Seit über 400 Jahren sind Jüdinnen und Juden im Hamburger Raum ansässig und an der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Gestaltung der Stadt beteiligt. Mit dem Prozess der rechtlichen Gleichstellung, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seinen Abschluss fand und eine Ära weitgehender, aber nicht vollständiger gesellschaftlicher Integration der Juden einleitete, wurden Kultusgemeinden und einzelne Persönlichkeiten auch zu einem Teil der bürgerlichen Gesellschaft in Hamburg. Begleitet wurde diese Entwicklung allerdings von einem wachsenden Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft, den das nationalsozialistische Regime ab 1933 in staatliche Politik umsetzte. Diese Politik zerstörte die jüdische Gemeinde in Hamburg. Fast alle jüdischen Hamburgerinnen und Hamburger mussten entweder ins Ausland flüchten oder wurden Opfer der deutschen Mordmaschinerie. Und dennoch markiert der Holocaust keinen Schlusspunkt jüdischer Existenz in der Hansestadt. Nach Kriegsende dauerte es nur wenige Wochen, bis sich Hamburger, die die Verfolgungen überlebt hatten, zusammenfanden, um die zerstörte Gemeinde wieder aufzubauen. Heute hat die gewachsene Jüdische Gemeinde ihr Domizil wieder mitten in der Stadt bezogen, in der ehemaligen Talmud-Tora-Schule im Grindelviertel.
Mag die Tatsache kontinuierlicher jüdischer Präsenz durch Jahrhunderte hinweg an sich schon bemerkenswert sein, so weist doch gerade die Hamburger Geschichte Besonderheiten auf: Juden in Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg bildeten bis zur Eingemeindung der Städte durch das Großhamburggesetz von 1937 jeweils eigenständige jüdische Gemeinden, die aber stets vielfältige Beziehungen untereinander wie auch zu den in Hamburg wohnenden Juden unterhielten. Darüber hinaus lebten in Norddeutschland nicht nur Aschkenasen, also Juden mittel- oder osteuropäischer Herkunft, sondern auch sefardische Juden spanisch-portugiesischen Ursprungs. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburgs die größte in Deutschland. Seit 1868 gewährleistete die auf dem Gedanken der Toleranz aufgebaute Verfassung der Gemeinde, dass sich sowohl die Orthodoxie als auch das Reformjudentum jeweils eigenständig unter dem Dach der Gemeinde organisierten. Dieses so genannte ‚Hamburger System‘ war einzigartig in Deutschland.
Aus Anlass des vierzigjährigen Bestehens des Institutes für die Geschichte der deutschen Juden stellten wir im Mai 2006 ein Nachschlagewerk zur jüdischen Seite der Hansestadt vor. Damit wollten wir dazu beitragen, das Wissen über das jüdische Hamburg, seine Geschichte, seine Persönlichkeiten und wichtigsten Organisationen, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Frühjahr 2010 präsentieren wir dieses Werk nun in Form einer eigenen Internetseite im World Wide Web, die zusätzliche Funktionen, wie etwa Suchmöglichkeiten oder eine Bildergalerie, bietet. Wir hoffen, dass wir damit eine noch größere Öffentlichkeit erreichen können – eben: world wide.
Wir danken den Autorinnen und Autoren für Ihre Bereitschaft, Ihre Texte zu überarbeiten und für die Präsentation im Netz zur Verfügung zu stellen, ebenso den Einrichtungen, die uns erlaubten, Bilder aus ihren Beständen hier zu zeigen. Besonderer Dank aber geht an die Behörde für Wissenschaft und Forschung und an die Hamburgische Wissenschaftliche Stiftung für ihre großzügige Unterstützung dieses Projektes. Schließlich bedanken wir uns auch beim Wallstein-Verlag, der die Internet-Publikation des Werkes genehmigte.
Im Jahre 2006 hatten wir der Hoffnung Ausdruck gegeben, dass das Buch die gemeinschaftliche Verpflichtung von Stadtstaat, Wissenschaft und Öffentlichkeit dokumentiert, die Geschichte der Hamburger Jüdinnen und Juden als Teil der Stadtgeschichte zu erforschen und zu erinnern. Diese Zuversicht begleitet auch die neue Ausgabe im World Wide Web.
Stefanie Schüler-Springorum
Andreas Brämer
Kirsten Heinsohn
Personen und Themen mit A
Gelehrter, Schriftsteller und Gemeindefunktionär, geb. nach 1634 Hamburg, Glückstadt oder Amsterdam, gest. 23.11.1691 Hamburg
A. stammte aus einer bekannten, in Nordeuropa ansässigen und Anfang des 17. Jahrhunderts vom deutschen Kaiser geadelten portugiesischen Kaufmannsfamilie, deren Name ursprünglich Diaz Jorge lautete. Nach einem Studium der Theologie in Amsterdam kehrte A. vor 1660 nach Hamburg zurück, wo er wiederholt in hohe Gemeindeämter der Portugiesengemeinde Bet Israel gewählt wurde. 1666 beauftragte ihn seine Gemeinde, nach Konstantinopel zu reisen, um dort dem selbst ernannten Messias Sabbatai Zwi die »schuldige Huldigung darzubringen«. Aus ungeklärten Gründen fand diese Reise jedoch nicht statt. A.s große Gelehrsamkeit sowie seine bedeutende Bibliothek mit zahlreichen Werken zur Konvertitenproblematik zogen zahlreiche christliche Theologen an. In Hamburg übersetzte A. das populäre Buch der Herzenspflichten von Bahya Ibn Paquda ins Portugiesische, um die »Frömmigkeit unter den portugiesischen Juden zu festigen«. Die Übersetzung, die erstmals 1670 gedruckt wurde, fand große Anerkennung bei den Amsterdamer und Hamburger Rabbinern. 1665 übertrug er die antichristliche Abhandlung Keset Ieonatan (1600) des holländischen Konvertiten Jonathan Guer alias Jan Richen aus Hoorn aus dem Holländischen ins Portugiesische. Nach seinem Tode erschien 1693 der Auktionskatalog seiner berühmten Bibliothek: Catalogus Variorum atque Insignium in quavis Facultate & Lingua, Librorum. Dieses umfangreiche Verzeichnis enthält 1.136 Titel in hebräischer, lateinischer, spanischer, portugiesischer, französischer, holländischer und deutscher Sprache. Auffällig sind besonders die vielen medizinischen Bücher sowie die große Anzahl von Büchern weltlicher Literatur (Romane, Gedichte, Theaterstücke).
Rabbiner, Philologe und Dichter, geb. ca. 1610 Amsterdam oder Lissabon, gest. 4.3.1688 Hamburg
Der zeitweilige Sabbatianer A. gehörte zu den produktivsten und einflussreichsten Autoren der Hamburger Portugiesen im 17. Jahrhundert. Nach einem theologischen Studium in Amsterdam wirkte er 1624 an der Aufführung des von seinem späteren Schwiegervater Reuel Jessurun verfassten Dialogs der Sieben Berge (Dialogo dos 7 Montes) mit. Der mit Sara Jessurun verheiratete A. lebte als Rabbiner und Privatgelehrter in → Glückstadt [1] und in Hamburg. In der Hansestadt veröffentlichte er 1633 eine in portugiesischer Sprache verfasste Grammatik der hebräischen Sprache, in der das Kapitel über das Dichten in mehreren Sprachen besonders bemerkenswert ist, da einige in diesem Kapitel behandelte Vorschriften in seinen Hamburger Epitaphien Verwendung fanden. 1652 unterzeichnete A. die Gründungsvereinbarung der → Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde [2] Bet Israel, die ihm in den folgenden Jahren immer wieder wichtige Gemeindeämter übertrug. Auf dem Höhepunkt der Krise um den selbsternannten Messias Sabbatai Zwi (1666) verfasste er in Glückstadt in spanischer Sprache die Predigtsammlung Fin de los Dias (Vom Ende aller Tage), die »über die in den Propheten verkündete Endzeit handelt« und der innergemeindlichen Zensur zum Opfer fiel. Der Vorstand der Portugiesengemeinde, der einen Konflikt mit der lutherischen Geistlichkeit befürchtete, ordnete unverzüglich an, das Buch einzuziehen. Fin de los Dias kann als eines der ersten durch Subskription verlegten Bücher in Deutschland gelten. Abudiente erwarb sich weiterhin einen Namen als Verfasser zahlreicher Epitaphien sowie kunstvoll-gelehrter Gedichte in hebräischer Sprache, von denen einige erst ein Jahrhundert nach seinem Tode in der Zeitschrift der jüdischen Aufklärung HaMe’assef veröffentlicht wurden.
Maler, Kunstgewerbler, Innenarchitekt, geb. 29.4.1878 Laupheim, gest. 11.7.1942 Auschwitz
Nach Studien und Lehrtätigkeit in München erhielt A. 1907 einen Ruf an die Kunstgewerbeschule Hamburg für Ornamentik, Naturstudien und Entwurf. Im selben Jahr heiratete er Bertha Haymann, mit der er fünf Kinder hatte. Zwei weitere Kinder gingen aus einer 1920 geschlossenen Ehe hervor. In seinem vielseitigen Œuvre präsentierte sich A. als hervorragender Raumkünstler von sprühender Farbigkeit, der seine ornamentalen Motive aus der Natur entwickelte. Zunächst zum Jugendstil neigend, wandte er sich später dem Art déco zu. A. entwarf zahlreiche Gebrauchsgegenstände wie Möbel, Textilien, Keramik, Glas, Silber, Geschirr und Schmuck, gestaltete aber auch jüdisches Kultgerät, Epitaphe sowie eine Synagoge für die 1914 veranstaltete Werkbundausstellung in Köln. 1927 zum Professor ernannt, wurde A. im April 1933 aus dem Hochschuldienst entlassen. Seine Unterrichtstätigkeit setzte er in der Gemeinde fort, wo Paula Marx, Eva Meile, Lotte Lamm, Ruth Fischer zu seinen Schülerinnen gehörten. Seit 1935 engagierte sich A. zudem im → Jüdischen Kulturbund [4]. Auslandsreisen führten ihn unter anderem nach Holland, Zypern und Palästina. Seine Bemühungen um ein Visum in die USA erwiesen sich jedoch als vergeblich. Im Juli 1942 wurde er nach Auschwitz deportiert, wo er wenig später ermordet wurde.
Der Privatgelehrte → Jakob Emden [6], Sohn des Altonaer Oberrabbiners → Zwi Aschkenasi [7], bezichtigte im Februar 1751 den neuen Oberrabbiner → Jonathan Eibeschütz [8] der Ketzerei.
Zum Beweis führte er ein angebliches Manuskript Eibeschütz’ aus dessen Prager Jugendzeit an sowie die Beschriftung einiger Amulette, die Wöchnerinnen nach jüdischem Volksbrauch von ihm erbeten hatten. Emden behauptete, die Texte wiesen Eibeschütz als geheimen Anhänger des Pseudomessias Sabbatai Zwi aus. Emden verfiel zwar als Folge seiner Anklage dem Bann der → Dreigemeinde [9], fand jedoch Unterstützung bei auswärtigen Rabbinern insbesondere in Deutschland, während sein Kontrahent das polnische Rabbinat zu mobilisieren wusste. Aufgrund von Gutachten christlicher Hebraisten fällten die für Altona zuständigen dänischen Gerichte am 6. November 1752 das Urteil, eine Anklage Eibeschütz’ sei anhand der Indizien nicht zu rechtfertigen. Ähnlich entschied im Folgejahr die Vierländersynode der polnischen Juden, woraufhin die Rabbiner der Emden-Partei einen Schlichtungsaufruf erließen. Diese Affäre zum Vorwand nehmend, kündigte der Hamburger Senat jedoch im August 1753 den Altonaer Rabbinatsverband (→ Rabbinat [10]) auf, der erst nach dreijährigen jüdischen wie dänischen Protesten wiederhergestellt wurde. Die Geschichtsschreibung hat die Anklage gegen Eibeschütz meist als Verleumdung eines Neiders behandelt, einzelne Historiker wie Heinrich Graetz oder Gershom Scholem haben ihr aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit zuerkannt.
Der Begriff A. ist von einem Wortführer der »antisemitischen Bewegung«, die in den späten 1870er Jahren im Zusammenhang mit der antiliberalen Wende der deutschen Innenpolitik aufkam, von dem Hamburger Publizisten Wilhelm Marr (1819-1904), geprägt worden, um den angeblich fundamentalen, essentiellen und damit unüberwindbaren und für die Deutschen gefährlichen Gegensatz zwischen Juden und Nichtjuden (»Arier«, »Germanen«, »Deutsche«) auszudrücken.
Marr gründete in Hamburg 1879 die »Antisemiten-Liga« und veröffentlichte sein Pamphlet Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum. Marr trat zunächst als radikaler Demokrat in der Revolution 1848 in Erscheinung. Später entfernte er sich von den Demokraten, bis er 1862 mit seiner Schrift Der Judenspiegel als Gegner der → Emanzipation [11] hervortrat. Hamburg spielte seitdem im Auf und Ab der antisemitischen Szene eine bedeutende Rolle.
Obwohl als politischer Kampfbegriff im Munde eines rabiaten »Antisemiten« entstanden, bürgerte sich das Wort A. schnell ein und wird heute international als ein seriöser Terminus politischer und wissenschaftlicher Diskussion benutzt. A. findet sich in vielen Gesellschaften Europas und Amerikas.
Gewöhnlich wird der »moderne« A. von einem traditionellen Antijudaismus abgesetzt. Antijudaismus kennzeichnet im Unterschied zum »rassischen« A. die vornehmlich religiös begründete feindselige Abgrenzung christlicher Gesellschaften gegen Juden, sowohl in Form stereotypisierter theologischer Kritik an der jüdischen Lehre als auch in Form eines vulgären Judenhasses. Trotz dieser begrifflichen Unterscheidung bleiben Kontinuitäten erkennbar. Denn die religiös begründeten judenfeindlichen Verdächtigungen gingen nicht unter, sondern setzten sich in transformierter Form, angepasst an jeweilige gesellschaftliche und politische Umstände, fort.
Während die typologische Differenzierung zwischen Antijudaismus und A. weithin anerkannt wird, ist die Datierung des Übergangs strittig. Am häufigsten werden die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts genannt. Demgegenüber ist nachgewiesen worden, dass die »Fremdheit« der Juden schon in frühneuzeitlichen Jahrhunderten auch mit »Abstammung« begründet wurde. Insbesondere seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert finden sich in Pamphleten alle Stereotypen des Judenbilds aus der antisemitischen Debatte der siebziger Jahre einschließlich der Vertreibungs- und Vernichtungsphantasien, so dass für diesen Zeitraum von »Frühantisemitismus« gesprochen wird. Nur kurze Zeit nach der Reichsgründung und dem gesetzlichen Abschluss der Emanzipation der Juden häuften sich dann erneut judenfeindliche Schriften. Die darin geführte Sprache verwandte das Vokabular der neuen biologistischen Anthropologie und Rassentheorie. Die Autoren distanzierten sich von der traditionellen Judenfeindschaft und richteten ihre Angriffe vornehmlich gegen die assimilierten Juden.
Zusammenfassend wird der A. als eine ideologische Antwort auf Modernitätskrisen gedeutet und damit als Phänomen der Moderne zugeordnet. Die drei wichtigsten Forschungshypothesen zielen übereinstimmend auf die ideologische Funktion des A. seit der Epochenschwelle um 1800:
1. A. fungierte als Abwehrreaktion gegen die Emanzipation und die Emanzipationsdebatte im Zeitalter der Aufklärung. In den folgenden Jahrzehnten löste jede Maßnahme zur bürgerlichen Gleichstellung antisemitische Pamphlete, lokale Proteste, Unruhen und → Ausschreitungen [12] aus, denen die Vorstellung zugrunde lag, dass die Juden als »Fremde« keine Partizipationsrechte in der bürgerlichen Staatsgesellschaft beanspruchen dürften und ihre Mitwirkung für die bürgerliche Gemeinschaft sogar schädlich sei. Die allgemein anerkannte Lehre vom »christlichen Staat« legitimierte den Ausschluss der Juden von hohen Ämtern in Staat und Gesellschaft. Nach 1933 gehörte die Rücknahme der bürgerlichen Rechtsgleichheit zu den ersten judenfeindlichen Maßnahmen.
2. A. fungierte als Abwehrreaktion gegen die gesellschaftliche und kulturelle Moderne. Der durch liberalisierende Reformen und die sozioökonomische Entwicklung erzeugte gesamtgesellschaftliche Wandel löste bei dessen scheinbaren oder tatsächlichen Verlierern eine Suche nach den Verursachern aus. Die jüdische Minderheit gehörte zu den Gewinnern der Modernisierung: Sie erlebte einen sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg in und im Zusammenhang mit der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft und konnte zum Symbol der Modernisierung stilisiert werden. Kritik am Kapitalismus, Liberalismus und Sozialismus bediente sich antijüdischer Stereotypen und codierte die Kritik an der jüdischen Minderheit mit den Schlüsselbegriffen Börse und Banken, Liberalismus und Internationalismus. Mit diesem »kulturellen Code« hetzten die Nationalsozialisten gegen die Juden: Kampf gegen das »Weimarer System«, die »Novemberverbrecher« und den »Bolschewismus«.
3. Erst in jüngster Zeit wird die Funktion des A. für die Konstruktion einer deutschen »Nation« hervorgehoben. Mangels eindeutiger empirischer Definitionskriterien besaß der Glaube an eine Abstammungsgemeinschaft von Anfang an große Bedeutung. »Volk« und »Abstammung« naturalisierten oder ethnisierten die Nationsvorstellung, längst bevor Rassentheorien populär wurden. Aus der Abstammungsgemeinschaft blieben Juden prinzipiell ausgeschlossen, so dass sich das bis heute geläufige, sozial- und verfassungsgeschichtlich unsinnige Gegensatzpaar »Deutsche und Juden« etablieren konnte. Gegenüber dieser ethnischen Nationsvorstellung wurde das liberale Modell einer Staatsbürgergesellschaft nach 1871 durch den neudeutschen Reichsnationalismus zurückgedrängt. Der nationale A., das Konstrukt »Nation« durch Ausschluss der Juden, erwies sich als politisch folgenreichste Form des A., weil das Bekenntnis zur Nation zum höchsten Wert aufstieg und dadurch mögliche Gegenkräfte von vornherein schwächte. Das nationale Trauma der Niederlage im Ersten Weltkrieg steigerte die politische Brisanz der Verbindung von Nationalismus und A. Nutznießer wurden die Nationalsozialisten, die mit ihrer Politik der fortschreitenden Ausgrenzung der Juden aus der »Reichsnation« auf dem nationalen A. aufbauen konnten.
Während A. als ideologisches Konstrukt deutliche Züge von Kontinuität im 19. und 20. Jahrhundert aufweist, zeigen sich in der Geschichte »antisemitischer Bewegungen« Brüche. Denn das Konstrukt A. wurde von verschiedenen sozialen Trägergruppen aufgenommen, in politischen Konjunkturen benutzt oder mit Ereignissen verknüpft. In der »Berliner Bewegung« der späten siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts äußerte sich zum einen ein vom akademischen Bürgertum (Heinrich von Treitschke) getragener nationaler A., der die Juden aufforderte, endlich ganz und vollständig Deutsche zu werden, gleichzeitig aber bezweifelte, ob die Integration der »Fremdlinge« für die deutsche Nation segensreich wäre (»Berliner A.streit«). Zum anderen zeigte sich in kleinbürgerlichen Schichten eine christlich-soziale Motivation gegen die gesellschaftliche und kulturelle Modernisierung. Mit Adolf Stoeckers Christlich-Sozialer Arbeiterpartei (1878) und zahlreichen Nachfolgern setzte eine politische Instrumentalisierung des A. ein, die sich in den achtziger Jahren auch in ländlichen Regionen ausbreitete: 1893 saßen 16 Abgeordnete antisemitischer Parteien im Reichstag. In Hamburg mit seiner breiten mittelständischen Sozialstruktur fand die christlich-soziale Bewegung Stoeckers große Resonanz. 1890/91 entstand hier ein »Antisemitischer Wahlverein« zur Unterstützung antisemitischer Kandidaten. Reichstagsmandate waren in der Hochburg der Sozialdemokratie zwar nicht zu gewinnen, aber Mandate für die Bürgerschaft: Erster Vertreter des Wahlvereins war 1897 der »Porzellanmaler« Friedrich Raab (1859-1917). Dieser agitierte seit 1892 für den Ausschluss von Juden und propagierte die -»Vernichtung des Judentums«. Er war außer in den wechselnden antisemitischen Splitterparteien in der Hamburger Ortsgruppe des Alldeutschen Verbands, im Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband (DHV) und, um ein Reichstagsmandat zu gewinnen, im Bund der Landwirte aktiv. Der DHV, 1893 mit Sitz in Hamburg gegründet, schloss von Anfang an »Abstammungsjuden« von der Mitgliedschaft aus und entwickelte sich schnell zur mitgliederstärksten berufsständischen Vertretung für Angestellte. Vorsitzender des DHV bis 1907 war der Antisemit Wilhelm Schack (1869-1949). Leiter der Geschäftsstelle und zugleich Redakteur in der Verbandszeitschrift Deutsche Handelswacht wurde 1900 der Antisemit Alfred Roth (1879-1948). Roth sicherte die personelle Kontinuität der antisemitischen Bewegung in die Weimarer Republik hinein: seit 1912 im antisemitischen Reichshammerbund (Sitz in Hamburg), 1919 als Hauptgeschäftsführer des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes (Sitz in Hamburg).
