Veröffentlicht auf Das Jüdische Hamburg (https://dasjuedischehamburg.de)

Startseite > N wie Novemberpogrom

N wie Novemberpogrom

Nathan, Nathan Max

Gemeindesyndikus, geb. 15.7.1879 Emmerich, gest. vermutlich Oktober 1944 Auschwitz

Nach dem Studium der Philosophie und der orientalischen Wissenschaften an den Universitäten Bonn und Berlin, dem Besuch der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums erlangte N. sowohl das Rabbinatsdiplom als auch das philosophische Doktorat (Straßburg). Der wissenschaftlichen Arbeit besonders zugetan, war N. seit 1906 Sekretär der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums in Berlin, zugleich tätig am Gesamtarchiv der Juden in Deutschland sowie als Religionslehrer und Rabbinatsvertreter. Die → Deutsch-Israelitische Gemeinde [1] in Hamburg berief ihn, der keine juristische Ausbildung genossen hatte, 1912 gleichwohl zu ihrem einzigen Syndikus. Die ihm übertragene Aufgabe nahm N. in den kommenden Jahrzehnten wahr, dabei seine Vorliebe für wissenschaftlich literarische Arbeit nicht aufgebend. Zahlreiche jüdische Hamburgensien hat N. verfasst oder herausgegeben. In der Gemeinde galt sein besonderes Interesse der Arbeit des Jugendamtes der Gemeinde, das er 1921 mitbegründet hatte, und der redaktionellen Tätigkeit am Gemeindeblatt (→ Zeitungswesen [2]), dessen Herausgeber er seit 1925 bis zu dessen Verbot 1938 war. Vielfach übernahm er Rabbinervertretungen an der → Neuen Dammtor Synagoge [3] (47). N. war Mitglied, zumeist in führender Stellung, in vielen jüdischen → Vereinen [4] oder Institutionen, etwa in der Friedhofskommission der Chewra Kadischa (→ Beerdigungswesen [5]), der → Gesellschaft für jüdische Volkskunde [6], der Jüdischen Mittelstandshilfe und der → Franz-Rosenzweig-Gedächtnisstiftung [7]. Seine Umsicht sicherte ihm das andauernde Vertrauen aller jüdischen Institutionen. Im Spannungsfeld unterschiedlicher religiöser Richtungen in der Gemeinde und während der finanziellen und personellen Umstrukturierung nach 1933 war und blieb N. der ruhende Pol der Gemeinde. Am 19. Juli 1942 wurden er und seine Frau Dora zunächst nach Theresienstadt und von dort am 23. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert. Dort wird das Ehepaar sofort nach der Ankunft ermordet worden sein.

Ina Lorenz

Nathan, Samson Philip

Pädagoge und Rabbiner, geb. 13.1.1820 Hamburg, gest. 31.10.1905 Hamburg

N., von 1848 bis 1905 Lehrer an der → Talmud Tora Schule [8] in Hamburg, verkörperte in seiner Persönlichkeit wie kaum ein anderer das Prinzip »Tora im Derech Eretz«, d. h. die Verbindung von streng traditionellem Judentum und allgemeiner Kultur. Der Sohn des Lehrers und Waisenvaters P. S. Nathan besuchte die Israelitische Armenschule (40) der Talmud Tora, die unter der Leitung des Oberrabbiners → Isaak Bernays [9] reformiert worden war und neben jüdischen Disziplinen Deutsch und weltliche Wissenschaften vermittelte. Bei Bernays widmete sich der junge N. talmudischen Studien. 1840 bestand er das Abitur an der Gelehrtenschule des Johanneums und setzte seine Studien am Akademischen Gymnasium fort. Von 1843 bis 1845 studierte er in Würzburg und Berlin u. a. Philosophie und promovierte 1845 in Jena mit einer Dissertation über den Propheten Habakuk. 1848 wurde ihm die Rabbinatsapprobation erteilt – doch statt Rabbiner zu werden, kehrte er als Lehrer an seine Schule in Hamburg zurück. Dort unterrichtete er neben jüdischen Wissenschaften vor allem Rechnen und Mathematik. Mehrmals wöchentlich hielt er Vorträge in jüdischen Lernvereinen. Nach dem Tode des Oberrabbiners → Anschel Stern [10] 1888 führte er eineinhalb Jahre lang die Rabbinatsgeschäfte (→ Rabbinat [11]) und wurde danach Stellvertreter des neuen Oberrabbiners → Markus Hirsch [12]. N. war ein Gelehrter von hohem Rang. Seine Schüler lernten ihn als strenggläubigen Juden, von deutscher Kultur geprägten Deutschen und Hamburger kennen, der seine Heimatstadt liebte und besonders gern Plattdeutsch sprach. Sein Vorbild blieb in mehreren Schülergenerationen lebendig und wirkte auch nach seinem Tod in der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [1] in Hamburg fort.

