Veröffentlicht auf Das Jüdische Hamburg (https://dasjuedischehamburg.de)

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P wie Pollak

Panofsky, Erwin

Kunsthistoriker, geb. 30.3.1892 Hannover, gest. 14.3.1968 Princeton

1902 zog die Familie P. nach Berlin, wo Erwin 1910 am humanistischen Joachimsthaler Gymnasium sein Abitur ablegte. Nach Studien in Berlin, Freiburg und München wurde P. 1914 über die »theoretische Kunstlehre Albrecht Dürers« promoviert. 1920 habilitierte er sich in Hamburg mit Studien zum Werk Michelangelos. Dort sogleich aufgefordert, das Kunsthistorische Seminar der Universität aufzubauen, lehrte er ab 1926 als ordentlicher Professor. Von Beginn seiner Tätigkeit an ergab sich ein enger Kontakt zu dem Philosophen → Ernst Cassirer [1], der → Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg [2] sowie zu deren späteren Direktor → Fritz Saxl [3], mit dem gemeinsam er 1923 die epochemachende Studie Dürers »Melencolia I« vorlegte, die die Grundlage für die 1964 zusammen mit Raymond Klibansky publizierte Arbeit Saturn and Melancholy darstellte. Recht bald sprach man von der aus Cassirer, P., → Aby Warburg [4] und seinen Mitarbeitern bestehenden Hamburger Schule, die nach dem erklärten Willen von Warburg die »Fackel jüdischer Geistigkeit« weitergeben sollte. Nach der → Emigration [5] 1933 lehrte P. von 1935 bis 1963 Kunstgeschichte an der »School of Historical Studies« in Princeton, danach hatte er bis zu seinem Tode die Samuel-Mosse-Professur an der New York University inne. Die Bedeutung P.s weist über die Kunstwissenschaft hinaus: Seine Methode der Ikonologie, die er als Gegensatz zur klassischen Ikonographie konzipierte, veränderte die Wahrnehmung von Bildern grundsätzlich. Denn die Beschäftigung »mit dem Kunstwerk als einem Symptom von etwas anderem, das sich in einer unabsehbaren Vielfalt anderer Symptome artikuliert«, erforderte eine selbständige »Interpretation« dieser Symptome. P. verstand die Ikonologie stets als flexiblen Rahmen, als welcher sie schnell über die Kunst der Renaissance hinaus zu dem wesentlichen Instrument von Kunstinterpretation überhaupt wurde.

Thomas Meyer

Pardo, Herbert Joseph

Jurist, Politiker und Gemeindefunktionär, geb. 20.8.1887 Hamburg, gest. 8.2.1974 Haifa

Nach dem Besuch des Wilhelmgymnasiums studierte P., Sohn eines Schirmfabrikanten, Jura in München, Berlin und Kiel. Der zionistisch und sozialistisch gesinnte Anwalt trat 1910 in die SPD ein und war im Ersten Weltkrieg als Militärhilfsrichter tätig. 1918/19 wurde er zunächst in den Arbeiter- und Soldatenrat und dann in die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt gewählt, der er bis 1932 als sozialdemokratischer Abgeordneter angehörte. Der wegen seiner kompromisslosen Haltung in seiner Partei nicht unumstrittene P. war von 1926 bis 1928 Mitglied des Staatsgerichtshofs, der Steuerdeputation, der Gefängnisbehörde und des Universitätsausschusses und gehörte seit 1927 dem Bürgerausschuss an. Ab 1920 war er außerdem Syndikus des Polizeibeamtenverbandes und betätigte sich aktiv im Vorstand des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold sowie im Hamburger Zionistischen Verband (→ Zionismus [6]). Als Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft setzte er sich vehement gegen den → Antisemitismus [7] zur Wehr. Bis 1933 gehörte er mehrfach dem Vorstand der → Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde [8] an. 1933 emigrierte er nach dem »Judenboykott« nach Palästina, wo er eine Fabrik für Stahlmöbel betrieb (→ Emigration [5]). Nach dem Krieg kehrte P. nach Hamburg zurück und nahm schon im Herbst 1947 aktiv an den Vorstandssitzungen der neu gegründeten → Jüdischen Gemeinde [9] Hamburgs teil. Als Anwalt vertrat er bei → Wiedergutmachungsfragen [10] vor allem die Interessen der Jüdischen Gemeinde sowie die Ansprüche zahlreicher emigrierter Hamburger Portugiesen. Anfang der fünfziger Jahre zog P. nach Haifa, war aber bis 1971 weiterhin in der Hansestadt als Anwalt, vor allem in Wiedergutmachungsfragen, tätig.