Die Ubiquität antisemitischer Einstellungen im späten Kaiserreich zeigt sich nicht nur an der Übernahme von »Arierparagraphen« in immer mehr Organisationen und Verbänden, vom DHV über Turnvereine und Jugendgruppen bis zu studentischen Korporationen, sondern auch an dem schweren Stand, den Initiativen zur Abwehr des A. im wilhelminischen Deutschland hatten: der Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (1893) und der linksliberale Verein zur Abwehr des A. (1890). Deren Strategien, gegen antisemitische Verunglimpfung auf dem Rechtswege vorzugehen oder die Leistungen von Juden im deutschen Kulturleben zu dokumentieren, wurden von Antisemiten zu weiteren Schmähungen benutzt.
Eine zweite »antisemitische Bewegung« erhob sich mit dem Schwinden der Illusion eines überwältigenden Sieges im Ersten Weltkrieg. Im Herbst 1916 veranlasste der preußische Kriegsminister eine so genannte Judenzählung im deutschen Heer, hinter der der Vorwurf jüdischer Drückebergerei stand. In Hamburg publizierte der Antisemit Alfred Roth 1919 unautorisierte Zahlen der nicht veröffentlichten Erhebung. Antisemitische Nationalideologie drang in der Weltkriegsbelletristik vor, in Hamburg zum Beispiel durch die Erzählerin Charlotte Niese (1851-1935).
Die »antisemitische Bewegung« flaute nach Kriegsende nicht ab. Sie kulminierte anfangs im Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund, wurde nach dessen Verbot (1922) von der NSDAP, aber auch von zahlreichen völkischen Verbänden weitergetragen. An der 1919 gegründeten Hamburgischen Universität agitierten von Anfang an antisemitische studentische Organisationen gegen einzelne jüdische Professoren. Schon zum Sommersemester 1933 erzwang der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) die Beurlaubung jüdischer Gelehrter. Im Nationalclub, einem Treffpunkt Hamburger Honoratioren und Überseekaufleute, war A. salonfähig.
Nach dem 30. Januar 1933 begann sofort und sukzessive der Ausschluss der Juden aus der deutschen »Volksgemeinschaft«, der im Zweiten Weltkrieg mit → Deportationen [13] und systematischer Ermordung in → Konzentrations- und Vernichtungslagern [14] endete. Die in Hamburg lange gepflegte Annahme, hier seien Entrechtung, Enteignung durch → »Arisierung [15]«, erzwungene → Emigration [16] und Verfolgung vergleichsweise später und milder verlaufen, hat sich durch die regionale Forschung als Legende erwiesen. Auch in Hamburg wurde die antijüdische Politik nicht nur reichsgesetzlich erzwungen, sondern auch in regionaler Verantwortung und von der Bevölkerung akzeptiert betrieben. Mit dem Jahr 1933 ist eine deutliche Zäsur in der Geschichte des A. zu setzen. Denn mit der Ermächtigung zur nationalsozialistischen Diktatur avancierte der A. zur Staatsideologie. Schrittweise wurde politisch realisiert, was an Ausschließungs- und Vernichtungsphantasien in den vielen Jahrzehnten zuvor gedanklich entworfen worden war. Der Unterschied zwischen Theorie und sozialer Praxis ist angesichts des Mordes an vielen Millionen Menschen gravierend. Dennoch würde ein enger, auf den nationalsozialistischen Genozid und dessen direkter Vorgeschichte bezogener Begriff von A. die lange Kontinuität antisemitischer Entwicklung vor 1933 verharmlosen und Erklärungsmöglichkeiten für den Genozid abschneiden.
Der Völkermord hat die Geschichte des A. nicht beendet. Nach 1945 entstand ein »sekundärer A.«, dessen Ursachen in »Scham und Schuldabwehr« (Wolfgang Benz) gegen die Opfer der Schoa zu suchen sind. Der »sekundäre A.« manifestiert sich in Taten rechtsradikaler, nationalistischer Gruppen. Verbreiteter tritt er allerdings in latenter Form auf als stiller Vorbehalt, gerauntes Vorurteil oder wortloses Einvernehmen über ein Feindbild. Gespeist wird der »sekundäre A.« auch durch den Antizionismus, der infolge des israelisch-palästinensischen Konfliktes die Feindschaft gegen Israel ideologisch begründet.
Das Archivgut der jüdischen Gemeinden ist in großem Umfang erhalten und dokumentiert ihre Geschichte vom 17. Jahrhundert bis in die NS-Zeit.
Aus ältester Zeit stammen Dokumente der sefardischen Gemeinde und der bis 1812 in der → Dreigemeinde [9] vereinten aschkenasischen Gemeinden von Hamburg, Altona und Wandsbek. Die Protokolle des für Schleswig-Holsteins Provinzialgemeinden zuständigen Altonaer Rabbinatsgerichts (→ Gerichtsbarkeit [17]) sind ab 1768 erhalten. Die Archivalien der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] in Hamburg, der → Hochdeutschen Israelitengemeinde in Altona [19] und der Jüdischen Gemeinden in → Wandsbek [20] und → Harburg [21] umfassen den Zeitraum 1812 bis 1937. Das Schriftgut der Kultusverbände ist allerdings nahezu völlig verloren; auch wurden die nach 1933 entstandenen Gemeindeakten durch einen Luftangriff 1943 weitgehend vernichtet. Dennoch ist der große Umfang des Archivguts der Hamburger jüdischen Gemeinden im Vergleich mit anderen jüdischen Großgemeinden Deutschlands ein glücklicher Sonderfall. Seit den zwanziger Jahren entwickelten Vorstandsmitglieder der Deutsch-Israelitischen Gemeinde unterschiedliche Pläne zur Erfassung, Erschließung und zentralen Verwahrung der Dokumente jüdischer Gemeinden Hamburgs. Der → Novemberpogrom [22] 1938 setzte diesen Bestrebungen ein Ende; die Gestapo beschlagnahmte das Archiv, beließ es jedoch in Hamburg und stimmte seiner Überführung in das Stadtarchiv zu. Die Bemühungen des → Jüdischen Religionsverbandes [23] und des Rechtsanwalts Hans W. Hertz um den Verbleib in Hamburg hatten Erfolg. In den fünfziger Jahren wurde das Archivgut von Jacob Jacobson unter der Mitarbeit von Hans W. Hertz grundlegend verzeichnet und zum Archivbestand »Jüdische Gemeinden« formiert; Jacobson transkribierte außerdem die hebräisch geführten Geburts- und Sterberegister. Seit Anfang der fünfziger Jahre bemühten sich die Jewish Historical General Archives (die heutigen Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem), das gerettete Archivgut zu übernehmen. 1959 wurde ein Vergleich getroffen, der eine Aufteilung des Bestandes zwischen dem Jerusalemer Archiv und dem Hamburger Staatsarchiv vorsah. Beide Archive erhielten Mikrofilme von den Archivalien, die ihnen nicht im Original zugesprochen wurden. Die Jüdische Gemeinde in Hamburg hat dem Staatsarchiv auch Archivgut aus der Zeit nach 1945 als Depositum übergeben. Ergänzt durch das im Staatsarchiv verwahrte staatliche Schriftgut zur Geschichte der Juden in Hamburg steht der Forschung mit dem Bestand »Jüdische Gemeinden« eine reichhaltige Quellenbasis zur Verfügung.
Als A. bezeichnete man nach 1933 im engeren Sinne den Besitztransfer zwischen »Juden« und »Ariern«, im weiteren Sinne den Prozess der wirtschaftlichen Verdrängung und Existenzvernichtung der Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft.
Als einer der größten Besitzwechsel der neueren Hamburger Geschichte wurden bis 1939 ca. 1.500 »jüdische« Unternehmen freiwillig oder gezwungenermaßen liquidiert oder an »arische« Erwerber verkauft. Im Rahmen der A. von Grundstücken wechselten in Hamburg Hunderte von Liegenschaften den Besitzer oder wurden unter Zwangsverwaltung gestellt.
Nach dem Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 vollzog sich die Verdrängung jüdischer Unternehmen in Hamburg durchweg langsamer als andernorts. Bis Anfang 1938 wurden lediglich 20-30 Prozent (reichsweit mehr als 50 Prozent) der jüdischen Unternehmen verkauft oder von ihren Besitzern aufgegeben. Für die größere Beharrungskraft jüdischer Unternehmen in Hamburg waren drei Faktoren maßgeblich: Die Anonymität der Großstadt Hamburg, in der antijüdische Boykotte nur schwer durchzuführen und zu kontrollieren waren, die Leistungskraft der Jüdischen Gemeinde und ihrer Hilfsorganisationen sowie die anfängliche taktische Zurückhaltung der lokalen NS-Machthaber, die die schwierige Wirtschaftslage Hamburgs, das offiziell zum Notstandsgebiet erklärt worden war, nicht unnötig verschärfen wollten.
Während die A. und Liquidierung jüdischer Unternehmen bis 1938 nur zögernd in Gang kam, glich sie seit 1938/39 einem regelrechten Bereicherungswettlauf. Allein Anfang Dezember 1938 wurden rund 200 jüdische Einzelhandelsgeschäfte geschlossen. Um die verbleibenden 100 Geschäfte hatten sich mehr als 1.800 Personen beworben. Handlungsspielräume jüdischer Eigentümer, von denen viele nach dem → Novemberpogrom [22] verhaftet und in KZ eingeliefert worden waren, waren Ende 1938 praktisch nicht mehr vorhanden. Dementsprechend wurde den Besitzern nur ein Bruchteil des tatsächlichen Unternehmenswertes vergütet. Auch hatten jüdische Unternehmer nur in wenigen Ausnahmefällen einen marktüblichen Preis erzielen können, weil ihnen seit 1935 der immaterielle Firmenwert nicht mehr vergütet wurde, also der Wert, der sich aus der Marktposition, dem Kundenstamm, der Produktpalette, dem Ansehen und den Absatzwegen eines Unternehmens zusammensetzte. Zahlreiche traditionsreiche jüdische Unternehmen Hamburgs fielen der A. zum Opfer, darunter die Bank → M. M. Warburg & Co. [24], die Köhlbrand-Werft Paul Berendsohn, die Reederei Arnold Bernstein, die Fair-play Schleppdampfschiffs-Reederei Richard Borchardt, die Textilfabrik Rappolt & Söhne oder das Kaufhaus Tietz, das 1935 zum »Alsterhaus« wurde.
Parallel zur Liquidierung von Unternehmen forcierten die Finanzbehörden einen finanziellen Enteignungsprozess der jüdischen Besitzer durch Steuern (u. a. »Reichsfluchtsteuer«) und Zwangsabgaben (»Judenvermögensabgabe«, Auswanderungsabgabe), die im Falle der → Emigration [16] zu einer nahezu vollständigen Ausplünderung führten. Seit 1936/37 erließ die Devisenstelle der Oberfinanzdirektion Hamburg verstärkt »Sicherungsanordnungen« für die Konten und den Besitz der Hamburger Juden, die nur mit behördlicher Genehmigung über ihre Vermögenswerte verfügen konnten. Bis November 1939 wurden in Hamburg 1.372 dieser Sicherungsanordnungen erlassen. Die elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 bildete schließlich die Grundlage für die Konfiszierung des Vermögens der emigrierten bzw. seit Oktober 1941 deportierten Hamburger Juden, deren bewegliche Habe dann an die nichtjüdische Bevölkerung Hamburgs öffentlich versteigert wurde.
Schauspieler und Komiker, geb. 27.12.1895 Hamburg, gest. 17.8.1975 Woodland Hills (USA)
Im späten Weimarer Kino war der hagere und hyperaktive A. ein gefeierter Komiker. Nach der Schule durchlief A. eine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule in Hamburg, danach war er vorübergehend als Modezeichner tätig. Sein erstes Bühnenengagement erfolgte am Stadttheater Harburg, dann am Operettenhaus. Nach dem Ersten Weltkrieg spielte er an Theatern in Hamburg, Altona und Prag. In Berlin, wo er seit 1921 auftrat, gewann er als Schauspieler, Sänger, Tänzer und exzentrischer Komiker rasch an Popularität. Ab Mitte der zwanziger Jahre feierte A. Erfolge auch im Film: Er verkörperte durchweg »Underdog«-Rollen, die durch ihn bisweilen ins Absurde getrieben wurden. Mit dem großen, massigen Kurt Gerron bildete der schmale, schlaksige A. mit der langen Nase wiederholt ein Komiker-Team; als »Beef und Steak« versuchten sie (vergeblich), eine Tradition deutscher Film-Grotesken zu entwickeln. Mit komischen Nebenrollen belebte A. zudem einige Film-Klassiker von G. W. Pabst. Anfang der dreißiger Jahre war er wiederholt auch in Hauptrollen zu sehen. Nach der Saison 1932/33 im Kabarett der Komiker wurde er von den Nazis in die → Emigration [16] getrieben. In den Gastländern Holland, Belgien, Schweiz, Italien, Spanien, Portugal machte er Kabarett, Theater sowie einzelne Filme. 1939 schließlich gelangte er nach Hollywood, wo er sich aber mit Engagements als Nebendarsteller begnügen musste. Nebenher arbeitete A. auch als Zeichner und Porträtist und spielte Theater am Broadway, 1954/55 spielte er am Deutschen Theater New York. Gastspiele führten ihn nach Buenos Aires und in die Bundesrepublik – unter anderem auch nach Hamburg. 1966 erhielt er das Filmband in Gold für langjähriges und hervorragendes Wirken im deutschen Film.
(auch: Chacham Zwi), Rabbiner und Talmudist, geb. 1660 (?) Mähren, gest. 3.5.1718 Lemberg
In Ofen (Ungarn) studierte A. zunächst an der Talmudhochschule seines Großvaters. Längere Aufenthalte in Saloniki und Belgrad zwischen 1676 und 1679 eröffneten ihm die Gelegenheit, sich mit den religiösen Bräuchen und Formen der sefardischen Juden vertraut zu machen. Mit dem Ehrentitel eines Chacham versehen, ließ er sich wiederum in Ofen nieder und verheiratete sich dort. Nach dem gewaltsamen Tod seiner ersten Frau und seiner Tochter während der Belagerung der Stadt 1686 flüchtete A. nach Sarajewo, wo ihn die sefardische Gemeinde als ihren Rabbiner bestimmte. Über Venedig, Prag und Berlin gelangte er 1689 nach Altona. Dort ehelichte er die Tochter des Salman Mirels Neumark, der als Rabbiner der → Dreigemeinde Altona-Hamburg-Wandsbek [9] amtierte. Viele Jahre leitete A. ein von wohlhabenden Gemeindemitgliedern eingerichtetes jüdisches Lehrhaus (Klaus), bis er 1706 – gemeinsam mit Moses Rothenburg – zum Nachfolger seines Schwiegervaters ernannt wurde. Meinungsverschiedenheiten mit seinem Amtskollegen veranlassten ihn jedoch schon bald zur Niederlegung seines Amtes. 1710 kehrte er Altona den Rücken, als ihm die aschkenasische Gemeinde in Amsterdam das Oberrabbinat antrug. Dort erschien 1712 ein Teil seiner Rechtsgutachten im Druck, die ihn als einen der herausragenden Kenner des jüdischen Religionsgesetzes auswiesen. Im Streit mit der lokalen sefardischen Gemeinde, der sich an der Frage sabbatianischer Schriften entzündete, wurde A. jedoch 1714 zum Rücktritt gezwungen. Nach einem Aufenthalt in London begab er sich 1717 nach Lemberg (Polen), wo er erneut ein Rabbineramt übernahm, das er bis zu seinem Tod ausübte.
Die Präsenz einer namhaften jüdischen Bevölkerungsminderheit im Hamburger Raum geriet zum exemplarischen Konfliktthema zwischen lutherischer Orthodoxie und pragmatischer Politik, war ein wichtiger Gegenstand im Widerstreit hamburgischer und dänischer Machtansprüche und erwies sich als geeignetes Ventil für die Austragung politischer und sozialer Konflikte innerhalb der Stadt.
Gewalttätige Übergriffe werden in den Denkwürdigkeiten der → Glikl von Hameln [27] als alltägliche Erfahrung der Hamburger Juden des 17. Jahrhunderts geschildert. Wiederholt mündeten solche Zusammenstöße in gravierende antijüdische Ausschreitungen. So entstand 1730 in der → Neustadt [28] aus nichtigem Anlass ein »Judentumult« (»Geseroth Henkelpöttche«), der erst nach Tagen unterdrückt werden konnte; in Altona wurden 1749 durch den »Pöbel« die Häuser mehrerer Juden geplündert und die Fenster der Synagoge zerstört.
Die unter dem Vorzeichen verbreiteter Judenfeindschaft leicht zu mobilisierende Gewalt der Straße ließ sich auch zur Durchsetzung politischer Ziele einsetzen. Wiederholt waren Versuche erfolgreich, auf diese Weise rechtlich-politische Zugeständnisse an die jüdische Minderheit zu verhindern und eine restriktive »Judenpolitik« durchzusetzen. So erzwang 1746 eine gewalttätige »Menge allerhand gemeinen Gesindels« den Abbruch eines neu errichteten jüdischen Bethauses in der Neustadt. Im 19. Jahrhundert wurde Hamburg mehrfach zum Schauplatz schwerer antijüdischer Unruhen, die in erster Linie ein Ausdruck vehementer Ablehnung der Judenemanzipation (→ Emanzipation [11]) waren. Die antijüdischen »Hepp-Hepp-Krawalle«, die im Sommer 1819 weite Teile Deutschlands erschütterten, nahmen in Hamburg ihren Ausgang von den Pavillons an der Binnenalster, aus denen jüdische Gäste allabendlich gewaltsam vertrieben wurden. Der Kaffeehausbesuch von Juden war in der Hansestadt mehrfach zum Gegenstand erregter öffentlicher Debatten geworden und stand für den Anspruch der jüdischen Minderheit auf Zugehörigkeit zur bürgerlichen Gesellschaft. Auch die Wohnhäuser einiger wohlhabender jüdischer Familien am Rödingsmarkt, an der Neustädter Fuhlentwiete und auf der Großen Bleiche, die gleichfalls gezielt angegriffen wurden, versinnbildlichten die Überschreitung gesetzter Grenzen, da sie außerhalb der den Juden zugewiesenen Straßenzüge lagen. Nachdem die Angreifer bei jüdischen Kaffeehausbesuchern auf organisierte Gegenwehr getroffen waren, mündeten die Angriffe in schwere Ausschreitungen und Plünderungen in den von Juden bewohnten Straßen, die schließlich durch das Bürgermilitär unterdrückt wurden. Die außerhalb der »erlaubten« Straßen bezogenen Wohnungen mussten von den Juden allerdings bald nach der Niederschlagung der Krawalle geräumt werden. Auch die »vergessene« Revolution des Jahres 1830 wurde in Hamburg von antijüdischen Ausschreitungen eingeleitet. Sie nahmen erneut ihren Ausgang bei den Pavillons und in den von Juden bewohnten Straßen, schlugen jedoch bald in allgemeine Unruhen um, die sich vor allem gegen Polizei und Militär richteten, mehrere Todesopfer forderten und erst nach Tagen mühsam unterdrückt werden konnten. Im Sommer 1835 kam es in Hamburg erneut zu Krawallen bei den Alsterpavillons. Wieder wurden allabendlich jüdische Gäste unter Misshandlungen aus den Kaffeehäusern vertrieben; die Behörden schritten äußerst zögerlich ein und ahndeten die »Ordnungswidrigkeit« von Juden, die sich verteidigt hatten, härter als die Gewalttaten ihrer Angreifer. Der Ausbruch der Krawalle wurde als Reaktion auf eine damals in Aussicht genommene Reform der Hamburger Judengesetzgebung aufgefasst, die allerdings nach den Krawallen wieder aufgegeben wurde, noch ehe sie konkrete Gestalt angenommen hatte.
(siehe auch → Emigration [16]) In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewann der Hamburger Hafen wachsende Bedeutung für den Transit von Auswanderern nach Übersee.