Ursula Randt

Neue Dammtor Synagoge

Die N. blieb die einzige Synagoge des gleichnamigen Vereins, zu dem sich Mitglieder der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [1] 1894 zusammenschlossen, um eine in den neuen Wohnvierteln Harvestehude/Rotherbaum dringend erforderliche Synagoge zu bauen.

1912 beantragte der Verein die Eintragung ins Vereinsregister, 1923 wurde er als selbständiger Kultusverband von der Gemeinde anerkannt. Die Synagoge entstand 1894/95 im neuislamischen Stil, vollständig verborgen hinter gründerzeitlichen Mehrfamilienhäusern am heutigen Allendeplatz nach einem Entwurf der Architekten Schlepps & Rzekonski. Farbige Ziegelmuster, Hufeisenbogen, Säulenkapitelle, die Farbigkeit des Innenraums und v. a. die Ornamentik der Ostwand erinnerten jedoch nur noch vage an islamische Vorbilder. Die Inneneinrichtung spiegelte den liberalisierten, aber nicht reformierten religiösen Ritus des Vereins: Die Bima war vor den Toraschrein verbannt, die Geschlechtertrennung wurde mit niedrig vergitterten Frauenemporen beibehalten, es gab eine Empore für einen vierstimmigen Chor ohne Orgel (→ Synagogen [13]). Vermutlich beeinflusste dieser unentschiedene Ritus die Wahl des Baustils, der zwar lange als Synagogenbaustil galt, doch nicht zu den dominierenden, ideologiebeladenen Stilen zählte. Er schien geeignet, Selbstbewusstsein zu demonstrieren, ohne die jüdische Tradition zu leugnen, in einer Zeit, in der die Mehrzahl jüdischer Gemeinden mit neugotischem und neuromanischem Kirchenbaustil Erinnerungen an einen Ursprung des Judentums im Orient zu vermeiden suchte. Während des → Novemberpogroms [14] 1938 wurde der Innenraum demoliert; mit privaten Mitteln wiederhergestellt, kamen bis zur Beschlagnahme im Juni 1943 aschkenasische Juden aller Richtungen zum Gottesdienst. Kurz darauf wurden Synagoge und Vorderhäuser während der Bombardements zerstört. Ein Gedenkstein auf einer kleinen Grünanlage unmittelbar neben dem Universitätsgebäude im ehemaligen »Pferdestall« erinnert an die N.

Saskia Rohde

Neustadt

Mit dem Bau einer modernen Stadtbefestigung in den Jahren 1616 bis 1628 entstand die Hamburger N. Das neue Befestigungssystem aus Wällen, Gräben und Bastionen umschloss halbkreisförmig die Altstadt und das Gebiet westlich von ihr.

Drei Straßenzüge mit je einem Marktplatz auf halbem Weg führten aus der Altstadt zu den zwei Toren (Millerntor, Dammtor) der N.: der Schaarsteinweg mit dem Schaarmarkt, der Alte und Neue Steinweg mit dem Großneumarkt und der Oberdamm mit der Dammtorstraße und dem Gänsemarkt. 1647 erhielt die Neustadt ein eigenes Kirchspiel, St. Michaelis, das aber erst 1677 mit politischen Rechten versehen und 1685 zu den bürgerlichen Kollegien der Stadt zugelassen wurde und damit gleichberechtigt war. Im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges flüchteten zahlreiche Menschen aus dem Hamburger Umland in die geschützte Stadt und ließen sich in der N. nieder. Im Norden fanden sich die Wohnhäuser wohlhabender Bürger, im Süden, Richtung Elbufer, die Quartiere von Hafenarbeitern. Unter den Zuwanderern waren auch Juden, deren Niederlassung in der N. geduldet wurde. Der antijüdische Tumult von 1730 zeigte aber die vorhandenen sozialen Spannungen, die in diesem Fall vor allem von Seeleuten ausgingen. In dem jahrzehntelangen Streit um die Rechte der Juden in der Stadt legte der Senat 1768 und erneut 1773 einen Plan vor, nach dem den Juden Wohn- und Grundeigentumsrechte nur in fünf Straßen der Altstadt (um den Alten Wall) und in 14 Straßen der N. zugestanden werden sollten. Letztere befanden sich westlich des Großneumarkts etwa zwischen Poolstraße und Venusberg. Diese Pläne führten zwar nicht zur Einrichtung eines Ghettos, beschränkten die Juden aber auf diese Wohngebiete. Die zunehmend dichtere Wohnbebauung im Gängeviertel sowie konjunkturelle Schwankungen im 18. Jahrhundert verstärkten die sozialen Spannungen.