Michael Studemund-Halévy

Piza, Joseph de Mose

Rabbiner, Kantor, Journalist und Übersetzer, geb. 28.2.1824 Altona, gest. 26.9.1879 Hamburg

P. studierte in Göttingen und Heidelberg Philosophie und arbeitete später als Lehrer in Oldenburg. 1854 wurde er als Sprachlehrer an die ursprünglich als → Israelitische Freischule [11](41) gegründete Stiftungsschule in Hamburg berufen, seit 1855 teilte er sich mit dem ebenfalls der → Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde [8] angehörenden David Meldola das Amt des Kantors am Neuen Israelitischen → Tempelverein [12]. 1859 wurde er zum Oberkantor ernannt. Über den beliebten Religionslehrer Piza schreibt Ferdinand Meisel 1917 in seinen Erinnerungen: »Auch unser Religionslehrer Dr. Piza war ein hervorragender Mann, der die deutsche Sprache meisterhaft beherrschte. Seine stattliche Gestalt, sein prächtiger, dunkler Vollbart, sein herrliches Organ sind mir unvergesslich.« 1856 übersetzte er den Roman Marie Henriquez Morales der englischen Sefardin Grace Aguilar, 1876 gab er den (heute verschollenen) Katalog der Bibliothek der fünf vereinigten Logen in Hamburg heraus. 1862 übernahm P. die Redaktion des Norddeutschen Volksblattes, von 1864 bis 1871 war er Redakteur bei der Hamburger Lokalzeitung Freischütz und 1872 wurde er Schriftleiter des Altonaer Volksblattes Reform. 1866 führte er die staatlich angeordnete Konfirmation unter Beteiligung von vier Knaben und einem Mädchen durch (Trennung von Staat und Kirche durch die Verfassung 1860). 1869 wurde er als Abgeordneter in die Hamburger Bürgerschaft gewählt.

Michael Studemund-Halévy

Plaut, Max

Jurist, Ökonom und Gemeindeführer, geb. 17.10.1901 Sohrau (Oberschlesien), gest. 8.3.1974 Hamburg

P.s Eltern verließen Oberschlesien 1919, als in den von Polen beanspruchten Gebieten Unruhen ausbrachen. P. hingegen schloss sich dem Freikorps »Verband Manfred Killinger« an und nahm an den Kämpfen um Annaberg teil. Danach legte er in Marburg sein Abitur ab und kehrte 1922 zu seinen Eltern zurück, die nun in Hamburg lebten. Sein Vater Raphael P. leitete dort das Deutsch-Israelitische Waisenhaus. P. absolvierte eine Lehre im Bankhaus → Warburg [13], studierte dann in Rostock, Freiburg und Paris Rechtswissenschaften und Nationalökonomie und wurde in beiden Fächern promoviert. Bis 1930 arbeitete er für das Bankhaus Warburg und sammelte praktische Verwaltungserfahrung, so als Volontär bei Max Brauer. P., Mitglied der DDP, unterstützte innerhalb der Jüdischen Gemeinde (→ DIG [14]) den Central-Verein deutscher Bürger jüdischen Glaubens, dessen Jugendverband, die Deutsch-jüdische Jugend, er leitete. 1930 wurde er ins Repräsentanten-Kolleg der Gemeinde gewählt, Anfang 1933 als hauptamtlicher Sekretär eingestellt. P. wurde mehrfach kurzzeitig verhaftet, u. a. wegen seiner Logenmitgliedschaft in der B’nai B’rith-Loge (→ Logenwesen [15]) und nach der Pogromnacht (→ Novemberpogrom [16]). Im Dezember 1938 setzte die Gestapo P. als alleinverantwortlichen Leiter des → Jüdischen Religionsverbandes [17] und gleichzeitig als Vorstand aller jüdischen Organisationen in Hamburg ein. Von 1938 bis 1941 organisierte P. mit Unterstützung des Sekretariats Warburg Ausreisemöglichkeiten. Als die Stettiner Juden 1940 ins Generalgouvernement deportiert worden waren, beauftragte die Zentrale der Reichsvereinigung der Juden P., sich um deren finanziellen Nachlass zu kümmern. P. half zu verhindern, dass die ostfriesischen Juden dorthin verschleppt wurden. Als Leiter der Bezirksstelle Nordwestdeutschland der Reichsvereinigung unterstanden ihm auch die Juden in Schleswig-Holstein, Oldenburg, Bremen, in den Regierungsbezirken Stade, Lüneburg und Mecklenburg und später noch die in Hannover und Hildesheim. Bei Auflösung der Reichsvereinigung im Juni 1943 löste die Gestapo ihr Versprechen ein, P. nach Palästina ausreisen zu lassen. 1946 heiratete er Ruth Jacobson, 1950 übersiedelte er nach Bremen, wo er stellvertretender Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde wurde. 1965 kehrte er nach Hamburg zurück. Sein Bericht über die Judenverfolgung wurde im Prozess gegen Adolf Eichmann verwendet. Von 1959 bis 1964 gehörte er der deutschen UNESCO-Kommission an und stand von 1971 bis zu seinem Tod der Lessing-Akademie Wolfenbüttel als Präsident vor.