Zwischen 1850 und 1934 registrierten die Hamburger Behörden annähernd fünf Millionen Auswanderer. Über 80 Prozent gingen in dieser Zeit in die USA, die übrigen hatten Süd- und Mittelamerika, Kanada, Afrika, Australien und asiatische Länder zum Ziel. Zwischen 1881 und 1914 traten nahezu eine Million Juden aus Russland, Österreich-Ungarn und Rumänien die Seereise im Hamburger Hafen an. Den stärksten Anteil hatten jüdische Auswanderer aus den russischen Territorien; ihre Zahl wird mit über 700.000 angegeben. Der Exodus der russischen Juden setzte 1881 mit dem Beginn der Herrschaft von Zar Alexander III. ein, als Pogrome und antijüdische Gesetze eine anhaltende Massenflucht auslösten. Armut und Diskriminierung motivierten auch viele Juden in Galizien und Rumänien zum Verlassen ihrer Heimat. Amerikas Ruf als freiheitliches Land der unbegrenzten Möglichkeiten und die Werbekampagnen der Schifffahrtsgesellschaften taten ein Übriges, um den osteuropäischen Auswandererstrom nicht versiegen zu lassen. Als 1881 rund 10.000 mittellose russische Emigranten eintrafen, reagierte die Hamburger Jüdische Gemeinde mit der Gründung des Hilfskomitees für die russischen Juden. Der 1884 gegründete Israelitische Unterstützungsverein für Obdachlose half den nichtrussischen jüdischen Auswanderern. → Daniel Wormser [29] stellte sich ab 1884 ganz in den Dienst der mittellosen jüdischen Emigranten und galt in Hamburg alsbald als »Vater der Auswanderer«. Die Geschichte der Massenauswanderung über den Hamburger Hafen ist zudem untrennbar mit dem Namen → Albert Ballin [30] verbunden. Er vergrößerte und modernisierte die Hapag-Flotte der Auswandererschiffe, erwirkte in Verhandlungen mit konkurrierenden Schifffahrtsgesellschaften des In- und Auslands oft einen Interessenausgleich und machte das Unternehmen zur größten Schifffahrtsgesellschaft der Welt. Die Hamburger Regierung nahm gegenüber dem gewaltigen Strom der osteuropäischen Auswanderer eine ambivalente Haltung ein. Der wirtschaftliche Ertrag des Auswandererverkehrs wurde begrüßt, nicht aber die Anwesenheit der zumeist armen Menschen in der Stadt. Hinzu kam die Furcht vor der Einschleppung von Epidemien. 1892 begegnete Ballin den Besorgnissen des Senats mit der Errichtung eines großen Barackenlagers auf dem Amerika-Kai. Die russischen Auswanderer wurden mit der Eisenbahn direkt dorthin gebracht und durften die Stadt nicht betreten. Als im selben Jahr in Hamburg die Cholera ausbrach und rund 10.000 Einwohner an der Epidemie starben, wurde die Auswanderung über den Hafen für längere Zeit unterbunden. Gemeinsam mit dem Bremischen Lloyd ließ Ballin daraufhin an der deutsch-russischen Grenze Kontrollstationen errichten, in denen die eintreffenden Auswanderer ab 1895 ärztlich untersucht, zum Kauf von Schiffsfahrkarten und zur Weiterfahrt nach Hamburg oder Bremen veranlasst wurden. Gänzlich mittellose Menschen durften die Kontrollstationen nicht passieren. An die Stelle des Barackenlagers auf dem Amerika-Kai trat 1901 eine weit größere Massenunterkunft: die sog. Auswandererhallen auf der Veddel. Die Anlage war durch die Süderelbe vom Stadtgebiet getrennt und bot zunächst Platz für 1.000, ab 1906 für 3.000 Personen. Den jüdischen Auswanderern standen eine Synagoge und ein eigener Speisesaal zur Verfügung. Nach 1918 verlor Hamburg als Auswandererhafen stark an Bedeutung; bis 1933 wurden hier noch 500.000 Auswanderer registriert.
Personen und Themen mit B
Reeder, geb. 15.8.1857 Hamburg, gest. 9.11.1918 Hamburg
B. wurde als dreizehntes Kind eines Kaufmanns geboren. Sein Vater stammte aus Jütland, seine Mutter Amalia aus der alteingesessenen Altonaer Rabbinerfamilie Meyer. Nach dem Tod des Vaters musste der siebzehnjährige Albert dessen winzige Passageagentur übernehmen. 1881 offerierte er den vor Pogromen fliehenden russischen Juden konkurrenzlos günstige Massentransporte in die USA. Damit lieferte er der etablierten Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (Hapag) einen derart harten Konkurrenzkampf, dass die Gesellschaft es vorzog, ihn 1886 als jüngsten Direktor zu engagieren. Es folgte die steilste Karriere des Kaiserreiches: 1899 war B. Generaldirektor und die Hapag die größte Reederei der Welt. Sein Erfolgsrezept hieß Service: B. erfand unter anderem 1891 die Kreuzfahrt, und die Hapag bot statt Rekordgeschwindigkeit Luxus auf der Nordatlantikroute. Zeitgemäß bescheiden galt das sogar für die armen Emigranten, denn B. beendete die Ära des berüchtigten Zwischendecks: Auf den großen Spitzenschiffen gab es ab 1905 eine zusätzliche günstige Kajütenklasse, von 1912 an grundsätzlich nur noch Kabinen, keine Massenquartiere mehr.
Für viele Deutschnationale verkörperte B. diffuse Ängste vor dem »internationalen jüdischen Großkapital«, vielen Juden war er als »Kaiserjude« zu assimiliert – und dem Ausland ein Symbol wilhelminischen Vormachtstrebens. Er galt als »Freund« Kaiser Wilhelms II. und war 1908 als Reichskanzler im Gespräch. Er lehnte es aber immer ab, sich taufen zu lassen. B. war nicht religiös, seine Frau Marianne und seine Adoptivtochter waren Christen, doch hielt er bewusst an seinem Judentum fest und verachtete Konvertiten. Für ihn selbst hatten der Patriotismus und der Einsatz für sein Unternehmen den Stellenwert, den die Religion für seine Vorfahren gehabt hatte. Der Mann, der »die Hapag war«, der kosmopolitische Deutsche jüdischen Glaubens, verkörperte wie niemand sonst die Zwiespältigkeit des wilhelminischen Deutschland, seiner Gesellschaftsschicht und seiner Epoche: den steilen Aufstieg, den blendenden Erfolg, den untergründigen Zweifel – und schließlich auch das Ende. B.s Sorge galt dem deutsch-britischen Verhältnis. Von 1908 an bemühte er sich in zahlreichen halboffiziellen Missionen, darunter 1912 die Haldane-Verhandlungen über Rüstungskontrolle zur See. Ende Juli 1914 unternahm er einen letzten Vermittlungsversuch in London. Der Erste Weltkrieg zerstörte sein Lebenswerk und seine Epoche. B. vergiftete sich und starb am Tag der Abdankung und Flucht des Kaisers.
Rabbiner, geb. 21.7.1871 Würzburg, gest. 13.4.1961 Kirjath Motzkin (Israel)
B. entstammte einer traditionsreichen Würzburger Rabbinerfamilie. Nach dem Erwerb des Rabbinerdiploms 1894 wirkte er anfänglich an seinem Geburtsort, seit 1899 als Rabbiner und Religionslehrer in Hohensalza (Posen), wo er seine Frau Bertha, geb. Cohn, kennen lernte. 1902 trat er sein Amt als Gemeinderabbiner im preußischen → Wandsbek [20] an. Seine Dienstjahre wurden bestimmt durch ein Wechselspiel zwischen Integration und Ausgrenzung. Glanzvoller Höhepunkt seines Berufslebens dürfte das 25-jährige Dienstjubiläum 1927 gewesen sein, an dem Honoratioren und Gratulanten von jüdischer und christlicher Seite, aus Verwaltung und Politik teilnahmen. Wenig später erschwerte bereits der → Antisemitismus [31] das (Familien)Leben. Die Tochter Kela emigrierte 1930 nach Palästina, 1935 folgten ihre beiden Schwestern Male und Hella. 1936 besuchte B. seine Töchter dort, doch kehrte er zunächst nach Wandsbek zurück, wo er nach einer – angemeldeten – nächtlichen Andacht erstmalig kurzzeitig verhaftet wurde. Später wurde er als Vorsitzender der Henry Jones-Loge (→ Logenwesen [32]) in sog. Schutzhaft genommen. Angesichts der zunehmenden antisemitischen Drangsalierungen im Alltag sah sich B. gezwungen, Wandsbek zu verlassen. Gemeinsam mit seiner Frau zog er vorübergehend in die Schlüterstraße am → Grindel [33]. Er leitete das Museum für jüdische Volkskunde (92) und die dort ebenfalls untergebrachte Bibliothek der jüdischen Gemeinde. Im Februar 1939 konnten die Eheleute B. nach Palästina ausreisen, ohne dass es aber möglich gewesen wäre, die umfangreiche Privatbibliothek mit auszuführen. Sie ließen sich in Kirjath Motzkin bei Haifa nieder, wo B. bis zu seinem Tod im Alter von 90 Jahren wohnte. B. hinterließ zahlreiche Aufsätze, Artikel und Predigten. Ein Gedenkstein am Jüdischen → Friedhof Königsreihe [34] (119) erinnert an den letzten Gemeinderabbiner.
Malerin, geb. 24.12.1862 Hamburg, gest. 8.3.1943 Hamburg
Die Künstlerin gehörte in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu den führenden Persönlichkeiten der hamburgischen Avantgarde. Ihre Familie stammte ursprünglich aus Italien und war seit 1670 in Hamburg ansässig. B. wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf. Sie studierte an der privaten Hamburger Damen-Malschule Röver bei Ernst Eitner und Arthur Illies. Während ihr Frühwerk die städtische und ländliche Umgebung Hamburgs in impressionistischer Malweise zeigt, führten Reisen nach Südeuropa und ein Studienaufenthalt in Paris zur intensiven Auseinandersetzung mit Paul Cézanne und den zeitgenössischen französischen Kunstströmungen. Auf dieser Basis entwickelte B. ihre unverkennbare, eigenständige Ausdrucksweise: Charakteristisch sind eine starke Betonung der linearen Elemente der Motive, eine leichte perspektivische Verzerrung sowie eine cézanneske Handhabung des Pinsels. Als Gründungsmitglied der Hamburgischen Sezession, regelmäßiger Gast der von Hans W. Fischer initiierten Tafelrunde, engagiertes Mitglied der Gemeinschaft deutscher und österreichischer Künstlerinnen (GEDOK) und Mitbegründerin des ersten deutschen Zonta-Clubs wirkte sie aktiv an der Gestaltung des Hamburger Kulturlebens mit. Nach 1933 musste B. Ausstellungsverbot, künstlerische Isolation und die Beschlagnahmung mehrerer ihrer Arbeiten in der Hamburger Kunsthalle erdulden. Als sie 1943 einen Deportationsbescheid nach Theresienstadt erhielt, nahm sie sich das Leben. Ihre Werke befinden sich in allen großen Hamburger Museen, im Jüdischen Museum Rendsburg sowie im Museum Baden (Solingen-Gräfrath).
Mit der meist Chevra Kadischa de Kabronim (Ch.) genannten Beerdigungsbruderschaft begründete das aschkenasische Judentum im 16. Jahrhundert eine Institution, die die praktischen und religiösen Bedürfnisse zur Bewältigung von Tod und Begräbnis erfüllen sollte.
Idealtypisch bestanden die Aufgaben einer Ch. in der pflegerischen Fürsorge für Kranke, der Betreuung der Sterbenden, der Durchführung der Beerdigung, der Verwaltung der Friedhöfe und der Gestaltung der Trauerzeit, bis die Angehörigen des Verstorbenen diese Aufgabe übernehmen konnten. Die Funktionen in der Ch. wurden ehrenamtlich übernommen. Für die Versorgung von armen Kranken und Sterbenden hatte sich die Chevra Kadischa deBikur Cholim (Heilige Vereinigung für Krankenbesuch) gegründet. Im → Dreigemeindeverband [9] AHW gab es mindestens drei Beerdigungsbruderschaften. Das genaue Gründungsdatum der Beerdigungsbruderschaft Altonas ist nicht bekannt, sie war jedoch bereits 1685 aktiv. Kodifizierte Statuten existieren aus dem Jahr 1710, die bis ins 19. Jahrhundert gültig waren. Die maximal 45 Mitglieder mussten verheiratete Männer aus der Altonaer Gemeinde sein. Ein Vorstehergremium verwaltete Gelder und Aufgaben der in Altona und Hamburg tätigen Vereinigung. Die Mitglieder wurden in Wachen eingeteilt, die für die Durchführung der rituellen Reinigung des Leichnams, des Begräbnisses und der Trauergebete zuständig waren. In Altona war auch eine »Schwesternschaft« tätig. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurde der Tod durch die Atemprobe, Pulslosigkeit, Blässe, Kälte der Haut, Augenveränderungen, Totenflecken und Totenstarre festgestellt. Meist wurde die Beisetzung sechs Stunden nach Feststellung des Todes durchgeführt. Nach der rituellen Reinigung, der Tahara, wurde der Tote in ein weißes, leinenes Totengewand gekleidet und mit einem Tuch bedeckt. In Altona wurden die Toten in einfachen Särgen beerdigt. Der Sarg wurde von Angehörigen der Ch. auf den Schultern zum Grab getragen, das erst gegraben werden durfte, wenn die Leiche auf dem → Friedhof [34] war. Erst wenn das Grab geschlossen war, konnte das Totengebet, der Kaddisch, gesprochen werden. Noch auf dem Friedhof mussten die Vorsteher der Ch. den Namen des Toten, seines Vaters und seiner Mutter, der Familie, das Todesdatum, die Grablage und die benachbarten Gräber in ein Register eintragen. Der Grabstein wurde meist nach einem Jahr, am ersten Jahrestag des Todes aufgestellt. Jedes Grab sollte einen Grabstein als Kennzeichnung erhalten, um eine zweite Beerdigung am selben Ort auszuschließen und um dort die nötigen Gebete abhalten zu können. Die Ch. war bis weit ins 19. Jahrhundert hinein für die Disziplin auf dem Friedhof wie auch für dessen Instandhaltung zuständig. Für die Hamburger Ch. ist ein Gründungsdatum von 1670 überliefert. Ihre Gründung wird als ein Teil der Bestrebungen angesehen, eine eigene Gemeindestruktur zu etablieren. Ihre Struktur, Statuten und Aufgaben entsprechen denen der Altonaer Ch. 1804 gründeten 50 Mitglieder der Gemeinden eine »Neue Beerdigungsgesellschaft«, die eine individuelle Regelung der Begräbnisfrist durchsetzte, um der Angst vor dem »Scheintod« zu begegnen. Auch um die Gestaltung (Symbole, Sprache) der Grabsteine entstanden Auseinandersetzungen, die im 19. Jahrhundert noch von der Beerdigungsbrüderschaft geregelt werden konnten. Schließlich nahm die zentrale Stellung der Begräbnisbruderschaft ab, bis aus der »Heiligen Vereinigung« ein Verein unter vielen geworden war. Nach und nach übernahm die Gemeindeverwaltung Aufgaben der Vereinigung, wie etwa die Überwachung der Friedhöfe.
Jurist, Publizist und Gemeindefunktionär, geb. 13.3.1843 Hamburg, gest. 19.3.1888 Hamburg
Mitglieder der ursprünglich aus Madeira stammenden Familie Belmote haben noch im 20. Jahrhundert eine bedeutende Rolle in der → Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde [2] Hamburgs gespielt. B., Sohn eines Postboten, gehörte zu den herausragenden Juristen Hamburgs im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Nach dem Besuch der Gelehrtenschule des Johanneums und des Akademischen Gymnasiums studierte B. Jura in Berlin, Heidelberg und Göttingen und wirkte seit 1864 erfolgreich als Strafverteidiger und Kaufmann in Hamburg. 1865 erfolgte die Promotion in Leipzig und der Eintritt in das Büro des Anwalts sowie Bürgerschafts- und Reichstagsabgeordneten Eduard Banks, später übernahm er die Leitung des Fachverlags für Jura I. F. Richter. B. galt rasch als einer der glänzendsten Strafverteidiger der Hansestadt. 1879 wurde er gemeinsam mit zwei Kollegen zum Sprecher der Rechtsanwälte gewählt, um im Zuge einer neuen Justizorganisation Probleme an geeigneter Stelle vorzubringen. B. war von 1873 bis 1880 im Vorstand der Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde tätig. Von 1877 bis 1888 vertrat er als Abgeordneter die »Fraktion der Rechten« in der Hamburger Bürgerschaft und wirkte zeitweilig im Baupolizeigesetzausschuss und in der Gefängnisdeputation mit. Er war Chefredakteur der Hamburger Zeitschrift Die Reform sowie Herausgeber der Zeitschrift für praktische Strafrechtspflege Das Tribunal (1885-1888). Daneben engagierte er sich im Direktorium der 1838 von → Salomon Heine [36] zum Andenken an seinen verstorbenen Sohn Hermann gegründeten Hermann Heine-Stiftung (→ Stiftungen [37]), in der Oser Dalim-Stiftung, weiter war er Mitglied der Loge Ferdinande Caroline (→ Logenwesen [32]). B. kam bei einem Duell mit dem Weinhändler Fuchs in Hamburg ums Leben.
Germanist, geb. 10.9.1884 Hamburg, gest. 30.1.1984 Stockholm
Nach kurzer Tätigkeit als Kaufmann studierte B. ab 1905 Klassische Philologie und Germanistik in Berlin, Freiburg, München und Kiel, wo er 1911 promoviert wurde. 1914 zum »Wissenschaftlichen Hilfsarbeiter« am Deutschen Seminar in Hamburg ernannt, verbrachte er die folgenden vier Jahre an der Westfront, wo er als Offizier mehrfach verwundet und ausgezeichnet wurde. 1920 habilitierte er sich an der neuen Hamburgischen Universität für »Germanische Philologie, skandinavische und deutsche Literaturgeschichte« und erhielt 1926 den Status eines »Titularprofessors«. Neben seiner universitären Tätigkeit engagierte sich B. in der Volks- und Jugendbildung und versuchte, seit 1926 Mitglied der SPD, der Bedrohung der Republik auch politisch zu begegnen. Als Jude und Marxist (überdies noch Freimaurer) konnte B. 1933 keine Rücksicht erwarten. So wurde er, obwohl »Frontkämpfer«, im Sommer 1933 entlassen, 1936 ausgebürgert und seines Doktortitels beraubt. Noch im Juli 1933 ging B. nach Dänemark ins Exil, wo er sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlug. Nach der deutschen Besetzung untergetaucht, gelang ihm Ende 1943 die Flucht nach Schweden, wo er als Archivarbeiter am Nobelinstitut der Schwedischen Akademie ein karges Einkommen erhielt. 1948 lehnte er einen Ruf nach Rostock ab, von 1952 bis 1971 hatte er einen Lehrauftrag für Deutsche Literatur an der Stockholmer Universität. Dort gründete er 1966 eine Forschungsstelle für die deutsche Exilliteratur. B. erfuhr zahlreiche Ehrungen, darunter das Große Bundesverdienstkreuz (1964) und Ehrenpromotionen durch die Universitäten Stockholm (1974) sowie Hamburg (1982). Letztere war auch eine späte Entschuldigung für die beschämende Haltung, welche die Hamburger Philosophische Fakultät gegenüber ihrem verjagten Mitglied bis Ende der fünfziger Jahre eingenommen hatte. Als Ausweis ihrer grundlegend geänderten Einstellung benannte die Universität Hamburg ihre 1971 gegründete »Hamburger Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur« im Jahre 2000 in »Walter-A.-Berendsohn-Forschungsstelle für deutsche Exilliteratur« um.
Rabbiner, geb. 29.9.1792 Mainz-Weisenau, gest. 1.5.1849 Hamburg
In jungen Jahren betrieb B. ein intensives Studium des Talmud, neben dem er auch Lehrveranstaltungen am örtlichen Lyzeum besuchte. In Würzburg, wo er sich seit 1815 als Schüler und Assessor des Gemeinderabbiners aufhielt, gehörte er zu den ersten jüdischen Hörern der Universität. Nach einer vorübergehenden Anstellung als Hauslehrer in München kehrte B. an seinen Geburtsort zurück, bis ihn 1821 die Hamburger Juden als Geistlichen beriefen. Neben Entscheidungsbefugnissen in allen religiösen Angelegenheiten der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] bedingte sich B. auch den spanisch-jüdischen Gelehrtentitel eines Chacham aus, mit dem er das Signal für einen Neuanfang des → Rabbinats [10] setzte. B. engagierte sich für eine Neuordnung der jüdischen Armenschule → Talmud Tora [38], deren Curriculum er modernisierte und um den Lehrstoff allgemeiner Elementarschulen erweiterte. In der Synagoge führte er regelmäßige deutschsprachige Predigten ein, die weithin Aufsehen erregten, jedoch aufgrund ihrer verklausulierten Sprache und komplizierten Gedankengänge auch auf Vorbehalte des Publikums trafen. B. war freilich kein Anhänger des Reformjudentums, im Gegenteil vertrat er sowohl im privaten als auch im öffentlichen Leben eine strenge Orthodoxie. Sein aufsehenerregender Protest gegen den Hamburger Neuen Israelitischen → Tempelverein [39], der 1841 eine revidierte Version seines Gebetbuches veröffentlichte, blieb allerdings wirkungslos. B., der sich zeitlebens intensiv mit der jüdischen Religionsphilosophie auseinander setzte, war der Vater des zum Christentum konvertierten Goetheforschers Michael B. sowie des Altphilologen Jacob B. Sigmund Freuds Ehefrau Martha war eine Enkelin von B.