In der N. entstanden seit der Mitte des 17. Jahrhunderts Betsäle und → Synagogen [13]. So besaß die Jüdische Gemeinde zwischen 1654 und 1859 eine Synagoge am Neuen Steinweg (3) und errichtete dann die neue Hauptsynagoge an den Kohlhöfen (19). Zwischen Altem Steinweg und Brunnenstraße mietete der Neue Israelitische → Tempelverein [15] 1818 ein Haus zur Veranstaltung von Gottesdiensten an (12), 1844 weihte er einen Neubau in der Poolstraße (17) ein. 1855 wurde an der Markusstraße eine sefardische Synagoge (18) geweiht. Ein kleiner jüdischer → Friedhof [16] wurde 1814 am Neuen Steinweg (3) angelegt. 1805 wurde in der Elbstraße die → Talmud Tora Schule [8] (40) gegründet, 1815 die → Israelitische Freischule [17] (41) am Zeughausmarkt. Seit 1838 ließen wohlhabende jüdische Wohltäter besonders in der N. → Wohnstifte [18] für Bedürftige errichten. Mit der Aufhebung der Torsperre 1860 entstanden vor den ehemaligen Wällen neue Wohngebiete. Ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung zog seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts dann aus der dicht bebauten N. in die Stadtteile Rotherbaum und Harvestehude, vor allem ins → Grindelviertel [19].

Ortwin Pelc

Norden, Joseph

Rabbiner, geb. 17.6.1870 in Hamburg, gest. 7.2.1943 Theresienstadt

N. besuchte in Hamburg zunächst die → Talmud Tora Schule [8], anschließend bis zum Abitur 1890 das Johanneum. In Berlin schrieb er sich an der Universität für Philosophie und – trotz seiner liberalen Anschauungen – am orthodoxen Rabbinerseminar ein, hörte aber bald auch Vorlesungen an der progressiv ausgerichteten Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums. Die akademische Ausbildung schloss er 1895 in Halle mit der Promotion ab, das Rabbinatsexamen erfolgte 1896. 1897 trat N. seine erste Stelle als Rabbiner in Neustettin (Pommern) an, wechselte aber 1899 nach Myslowitz (Schlesien). Große Teile seiner Gemeinde gehörten einer ihm fremden, ostjüdisch-orthodoxen Welt an, in der er als entschiedener Fürsprecher des liberalen Judentums schwerlich seine Anschauungen zur Geltung bringen konnte. Das Rabbineramt in Elberfeld, das er 1907 übernahm, entsprach weitaus mehr seinen Vorstellungen, obwohl sein Standpunkt und seine Lebensweise auch dort mitunter auf Unverständnis stießen. N. war aktives Mitglied in der World Union for Progressive Judaism und machte sich einen Namen als Übersetzer der Bücher Claude Montefiores, der zu den Führern des Reformjudentums in England zählte. Im April 1935 trat N. in den Ruhestand und zog kurz darauf nach Hamburg, wo er am Israelitischen → Tempelverband [15] eine neue Heimat und Wirkungsstätte fand. Hier gehörte er seit 1937 dem Rabbinatsgericht an und übernahm 1939 die Nachfolge von Rabbiner → Bruno Italiener [20] (→ Rabbinat [11]). Am 15. Juli 1942 wurde N. nach Theresienstadt deportiert (→ Deportation [21]). Eine → Emigration [22] und Betätigung in England, die ihm mehrfach angeboten worden war, hatte er bis zuletzt abgelehnt, da er, der »in guten Zeiten mit seiner Gemeinschaft gelebt« hatte, nun »auch unter den schlimmen Umständen bei ihr ausharren« wollte.