Beate Meyer

Pollak, Egon

Dirigent, geb. 3.5.1879 Prag, gest. 14.6.1933 Prag

P. studierte zunächst Mathematik an der Technischen Hochschule in Darmstadt und in Göttingen, soll dann unter dem Einfluss seines Vaters das Interesse daran verloren haben und ließ sich vom Direktor des Prager Konservatoriums privat zum Dirigenten ausbilden. Seine erste Anstellung erhielt er 1901 als Chordirigent des Prager Landestheaters. 1905 wurde er erster Opernkapellmeister in Bremen, 1910 dann in Leipzig. Nach einem Engagement 1912 bis 1917 in Frankfurt a. M. kam er im August 1917 als musikalischer Oberleiter nach Hamburg an das Stadttheater (seit 1934 Staatsoper), das bis 1919 privatgesellschaftlich geführt wurde und nun staatliche Zuschüsse erhielt. 1919 wurde das Stadttheater auch in ein reines Musiktheater umgewandelt, 1922 wurde Pollak hier zum Generalmusikdirektor ernannt. Die zwanziger Jahre waren am Stadttheater geprägt durch wirtschaftliche Schwierigkeiten während der Inflationszeit, den Neubau des Bühnenhauses, bewährte Aufführungen, Neuinszenierungen und Gastspiele. P., der als Wagner-Spezialist galt, wurde besonders für die Inszenierung Die verkaufte Braut, Janáceks Jenufa (1926) und Wagners Ring des Nibelungen (1927) gelobt. Zusammen mit dem Leiter des Stadttheaters, → Leopold Sachse [18], ging es ihm um bewährte Qualität und Erneuerung im Programm. Die Weltwirtschaftskrise 1929 wie auch die Konkurrenz anderer Musikbühnen in Hamburg machten dem Stadttheater zu schaffen, die Besucherzahlen sanken. Nicht ohne Bitterkeit kehrte P. der Hansestadt den Rücken. Für die Saison 1931/32 ging er als Operndirektor nach Chicago und ließ sich anschließend wieder in seiner Heimatstadt Prag nieder.

Ortwin Pelc

Pollini, Bernhard

(auch: Baruch Pohl), Intendant, geb. 16.12. 1838 Köln, gest. 26.11.1897 Hamburg

P., einer der wohl schillerndsten Opernprinzipale des 19. Jahrhunderts, begann seine künstlerische Karriere im Fach Gesang. Nach erfolgreichen Jahren als Impresario der italienischen Oper in Moskau und Petersburg übernahm er 1874 die Direktion des Hamburger Stadttheaters an der Dammtorstraße. P. präsentierte allwöchentlich viermal Oper, zweimal Schauspiel, einmal Operette oder Ballett. Dabei bewies er so viel kaufmännisches Geschick, dass zwei Jahre nach Amtsantritt auch die Leitung des Stadttheaters in Altona in seine Hände gelegt wurde und er zudem den Hamburger Senat bewog, die Pacht zu senken, dem Haus eine Subvention und ihm selbst ein Honorar zu zahlen. 175 Erstaufführungen, davon 51 Uraufführungen, volle Häuser und stattliche Überschüsse – das war die Bilanz, die P. nach 23 Jahren vorweisen konnte. Die tragenden Säulen seines Imperiums waren die Gesangssolisten. Sie lockte P. mit hohen Gagen, das Publikum mit ihren großen Namen. War jeder Auftritt der Stars schon eine Gala par excellence, so geriet der Besuch hochgeschätzter Komponisten, darunter Puccini und Tschaikowsky, zum musikalischen Ereignis für die ganze Stadt, zumal die Künstler ihre Werke selbst dirigierten. Meisterhaft verstand es P., jeden Anlass für Festlichkeiten zu nutzen, und für die Hamburger Gesellschaft gehörte es zum guten Ton, dabei zu sein. Ganz andere Töne freilich vernahm man auf Seiten der Dirigenten. Hans von Bülow klagte 1887 über zu viele Dirigate, ein »abgetriebenes« Orchester und selbstherrliche Gesangssolisten. Ein langes Martyrium durchlitt auch Gustav Mahler, seit 1891 erster Kapellmeister am Haus. Kompromisslos wie Bülow, revoltierte er gegen den »Gewalthaber« P. und dessen »Augiasstall«. Ein Dauerkrieg war die Folge, bis man sich 1897 voneinander trennte, wenige Monate vor P.s Tod.