(Pseudonym: Ernst Rosmer), Schriftstellerin, geb. 28.10.1866 Wien, gest. 12.7.1949 Hamburg
Nach der Befreiung vom Hitler-Faschismus konnte B. im Juni 1945 das KZ Theresienstadt verlassen, in das sie genau drei Jahre zuvor deportiert worden war. B. zog nach Hamburg zu ihrer ältesten Tochter Eva Hauptmann im Stadtteil Eppendorf. In den ihr noch verbliebenen vier Lebensjahren schrieb die seit Anfang ihres fünfzigsten Lebensjahres erblindete B. auf einer Blindenschreibmaschine ihre Erinnerungen an das KZ Theresienstadt auf, in das sie 1942 trotz ihrer einflussreichen Freunde und der Protektion der Familie Wagner in Bayreuth eingewiesen und wo sie in einem so genannten Prominentenhaus untergebracht worden war. In jungen Jahren wollte B. Schauspielerin werden, musste diesen Plan aber wegen einer fortschreitenden Augenerkrankung aufgeben. Sie wurde Schriftstellerin und verfasste über 14 Bühnenstücke. Ihr Märchendrama Königskinder wurde auf 130 Bühnen gespielt, fast 200.000 Mal als Buch verkauft und von Engelbert Humperdinck für die Oper vertont. Die Tochter des jüdischen Münchner Musikdirektors Heinrich Porges, Ehefrau des jüdischen Münchner Rechtsanwalts und Theaterkritikers Max Bernstein und Mutter zweier Kinder hatte seit den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts zuerst gemeinsam mit ihrem Mann, nach seinem Tod dann mit ihrer Schwester Gabriele in ihrer Münchner Wohnung einen Salon geführt, wo sich Persönlichkeiten aus Literatur, Kunst und Wissenschaft trafen, unter ihnen Hugo von Hofmannsthal, Theodor Fontane, Gerhart Hauptmann, Richard Strauß und Thomas Mann. In ihren letzten Lebensjahren führte Bernstein weiterhin eine umfangreiche Korrespondenz. Ihren Lebenswillen charakterisierte ihre Tochter Eva: »Sie hatte das Glück, sich selbst wichtig zu sein.«
Fotograf, geb. 8.1.1878 Hamburg, gest. 29.4.1962 Kapstadt
Emil B. steht in der Tradition einer langjährigen und bekannten Fotografenfamilie in Hamburg. Als August Emil Julius Berlin geboren, nannte er sich wie sein Vater Leonhard (1841-1931) »Berlin-Bieber«. Seine Ausbildung zum Fotografen führte ihn nach Berlin, Budapest und London, bevor er das familieneigene Geschäft in Hamburg weiter ausbaute. Er konnte dabei auf den exzellenten Ruf seiner Familie zurückgreifen: Emilie B. (1810-1884) war eine der ersten Fotografinnen in Hamburg. Sie baute das Atelier am Neuen Jungfernstieg auf und wurde 1872 zur preußischen Hoffotografin ernannt. Ihr Neffe Leonhard führte das Geschäft nach ihrem Tod erfolgreich weiter, ebenfalls mit dem Titel »Königlicher Hoffotograph«, und übergab es 1904 seinem Sohn Emil. Dieser modernisierte das Atelier und die Technik und präsentierte seine Werke in eigenen Ausstellungsräumen. Eine Reihe hervorragender Porträtaufnahmen nicht nur des Hofes, sondern auch von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Hamburg wie → Albert Ballin [30], begründeten den ausgezeichneten Ruf des Fotografen. 1912 publizierte B. zwei Alben mit Porträts Hamburger Senats- und Bürgerschaftsmitglieder. In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts lieferte das Atelier Bilder von Personen des öffentlichen Lebens an alle Hamburger Zeitungen. Nach 1933 wurde B., der nicht der Jüdischen Gemeinde angehörte, und seine Familie aufgrund der rassistischen Gesetzgebung drangsaliert und verfolgt. Erste Versuche zur Emigration 1936 scheiterten am Gesundheitszustand B..s, der erst 1938 nach London und wenig später nach Kapstadt fliehen konnte. Sein gesamter Besitz sowie sein Geschäft blieben in Hamburg zurück und wurden versteigert. In Südafrika baute sich B. erneut eine Existenz als Porträtfotograf auf.
(auch: Gertrude), Philosophin und Institutsleiterin, geb. 7.6.1892 Hamburg, gest. 3.7.1964 London
B., Tochter eines jüdischen Kaufmanns, schloss 1912 das Lehrerinnenexamen am Kloster St. Johannis ab und war bis 1915 Lehrerin an der Vorschule in Alt-Rahlstedt. Nach dem Abitur am Heinrich-Hertz-Realgymnasium 1916 studierte sie Philosophie, Psychologie und Germanistik in München. Im Ersten Weltkrieg war sie Vertretungslehrerin an der Knabenschule Eimsbüttel. Danach studierte sie an der Universität Hamburg, wo sie 1921 bei → Ernst Cassirer [40] promoviert wurde, der sie an die → Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg [41] unter dem damaligen Leiter → Fritz Saxl [42] vermittelte. Als → Aby Warburg [43] nach längerer Krankheit an die Bibliothek zurückkehrte, wurde sie dessen persönliche Assistentin und Sekretärin, 1927 offiziell Bibliothekarin. 1927/28 unternahm sie eine längere Italienreise mit Warburg, in deren Verlauf sie tiefen Einblick in dessen Persönlichkeit und Forschungen gewann. Nach Warburgs Tod 1929 edierte B. die Ausgabe seiner Gesammelten Schriften, die 1932 erschienen. Als stellvertretende Direktorin war sie 1933 daran beteiligt, die Bibliothek vor dem Zugriff der Nationalsozialisten nach London zu retten, und richtete sie dort neu als »The Warburg Institute« ein. B. half zudem vielen Emigranten. Nach Saxls Tod 1948 und nachdem dessen Nachfolger Henri Frankfort verstarb, wurde sie 1955 Direktorin des Instituts und erhielt den Professorentitel. 1958 reiste sie erstmals wieder nach Hamburg und sprach anlässlich der Wiederaufstellung der Bronze-Büste Warburgs in der Kunsthalle. 1959 pensioniert, widmete sie sich verstärkt ihrer geplanten Warburg-Biographie, konnte sie jedoch wegen schwerer Krankheit nicht mehr beenden.
Daguerreotypist, Pionier der künstlerischen Fotografie und der fotografischen Reportage, geb. um 1804 Breslau, gest. 20.2.1850 Dresden
Der Sohn des schlesischen Malers Raphael Biow siedelte 1836 nach Hamburg über, betätigte sich als Maler, Lithograph und Schriftsteller und erlernte die Technik des Daguerreotypierens, der 1837 erfundenen Fotografie durch ein Verfahren zur Herstellung von Lichtbildern auf Metallplatten. Im Unterschied zu → Rudolph Koppel [44], dem 1839 als erstem in Hamburg die Anfertigung einer Daguerreotypie gelungen war, nutzte B. die Erfindung der Fotografie beruflich und eröffnete 1841 in Altona das erste Fotoatelier im Hamburger Raum. Seine Aufnahmen, oft in einem ungewöhnlich großen Plattenformat, gehören zu den schönsten und wertvollsten Bildern aus der Pionierzeit der Fotografie. Nach dem Großen Brand von 1842 fertigte B. 46 Daguerreotypien der Ruinenlandschaft an; die Bildserie gilt weltweit als die erste fotografische Reportage. Außenaufnahmen gehörten auch weiterhin zu seinem Betätigungsfeld; so fotografierte er 1846 die Grundsteinlegung der St. Nikolaikirche. Im Atelier verzichtete B. im Unterschied zur Konkurrenz auf jegliche Staffage, um die Persönlichkeit der Porträtierten deutlicher hervortreten zu lassen. Für seine Sammlung von Aufnahmen berühmter Personen ließen sich prominente Zeitgenossen wie Franz Liszt und Wilhelm von Humboldt von B. ablichten. 1849 erschien sein Tafelwerk mit den Porträts von Mitgliedern der Frankfurter Nationalversammlung. B.s Kontroverse mit dem Satiriker Moritz Gottlieb Saphir führte zur ersten Streitschrift in der Geschichte der Fotografie (Der Daguerreotypenkrieg in Hamburg). B. starb, bevor er die Arbeit an der Veröffentlichung seiner »Nationalgalerie« mit den Bildnissen berühmter Deutscher vollenden konnte.
Jiddist und Paläograph, geb. 24.12.1891 Wien, gest. 28.12.1989 Toronto (Kanada)
B. war der älteste Sohn des Publizisten Nathan Birnbaum, eines Vorkämpfers des → Zionismus [45] und Initiators der Czernowitzer Sprachkonferenz von 1908. Ab 1910 absolvierte B. zunächst ein Studium der Architektur und beschäftigte sich nebenher mit der jiddischen Sprache. Bereits 1915 vollendete er die Arbeiten an der ersten zusammenhängenden wissenschaftlichen Grammatik des Jiddischen. Nach dem Studium der Orientalistik in Wien, Zürich, Berlin und Würzburg, wo er 1921 promovierte, siedelte er nach Hamburg über. Zwischen 1922 und 1933 lehrte B. auf Initiative des Germanisten Conrad Borchling Jiddische Sprache und Literatur im Rahmen des Allgemeinen Vorlesungswesens. Laut B. wurde hier zum ersten Mal »die jiddische Sprache im Rahmen einer modernen deutschen Universität Lehrgegenstand«. B.s zweiter Forschungsschwerpunkt war die Hebräische Paläographie. Sein 1957 und 1971 erschienenes zweibändiges Werk The Hebrew Scripts gilt bis heute als Standardwerk auf diesem Gebiet. 1929 hatte B. eine frühere Version dieser Arbeit als Habilitation an der Universität Hamburg einzureichen versucht; sie wurde jedoch nicht angenommen, vermutlich aus politischen Gründen. Auch das zusammen mit dem Sprachsoziologen Heinz Kloss geplante Institutum Germano-Judaicum für nahgermanische Sprachen in Hamburg ließ sich nicht mehr realisieren. Im Frühjahr 1933 ging B. nach London, wo er Jiddisch und Hebräische Paläographie an der London School of Oriental Studies und an der School of Slavonic Studies lehrte. 1970 verlegte er seinen Wohnsitz nach Toronto. 1986 wurde B., der Ehrenmitglied des Kuratoriums des → Instituts für die Geschichte der deutschen Juden [46] in Hamburg war, die Ehrendoktorwürde der Universität Trier verliehen.
Architekt, Fotograf, geb. 13.1.1889 Warburg (Westfalen), gest. 23.1.1955 Los Angeles
B. gehörte in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu den führenden Vertretern des Neuen Bauens in Hamburg. Ab 1908 studierte B. Architektur in Karlsruhe, München, Darmstadt und schließlich Dresden, wo er 1915 promovierte. 1921 gründete B. gemeinsam mit → Ernst Hochfeld [47] in Hamburg ein eigenes Architektenbüro. Am Beginn ihrer Arbeit standen die Denkmalanlage des Ehrenfriedhofes für die gefallenen jüdischen Soldaten (1921/22) (→ Vaterländischer Bund [48]) sowie moderne Grabmäler auf dem Jüdischen → Friedhof in Ohlsdorf [34]. Zur wichtigsten Bauaufgabe der zwanziger Jahre, dem Wohnsiedlungsbau, leistete das Büro nicht nur praktische, sondern durch B.s Veröffentlichungen und Gremientätigkeiten auch theoretische Beiträge. Das Hauptwerk von Block & Hochfeld jedoch ist das »Deutschlandhaus« (1928/29) an der Ecke Dammtorstraße/Valentinskamp, ein modernes Geschäftshaus mit Büros, Läden, Restaurants und dem damals größten Kinosaal Europas, dem »Ufa-Palast«. Ab 1929 trat B. zudem als talentierter Fotograf mit Aufnahmen im Stil der »Neuen Sachlichkeit« und illustrierten Reisereportagen hervor. B. und seine Frau Anna Sophie (1895-1986), geb. Levy, hatten keine Beziehung zu einem religiös geprägten Judentum. Aufgrund ihres gesellschaftlichen Umgangs in den alsternahen Stadtteilen erhielten Block & Hochfeld ihre Privataufträge jedoch vorwiegend von jüdischen Bauherren. Ihr Wettbewerbsentwurf für die Synagoge des Neuen Israelitischen → Tempel-Vereins [39] (1929/30) an der Oberstraße (53) und ihre Altenwohnheime für die Mendelson-Israel-Stiftung (1930/31 und 1934) in Fuhlsbüttel waren ebenfalls Bauaufgaben aus dem Umkreis der Jüdischen Gemeinde. Nach dem 1933 erfolgten Ausschluss aus dem Bund Deutscher Architekten beschränkte sich die Tätigkeit des Büros weitgehend auf die Verkleinerung von Wohnungen jüdischer Familien. Das letzte gemeinsame Projekt der beiden Architekten war der zusammen mit → Oskar Gerson [49] ausgeführte Umbau des Gemeinschaftshauses des → Jüdischen Kulturbundes [4] (1937/38) in der Hartungstraße (92). Im Frühsommer 1938 unternahmen B. und seine Frau noch eine Weltreise per Schiff, die bereits der Vorbereitung ihrer dann im November 1938 vollzogenen → Emigration [16] in die USA diente. In Los Angeles wurde B. nicht wieder als Architekt tätig, sondern machte die Fotografie zu seinem Hauptberuf.
geb. May, Reederin, geb. 10.12.1877 Hamburg, gest. 4.2.1967 London
L., als Tochter des Arztes Dr. Siegmund May geboren, war fünf Jahre als Lehrerin tätig, bevor sie 1902 den Hamburger Kaufmann und Reeder Richard Borchardt heiratete. Als er 1915 zur Kriegsmarine eingezogen wurde, bestimmte er seine Frau zur Prokuristin. Nach dem Tode ihres Mannes im Jahre 1930 wurde B. alleinige Eigentümerin und gleichzeitig Geschäftsführerin der Fairplay Dampfschiffs-Reederei in Hamburg. Als überzeugte Zionistin erkannte sie frühzeitig die Bedrohung durch die nationalsozialistische Machtübernahme 1933. B. – »die einzige jüdische Reederin der Welt« – eröffnete zahlreichen Hamburger Juden Wege zur Flucht aus Deutschland. Dazu bot die Schleppertätigkeit der Fairplay gute Möglichkeiten zur illegalen → Emigration [16]. Auf legalem Wege vermittelte sie bis Mai 1938 wenigstens 38 jüdischen Jugendlichen eine seemännische Berufsausbildung auf ihren Schiffen, die auf diese Weise die Zertifikatsvoraussetzungen für eine Einwanderung nach Palästina erfüllen konnten. Diese so genannte Seefahrts- → Hachschara [50], die sowohl im Hafen von Hamburg als auch auf See erfolgte, war in Deutschland ohne Beispiel. Der Druck des NS-Staates und der NSDAP, die prosperierende jüdische Reederei mit ihren zahlreichen Auslandsverbindungen und bedeutenden Schiffskontrakten zu »arisieren«, nahm im Jahre 1938 ständig zu. Die vollständige → »Arisierung [15]« ihres Betriebes konnte die kluge Geschäftsfrau durch eine einzigartige Rechtskonstruktion verhindern. Das Unternehmen wurde im September 1938 im Einvernehmen mit dem Reichswirtschaftsministerium und dem Hamburger Gauleiter in eine »arisierte« Stiftung privaten Rechts umgewandelt, die offiziell der allgemeinen Volkswohlfahrt dienen sollte, indes vorrangig der Belegschaft der Reederei zugute kam. Zwei Schlepp- und einen Frachtdampfer durfte die ausscheidende Reederin hingegen lastenfrei ins Ausland verbringen. Im August 1938 floh die Reederin nach England, ohne ein eigenes Auswanderungsverfahren abzuwarten. B. kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr in ihre Heimatstadt Hamburg zurück. Sie blieb in London, konnte aber erreichen, dass die Fairplay Reederei 1948/49 an die Familie Borchardt zurückgegeben wurde.
Die B. entstand 1904-1906 nach Plänen der Architekten Ernst Friedheim und → Semmy Engel [52] im neuromanischen Stil. Nach dem Willen des Gemeindevorstands sollte diese – als einzige im Hamburger Raum freistehende – Synagoge durch ihre Lage und Monumentalität (die mächtige Tambourkuppel hatte ein Außenmaß von 39 m, war innen jedoch nur 19,5 m hoch) sowie einen Baustil, den das ausgehende 19. Jahrhundert als Synonym für »national, deutsch und christlich« ansah, die erreichte politische und rechtliche Gleichberechtigung, die vermeintliche Integration in die christliche Gesellschaft unterstreichen.
Das christlich-öffentliche Äußere – ein bräunlich-gelber Ziegelbau mit Portallaibungen, Fenstersäulchen und Fensterrosen aus rotem Mainsandstein, mit farblosem [53]Kathedralglas verglasten Fenstern und farbigen Fensterrosen – umhüllte jedoch einen dem traditionellen Raumschema gehorchenden, reich ausgestatteten Innenraum, dessen Blickfang und architektonischer Höhepunkt der von der → Familie Warburg [54] gestiftete Toraschrein aus schwarzem und weißem Marmor mit rötlichen Einlagen war. Der Verwüstung und versuchten Brandstiftung während des → Novemberpogroms [22] 1938 folgten im Frühjahr 1939 der zwangsweise Abriß – auf Kosten der Gemeinde – und die Rückgabe des Grundstücks an die Stadt. Zum Gedenkjahr 1988 wurde auf dem als Parkplatz genutzten Gelände nach einem Entwurf Margrit Kahls der Joseph-Carlebach-Platz angelegt, in dessen Pflaster der Grundriss der Synagoge mit den Linien des Deckengewölbes eingelassen ist.
Im 16. Jahrhundert wurden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, Frankreich, den Spanischen Niederlanden, Italien und den Niederlanden fast 900 hebräische Bücher gedruckt. Zählt man auch das Osmanische Reich hinzu, so erschienen im 16. Jahrhundert 2.672 Bücher in hebräischer Sprache bzw. in hebräischen Lettern. Mit 17 Drucken aus dem 16. Jahrhundert zählt Hamburg zu den wichtigen Druckorten.
Hier erschienen u. a. bei Johann Sachse Urim veTumim (1586); Liber Psalmorum (1586); Derech ha-Kodesch (1587); bei Jacob Wolff Cubus Alphabeticus (1588); Biblia Hebraica (1588); Donatus Hebraicus; bei Ernst Jandeck Liber Psalmorum et Danielis (1588). Drucker wie Sachse, Wolff, Frobenius, Seidel oder Rebenlein verlegten zwischen 1600 und 1638 noch einmal 18 Bücher, darunter auch mit dem Zecher Raz von → Binjamin Mussaphia [56] ein Buch eines jüdischen Autors (Seidel, 1638). Zwischen 1581 und 1867 erschienen in Hamburg wohl mindestens 364 Bücher, davon 267 in Altona zwischen 1727 und 1861 und 46 in → Wandsbek [20] zwischen 1688 und 1738. Berücksichtigt man nur die zwischen 1469 und 1863 erschienenen Drucke in hebräischen Lettern (Hebräisch, Jiddisch), so kommt man für Hamburg auf 174 Drucke, für Altona auf 291 und für Wandsbek auf 44 Drucke. Da im 17. Jahrhundert zu keiner Zeit eine jüdische Druckerei in Hamburg bestand, mussten Bücher überwiegend aus Amsterdam und aus Italien importiert werden. Ihre Bücher ließen die Hamburger Sefarden (→ Portugiesisch-Jüdische Gemeinden [2]) in Amsterdam oder Leiden drucken, aber auch bei Hamburger christlichen Druckern. In portugiesischer Sprache veröffentlichte der Kaufmann und Gemeindeführer Semuel Yachia (alias → Álvaro Dinis [57]) 1629 eine Predigtsammlung (Trinta Discursos) und 1633 der Rabbiner-Philologe → Mose Abudiente [58] eine Hebräische Grammatik (Gramatica Hebraica). Als frühe Beispiele für einen Subskriptionsdruck gelten das 1658 gedruckte talmudische Wörterbuch Keter Kehunna des Rabbiner-Philologen → David Cohen de Lara [59] sowie die einzig erhaltene Sammlung sabbatianischer Predigten Fin de los Dias (1665) von Mose Abudiente.