Katrin Nele Jansen

Nordheim, Marcus

Unternehmer und Stifter, geb. 23.9.1812 Memmelsdorf, gest. 25.11.1899 Hamburg

N., Sohn eines Viehhändlers aus Unterfranken, gründete 1836 in Hamburg eine Firma für den Handel mit Häuten und Fellen. Mit diesem Unternehmen brachte er es zu Wohlstand und Ansehen. Die → Deutsch-Israelitische Gemeinde [1] wählte ihn 1876 in ihren Vorstand; 1889 wurde er Zweiter, 1890 Erster Vorsitzender. Wohlstand bedeutete für N. Verpflichtung. Zu seinem 70. Geburtstag errichtete er 1882 das Marcus-Nordheim-Stift (29) in der Schlachterstraße mit Freiwohnungen für 27 arme jüdische Familien (→ Wohnstifte [18]). Ein Jahr später trug er auf Wunsch seiner Frau Sara, geb. Lion, mit der er seit 1839 in kinderloser Ehe lebte, entscheidend zum Bau der → Israelitischen Töchterschule [23] (89) in der Karolinenstraße bei. Das Vermögen, das N. bei seinem Tode hinterließ, belief sich auf rund zehn Millionen Mark. Nichten und Neffen, das Haus- und das Kontorpersonal, diverse wohltätige und gemeinnützige Institutionen – nicht nur jüdische – waren mit großzügigen Legaten bedacht worden. Ein »Rest« von mehr als zwei Millionen konnte für die Gründung eines Miete-Hilfsvereins verwendet werden sowie für die Einrichtung des Seehospitals Sahlenburg bei Cuxhaven, das tuberkulosekranken Kindern Heilung bringen sollte. Der Miete-Hilfsverein fiel 1943 der → »Arisierung« [24] anheim. Das Marcus-N.-Stift wurde im Krieg zerstört. Das Seehospital in Sahlenburg trägt wieder den Namen Nordheim-Stiftung und ist heute eine Fachklinik für Orthopädie und Rheumatologie. Zum Silberschatz des Senats der Stadt Hamburg gehört ein Tafelaufsatz mit Kristallschale aus dem Besitz N.s. Seit 1958 erinnert eine Straße in Ohlsdorf an diesen verdienstvollen Wohltäter.

Renate Hauschild-Thiessen

Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen

Als die mit Jüdinnen verheirateten nicht-jüdischen Ehemänner und die »Mischlinge ersten Grades« (→ Mischehen [25]) im Oktober 1944 zur → Zwangsarbeit [26] verpflichtet wurden, entwickelten sie dort erstmals ein Gruppengefühl, tauschten Informationen aus und entwarfen Pläne für die Gründung einer Interessenorganisation in der Zukunft.

Einer der Initiatoren war Konrad Hoffmann, ein ehemaliger kaufmännischer Angestellter, der als Bote Interessierte in den verschiedenen Arbeitskolonnen ansprechen, Namenlisten aufstellen und Dokumente sammeln konnte. So vorbereitet, verkündete die N. bereits am 19. Mai 1945 ihre Gründung und eröffnete am 29. Mai als eine der ersten Verfolgtenorganisationen eine Geschäftsstelle. Sie fühlte sich zuständig für »Angehörige des gleichen Erlebniskreises«, nämlich »Juden, die Sternträger waren, Juden aus privilegierten Mischehen, Arier aus Mischehen und Mischlinge ersten Grades«. In der N. engagierten sich u. a. Konrad Hoffmann, → Walter Koppel [27], Erik Blumenfeld, Gerhard Bucerius und Georg Claussen. Die Notgemeinschaft gab insgesamt ca. 8.000 Verfolgtenausweise aus, verteilte Lebensmittel, bemühte sich um Brennmaterial und Bezugsscheine, regelte Wohnungs- und Berufsangelegenheiten und organisierte die Rückführung von ca. 600 in Theresienstadt Inhaftierten nach Hamburg. Jugendliche »Mischlinge« konnten in Förderkursen Schulabschlüsse nachholen, die ihnen während der NS-Zeit verwehrt worden waren. Später unterstützte die N. ehemals Verfolgte durch individuelle Rechtsberatung und setzte sich für die Berücksichtigung von deren Interessen in der → Wiedergutmachungsgesetzgebung [28] ein. So erreichte die N., dass die Zwangsarbeit der in Mischehe lebenden Juden als haftgleich anerkannt wurde, und brachte das »Gesetz zur Anerkennung freier Ehen für rassisch und politisch Verfolgte« ein, das eine Rückdatierung von Ehen ermöglichte, die während der NS-Zeit nicht geschlossen werden durften. Scheidungen konnten dadurch annulliert werden. An der Einrichtung eines Hilfsfonds auf Bundesebene für nichtjüdische »rassisch« Verfolgte hatte die N. maßgeblichen Anteil. Während ähnliche Organisationen in anderen Bundesländern inzwischen ihre Arbeit eingestellt haben, unterhält die N. weiterhin eine Beratungsstelle und arbeitet in der Hamburger Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte mit.

Beate Meyer

Novemberpogrom

Die Legende, die »Reichskristallnacht« sei in Hamburg ohne größere Schäden verlaufen, weil Gauleiter Kaufmann den Pogrom verboten habe, beruht auf dessen Falschaussagen als Zeuge vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg 1946. Tatsächlich ging der Pogrom nach demselben Muster vonstatten wie andernorts.