Barbara Müller-Wesemann

Portugiesisch-Jüdische Gemeinden / Sefarden

Synagoge Bäckerstraße [19]

Im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts wurde Hamburg zu einem begehrten Handelsplatz für englische und niederländische Kaufleute sowie Zufluchtsstätte für Glaubensflüchtlinge wie die Neuchristen (cristãos novos, conversos, marranos) von der Iberischen Halbinsel. Diese Portugiesen waren die ersten Juden, die sich in der protestantischen Hafenstadt dauerhaft niederlassen durften.

Zu diesen Hamburger Portugiesen gehörten der Brasilienkaufmann Emanuel Alvers, der Makler Adrian Gonsalves, der Zuckerimporteur Diego Gomes sowie der Arzt Dr. Rodrigo de → Castro [20] alias David Namias aus Lissabon, der 1592 in Hamburg seine Praxis eröffnete. 1595 waren wohl sieben portugiesische Familien in Hamburg ansässig, für 1609 sind 98 Personen nachgewiesen. Erster Rabbiner wurde 1617 Isaac Atias (→ Rabbinat [21]). Nach dem Ablauf des Waffenstillstands zwischen Spanien und den Niederlanden (1621) verlagerten weitere Portugiesen ihren Wohnsitz von Amsterdam nach Hamburg und → Glückstadt [22]. Die erhaltenen Protokollbücher der Jüdischen Gemeinde geben uns einen guten Einblick in die ausgeübten Berufe. Neben der hohen Zahl von Gemeindebeamten wie Rabbinern, Kantoren, Lehrern, Küstern oder Schächtern waren vor allem Ärzte sowie Apotheker, Steinschneider, Fleischhändler, Börsenmakler, Tabakhändler und Tabakspinner, Zuckersieder und Bankiers vertreten. Es waren die erfolgreichen portugiesischen Bankiers, Großkaufleute, Überseehändler, Seeversicherer, Handelsmakler und Juwelenhändler, denen die P. von Hamburg ihre wirtschaftlichen Grundlagen verdankt und die Hamburg im 17. Jahrhundert zum Aushängeschild des sefardischen Judentums im Westen machten (→ Wirtschaftsleben [23]).