Auch im dänischen Altona gab es christliche Druckereien, die hebräische Typen verwendeten. Der erste jüdische Drucker war Samuel ben Mordechai Popert aus Koblenz. 1726 erhielt er das Druckerprivileg, ein Jahr später veröffentlichte er Me’orer Zikaron von Jehezkel Katzenellenbogen. Seine Druckerei existierte nur bis 1736, da er sich gegen Konkurrenz der Drucker Ephraim ben Hayyim Heckscher (Altona) und Israel ben Abraham Halle (Wandsbek) nicht durchsetzen konnte. Eine bedeutende Rolle in der jüdischen Literatur- und Geistesgeschichte spielte → Jakob Emden [6], der 1743 das Privileg für den Druck hebräischer und rabbinischer Schriften erhielt. Sein populärster Druck war ein Gebetbuch (1745) mit der Approbation von Jehezkel Katzenellenbogen, das vor allem in Osteuropa dem Bräutigam zur Hochzeit geschenkt wurde. Moses ben Mendel Bonn Halevi, der in der Offizin von Emden beschäftigt war, besaß 1769 eine eigene Druckerei, die unter seinen Söhnen Samuel und Jehuda als Druckerei Bonn bis in den Anfang der nationalsozialistischen Zeit existierte. Bedeutendster jüdischer Drucker in Wandsbek war Israel ben Abraham. Als Zensor agierte der in Altona ansässige und in Jerusalem geborene Moses Hagiz, ohne dessen Approbation kein Druck erscheinen durfte. Israel ben Abraham begann seine Wandsbeker Druckerperiode mit dem 1726 gedruckten Mischna-Kommentar Leket ha-kemach von Moses Hagiz und beendete sie mit dem 1733 erschienenen Sefer Shechitot u-vedikot des Nürnberger Rabbiners Jacob Weil.
Henry, Bankier, geb. 20.11.1840 Frankfurt a. M., gest. 20.10.1928 Hamburg
Emma, geb. Lazarus, geb. 17.2.1852 Hamburg, gest. 14.2.1937 Hamburg
B., Sohn eines Frankfurter Kaufmanns und Bankiers, brachte es in Amerika als Teilhaber des Bankhauses L. Hallgarten & Co., das sich an Eisenbahnfinanzierungen beteiligte, zu einem Millionenvermögen. 1903 zog er sich vom Geschäft zurück und ließ sich in Hamburg nieder. Hamburg war die Geburtsstadt von Emma Lazarus, mit der er seit 1879 in kinderloser Ehe verheiratet war. Das von Martin Haller (→ Haller, Familie [61]) erbaute »Budge-Palais« am Harvestehuder Weg entwickelte sich zu einem Zentrum gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. B.s sammelten Porzellan, Gemälde und anderes mehr. In Hamburg gründete B. 1920 mit einem Kapital von 1 Million Mark die Henry und Emma Budge-Stiftung zur Unterstützung von Hilfsbedürftigen ohne Unterschied des Glaubensbekenntnisses.
[62]1922 folgte, mit einem Stammkapital in gleicher Höhe, die Gründung der Frau Emma Budge-Stiftung. Das Haus am Harvestehuder Weg mit seinen Kunstschätzen sowie ein beträchtliches Kapital zur Erhaltung und Vermehrung der Sammlungen hatte Emma B. nach dem Tod ihres Mannes testamentarisch der Stadt Hamburg vermacht. Nach dem Regierungsantritt der Nationalsozialisten änderte sie ihr Testament: Das Erbe sollte der amerikanischen Regierung zufallen oder, falls dies nicht möglich sei, der jüdischen Gemeinde in Hamburg. Zur Ausführung kamen diese Bestimmungen nicht. Die Budge’schen Sammlungen wurden noch 1937 in Berlin versteigert. In dem Haus am Harvestehuder Weg richtete sich der Reichsstatthalter und Gauleiter der NSDAP Karl Kaufmann ein. Nach dem Krieg fand die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst hier ihr Domizil. Der Spiegelsaal aus dem »Budge-Palais« wurde in das Museum für Kunst und Gewerbe integriert.
Personen und Themen mit C
Rabbiner und Pädagoge, geb. 30.1.1883 Lübeck, gest. 26.3.1942 bei Riga
C. war das achte von zwölf Kindern des Rabbiner-Ehepaars Salomon und Esther Carlebach (geb. Adler). Das Vorbild seines Vaters, dessen genaue jüdische Religionspraxis und tiefes religiöses Empfinden, verbunden mit solider jüdischer und umfassender Allgemeinbildung und das fest verankerte Familienleben waren ebenso mitentscheidend für die Charakterbildung C.s wie die verschiedenen Stationen seines eigenen Lebens und Wirkens. Sein sprühender Geist, seine Empfänglichkeit für die Schönheit der Natur und der Kunst, seine Sprachbegabung, durchsetzt mit sprudelndem Humor, ließen ihn zu einer außergewöhnlichen Persönlichkeit heranreifen.
C.s universitäre Studien in Berlin, Leipzig und Heidelberg umfassten in erster Linie Naturwissenschaften und gleichzeitig Kunst und Philosophie. 1910 erschien seine Doktorarbeit über den mittelalterlichen Mathematiker und Religionsphilosophen Gersonides. Die Rabbinats-Autorisation am Berliner Orthodoxen Rabbiner-Seminar erhielt er im Jahre 1914. In den Jahren 1905 bis 1907 unterrichtete er – zum Teil auf Neuhebräisch – als Pionier-Lehrer am jüdischen Lehrerseminar der Lämel-Schule in Jerusalem. Während der Kriegsjahre als Freiwilliger 1915 bis 1919 wurde C. in den Rang eines Offiziers erhoben. Von der deutschen Armee mit Erziehungsaufgaben betraut, diente er als Vermittler deutscher Kultur und Literatur unter der osteuropäischen jüdischen Jugend, für die er in Kowno das »Carlebach-Gymnasium i. E.« errichtete.
Lediglich seine einjährige Tätigkeit als Rabbiner in Lübeck 1920/21 unterbrach die achtzehn Jahre dauernde Lehrtätigkeit, die er mit der reformpädagogisch orientierten Leitung der Hamburger → Talmud Tora Realschule [38] (1921-1926) und der innovativen Gründung einer kaufmännischen Jeschiwa (jüdische Fachhochschule) abschloss. Seine sich anschließende Rabbinerlaufbahn führte ihn zunächst für zehn Jahre nach Altona und Schleswig-Holstein, 1936 dann nach Hamburg. In diesen Jahren entstanden wichtige literarische Werke – biblische, pädagogische, mathematische, geschichtliche und philosophische Themen umfassend – und zum Teil auch polemisch mutige Auseinandersetzungen mit aktuellen Zeitfragen. Immer wieder überraschte er seinen Leserkreis mit analysierenden Buchkritiken, in denen er seine umfassende Bildung dokumentierte. Gleichzeitig fand sich ein ungewöhnlich zahlreiches Publikum zu seinen Vorträgen über biblische Themen ein; die Hörer rekrutierten sich aus allen jüdischen und bis Ende 1935 auch aus nichtjüdischen Kreisen.
Während der letzten fünf Jahre, unter dem sich stets steigernden antijüdischen Druck der NS-Herrschaft, wirkte C. weit über Hamburg hinaus, bis er im Dezember 1941 gemeinsam mit seiner Familie und Teilen seiner Gemeinde deportiert wurde.
Im KZ Jungfernhof bei Riga hatte er seinen letzten Wirkungskreis: Nach allen erhaltenen Zeugenaussagen blieb er bis zu seiner Ermordung der mitfühlende Seelsorger für Jung und Alt, der ermutigende, tröstende Redner und selbst in den schwersten Situationen ein unvergesslicher Lehrer.
C. war eine komplexe, vielseitige Persönlichkeit, ein kämpferischer, überzeugter stolzer Jude auf allen seinen Wegen, nachsichtig und tolerant in seiner Bruderliebe, immer lehrend, immer kinder- und jugendbegeistert. Sein Weg wurde treu begleitet von seiner Frau Lotte, geb. Preuss, und seinen vier jüngsten Kindern, von denen nur der Sohn Salomon die Schoah überlebte.
Philosoph und Universitätslehrer, geb. 28.7.1874 Breslau, gest. 13.4.1945 New York
Der Philosoph C. gehörte bei der Gründung der Hamburgischen Universität im Jahre 1919 zur ersten Generation neu berufener Wissenschaftler, und er hat bis zu seinem geistesgegenwärtigen Abschied im März 1933 den wirkungsmächtigsten Teil seines Lebenswerkes in Hamburg erarbeitet. C., eines von sieben Kindern des Kaufmanns Eduard C. und seiner Frau Jenny (geb. Siegfried Cassirer), studierte nach dem Abitur im Frühjahr 1892 zunächst Jura in Berlin, dann Philosophie und Germanistik in Leipzig, Heidelberg und Berlin und ging schließlich auf Anraten von Georg Simmel nach Marburg. Dort wurde er von den beiden Neukantianern Hermann Cohen und Paul Natorp zu einer guten Kennerschaft der neuzeitlichen Erkenntnistheorie und des Kantischen Werkes herangebildet. Nach der Promotion 1899 mit einer Arbeit über Descartes kehrte er nach Berlin zurück. 1902 heiratete er seine Cousine Toni Bondy. Ernst und Toni C.. hatten drei Kinder: Heinz, Georg und Anne. 1906 habilitierte sich C. in Berlin mit dem ersten Teil seines großen Werkes über Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, dem schon 1907 der zweite, ebenso große Teil folgte. Nach 13 produktiven Berliner Jahren wurde der noch junge Privatdozent gleich nach ihrer offiziellen Gründung an die Hamburgische Universität berufen und leitete als ordentlicher Professor das Seminar für Philosophie. C. war nicht nur einer der größten Gelehrten, die Hamburg in seiner gesamten kurzen Universitätsgeschichte für sich zu gewinnen wusste, er gehörte auch zu den letzten Universalgelehrten des 20. Jahrhunderts. Aufgrund seiner gediegenen Kenntnisse in den Geisteswissenschaften wie in den Naturwissenschaften hat er auch ein Beispiel interdisziplinären Arbeitens gegeben. Für seine Hamburger Zeit ist dies durch eine Reihe fruchtbarer Kontakte zu den anderen Wissenschaften belegt: Die → Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg [41] (KBW) hatte C. bereits 1921 für seine Fragestellungen zu nutzen gelernt; eine Reihe von wichtigen Abhandlungen im Kontext seiner eigenen Philosophie ist aus Vorträgen in der KBW hervorgegangen. Die produktive Freundschaft mit → Aby Warburg [43] begann 1924. Für seine Philosophie der Sprache erwies sich sein Austausch mit → William und Clara Stern [64], für die grundlegende Dimension seiner Kulturphilosophie die gute Verbindung zum Institut für Umweltforschung und dessen Leiter Jakob von Uexküll als fruchtbar. C. entwickelte in diesem Kontext seine Philosophie der symbolischen Formen. Als C. 1928 einen Ruf an die Universität Frankfurt erhielt, schrieb Aby Warburg den legendären Artikel im Hamburger Fremdenblatt Warum Hamburg den Philosophen C. nicht verlieren darf. C. blieb und nahm die Einladung an, am 11. August 1928 bei der Verfassungsfeier des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg die Festrede zu halten. In seiner Rede über Die Idee der republikanischen Verfassung verteidigte er den klassischen politischen Liberalismus gegen völkische und antidemokratische Ressentiments. C. wurde im Juli 1929 zum Rektor der Universität gewählt. Von 1923 bis zu seiner → Emigration [16] im März 1933 amtierte C. zudem als zweiter Vorsitzender der 1919 gegründeten Religionswissenschaftlichen Gesellschaft in Hamburg, deren Ziele – zum Ausgleich für das Fehlen einer Theologischen Fakultät an der Hamburgischen Universität – die »Pflege religionswissenschaftlicher Studien« und die »Verbreitung religionswissenschaftlicher Kenntnisse« waren. Nach dem Januar 1933 gab es für Ernst und Toni C., die den → Antisemitismus [31] im universitären und städtischen Alltag der zwanziger Jahre erfahren hatten, kein Zögern in der Frage, was zu tun sei. Sie verließen Hamburg im März 1933 und waren so schon etwa einen Monat außer Landes, als am 7. April das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« in Kraft trat. Bereits zwei Tage zuvor hatte C. den Rektor um die Aufhebung aller Verpflichtungen ersucht. Im Juli 1933 wurde C. mit Wirkung zum 1. November in den Ruhestand versetzt. Seine Kollegen an der Universität haben ihn ohne Aufbegehren und Protest gehen lassen. Die Stationen seiner Emigration führten ihn über die Schweiz und England nach Schweden, wo ihm in Göteborg eine Professur angeboten wurde. 1939 wurde ihm die schwedische Staatsbürgerschaft verliehen; auf die deutsche verzichtete er. Nach seiner Emeritierung nahm er Gastprofessuren in den USA wahr – zuletzt in New York, wo er 1945 einem Herzleiden erlag.
Die ursprünglich aus Livorno stammende Familie C. gehörte im 19. und 20. Jahrhundert zu den einflussreichsten und aktivsten Hamburger Portugiesenfamilien. Der in einem Amsterdamer Waisenhaus aufgewachsene Jehuda de Mordechai C. (geb. 4.9.1808, gest. 11.3.1893) kam aus Amsterdam nach Hamburg, um 1827 als erst 19-Jähriger die Stelle eines Kantors und Lehrers an der kleinen → Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde [2] anzutreten.
Hier amtierte Jehuda C. bis zu seinem Tode, zeitweise auch als Rabbiner (Chacham) und als Administrator des Wohltätigkeitsvereins »Guemilut Hassadim«. 1854 veröffentlichte er unter dem Pseudonym Leon Quiros ein Lesebuch in spanischer Sprache (Colmena Española). Seinen Lebensunterhalt erwarb er sich aber vor allem als Sprachlehrer und Übersetzer. Das Übersetzungsbüro wurde später von seinem Sohn Isaac Haim C. und seinem Enkel Jehuda Leon C. bis 1933 erfolgreich fortgeführt. Isaac Haim C. (geb. 4.4.1848 Hamburg, gest. 30.1.1923 ebd.) wurde wiederholt in den Vorstand der Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde gewählt. Zwischen 1906 und 1920 übersetzte und veröffentlichte er wichtige Teile aus dem Protokollbuch der Portugiesen, musste aber auf Druck der Gemeinde kompromittierende Teile unübersetzt lassen. 1917 gab er eine hebräisch-deutsche Sammlung von Friedhofsandachten nach sephardischem Ritus heraus. Die von seinem Vater erworbene und von ihm fortgeführte bedeutende Büchersammlung sefardischer Drucke wurde 1974 von seinem Enkel Alfonso C. (geb. 26.11.1910 Hamburg, gest. 8.1.1990 Lissabon) an die Bibliotheca Rosenthaliana verkauft. Der Gerichtsdolmetscher Jehuda Leon C. (geb. 5.10.1878 Hamburg, gest. 19.9.1953 Venda Nova/Portugal) erwarb 1911 den Hamburger Bürgerbrief. Nach dem »Judenboykott« am 1. April 1933 verließ er mit seiner Familie Hamburg und emigrierte zunächst nach Amsterdam, später nach Porto. In Porto arbeitete Jehuda Leon C. an seinen mehrbändigen (unveröffentlichten) Erinnerungen, die einen Einblick in das jüdische Leben Hamburgs im Kaiserreich und in der Weimarer Republik vermitteln. Sein Sohn Alfonso C. (1910-1990) studierte in Hamburg Romanistik und bereitete Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts eine (unvollendete) Dissertation über den Portugiesenfriedhof an der Königstraße (100) vor. Er emigrierte 1933 mit seinen Eltern nach Portugal und arbeitete zunächst als Hebräischlehrer an der Jüdischen Gemeinde von Porto, später als Fabrikant und Buchhändler in Lissabon.
Die ursprünglich aus Spanien stammende Familie de C. (jüdischer Name: Na[h]mias) gehörte zu den ersten iberischen Neuchristen, die sich Ende des 16. Jahrhunderts in Hamburg niederließen. Wie viele ihrer Vorfahren, die als Leibärzte portugiesischer Könige und kirchlicher Würdenträger hohes Ansehen genossen hatten, übten auch die Hamburger de C. den Beruf des Mediziners aus.
Das erste Hamburger Mitglied dieser berühmten Arztfamilie war Rodrigo de C. (David Na[h]mias) (geb. um 1550 Lissabon, gest. 1.2.1627 Hamburg), der vermutlich in Antwerpen zum Judentum zurückkehrte. Gegen 1592 kam er nach Hamburg und eröffnete in der Nähe der Petrikirche seine Praxis, die rasch Anerkennung auch über die Hamburger Landesgrenzen hinaus fand. Er wurde Leibarzt des Königs von Dänemark, des Erzbischofs von Bremen, der Herzöge von Holstein und Mecklenburg, des Landgrafen von Hessen sowie angesehener Hamburger Bürger. Bei der Gründung der Hamburger Bank – nach Venedig und Amsterdam die älteste europäische Girobank – gehörte er zu den ersten Einlegern. Seinen hohen sozialen Status und seinen Anspruch auf Anerkennung belegt der Bericht eines Hamburger Chronisten aus dem Jahr 1611, der schreibt, dass dieser portugiesische Arzt »wie die andern Christendoctoren« selbstbewusst mit Rock, Wollkragen sowie hohem Samthut auftrat. Sein wohl berühmtester Sohn war Benedictus/Benedito de C. (Baruch Na[h]mias) (geb. um 1597 Hamburg, gest. 31.1.1684 ebd.). Nach dem Besuch des Akademischen Gymnasiums in Hamburg begann er ein Medizinstudium an der Universität Franeker, das er 1624 mit der Promotion abschloss. Wenig später ließ er sich als praktischer Arzt in Hamburg nieder, wo er bald in hohem Ansehen stand. Trotz oder gerade wegen seiner großen Erfolge wurde de C. immer wieder von seinen christlichen Kollegen und der lutherischen Geistlichkeit in Hamburg verleumdet. Auf diese Angriffe antwortete er 1631 mit der apologetischen Schrift Flagellum calumniantium, die er unter dem Pseudonym Philotheo Castello veröffentlichte. 1652 unterzeichnete de C. die Gründungsvereinbarung der → Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde [2] Bet Israel. Zwei Jahre später wurde er in den Vorstand gewählt und bekleidete später weitere Ehrenämter. 1666 gehörte er zu den aktivsten Anhängern des selbsternannten Messias Sabbatai Zwi. In seinen letzten Lebensjahren geriet er in wirtschaftliche Schwierigkeiten, so dass er sich genötigt sah, seine bedeutende Bibliothek zu verkaufen.
Rabbiner und Philologe, geb. um 1602 Hamburg, Amsterdam oder Lissabon, gest. 20.10.1674 Hamburg
Der noch immer in seiner wissenschaftlichen Bedeutung verkannte C. zählte zu den bedeutendsten sefardischen Philologen des 17. Jahrhunderts. Nach einem Studium am Amsterdamer Rabbinerseminar lebte C. längere Zeit in Amsterdam und Leiden, bevor er 1627 Rabbiner in Hamburg wurde. In der Hansestadt erlangte er als Sprachforscher und Übersetzer rasch überregionale Berühmtheit. Seine Arbeiten wurden auch von christlichen Hebraisten gelesen, und Hamburger Lutheraner schätzen ihn trotz ihrer erklärt antijüdischen Haltung als Autor und Gesprächspartner. Seit etwa 1639 amtierte C. als Rabbiner der Hamburger Kongregation Neve Salom, um nach deren Zusammenschluss mit den übrigen zwei portugiesisch-jüdischen Gemeinden im Jahre 1652 zum religiösen Oberhaupt der Einheitsgemeinde Bet Israel gewählt zu werden. 1668 erschien in Hamburg sein (unvollendetes) talmudisches Wörterbuch Keter Kehunna, dessen Druck durch die Subskription überwiegend christlicher Hebraisten oder Theologen ermöglicht wurde und das zu den größten Leistungen der rabbinischen Lexikographie des 17. Jahrhunderts zählt. Nach der überraschenden Berufung des venezianischen Gelehrten Isaac Jessurun zum Oberrabbiner verließ C. 1656 enttäuscht Hamburg, kehrte jedoch nach Jessuruns Tod 1665 in die Hansestadt zurück. Seine Hoffnung, die nun vakante Stellung zu erhalten, erfüllte sich nicht, da Mose Israel ihm als Oberrabbiner vorgezogen wurde. 1666 kam es auf dem Höhepunkt der sabbatianischen Bewegung zum Bruch mit der Hamburger Gemeinde, deren Begeisterung für den selbsternannten Messias Sabbatai Zwi C. vehement kritisierte. Aus Holland, wo er die nächsten Jahre verbrachte, kehrte er erst kurz vor seinem Tode in die Elbmetropole zurück.