Am 10. November 1938 rückten frühmorgens SA-Kommandos aus, um die Geschäfte von Juden zu demolieren und mit Parolen zu beschmieren. Zerstörungen und Plünderungen geschahen in der Innenstadt und in vielen anderen Stadtteilen Hamburgs. Die genaue Zahl der geschändeten → Synagogen [13] und kleineren Betsäle ist bis heute unaufgeklärt; betroffen waren mindestens fünf, möglicherweise auch neun jüdische Sakralgebäude, darunter die Hamburger Hauptsynagoge am → Bornplatz [29] (50), die → Neue Dammtor Synagoge [3] (47), die Synagoge des Tempelverbandes (53) und die Alte und Neue Klaus (49). Am 10. November wurde die Leichenhalle der Synagogengemeinde → Harburg-Wilhelmsburg [30] völlig niedergebrannt. Brandanschläge richteten sich am selben Tag auch gegen die Harburger Synagoge (127). Auch nach der am Abend des 10. November von Propagandaminister Goebbels verkündeten Aufforderung, »von allen weiteren Demonstrationen und Aktionen gegen das Judentum« sofort abzusehen, waren die Ausschreitungen, Demütigungen und Misshandlungen jüdischer Bürger nicht beendet. Noch am übernächsten Tag legten Brandstifter erneut ein Feuer in der Hauptsynagoge. Wie viele jüdische Männer die Hamburger Gestapo in den Pogromtagen verhaftet und in ein auswärtiges KZ gebracht hat, bleibt angesichts sehr unterschiedlicher Angaben ungewiss. Auszugehen ist mindestens von über 1.000 Verschleppten. Zwischen dem 10. und 15. November wurden nachweislich 873 Juden in das Hamburger Polizeigefängnis Fuhlsbüttel (→ Konzentrationslager [31]) eingeliefert; andere hatte die Gestapo im Stadthaus inhaftiert, bevor sie in Eisenbahntransporten den Weg in das KZ Sachsenhausen antreten mussten. Am 10. November drangen zwei Kriminalbeamte in die Wohnung des Musikers Martin Cobliner ein, um ihn zu verhaften. Cobliner stürzte aus dem Fenster in den Tod. Ob es andere Todesopfer des Pogroms in Hamburg gab, ist ungeklärt. Die in den Pogromtagen verhafteten Männer wurden erst nach Wochen und Monaten schwerer Misshandlungen aus dem KZ entlassen. Der N. löste in der jüdischen Bevölkerung Hamburgs eine Massenflucht ins Ausland aus. Für diejenigen, denen der Weg in die rettende → Emigration [22] versperrt blieb, begann in Hamburg eine Leidenszeit der forcierten Ausgrenzung und Entrechtung, an deren Ende → Deportation [21] und Massenmord standen.

Jürgen Sielemann

Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Beim Schlump 83, 20144 Hamburg
Mehr Informationen: www.igdj-hh.de


Quellen-URL (abgerufen am 11.05.2025 - 09:17): https://dasjuedischehamburg.de/node/194

Verweise:
[1] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/deutsch-israelitische-gemeinde-dig
[2] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/zeitungswesen
[3] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/neue-dammtor-synagoge-47
[4] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/vereinswesen
[5] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/beerdigungswesen
[6] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/gesellschaft-f%C3%BCr-j%C3%BCdische-volkskunde
[7] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/franz-rosenzweig-ged%C3%A4chtnisstiftung
[8] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/talmud-tora-schule-ttr
[9] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/bernays-isaak
[10] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/stern-anschel
[11] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/rabbinat
[12] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/hirsch-markus-mordechai-amram
[13] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/synagogen
[14] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/novemberpogrom
[15] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/tempel-neuer-israelitischer-nit
[16] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/friedh%C3%B6fe
[17] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/israelitische-freischule
[18] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/wohnstifte
[19] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/grindelviertel
[20] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/italiener-bruno
[21] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/deportationen
[22] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/emigration
[23] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/gedenk-und-bildungsst%C3%A4tte-israelitische-t%C3%B6chterschule
[24] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/arisierung
[25] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/mischehen-%C2%BBmischlinge%C2%AB
[26] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/zwangsarbeit-hamburg
[27] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/koppel-walter
[28] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/wiedergutmachung
[29] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/bornplatzsynagoge-50
[30] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/harburg-wilhelmsburg-synagogengemeinde
[31] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/konzentrationslager-hamburg