Profitierte die Stadt von der ständig wachsenden Zahl der Fremden, so löste die Tatsache, dass es sich bei den Portugiesen um zwangsgetaufte Juden handelte, immer wieder Unbehagen innerhalb der christlichen Gesellschaft aus. Daraus entstand eine ständige Debatte, wie man mit diesen Fremden verfahren solle, ob man Juden überhaupt in der Stadt dulden könne und, wenn ja, unter welchen Bedingungen. Eine entscheidende Rolle spielte in diesem Zusammenhang die Frage, ob man den Juden die Ausübung ihrer Religion gestatten solle. Ein erstes Ergebnis dieser Hamburger Tolerierungsdebatte war der Kontrakt, den der Hamburger Rat im Februar 1612 mit der »portugiesischen Nation« schloss. Unter der Bedingung, dass sich die Portugiesen gehorsam verhielten und alle (finanziellen) Verpflichtungen erfüllten, sollten die Sefarden das Aufenthaltsrecht in der Stadt erhalten, Gewissensfreiheit genießen und von der Obrigkeit geschützt werden. Sie blieben aber weiterhin »Fremde«, denen der Rat nur für die Geltungsdauer des Kontraktes seinen Schutz gewährte. Die am 3. September 1652 aus dem Zusammenschluss der drei Synagogengemeinden Talmud Tora, Keter Tora und Neve Salom hervorgegangene sefardische Einheitsgemeinde Kahal Kadosch Bet Israel (Heilige Gemeinde des Hauses Israels) bestand aus ca. 1.200 Mitgliedern, größtenteils ehemalige Neuchristen. Ihnen schlossen sich wenig später zahlreiche iberische Juden aus Nordafrika, Italien und dem Osmanischen Reich sowie zahlreiche iberische Altchristen an. Rabbiner, Kantoren und Lehrer aus Nordafrika und Italien, später überwiegend aus Amsterdam, kümmerten sich um die Re-Judaisierung der ehemals katholischen Gemeindemitglieder. Nicht alle traten den P. bei, manche gingen enttäuscht nach Spanien und Portugal zurück. Wie in Amsterdam, Livorno, London oder Bordeaux war die oberste Exekutive der P. der Ma’amad, der nach dem Vorbild der jüdischen Gemeinde in Venedig die »vollständigen Rechte sowie die absolute Macht hatte, über die Nation zu herrschen« und sich überwiegend aus den Oberhäuptern der wohlhabenden Familien zusammensetzte. Für den Kontakt mit den Behörden wurden vor allem die Gemeindemitglieder bestimmt, die wegen ihres Reichtums bzw. ihres diplomatischen Status (z. B. als Residenten ausländischer Mächte) eine herausgehobene Stellung in der Stadt hatten. Kamen die ersten Rabbiner und Kantoren aus Italien (z. B. Isaac Jessurun), so hatten viele der später in Hamburg amtierenden geistlichen Beamten in Amsterdam studiert. Grundlage der in Hamburg und Altona gültigen Liturgie war das 1753 von Jacob Belinfante in portugiesischer und hebräischer Sprache verfasste Minhagim-Buch. Für die Sefarden, die sich in Hamburg und in Norddeutschland niederließ, lässt sich unabhängig von ihrer Herkunft folgende Sprachenverteilung feststellen: Portugiesisch war die verbindliche Umgangssprache innerhalb der Gemeinde sowie im Kontakt mit den anderen Gemeinden, und es wurde ausschließlich in portugiesischer Sprache gepredigt. Auch die (wenigen) gedruckten Predigten erschienen auf Portugiesisch, ebenso die Mehrzahl der Grabinschriften. Spanisch war als halbsakrale Sprache und Sprache der Rückkehr ins Judentum vor allem die Sprache der religiösen und literarischen Texte. Mit Hilfe von Nachdrucken zahlreicher klassischer Werke jüdischer Autoren in spanischer Sprache fanden die Neuchristen in der Marrano-Diaspora zurück ins normative Judentum. Die Sprache der Wissenschaft, aber auch die der gelehrten Dichtkunst, war vor allem Latein.

Sefardische Synagoge [24]Die zunehmend antijüdische Stimmung und die Wiederbelebung des holländischen Iberienhandels führten in den sechziger und siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts zu einer Abwanderung vor allem ärmerer Portugiesen. Ende des 17. Jahrhunderts löste eine restriktive Abgabenpolitik eine massive Abwanderung der reichen Hamburger Portugiesen nach Amsterdam aus. Interne Streitigkeiten führten wenig später zur Neugründung einer P. in Altona, die jedoch bis zu ihrer Auflösung Ende des 19. Jahrhunderts von den Hamburger Portugiesen abhing. Anfang des 19. Jahrhunderts verzeichneten die Hamburger und Altonaer P. nicht nur einen beträchtlichen Zuzug von sefardischen Juden aus dem Osmanischen Reich, aus Holland, Dänemark und Portugal, sondern vor allem auch aus Südamerika und Nordafrika. Die seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu beobachtende wachsende Zahl von Eheschließungen mit aschkenasischen Ehepartnern, ein Überaltern der Gemeinden sowie eine wachsende Bereitschaft, aus der Gemeinde auszutreten bzw. zum christlichen Glauben zu konvertieren, schwächte die Position dieser so traditionsbewussten Gemeinden. Innerhalb der Hamburger und Altonaer Jüdischen Gemeinden spielten die Sefarden im 20. Jahrhundert nicht nur zahlenmäßig, sondern auch wirtschaftlich und gesellschaftlich eine eher geringe Rolle. Ihre Abhängigkeit von den deutschen Juden, den tudescos, kompensierten sie zum einen durch eine herablassend ablehnende Haltung ihnen gegenüber, zum anderen durch einen intensiven geschäftlichen und familiären Kontakt mit den Gemeinden der Marranen-Diaspora, hier vor allem mit denen von Amsterdam und Curaçao. Wenige Jahre nach der Feier zum 275-jährigen Bestehen der Gemeinde Bet Israel und dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft emigrierten viele der einflussreichen Portugiesenfamilien nach Holland, in die USA und nach Frankreich, wenige wählten Palästina oder Portugal als ihre neue Heimat. Nach dem Verkauf ihrer → Synagoge [25] in der Markusstraße (18) diente eine Privatvilla in der Innocentiastraße (54) der kleinen Restgemeinde bis 1939 als religiöse Heimstatt. 1942 wurde die P. aufgelöst. Über 80 Portugiesen wurden Opfer der deutschen Vernichtungspolitik. An die Sefarden in Hamburg erinnern heute noch die ehemalige Synagoge in der Innocentiastraße und ihre Friedhöfe (Königstraße (100), Bornkampsweg (102), Ilandkoppel).

