen interessiert, dennoch reflektierte er das Judesein und das Bauen jüdischer Gemeinden in Deutschland. 1867 trat er aus der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [24] aus.
Klassischer Philologe und Bibelwissenschaftler, geb. 15.3.1866 Hamburg, gest. 9.5.1943 Hamburg
R., Sohn des Wechselmaklers David Ruben und seiner Ehefrau Mathilde, stammte aus einer seit ca. 1650 in Wandsbek und Hamburg ansässigen Familie, deren Mitglieder als Kaufleute und Ärzte Vermögen und Ansehen erlangt hatten. Er besuchte ab 1872 die → Talmud Tora Schule [29] und wechselte 1880 an die Gelehrtenschule des Johanneums, wo er 1885 das Abitur bestand. R. studierte Klassische Philologie in Freiburg und Bonn; seine Doktorarbeit über den griechischen Kirchenvater Clemens Alexandrinus betreute Hermann Usener in Bonn. Nach dem Militärdienst (1892/93) lebte R. als Privatgelehrter in Hamburg, von 1894 bis 1907 mit Unterbrechungen in England. Seit seiner Jugend verband ihn eine enge Freundschaft mit → Aby Warburg [30]. Im Gegensatz zu Warburg blieb R. sein Leben lang den jüdischen Traditionen verbunden. Er war Mitglied der Steinthal B’nai B’rith-Loge (→ Logenwesen [31]) und des im Juni 1929 konstituierten Ortskomitees Hamburg der Akademie für die Wissenschaft des Judentums; außerdem gehörte er dem Ehrenpräsidium der → Franz-Rosenzweig-Gedächtnisstiftung [32] an. 1931 wurde R. Mitarbeiter der → Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg [33] und blieb nach deren Transfer nach London ihr Hamburger Repräsentant. Nach 1933 lebte er zurückgezogen in Hamburg, ganz mit der Drucklegung seines wissenschaftlichen Hauptwerks beschäftigt, das 1937 in London erschien (Recensio und Restitutio. Eine Vermuthung über die früheste Geschichte der alttestamentlichen Texte). Die 1939 vorbereitete → Emigration [34] nach Dänemark scheiterte am Kriegsausbruch. 1941 wurde R. in ein → »Judenhaus« [35] eingewiesen. Sein schlechter Gesundheitszustand rettete ihn 1942 vor der → Deportation [15] nach Theresienstadt. 1943 starb R. und wurde auf dem → Friedhof [27] an der Ilandkoppel beigesetzt.
Politiker und Pädagoge, geb. 9.11.1815 Hamburg, gest. 13.1.1891 Hamburg
R. gehört zu den jüdischen Persönlichkeiten der Hansestadt, die weit über ihre Religionsgemeinschaft und Stadt sowie über ihre Zeit hinaus Bedeutung erlangten. Geboren als Sohn eines Hofbankiers des dänischen Königs, wurde er zunächst von einem Hauslehrer unterrichtet und erhielt dann auf dem Johanneum und dem Akademischen Gymnasium eine humanistische Ausbildung. In Kiel studierte er Philosophie und promovierte mit einer sprachwissenschaftlichen Arbeit zum Hebräischen. 1838 wurde R. Lehrer an der → Israelitischen Freischule [36] (41), 1848 übernahm er die Leitung der Schule und behielt diese bis zu seinem Tode. Er entwickelte die Anstalt zu einer Simultanschule, in der allerdings nach 1870 die christlichen Schüler die Mehrheit stellten. 1889 ließ R. den Zusatz »israelitisch« aus dem Namen der Schule streichen, er selbst war inzwischen aus der jüdischen Gemeinde (→ DIG [24]) ausgetreten, ohne aber sein Judentum zu verleugnen. Neben seiner pädagogischen Arbeit war R. zeitlebens ein politisch aktiver Vertreter des deutschen Linksliberalismus. Die rechtliche Gleichstellung der Juden war in seinen Augen nur eine Basis für die weitere → Emanzipation [23] der Juden. Er mahnte vor allem eine Änderung der kulturellen und sozialen Verhältnisse der Juden an. Insbesondere forderte er von den Juden, sich durch das Erlernen des Hochdeutschen integrationsfähig zu zeigen. 1845 gründete er gemeinsam mit dem Reformprediger → Gotthold Salomon [37] die Gesellschaft für sociale und politische Interessen der Juden, 1859 gehörte er zu den Mitbegründern des Vereins zur Förderung der Gewissensfreiheit, der sich für die Grundrechte von 1848 einsetzte. R.s schulpolitische Vorstellungen, die er bereits 1848 als Mitglied der verfassunggebenden Konstituante vertreten hatte, waren ihrer Zeit weit voraus. So forderte er eine für alle Kinder gemeinsame »allgemeine Volksschule«, die ihre Schüler ohne Ansehen von Stand und Vermögen der Eltern auszubilden hätte. In einem höheren Grad von Allgemeinbildung und gleichen Aufstiegsmöglichkeiten für alle sah er einen Beitrag zur Lösung der sozialen Frage und zur Demokratisierung der Gesellschaft. Von 1859 bis 1871 war R. Mitglied der Hamburger Bürgerschaft und wirkte dort an der Verfassung von 1860 sowie an dem Unterrichtsgesetz von 1870 mit. Der hohe Bildungsanspruch der 1871 eingerichteten staatlichen Hamburger Volksschule sowie die Absage an eine kirchliche Aufsicht über das Schulwesen waren nicht zuletzt seinem Einfluss zu danken. Den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn stellte sein Mandat für die Fortschrittspartei im Reichstag von 1881 bis 1884 dar.
Verweise:
[1] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/portugiesisch-j%C3%BCdische-gemeinden-sefarden
[2] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/cohen-de-lara-david
[3] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/dreigemeinde-ahw-ahu
[4] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/aschkenasi-zwi-hirsch-ben-jacob
[5] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/eibesch%C3%BCtz-auch-eibensch%C3%BCtz-eybesch%C3%BCtz-eybensch%C3%BCtz-jonathan
[6] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/kohen-auch-cohen-rafael-ben-jekutiel-s%C3%BCsskind
[7] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/ettlinger-jacob-aaron
[8] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/lerner-maier
[9] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/fr%C3%BChe-neuzeit
[10] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/bernays-isaak
[11] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/tempel-neuer-israelitischer-nit
[12] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/stern-anschel
[13] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/spitzer-samuel
[14] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/carlebach-joseph-hirsch-zwi
[15] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/deportationen
[16] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/verband-der-j%C3%BCdischen-gemeinden-schleswig-holsteins-und-der-hansest%C3%A4dte
[17] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/j%C3%BCdische-gemeinde-1945-1989
[18] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/neue-dammtor-synagoge-47
[19] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/jeschiwa
[20] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/duckesz-eduard-jecheskel
[21] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/zeitungswesen
[22] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/ausschreitungen-antij%C3%BCdische
[23] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/emanzipation
[24] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/deutsch-israelitische-gemeinde-dig
[25] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/sozial-und-wohlfahrtswesen
[26] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/riesser-gabriel
[27] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/friedh%C3%B6fe
[28] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/synagogen
[29] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/talmud-tora-schule-ttr
[30] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/warburg-abrahamaby-moritz
[31] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/logenwesen
[32] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/franz-rosenzweig-ged%C3%A4chtnisstiftung
[33] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/kulturwissenschaftliche-bibliothek-warburg
[34] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/emigration
[35] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/%C2%BBjudenh%C3%A4user%C2%AB
[36] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/israelitische-freischule
[37] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/salomon-gotthold