Kaufmann und Zionist, geb. 17.2.1830 Hamburg, gest. 10.12.1906 Hamburg
C. ging mit 18 Jahren als Kaufmann nach Südafrika und wurde englischer Staatsbürger. 1869 übersiedelte er nach Manchester, 1879 kehrte er als Privatier nach Hamburg zurück. Die Lektüre von George Eliots Roman Daniel Deronda (1876 erschienen), der für einen jüdischen Staat in Palästina eintritt, inspirierte C. zu eigenen Überlegungen zur politischen Situation des europäischen Judentums. 1881 begann C. mit seinen Aufzeichnungen über Die Judenfrage und die Zukunft, deren erster Teil im Laufe der achtziger Jahre verfasst wurde. 1891 arbeitete C. im Hamburger Comité zur Hilfe der aus Russland geflüchteten Juden mit. Über diese Erfahrungen berichtete er dann im zweiten Teil der Judenfrage, die 1891 erstmals als Privatdruck erschien. C. schrieb 1897 nach seiner Bekanntschaft mit Theodor Herzl ein Nachwort für seine Broschüre und veröffentlichte sie ein zweites Mal als Privatdruck. Seine Vision eines politisch selbstbestimmten jüdischen Volkes, seine ungeschminkte Darstellung des Pogromelends der osteuropäischen Juden sowie seine drastische Schilderung der Assimilationsbestrebungen seiner jüdischen Zeitgenossen legen ein eindrucksvolles Zeugnis von der geistigen Vitalität des Frühzionismus ab. 1899 gehörte C. zu den Mitbegründern der Zionistischen Ortsgruppe in Hamburg-Altona (→ Zionismus [45]), deren Ehrenpräsident er später wurde. Die zweite von C. als Privatdruck veröffentlichte Schrift Drei Stadien, 1885 geschrieben und 1906 gedruckt, ist eine Erzählung in Briefform, die die allmähliche Abwendung einer Familie von ihrem Judentum und die Assimilation an die deutsche und christliche Welt schildert. Sie bildet eine Illustration der Kritikpunkte am deutschen Judentum, die Cohen in der Judenfrage bereits vorgebracht hatte.
(auch: Carl) Kaufmann und Politiker, geb. 19.11.1857 Neustrelitz, gest. 7.5.1931 Hamburg
C., Sohn eines Rechtsanwaltes im mecklenburgischen Neustrelitz, gehörte neben → Louis Gruenwaldt [65] zu den ersten Juden, die in den Senat der Hansestadt gewählt wurden. 1877 war C. als Kaufmannslehrling in die Handelsfirma Lippert in Hamburg eingetreten. Im Rahmen seiner Ausbildung hatte er Reisen nach England, Schottland und Südafrika unternommen, bis er 1883 nach Hamburg zurückkehrte und hier eine eigene Firma »Arnold & Cohn« gründete, die zu einem der wichtigsten internationalen Handelsunternehmen Hamburgs aufstieg. Außer in der Firmenleitung war er zunächst auch als Handelsrichter tätig, später saß er auch im Aufsichtsrat der Hamburger Wasserwerke und der Hamburgischen Elektrizitätswerke. Ehrenamtlich engagierte sich C. u. a. im Armenkollegium der Stadt. Von 1913 bis 1927 war er Mitglied der Bürgerschaft, zunächst für die Vereinigten Liberalen, nach 1918 dann für die Deutsche Demokratische Partei (DDP). Im März 1921 wurde C. in den von Sozialdemokraten und DDP gestellten Senat gewählt. Als Präses der Finanzbehörde verwaltete er zusammen mit Staatsrat → Leo Lippmann [66] den Staatshaushalt. C. genoss bei allen Fraktionen der Bürgerschaft und in der Kaufmannschaft hohes Ansehen, auch weil er seine unternehmerischen Talente mit sozialem Engagement verband. 1929 wurde C. von seiner eigenen Fraktion zum Rückzug gezwungen, zum Teil auch deshalb, weil seine Finanzpolitik innerhalb des Senats in die Kritik geraten war. C. unterstützte in der Weimarer Republik den Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens und übernahm auch ehrenamtliche Aufgaben für die → Deutsch-Israelitische Gemeinde, so beispielsweise 1925 als Mitglied einer Kommission für die Wahl eines neuen Oberrabbiners.
Arzt und Funktionär, geb. 22.12.1889 Hamburg, gest. 23.11.1962 München
C. legte 1908 in Hamburg sein Abitur ab, studierte Medizin in Heidelberg und München und erhielt 1914 seine Approbation. Nach einer Assistenzzeit an der Frauenklinik in Stuttgart diente er als Sanitätsoffizier, arbeitete von 1920 bis 1927 als Landarzt in Weil und avancierte 1930 zum Leiter des pathologischen und neuropathologischen Instituts am Hufeland-Hospital in Berlin. Wegen seiner jüdischen Herkunft 1933 entlassen, kehrte der (getaufte) Mediziner nach Hamburg zurück. Von 1936 bis zur Aberkennung der Approbation 1938 arbeitete er als Prosektor am Jüdischen Krankenhaus. Ab Dezember 1940 leitete er als »Krankenbehandler« dort die Frauenstation, die Chirurgische Abteilung und übernahm schließlich die Leitung der Klinik. C.s zweite Ehe mit einer Nichtjüdin galt als »privilegierte« Mischehe, weil ihr eine 1940 geborene Tochter entstammte. Im Juni 1943 begleitete C. einen Transport nach Theresienstadt, wurde von der SS festgehalten und kam erst nach Intervention der Hamburger Gestapo wieder frei. Kurz darauf setzte diese ihn als »Vertrauensmann« der Rest-Reichsvereinigung ein. Als solcher unterstand C. der Gestapo direkt und zeichnete verantwortlich für alle Angelegenheiten, die die in → Mischehe [67] lebenden Hamburger Juden betrafen. Obwohl er als »Vertrauensmann« umstritten war und aus diesem Grund 1946 die Leitung des Krankenhauses niederlegen musste, ist es doch wesentlich sein Verdienst, dass die »Krankenstation« nach den schweren Luftangriffen im Sommer 1943 ihre Arbeit wieder aufnehmen und bis zum Kriegsende fortführen konnte. C. und → Max Heinemann [68] erreichten es im Februar 1945, als die Mischehepartner deportiert werden sollten, dass ärztliche Atteste zur Rückstellung vom vorgeblichen »auswärtigen Arbeitseinsatz« führten. Nach dem Krieg geriet C. in die Schlagzeilen der Hamburger Presse, als ihn seine Ehefrau, von der er sich trennen wollte, wegen Freiheitsberaubung durch Psychiatrieeinweisung verklagte. In einem aufsehenerregenden Prozess wurde er freigesprochen. C. praktizierte von 1947 bis 1956 als Allgemeinmediziner in Hamburg und verzog 1958 nach München.
Kaufmann und Häretiker, geb. 1583/1584 Porto, gest. April 1640 Amsterdam
C. wurde als Kind eines (alt)katholischen Vaters und einer judaisierenden Mutter geboren. Vom Katholizismus enttäuscht, wandte er sich der jüdischen Religion zu. 1614 ließ er sich zunächst in Amsterdam nieder, wo er sich offen zum Judentum bekannte. Zwischen 1615 und 1616 hielt er sich mehrfach in Venedig und Hamburg auf, um mehr über die jüdische Tradition zu erfahren. In Amsterdam, Hamburg und in der Neuen Welt betätigte sich die Familie erfolgreich im Zuckerhandel. Vielleicht bedingt durch die engen Geschäftskontakte zu seinem in Hamburg lebenden Bruder Miguel Esteves de Pina (alias Mordechai Israel da Costa) ließ sich C. vor 1616 mit seiner Mutter, seinem Bruder Jácome (alias Abraham), seiner Frau Francisca de Crasto und seiner Schwägerin Iuana Esteves de Pina für längere Zeit in Hamburg nieder. Hier verfasste er 1616 den polemischen Traktat Überlegungen zur Tradition (Propostas contra a tradição), in dem er die Unterschiede zwischen der schriftlichen und der mündlichen Lehre festhielt, denn statt der ursprünglichen Religion der Bibel fand er eine Religion voll unwichtiger Vorschriften und Regeln. Er kam zum Schluss, dass weder die jüdische noch die christliche Religion ewige Wahrheiten besäßen, sie seien lediglich Glaubensüberzeugungen, Meinungen und Vorschriften, die sich aus menschlichen Bedürfnissen und sich wandelnden Umständen entwickelt hätten und daher wesentlich Menschenwerk seien. Im August 1618 sprachen die Gemeinden von Venedig und Hamburg den Bann über ihn aus. 1622 verfasste C. in Hamburg den Traktat von der Sterblichkeit der Seele (Sobre a mortalidade da alma do homem) und wenig später 1624 seine Schrift Prüfung der pharisäischen Tradition (Examen das tradições farisaicas), in dem er wiederum seine Kritik an der mündlichen Lehre formulierte und überdies die Unsterblichkeit der Seele leugnete. Bereits im Mai 1623 war C. von der Amsterdamer Portugiesengemeinde erneut mit dem Bann belegt worden. Nach Jahren des Elends und der Isolation widerrief er schließlich öffentlich seine Thesen von der Sterblichkeit der Seele. Nach einem entwürdigenden Züchtigungsritual schrieb er 1640 seine Autobiographie Beispiel eines menschlichen Lebens (Exemplar humane vitae), bevor er entmutigt und gebrochen Selbstmord beging.
(auch: Duarte Nunes da Costa), Kaufmann, geb. 26.9.1587 Lissabon, gest. 3.4.1664 Hamburg
C., dessen Familie im 17. und 18. Jahrhundert zu den angesehensten Portugiesenfamilien in Nordwesteuropa gehörte, übersiedelte 1621 aus Portugal nach Amsterdam. Nach einem kurzen Aufenthalt in → Glückstadt [1] ließ er sich ab 1627 dauerhaft in Hamburg nieder. Hier vertrat er zunächst als Resident die spanische, später die portugiesische Krone. Von 1636 bis 1639 rüstete er die spanische Kriegs- und Silberflotte in Andalusien sowie die spanische Armee in den südlichen Niederlanden aus. Nach der Wiedererrichtung des portugiesischen Königreichs 1640 vertrat er für einige Jahre Portugal inoffiziell als chargé d’affaires in Deutschland. 1645 wurde er offiziell Portugals Agent und Munitionslieferant der Krone. Als es ihm in den vierziger Jahren des 17. Jahrhunderts gelang, die Freigabe Hamburger Waren in Portugal zu erreichen, wurde er vom Rat für die Dauer seines Lebens von allen städtischen Abgaben befreit. Nachdem er 1647 eine große Kostenerstattung aus Lissabon erhalten hatte, bezog C. ein imposantes neues Haus auf dem Krayenkamp. 1652 unterzeichnete C. die Gründungsvereinbarung der sefardischen Gemeinde Bet Israel. Der Amsterdamer Zweig der Familie C. bestand bis gegen 1790. Gabriel Nunes da Costa, der letzte jüdische Spross der Hamburger C.s, wurde 1797 Mitglied der aschkenasischen Gemeinde.
Personen und Themen mit D
Rechtsanwalt, geb. 4.10.1878 Hamburg, gest. 13.4.1949 Haifa
D. entstammte einer orthodoxen jüdischen Familie. Nach dem Abitur am Wilhelmgymnasium studierte D. an mehreren Universitäten Jura. Im Mai 1903 legte er das erste juristische Examen in Kiel ab. Nach dem Bestehen der zweiten juristischen Staatsprüfung vor dem Hamburger Oberlandesgericht wurde er im Januar 1907 als Rechtsanwalt zugelassen. Bereits neunzehnjährig war D. unter dem Einfluss des Ersten Zionistischen Weltkongresses 1897 dieser Bewegung beigetreten und vertrat fortan die orthodox-zionistische Richtung, die sich seit 1902 im Misrachi organisierte. 1920 wurde er in das Repräsentanten-Kollegium und 1923 erstmals in den Vorstand der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde gewählt. Von 1934 bis zum Dezember 1938, als die Gestapo den Vorstand durch einen ihr verantwortlichen alleinigen Geschäftsführer ersetzte, war er der Vorsitzende des Gemeindevorstandes. Er verkörperte damit die Kontinuität der Gemeinde von der Weimarer Republik bis zu ihrem Ende als selbstverfasste Organisation. Als ein Mann des Ausgleichs und wegen seines Verständnisses für die Sorgen und Bedürfnisse der Gemeindemitglieder genoss er großes Ansehen und Popularität. Mit dem Oberrabbiner → Joseph Carlebach [69] verband ihn ein vertrauensvolles Verhältnis. Schwerpunkt seiner Tätigkeit für die Gemeinde waren die sozialkaritativen Bereiche. Am Tag nach der Reichspogromnacht wurde er verhaftet und in das KZ Sachsenhausen deportiert. Nach seiner Entlassung Anfang Dezember 1938 bereitete er die bis dahin immer wieder zurückgestellte → Emigration [16] vor. Anfang Januar 1939 reiste er mit seiner jüngsten Tochter – sein Sohn war im Alter von 17 Jahren 1930 und seine Frau 1937 gestorben, seine ältere Tochter war bereits 1938 ausgewandert – zunächst in die Niederlande. Von dort aus gelangte er im Herbst 1939 nach Palästina, wo er seine letzten Lebensjahre verbrachte.
Verwaltungsbeamtin, geb. 2.12.1892 Berlin, gest. 30.10.1944 Auschwitz
D. wurde als Tochter eines Kaufmannes in Berlin geboren. Die Familie siedelte später nach Altona über. D., die selbst in engen wirtschaftlichen Verhältnissen aufwuchs, engagierte sich in der praktischen und politischen Wohlfahrtsarbeit und trat in das 1921 gegründete Wohlfahrtsamt Hamburg ein. Im Sommer 1927 wurde sie zur Inspektorin ernannt und rückte zur stellvertretenden Leiterin einer örtlichen Dienststelle auf. Im November 1930 vertraute ihr die Behördenleitung die Führung der neuen Wohlfahrtsstelle in Barmbek-Nord an, einem Brennpunkt staatlicher Sozialpolitik. 1932 noch zur Oberinspektorin befördert, wurde D. wenige Monate nach der nationalsozialistischen Machtübernahme formlos entlassen. Sie arbeitete danach in der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [70] in Hamburg zunächst in der Beratungsstelle für jüdische Wirtschaftshilfe, später leitete sie die Abteilung Auswandererwirtschaftshilfe und war zugleich Stellvertreterin des Leiters der Hauptabteilung Fürsorgewesen, → Alberto Jonas [71]. Im Herbst 1939 übernahm sie die Arbeiten zur Zwangsüberleitung der gesamten öffentlichen Fürsorge für Juden auf den → Jüdischen Religionsverband [23]. Nach Auflösung aller jüdischen Organisationen wurden die letzten Angestellten des Jüdischen Religionsverbandes in Hamburg am 23. Juni 1943 nach Theresienstadt deportiert, darunter befanden sich auch D., ihre jüngere Schwester Irma Zancker sowie ihre seit 1929 verwitwete Mutter Martha. Nach Einsätzen in verschiedenen Arbeitskolonnen wurde D. in der jüdischen Lagerselbstverwaltung tätig. Die drei David-Frauen lebten unter erbärmlichen Verhältnissen zunächst in einer Art Hamburger Gemeinschaft, aus der sie herausgerissen wurden, als D. in den Prominentenstatus erhoben wurde. Im Herbst 1944 starb die asthmakranke Martha, vierzehn Tage später, am 28. Oktober 1944, wurden D. und ihre Schwester Irma nach Auschwitz deportiert und sofort ermordet. Im Jahre 1964 benannte der Hamburger Senat im Stadtteil Lohbrügge eine Straße nach D.
Maler, Grafiker, Bühnenbildner, geb. 13.2. 1890 Bromberg, gest. 4.2.1933 Hamburg
Seine Ausbildung zum Maler und Bühnenbildner absolvierte D. vermutlich an der Dresdener Kunstgewerbeschule. Direkt nach dem Studium musste er als Soldat in Holland, Belgien und Frankreich den Ersten Weltkrieg erleben. Anschließend ließ er sich in Hamburg nieder, wo er als Bühnenbildner am Stadttheater (der heutigen Oper) wirkte und 1919 maßgeblich an der Gründung der avantgardistischen Künstlergruppe Hamburgische Sezession beteiligt war. Darüber hinaus engagierte sich D. im Verein Hamburger Künstlerfest, deren Schatzmeister er war. Dieser Verein organisierte in den zwanziger Jahren die legendären Künstlerfeste »Götzenpauke«, »Der siebente Kreisel« und »Curioser Circus«. Auch D.s Privatwohnung in der Rothenbaumchaussee war ein häufiger Treffpunkt der Hamburger Avantgarde. Durch sein künstlerisches Schaffen und sein kulturelles Engagement gehörte er in den zwanziger Jahren zu den bekanntesten Persönlichkeiten der Stadt. Zwei Motivgruppen bestimmen das freie künstlerische Werk D.s: zum einen Eindrücke von Großstädten und Landschaften in Italien, Spanien und den Ländern, die er schon während des Krieges kennen gelernt hatte und die er in den zwanziger Jahren erneut bereiste, zum anderen Hamburger Themen wie zum Beispiel der Hafen. Da D. seine Werke nur selten datierte und das überlieferte Œuvre vollständig in seiner prägnanten Handschrift und auf einem durchgängig hohen Niveau gestaltet ist, ist eine chronologische Zuordnung der einzelnen Bilder zu verschiedenen Werkphasen heute unmöglich. Sein Werk ist ungewöhnlich geschlossen. Werke von D. sind in der Hamburger Kunsthalle und im Museum für Kunst und Gewerbe ausgestellt.
geb. Coblenz, Künstler-Muse, geb. 14.1.1870 Bingen, gest. 29.9.1942 Hamburg
D., Tochter eines Weingutbesitzers, besuchte zuerst eine Privatschule, nach dem Tod der Mutter wechselte sie auf ein Mädchenpensionat in Brüssel, wo sie zum ersten Mal antisemitischen Vorurteilen begegnete. Sie entdeckte früh ihr Interesse für Literatur und Musik, stieß damit in ihrer Familie jedoch auf Unverständnis und musste zudem erkennen, dass ihre Talente für einen künstlerischen Beruf nicht ausreichten. So verlegte sie sich zunehmend auf die Förderung anderer Künstlerinnen und Künstler. Ihr Vater drängte Ida zu einer Heirat mit dem in Berlin lebenden Kaufmann Leopold Auerbach. Die Ehe, aus der ein Sohn hervorging, hielt jedoch nur kurze Zeit. In zweiter Ehe seit 1901 mit dem Dichter Richard Dehmel verheiratet, zog sie nach Hamburg, wo es ihr gelang, Künstlerinnen und Künstler um sich zu scharen. Im Vordergrund stand die Rolle als fürsorgliche Dichter-Gattin, aber sie betätigte sich auch kunsthandwerklich und zunehmend gesellschaftspolitisch. So gründete sie 1906 den Hamburger Frauenclub, engagierte sich für das Frauenstimmrecht, rief 1913 den Bund Niederdeutscher Künstlerinnen ins Leben und wurde Vorsitzende des Frauenbundes zur Förderung Deutscher Bildender Kunst. 1926 gründete sie die Gemeinschaft Deutscher und Österreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen (GEDOK). Nachdem ihr Sohn aus erster Ehe im Ersten Weltkrieg fiel und ihr Mann an den Folgen einer Kriegsverletzung 1920 starb, verstärkte D. ihr kulturelles Engagement, bis sie 1933 von den Nationalsozialisten gezwungen wurde, alle Ämter niederzulegen. Fortan lebte sie zurückgezogen im Dehmel-Haus, Hamburg-Blankenese. 1937 trat D. in die evangelisch-reformierte Kirchengemeinde ein. Mit zunehmender Gefährdung und gesundheitlichen Problemen sank jedoch ihr Lebenswille, sodass sie schließlich den Freitod wählte.
Im Oktober 1938 wurden ca. 17.000 polnischstämmige Juden, davon 1.000 aus Hamburg, nach Polen oder ins Niemandsland zwischen den Grenzen abgeschoben. Drei Jahre später begannen die systematischen D. der Juden aus Deutschland. Hamburgs Gauleiter Karl Kaufmann hatte im September 1941 an Hitler appelliert, die Hamburger Juden abzuschieben, und kurz darauf vergeblich auf eigene Faust versucht, vier größere Transporte ins Generalgouvernement zu schicken. Zu diesem Zeitpunkt lebten noch 7.547 Juden in Hamburg.