Michael Studemund-Halévy

Privilegien (Altona)

Die Niederlassung von Juden in Altona war zunächst auf die Erteilung eines Partikulargeleits gegründet, das Einzelnen oder kleinen Gruppen ausgestellt wurde. 1612 wurde den Altonaer Juden durch den Grafen von Schauenburg erstmals ein Generalprivileg erteilt, das ihnen Wohlverhalten und die Entrichtung der Steuern auferlegte und dafür Aufenthaltsrecht, Religionsausübung, Erwerbstätigkeit und landesherrlichen Schutz zusicherte.

Zuwandernde Juden wurden jeweils durch Befehl an die gräflichen Beamten in das Privileg mit aufgenommen. Nach dem Übergang Altonas an Dänemark wurden die den hochdeutschen Juden erteilten Privilegien durch das Generalprivileg König Christians IV. von 1641 bestätigt und erweitert. Neben dem Recht auf → Synagoge [25] und Gottesdienst sowie eigenen → Friedhof [26] wurde eine autonome jüdische → Gerichtsbarkeit [27] zugestanden. Eine Begrenzung der Familienzahl war nicht vorgesehen, ebenso wenig eine Beschränkung von Haus- und Grundbesitz oder Erwerbstätigkeit. Spätere Privilegien des 17. und 18. Jahrhunderts wiederholten diese Grundzüge, die der Entfaltung jüdischen Lebens und nicht zuletzt der jüdischen Gemeindeautonomie ungewöhnlich weiten Raum ließen. So wurde das Zugeständnis einer eigenen Schiedsgerichtsbarkeit in der Praxis sehr weit gefasst und die jüdische Gerichtsbarkeit mit geringen Einschränkungen als zivilrechtliche erste Instanz anerkannt, wobei den Gemeindevorstehern und dem Oberrabbiner mit der Festsetzung des Strafmaßes obrigkeitliche Funktionen übertragen waren (→ Rabbinat [21]). Die immer wieder bestätigten oder geringfügig modifizierten, im Bedarfsfall durch Einzelentscheide ergänzten Privilegien blieben bis zum holsteinischen Emanzipationsgesetz von 1863 die Grundlage der Judenpolitik in Altona.

Stefan Rohrbacher

Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Beim Schlump 83, 20144 Hamburg
Mehr Informationen: www.igdj-hh.de


Quellen-URL (abgerufen am 09.05.2025 - 08:55): https://dasjuedischehamburg.de/node/196

Verweise:
[1] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/cassirer-ernst
[2] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/kulturwissenschaftliche-bibliothek-warburg
[3] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/saxl-fritz
[4] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/warburg-abrahamaby-moritz
[5] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/emigration
[6] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/zionismus
[7] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/antisemitismus
[8] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/portugiesisch-j%C3%BCdische-gemeinden-sefarden
[9] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/j%C3%BCdische-gemeinde-1945-1989
[10] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/wiedergutmachung
[11] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/israelitische-freischule
[12] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/tempel-neuer-israelitischer-nit
[13] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/warburg-familie
[14] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/deutsch-israelitische-gemeinde-dig
[15] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/logenwesen
[16] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/novemberpogrom
[17] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/j%C3%BCdischer-religionsverband-hamburg
[18] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/sachse-leopold
[19] https://dasjuedischehamburg.de/bilder/synagoge-b%C3%A4ckerstra%C3%9Fe
[20] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/castro-familie-de
[21] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/rabbinat
[22] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/gl%C3%BCckstadt
[23] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/wirtschaftsleben-berufst%C3%A4tigkeit-und-soziale-schichtung-der-hamburger-juden
[24] https://dasjuedischehamburg.de/node/512
[25] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/synagogen
[26] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/friedh%C3%B6fe
[27] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/gerichtsbarkeit-j%C3%BCdische