Eine Vielzahl von Institutionen war in die D. involviert: Gestapo, Polizei, die Oberfinanzbehörde, das Wohnungs- und das Ernährungsamt, die Sonderdienststelle des Arbeitsamtes und andere. Sie regelten die finanzielle Ausplünderung der zu Deportierenden, die Sicherstellung ihrer beweglichen Habe zugunsten der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt und die Neuvergabe ihrer Wohnungen. Ca. 10.000 Hamburger Juden fielen dem Holocaust zum Opfer. Mit 17 Transporten wurden zwischen Oktober 1941 und Februar 1945 insgesamt 5.848 Personen aus Hamburg deportiert, von denen 5.296 ermordet wurden. Weitere 319 Personen wählten den Freitod, 140 Juden fielen der »Euthanasie-Aktion« zum Opfer. Ca. 700 in westliche Nachbarländer ausgewanderte Personen wurden von dort deportiert, während Nachweise über die Anzahl der in osteuropäische Länder Geflüchteten weitgehend fehlen. Am 25. Oktober 1941 wurden 1.034 Personen nach Lodz (Litzmannstadt) deportiert, die fast alle den Tod fanden. Am 8. und 18. November 1941 verließen 968 und 407 Personen Hamburg Richtung Minsk, es überlebten weniger als 20 Personen. Am 6. Dezember 1941 folgten 753 Juden dem Deportationsbefehl nach Riga. Damit war fast die Hälfte der Hamburger Juden innerhalb von drei Monaten »abgewandert«. Bis zu diesem Zeitpunkt existierte zwar die Absicht, die reichsdeutschen Juden in Ghettos im Osten zu konzentrieren und ihren Tod durch die dortigen Arbeits- und Lebensbedingungen billigend in Kauf zu nehmen, doch bestand noch keine verbindliche Klarheit über das ihnen letztlich zugedachte Schicksal. In den Ghettos Minsk und Riga wurden die einheimischen Juden erschossen, um Platz für die reichsdeutschen Juden zu schaffen, die ihrerseits ab 1942, als das Mordprogramm dann systematisch betrieben wurde, mit Gaswagen oder in Vernichtungslagern getötet wurden. Die Hamburger Bezirksstelle der Reichsvereinigung der Juden versuchte mittels Postsendungen und Geldanweisungen mit den Deportierten in Kontakt zu bleiben bzw. deren Weg zu verfolgen. Nach sechsmonatiger Pause wurden die Transporte aus Hamburg im Juli 1942 wieder aufgenommen. Bei »Osttransporten« erwartete die Betroffenen nun der Tod, während die Überlebenschancen im Ghetto Theresienstadt, das als »Vorzugslager« für Prominente, für im Ersten Weltkrieg Ausgezeichnete und Juden aus aufgelösten Mischehen sowie als »Altersghetto« galt, größer waren. Doch auch hier starben Tausende durch Krankheit und Hunger oder wurden in Vernichtungslager weitertransportiert. Nur 50 bis 80 meist in → Mischehen [67] lebende Juden entzogen sich der Aufforderung zum Transport durch Untertauchen.
Komponist, geb. 19.12.1894 Hamburg, gest. 28.6.1979 Königs Wusterhausen bei Berlin
D.s Urgroßvater und Großvater waren Kantoren in der Israelitischen Gemeinde in Hamburg. Der Vater Sally Dessau war Tabakhändler; er lebte mit seiner zweiten Frau Louise, geb. Burchard, und dem einzigen Sohn Paul in bescheidenen Verhältnissen in Hamburg, teils im Hafenviertel, teils am → Grindel [33]. Von Verwandten unterstützt, erhielt D. früh Geigenunterricht, beschritt dann aber die Kapellmeisterlaufbahn, zunächst 1912 am Hamburger Stadttheater, nach dem Krieg u. a. am Stadttheater in Köln (bei Otto Klemperer) und 1925/26 an der Städtischen Oper in Berlin (bei Bruno Walter). Gleichzeitig begann D. zu komponieren, worin er bald seine eigentliche Berufung erkannte. Neben der 1. Sinfonie (über eine Phrase aus der traditionellen Kol-Nidre-Melodie) entstand auch ein Adon Olam für Kantor mit Männerchor und Orchester für den synagogalen Gebrauch. 1933 floh D. überstürzt nach Paris (→ Emigration [16]). Sein Hauptwerk im französischen Exil ist die große Pessach-Haggada für gemischten Chor, Kinderchor, Soli und Orchester auf einen Text von Max Brod. Die zweite Phase seines Exils ab 1939 verbrachte D. in den USA. Hier entstanden mehrere Vokalwerke, darunter ein Wajechulu und ein Hawel Hawalim. In künstlerischer Hinsicht tritt die dodekaphone Vertonung des 126. Psalms (Beschuw Adonaj) hervor. Seit seinem Kontakt mit Bertolt Brecht (1943) und nach seiner Remigration (1948) schuf D. als überzeugter Bürger der DDR noch viele Werke (darunter fünf Opern), in denen aber kaum noch jüdische Themen vorkommen. Bei seinen häufigen Reisen von Berlin nach Hamburg versäumte er nie, das Grab seines Vaters auf dem jüdischen → Friedhof [34] in Ohlsdorf zu besuchen. Seine Mutter ist 1942 in Theresienstadt umgekommen. Die Stadt Hamburg ehrt D. mit einer Gedenktafel in der Nähe seines im Krieg zerstörten Geburtshauses am Hohlen Weg sowie mit der Paul-Dessau-Straße in Bahrenfeld.
Die »Deutsch-Israelische Gesellschaft e.V.« wurde 1966, ein Jahr nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Israel, in Berlin gegründet. Die vorhergehenden Initiativen der »Friedensbitte an Israel« durch Persönlichkeiten wie Erich Lüth und Rudolf Küstermann gaben die wesentlichen Impulse zur Gründung.
»Die Aufgabe unserer Gesellschaft ist es, die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel in allen Fragen des öffentlichen und kulturellen Lebens zu vertiefen. Die Gesellschaft dient der Förderung internationaler Verbundenheit, der Toleranz und der Verständigung der Völker, insbesondere im Nahen Osten.« Organisatorisch arbeitet die D. in 50 regionalen Arbeitsgemeinschaften. Die Hamburger Gruppe wurde am 9. April 1975 unter Beteiligung von → Herbert Weichmann [74] gegründet. Eduard Prosch (MdB) übernahm den Vorsitz. Hamburg hat sich mit über 500 Mitgliedern zur größten Gruppe entwickelt. Die D. in Hamburg hat es sich als überparteiliche und überreligiöse Organisation zur Aufgabe gemacht, die angeführten Grundsätze mit dem Staat Israel und seinen Bürgern zu praktizieren, also mit Leben zu füllen. Kulturelle und politische Beziehungen werden durch regelmäßige Veranstaltungen gefördert und lassen auch persönliche Kontakte mit Israelis, zum Beispiel durch gegenseitige Besuchsreisen, entstehen, die zur Völkerverständigung beitragen. Die D. möchte ein Klima des gegenseitigen Vertrauens schaffen, das nicht nur dem Vergessen und Verdrängen der Vergangenheit entgegenwirkt, sondern auch aufkeimendem → Antisemitismus [31] den Boden entzieht. Weiterhin will die D. Solidarität mit Israel und seinen Menschen zeigen sowie eintreten für die Lebensrechte in einem sicheren jüdischen Staat. In Israel arbeitet die D. mit ihrer Partnergesellschaft, der Israelisch-Deutschen Gesellschaft, zusammen. Die Hamburger Gruppe gibt vierteljährlich eine Zeitung heraus, die DIG informativ. Ihre Mitglieder treffen sich in Gesprächskreisen und Arbeitsgruppen, im »Jugendforum« versammeln sich Mitglieder bis zum Alter von 35 Jahren.
Die D. zu Hamburg entstand als selbständige jüdische Gemeinde nach Auflösung der → Dreigemeinde AHW [9] (Altona, Hamburg, → Wandsbek [20]) im April 1812. Mit etwa 6.300 aschkenasischen Juden war die DIG, wie sich die Gemeinde seit 1821 nannte, zu dieser Zeit die größte jüdische Gemeinschaft in Deutschland.
Nach dem Ende der Franzosenzeit (1811-1814), in der es für die Hamburger Juden eine volle rechtliche Gleichstellung gegeben hatte, setzte der Rat der Stadt Hamburg wieder das Judenreglement von 1710 in Kraft. Die Stadt sah die D. als Zwangsgemeinde an, der jeder in Hamburg ansässige Jude angehören musste. Nach dem Großen Brand von 1842 wurden Beschränkungen für Juden hinsichtlich des Erwerbs von Grundeigentum und der Wahl der Wohngegend beseitigt. Der Rat der Stadt setzte die Grundfreiheiten der Paulskirchenverfassung von 1848 durch eine eigene Verordnung vom Februar 1849 in innerstädtisches Recht um. Hamburger Juden konnten nunmehr das Bürgerrecht erwerben. Die Hamburger Verfassung von 1860 begründete dann eine umfassende rechtliche → Emanzipation [11]. Das Gesetz von 1864 »betreffend die Verhältnisse der hiesigen israelitischen Gemeinden« beendete das Parochialsystem. Die Gemeinde konnte sich nur noch auf eine freiwillige Mitgliedschaft stützen. Bei der ersten Gemeindewahl 1865 wurden neun liberale und sechs orthodoxe Repräsentanten gewählt. Die D. mit jetzt etwa 14.000 Angehörigen drohte auseinander zu brechen. Erst nach zähen Verhandlungen und unter schiedsrichterlicher Hilfe des Senats konnte ein Kompromiss gefunden werden. Mit dem so genannten Hamburger System wurde – erstmals in Deutschland – in dem Gemeindestatut von 1867 eine innerjüdische Toleranzverfassung entworfen. Im Sinne eines föderativen Systems wurden unter dem organisatorischen Dach einer gemeinsamen Gemeinde zwei, später drei selbständige Kultusverbände gebildet. Die Gemeinde hatte das Schul- und Erziehungswesen, das allgemeine Wohlfahrtswesen, das Begräbniswesen, die eigene Beitragshoheit und Finanzverwaltung sowie die Vertretung der Gemeindeangelegenheiten nach außen wahrzunehmen. Es stand jedem Gemeindemitglied frei, sich einem der Kultusverbände oder nur diesem anzuschließen. Als Kultusverband waren der orthodox geführte Deutsch-Israelitische → Synagogenverband [76] (SV), der liberal orientierte Israelitische → Tempelverband [39] (TV) und die 1894 gegründete → Neue Dammtor-Synagoge [77] (NDS) (47), die einem gemäßigt konservativen Ritus folgte, anerkannt. Zahlreiche Kommissionen der übergeordneten Gemeinde hatten zum Ziel, eine innerjüdische Integration auf unterschiedlichen Ebenen zu erreichen. Im Kaiserreich dürften der SV etwa 1.200, der TV zwischen 600 bis 700 und die NDS um die 350 Mitglieder gehabt haben. Die Mehrheit der Gemeindemitglieder war allerdings keinem der Kultusverbände zugeordnet.
Die D. veränderte sich in der Zeit der Weimarer Republik. Die Gemeinde hatte jetzt etwa 20.000 Angehörige. Das entsprach einem Anteil von 1,73 Prozent der Hamburger Gesamtbevölkerung. Damit verfügte Hamburg nach Berlin, Breslau und Frankfurt a. M. über die viertgrößte jüdische Gemeinschaft in Deutschland. Diese Großgemeinde wurde durch Vorstand, Repräsentanten-Kollegium und zahlreiche Kommissionen von insgesamt 60 bis 70 Personen geführt und verwaltet. Hinzu kam eine Vielzahl von → Vereinen [78], die in einem dichten Organisationsnetz das jüdische Leben in Hamburg prägten. Der ursprünglich liberalen Mehrheit erwuchs neben der Orthodoxie in den → Zionisten [45] zunehmend eine neue Opposition. Das erzwang, um der Einheit der Gemeinde willen, vielfältige Kompromisse. Zudem waren entkonfessionalisierende Tendenzen unter den Mitgliedern nicht zu übersehen. Die Organisationsdichte der Kultusverbände nahm daher ab, sodass in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts nur noch etwa 40 Prozent der Gemeindemitglieder einem der drei Kultusverbände angehörten.
Die antijüdischen Maßnahmen der nationalsozialistischen Machthaber zwangen die Gemeinde seit dem Sommer 1933 ihr bisheriges Aufgabenfeld sowohl zu erweitern als auch neu zu gewichten. Die gemeindliche Finanz- und Haushaltslage verschlechterte sich dramatisch. Dennoch widmete sich die D. verstärkt, nicht zuletzt als Ausdruck jüdischer Selbstbehauptung, jetzt der Berufsumschulung, der wirtschaftlichen Selbsthilfe, der allgemeinen Wohlfahrtspflege (→ Sozial- und Wohlfahrtswesen [79]), dem → Schulwesen [80] und der Organisation kulturellen Lebens. Die nach der Gemeindeverfassung für 1935 vorgesehenen Wahlen zum Repräsentanten-Kollegium verschob man zunächst auf das Jahr 1937, setzte sie dann angesichts der politischen Verhältnisse ganz aus. Die Zusammensetzung des Kollegiums, das satzungsgemäß den Vorstand zu wählen und den Gemeindehaushalt zu beschließen hatte, wurde durch ein vereinbartes Kooptationsverfahren ersetzt. Die Ersatzlisten mussten angesichts der fortdauernden forcierten → Emigration [16] immer wieder ergänzt werden. Ob das Gremium überhaupt noch den Willen der Gemeindemitglieder wiedergab, wurde so immer zweifelhafter. Anfang 1937 wurden durch Reichsgesetz die preußischen Städte Altona, → Wandsbek [20] und → Harburg-Wilhelmsburg [21] nach Hamburg eingemeindet. Die diesen Städten zugeordneten jüdischen Gemeinden wurden zum Januar 1938 in die D. aufgenommen, d. h., die Gemeinden zu Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg wurden aufgelöst, und die → Hochdeutsche Israeliten-Gemeinde [19] zu Altona erhielt den Status eines vierten Kultusverbandes. Auf behördlichen Druck nahm die Gemeinde den Namen → »Jüdischer Religionsverband« [23] an. Im März 1938 wurde allen jüdischen Kultusverbänden durch Reichsgesetz der Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft entzogen. Die Hamburger Gemeinde war nun ein eingetragener Verein bürgerlichen Rechts und verlor als solcher die Möglichkeit, die Mitgliedsbeiträge durch das Finanzamt einziehen zu lassen. Außerdem musste nunmehr Grundsteuer auf die gemeindlichen Grundstücke geleistet werden. Nach dem Pogrom am 9./10. November 1938 (→ Novemberpogrom [22]) wurde dann die alte Gemeindeverfassung beseitigt. Mit Anordnung vom 2. Dezember bestimmte die Gestapo den bisherigen Syndikus der Gemeinde zum allein verantwortlichen »Geschäftsführer« der Gemeinde und aller jüdischen Organisationen. Die Gestapo verwirklichte damit ein lang verfolgtes Ziel: Die Gemeinde sollte eine nur den Interessen der staatlichen Verwaltung, insbesondere der Gestapo, dienende Zusammenfassung der hamburgischen Juden werden. Im Frühjahr 1939 mussten die vier Kultusverbände formal ihre Tätigkeit beenden. Im Juli 1939 gab die D. zugunsten der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland weitgehend ihre verwaltungsmäßige Selbständigkeit auf. Ende Oktober 1941 setzten die ersten → Deportationen [13] ein, die bis zum 14. Februar 1945 fortgesetzt wurden. Im August 1942 wurde die D., jetzt der Jüdische Religionsverband e.V., formell in die Reichsvereinigung eingegliedert und verlor am 21. November 1942 endgültig ihre rechtliche Eigenständigkeit. Zu diesem Zeitpunkt lebten in Hamburg noch 1.792 Juden. Die Eingliederung hatte zur Folge, dass die Gemeinde als Bezirksstelle der Reichsvereinigung alle »Juden« nach der Definition der so genannten Nürnberger Gesetze aufzunehmen hatte, auch wenn diese nach jüdischem Religionsgesetz keine Juden waren. Die Reichsvereinigung wurde ihrerseits am 10. Juni 1943 auf Anordnung des Reichssicherheitshauptamtes aufgelöst. Die Gestapo ließ bis zum Ende des Krieges nur noch einen sehr eingeschränkten Zusammenschluss der Hamburger Juden unter Leitung eines »Vertrauensmannes« zu. Als das NS-Regime Anfang Mai 1945 zusammenbrach, befanden sich noch 647 »Juden« in Hamburg. 8.877 namentlich ermittelte Juden in und aus Hamburg, wahrscheinlich annähernd 10.000, wurden Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungen.
(auch: Max), Lehrer, Redakteur und Vereinsfunktionär, geb. 2.9.1852 Paucho (Ungarn), gest. 8.10.1934 Hamburg
D. leitete lange Jahre die private Handelsschule von 1875, die sich in den zwanziger Jahren in der → Grindelallee [33] befand. Zudem war er als Redakteur tätig, zunächst für die 1891/92 von ihm herausgegebene Zeitung Menorah, später für das Israelitische Familienblatt (→ Zeitungswesen [81]).
Von großer Bedeutung ist sein Beitrag für die Entfaltung des Hamburger jüdischen → Vereinswesens [78]. D. war Gründungsmitglied der Henry Jones-Loge des Unabhängigen Ordens B’nai B’rith, 1888/89 deren Stuhlmeister (→ Logenwesen [32]). Im Spektrum der Logenaktivitäten findet sein Name Erwähnung als Mitbegründer des Jüdischen Jugendbundes und der → Gesellschaft für jüdische Volkskunde [82], in der Freien Israelitischen Vereinigung sowie im Komitee zur Bekämpfung des Mädchenhandels und im Vorstand des Gemeinschaftsheims. D. gehörte zu denjenigen, die in Hamburg die Nähe zwischen jüdischer Loge und → Zionistischer Ortsgruppe [45] garantierten, an deren Gründung 1898 er ebenfalls maßgeblich beteiligt war. Außerdem war er Mitglied im Hilfsverein der deutschen Juden und fungierte bis zur Konstituierung der Ortsgruppe des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens als dessen Vertrauensmann in der Hansestadt, später war er (bis mindestens 1909) im Vorstand vertreten. Darüber hinaus engagierte sich D. auch im Vorstand des Hamburgischen Vereins für jüdische Geschichte und Literatur.
Besonders eng war D. der → Jüdischen Bibliothek und Lesehalle [83] verbunden, die ab 1909/10 die Bücherbestände zahlreicher Vereine präsentierte. 1912 bis 1915 saß er als Delegierter der Loge im Gemeindevorstand und gehörte bis ins hohe Alter der Verwaltung an.
(auch: Semuel Jachia), Kaufmann und Gemeindefunktionär, geb. um 1576 Antwerpen, gest. nach 1645 Glückstadt oder Amsterdam
D. zählt zu den bedeutendsten Gemeindeführern der Hamburger Portugiesen im 17. Jahrhundert, die einen erheblichen Anteil an Hamburgs Aufstieg zur führenden Handelsstadt Deutschlands hatten. Nach einem kurzen Aufenthalt in Köln 1583 zogen D.s Eltern nach Venedig, wo sie sich mehrfach vor der Inquisition verantworten mussten. Spätestens 1605 ließ sich D. als Kaufmann in Hamburg nieder. In der Hansestadt betrieb er erfolgreich Getreide-, Zucker- und Salzhandel mit Spanien, Portugal und Brasilien und knüpfte als einer der ersten Juden Handelsbeziehungen mit Lübeck und dem Baltikum an. 1611 war er einer der drei Unterzeichner des Kaufvertrages des Portugiesenfriedhofs an der Altonaer Königstraße (100). Als Hamburg 1617 die → Privilegien [84] für die Portugiesen nicht erneuern wollte, gehörte D. zu denen, die sich aktiv um einen Fortzug aus der Stadt bemühten. Seit 1616 war der umtriebige D. im Zusammenhang mit umstrittenen Münzgeschäften für Fürsten und andere Adlige sowie für die schauenburgische Münze in Altona tätig. In das Kipper- und Wipperverfahren verwickelt, wurde ihm von der Stadt Hamburg sein Silber beschlagnahmt und er 1619 aus der Stadt gewiesen. D. ging zunächst nach Altona und übersiedelte im selben Jahr nach Glückstadt. Er erhielt besondere Konzessionen für den iberischen Handel und regte den Zuzug weiterer Portugiesen aus Amsterdam und Hamburg an. Wenig später wurde er zum Münzmeister ernannt, musste aber auf Drängen der Stände und des Hamburger Valvationstages 1625 das Prägen einstellen. Als Vertrauter des dänischen Thronfolgers, bei dem er sich wiederholt für jüdische Interessen einsetzte, hielt er sich in den dreißiger Jahren zeitweilig wieder in Hamburg auf.
Die Altonaer Gemeinde sowie die beiden Doppelgemeinden (Altona-Hamburg und → Wandsbek-Hamburg [20]) schlossen sich aufgrund eines Vergleichsurteils des Frankfurter Oberrabbiners von 1669 im Jahr 1671 mit den Hamburger Tudescos (Aschkenasim) zur Dreigemeinde zusammen. (Hebräisch: Schalosch Kehillot AHU. AHU ist das hebräische Akronym der Städtenamen.)
Zur Infrastruktur der Dreigemeinde gehörten mehrere Stubensynagogen (seit 1682/84 dann eine eigene Synagoge (96)), drei → Friedhöfe [34] (Altona (100), Wandsbek (119), Ottensen (101)) sowie als Personal ein (Ober-)Rabbiner, ein Schulmeister und ein Synagogendiener. Seit dem großen Privileg von 1641 gab es einen rabbinischen Gerichtshof (Bet Din), der sowohl für Kultus- als auch Zivilsachen sowie Angelegenheiten der Gemeindedisziplin zuständig war (→ Rabbinat [10]). Neben dem Oberrabbiner fungierte seit 1671 ein Koordinierungsausschuss aus den Vorstandsgremien der einzelnen Gemeinden. Die Unterstellung Hamburger Juden unter die → Gerichtsbarkeit [17] des dem dänischen König unterstehenden Altonaer Oberrabbiners führte in der Folgezeit immer wieder zu Konflikten mit den Hamburger Behörden. Das Niederlassungsrecht hing von der Zulassung der jüdischen Gemeindevorstände ab, die den guten Ruf sowie das (hinreichende) Vermögen des Bewerbers überprüften. Das Gemeindewahlrecht hing vom Vermögen des einzelnen Juden ab. Die Einschätzung des Vermögens der Gemeindemitglieder, nach der sich die Höhe der Abgaben richtete, wurde alle drei Jahre durch gewählte Taxatoren vorgenommen. Der Vorstand war den Behörden gegenüber für die Ablieferung der den Juden auferlegten (Sonder-)Steuern zuständig. Einflussreich und prestigeträchtig waren freiwillige Sozialorganisationen, allen voran die → Beerdigungsbruderschaft [85] (Chevra Kadischa). Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde eine Kommission gebildet, die die Gemeindestatuten auszuarbeiten und sie in der Folgezeit den sich ändernden Gegebenheiten anzupassen hatte. Die Statuten bezogen sich auf die unterschiedlichsten religiösen wie weltlichen Bereiche des Gemeindelebens. Der von Altona-Hamburg um 1750 ausgehende → Amulettenstreit [86] führte zu einer Schwächung traditioneller jüdischer Strukturen und Institutionen sowie unter den Altonaer Oberrabbinern zu einer strikten Ablehnung der Aufklärung. Die Neuordnung des Hamburger Armenwesens durch die Patriotische Gesellschaft (1788) beendete durch ein rigides Bettelverbot das traditionelle jüdische Armenwesen. Das Ende der D. kam durch die politische Entwicklung, als Hamburg 1811 dem französischen Kaiserreich zugeordnet wurde. Nun war eine Verbindung mit dem dänischen Altona nicht mehr möglich. Am 26. April 1812 unterzeichneten die Altonaer und Hamburger Vorstandsmitglieder eine »Separationsakte«, die das offizielle Ende der alten D. bedeutete.
Rabbiner und Historiker und Genealoge, geb. 3.8.1868 Szelepcsény (Ungarische Slowakei), ermordet 6.3.1944 Auschwitz
Nach dem Studium an der Jeschiwa in Pressburg (Bratislava) wurde D. zum Rabbiner ordiniert und 1891 als Klausrabbiner und Mitglied des Rabbinatsgerichts nach Altona (→ Rabbinat [10]) berufen, wo er als Vertreter der traditionellen Richtung zahlreiche Schüler unterwies. Daneben amtierte D. lange Jahre als Prediger neben dem Hamburger Oberrabbiner → Mordechai Hirsch [88] sowie als Krankenhausseelsorger. Im Ersten Weltkrieg diente er als Garnisonsgeistlicher und Oberrabbinatsverweser für Schleswig-Holstein, dann als Beisitzer des Altonaer Oberrabbinats, das D. 1936/37 in Nachfolge → Joseph Carlebachs [89] bis zur Wahl von Theoror Weisz selbständig verwaltete.
Neben seiner vielfältigen Tätigkeit als Rabbiner, Lehrer und Seelsorger machte sich D. vor allem um die Erforschung der jüdischen Geschichte und der Genealogie jüdischer Familien in der → Dreigemeinde AHW [9] (Altona, Hamburg, Wandsbek) verdient. Er publizierte seine Ergebnisse in eigenständigen Monographien ( u. a. Iwoh le-Moschaw, Krakau 1903; Chachame AHW, Hamburg 1908) und in diversen Periodika, u. a. im Jahrbuch der Jüdisch-Literarischen Gesellschaft, im Gemeindeblatt der Deutsch-Israelitischen Gemeinde zu Hamburg und im Jahrbuch für die jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte.
Zu Jahreswechsel 1938/39 floh D. in die Niederlande, wo er seine Lehr- und Forschungstätigkeit in Amsterdam fortsetzte. 1943 wurde D. in Westerbork interniert. 1944 – im Alter von 75 Jahren – wurde er nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Seit 2004 erinnert ein »Stolperstein« vor D.s Altonaer Wohnhaus in der Sonninstraße 14 (heute Biernatzkistraße) an sein Wirken. 2007 wurde das »Eduard-Duckesz-Haus« als neues Besucherzentrum des Jüdischen Friedhofs an der Königstraße eingeweiht. D.s Fotoarchiv befindet sich heute in den Central Archivs for the History of the Jewish People in Jerusalem.
Personen und Themen mit E
Schauspielerin und Intendantin, geb. 9.7. 1900 Prerau (Mähren), gest. 16.2.1989 Hamburg
E., von 1945 bis 1989 Prinzipalin der Hamburger Kammerspiele, wurde 1988 als erster Frau in der Freien und Hansestadt die Ehrenbürgerwürde verliehen. Im selben Jahr zeichnete sie die Universität mit der Ehrendoktorwürde aus.
Die Tochter eines jüdischen Kantors hatte als 18-Jährige die Schauspielerprüfung an der k. u. k. Akademie für Musik und Darstellende Kunst in Wien mit Auszeichnung bestanden. Nach erfolgreichen Engagements in der Provinz kam sie 1931 nach Berlin. Die Machtübernahme Hitlers 1933 setzte ihrer Karriere ein jähes Ende. Der Versuch, mit ihrem Mann, dem Arzt Bernhard Heyde und der gemeinsamen Tochter Ruth nach Chile auszuwandern, scheiterte am Ausbruch des Krieges. In der Hansestadt entging E. zweimal der → Deportation [13]. Ihre Mutter und ihre Schwester wurden im KZ ermordet.
E. war 45 Jahre alt, als sich in dem von ihr neu gegründeten Theater in der Hartungstraße nahe der Universität im Dezember 1945 zum erstenmal der Vorhang hob. Einflussreiche Förderer unterstützten die kleine Bühne mit den nur 500 Plätzen: der britische Theateroffizier John Olden und der Chief-Controller des Nordwestdeutschen Rundfunks Hugh Carleton Greene, wenig später der Verleger Ernst Rowohlt und der Dramaturg Günther Weisenborn.
Ab 1946 zeigte E. an ihrem Theater vor allem die Stücke von Autoren, die während der Nazizeit nicht gespielt werden durften: Jean Anouilh, Jean Giraudoux, Jean-Paul Sartre, Thornton Wilder, Franz Werfel. An ihrem Haus inszenierte und spielte die Crème de la crème der Nachkriegszeit: Gustaf Gründgens, Wolfgang Liebeneiner, Hilde Krahl, Grethe Weiser, Dieter Borsche, Lil Dagover, Michael Degen. Die Kammerspiele entwickelten sich zu einer der führenden deutschsprachigen Bühnen. Höhepunkt dieser bis in die fünfziger Jahre reichenden Glanzzeit bildete die Uraufführung von Wolfgang Borcherts Heimkehrerdrama Draußen vor der Tür im November 1947, inszeniert von Wolfgang Liebeneiner mit Hans Quest in der Hauptrolle. Geldmangel war verantwortlich dafür, dass das Privattheater dann seine führende Rolle an die Staats- und Stadttheater abgeben musste. E. aber glänzte bis ins hohe Alter in Rollen wie die der Hekuba in Euripides’ Die Troerinnen und vor allem als Mutter Courage in dem gleichnamigen Stück von Bert Brecht. Die »Mutter Courage des deutschen Theaters« war – nicht nur in Hamburg – zu einer Institution geworden. Mit Wiener Charme und hanseatischer Durchsetzungskraft kämpfte sie bis zuletzt für ihr Theater und für den Frieden auf der Welt.
Rabbiner, geb. ca. 1690/95 Krakau oder Pinczow (Polen), gest. 20.9.1764 Altona
Nach dem Besuch verschiedener mährischer Jeschiwot und Aufenthalten unter anderem in Jungbunzlau und Prag kam E. 1713/14 erstmals nach Hamburg. In Prag, wo er sich seit 1714 wieder aufhielt und zunächst als Prediger und Dozent an der Talmudhochschule tätig war, wurde er 1736 zum Mitglied des mit der innerjüdischen zivilen Jurisdiktion befassten rabbinischen Gerichtshofs ernannt. 1741 folgte er dem Ruf der jüdischen Gemeinde Metz, die ihm das Oberrabbinat übertrug. Nach Altona übersiedelte er 1750, wo er bis zu seinem Tode als religiöses Oberhaupt der jüdischen → Dreigemeinde Altona-Hamburg-Wandsbek [9] amtierte. E. gehörte zu den herausragenden jüdischen Gelehrten seines Zeitalters. Davon zeugt auch sein umfangreiches schriftliches Werk, dessen großer Teil jedoch erst nach seinem Tod gedruckt wurde. Ungeachtet seiner anerkannten Gelehrsamkeit traf E. in Altona auf erbitterte Gegner. E., ein ausgewiesener Kenner auch der jüdischen Mystik, hatte bereits in seinen Prager Tagen den Verdacht auf sich gezogen, er gehöre zu den heimlichen Anhängern des 1676 verstorbenen Pseudomessias Sabbatai Zwi. Kabbalistische Amulette, von E. verfasst und in Umlauf gebracht, nährten wiederum den Argwohn, dieser hänge insgeheim ketzerischen Irrlehren an. Als erbittertster Feind E.s trat Rabbiner → Jakob Emden [6] auf, der als Privatgelehrter und Besitzer einer hebräischen Druckerei in Altona lebte. Emden fühlte sich bei der Wahl des Oberrabbiners übergangen und vertrat überdies die Auffassung, E. dürfe als Häretiker keinesfalls ein religiöses Amt verwalten. Seine Versuche, dessen Absetzung als Oberrabbiner zu erwirken, schlugen hohe Wellen auch in anderen jüdischen Gemeinden (→ Amulettenstreit [86]). Die zeitweilig eskalierende Auseinandersetzung zwischen den Anhängern beider Parteien lief jedoch ins Leere, da sich E. die Unterstützung des Gemeindevorstands sicherte. Auch eine Neuwahl, die auf Anordnung der dänischen Behörden stattfand, konnte er für sich entscheiden. Die gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen stritt E. zeitlebens ab, ohne dass es ihm jedoch gelungen wäre, die Gegner von seiner Unschuld zu überzeugen. Auch unter den Historikern hat sich die Meinung durchgesetzt, dass E. in der Tat als Krypto-Sabbatianer vom normativen Judentum abgewichen sei.
Rechtsanwalt, geb. 3.12.1881 Hamburg, gest. 12.1.1943 Auschwitz
Der Rechtsanwalt und Bürgerschaftsabgeordnete E. setzte sich zeit seines Lebens engagiert für die Belange der Arbeiterschaft ein. Nach dem Abitur am Wilhelmgymnasium und einem Studium in Heidelberg, Marburg und Berlin wurde der promovierte Jurist 1907 in seiner Geburtsstadt als Rechtsanwalt zugelassen. E. war aktives Mitglied der »Gesellschaft Volksheim e.V.«, die sich ehrenamtlich der Aus- und Fortbildung von Arbeiterinnen und Arbeitern widmete. Nach dem Ersten Weltkrieg, an dem E. als Leutnant mit Auszeichnungen teilnahm, gründete er in Hamburg zusammen mit Herbert Ruscheweyh eine eigene Anwaltspraxis, die u. a. Prozesse für die SPD gegen Mitglieder der NSDAP führte. Zudem wurde E. Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und vertrat diese von 1921 bis 1933 in der Bürgerschaft. Seine politische Zugehörigkeit, sein juristischer Kampf gegen die NSDAP und schließlich seine religiöse Überzeugung machten E. zu einem herausragenden Widersacher der Nationalsozialisten. 1935 und 1937 wurde er im → KZ Fuhlsbüttel [14] inhaftiert, nach dem → Novemberpogrom [22] 1938 in Sachsenhausen. Nach dem 1938 erfolgten Berufsverbot erhielt E. 1939 eine fünfjährige Zuchthausstrafe wegen »Rassenschande«. Noch während seiner Haftzeit in Fuhlsbüttel wurde er nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Die Stadt Hamburg erinnerte 1963 an E. durch Benennung einer Straße im Stadtteil Lohbrügge.
Der Begriff E. wird als Epochenbezeichnung für eine etwa 100 Jahre dauernde Auseinandersetzung um die bürgerliche und politische Gleichberechtigung der Juden verwendet. Diese Epoche begann mit der Aufklärung und endete mit der Gründung des Deutschen Reichs 1871. Der Begriff »emancipatio« stammt aus dem römischen Recht und bezeichnet den Rechtsakt, mit dem erwachsene Söhne und später auch Sklaven aus der Gewalt des Hausherrn entlassen und als freie, selbstverantwortliche Bürger in der Gemeinschaft anerkannt wurden.
Mit der Anwendung dieses Begriffs in der zeitgenössischen Publizistik auf die Gleichstellung eines in rechtlicher, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht durch Sonderbestimmungen eingeschränkten Bevölkerungsteils kam zum Ausdruck, dass die E. einen politischen Akt der Gewährung von Rechten durch die Obrigkeit darstellte. Dennoch wurde von Anfang an gefordert, die jüdische Gemeinschaft solle als Voraussetzung für die Gleichstellung Leistungen erbringen und sich dieser würdig zeigen. Die nichtjüdische Seite bezeichnete dies als »Erziehung der Juden«. Bald schon zeigten sich die Folgen dieser Konstellation: Individuelle wie gruppenbezogene Veränderungen, die man als Assimilation bezeichnete, wurden in der Regel als ungenügend eingeschätzt oder riefen sogar Ängste vor der jüdischen Konkurrenz hervor. Im Laufe des sich über Jahrzehnte erstreckenden Prozesses der E. stellte sich heraus, dass die Realisierung der rechtlichen Gleichstellung der Juden an die Modernisierung der Wirtschaft und die Demokratisierung der Gesellschaft gebunden war. Beides vollzog sich in den deutschen Staaten nur sehr langsam und gegen erhebliche Widerstände. Die jüdische Bevölkerung hat den Prozess der E. aktiv zu beschleunigen versucht und damit auch eine innerjüdische Entwicklung der Veränderung und Modernisierung vorangetrieben. Am Ende des Prozesses war die bürgerliche und politische Gleichstellung der Juden im Rahmen der Gleichberechtigung der gesamten (zunächst männlichen, seit 1918 auch weiblichen) Bevölkerung erreicht, und das Judentum wurde durch mehrere religiöse und politische Richtungen repräsentiert. Es hatte sich damit als jüdische Minorität stabilisiert.
Die tatsächlichen Schritte der E. und der Assimilation sind in den einzelnen deutschen Staaten unterschiedlich verlaufen. Der Stadtstaat Hamburg weist dabei sowohl auf der politisch-gesellschaftlichen Seite wie im Hinblick auf die jüdische Gemeinschaft Besonderheiten auf. Unter der französischen Besatzung 1811 bis 1814 hatten Juden in Hamburg die vollen bürgerlichen und politischen Rechte erhalten. Diese Gleichstellung hatte jedoch nach 1814 keinen Bestand mehr; im Gegenteil: der Rat setzte das → Judenreglement von 1710 [91] wieder in Kraft. Alle Gesuche und Rechtsgutachten der Juden stießen bei der wieder eingesetzten Hamburger Regierung sowie auch auf dem Wiener Kongress auf vehemente Ablehnung. Der auf Veränderung drängende Teil der jüdischen Bevölkerung – Kaufleute, Juristen, Lehrer und Ärzte – konzentrierte sich nach dieser Niederlage auf die Modernisierung des jüdischen Lebens. Im Vordergrund standen Reformen des jüdischen → Schulwesens [80], um Heranwachsende auch der unteren Schichten zu »nützlichen Menschen und brauchbaren Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft zu veredeln«. Dazu gehörten insbesondere das Erlernen der deutschen Sprache und Schrift sowie die Vermittlung einer elementaren weltlichen Bildung. Die Reform des Unterrichts wurde erweitert durch eine gezielte Berufspolitik, die Juden z. B. für das Handwerk gewinnen sollte. Die Umgestaltung des kultischen Lebens – also die Modernisierung des Gottesdienstes und des religiösen Lebens – sollte einerseits die Akzeptanz durch die Umwelt erhöhen, andererseits aber auch ein jüdisches Leben innerhalb der Umwelt ermöglichen. Langjährige innerjüdische Auseinandersetzungen begleiteten diesen Prozess. In Hamburg konnte allerdings eine Verständigung zwischen orthodoxen und liberalen Juden erreicht werden, die eine Gemeindeorganisation mit selbständigen Kultusverbänden unterschiedlicher religiöser Richtungen zuließ. Erst mit dem Erstarken der Reformbewegung in Hamburg in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts (→ Tempel [39]) bemühte sich die Gemeinde wieder, eine gesetzliche Verbesserung herbeizuführen. Persönlichkeiten wie → Gabriel Riesser [92] und → Anton Rée [93] trugen wesentlich dazu bei, den Kampf der Juden um ihre Gleichstellung aufzunehmen und den Forderungen nach Assimilation und Konversion selbstsicher zu begegnen. Politisch konservative Kräfte in der Stadt schürten jedoch Ängste vor politischen Veränderungen. Wie schon 1819 zeigte ein Teil der Bevölkerung seine Ablehnung in Angriffen gegen Juden (1835), in deren Folge die Reformbemühungen eingestellt wurden. Der Große Brand 1842 brachte wieder Bewegung in die Debatte, nicht zuletzt aus Dankbarkeit für das patriotische Verhalten von → Salomon Heine [36]. Dennoch konnte nur ein kleiner Fortschritt erreicht werden, nämlich die Aufhebung der Beschränkungen beim Erwerb von Grundeigentum. Es war wiederum ein Anstoß von außen, die revolutionäre Bewegung von 1848, die in Verbindung mit dem Engagement von Juden und Nichtjuden in der Hamburger liberalen Reformbewegung 1849 zur bürgerlichen Gleichstellung der Juden führte. Auch diese Reform war von zahlreichen gegen Juden gerichteten Flugblättern und gezielten Stimmungen begleitet. Der Rat der Stadt Hamburg erließ dennoch am 21. Februar 1849 eine Verordnung, die den Juden den Erwerb des Bürgerrechtes erlaubte und ihnen damit auch den Zugang zu zahlreichen neuen Berufen ermöglichte. Die E. der Juden kam dann 1860 in Hamburg mit der Verabschiedung einer neuen Verfassung zum Abschluss, die eine Folge bereits erreichter politischer und insbesondere wirtschaftlicher Veränderungen war. Die Verfassung gewährte den Bürgern der Stadt liberale Freiheiten, so unter anderem die volle Glaubensfreiheit und, damit verbunden, die Unabhängigkeit bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte vom Glaubensbekenntnis. Die Gleichstellung der Juden war kein Zugeständnis an eine inzwischen assimilierte, zahlenmäßig bedeutende und ökonomisch wichtige Gruppe in der Bevölkerung, sondern Teil der Modernisierung und Demokratisierung der ganzen Gesellschaft. Die Mehrheit der nunmehr gleichgestellten Juden verstand sich als »jüdische Bürger«, wobei das »jüdisch« ein ebenso wichtiger Bestandteil war wie »Bürger«. Die jüdische Gemeinde präsentierte sich als ein Verband, der die religiösen und sozialen Interessen einer Minderheit zu vertreten hatte.
Salonière, geb. um 1803 Düsseldorf, gest. 14.10.1899 Hamburg
Die Schwester Heinrich Heines, von dem Schriftsteller liebevoll »Lottchen« genannt, lebte von den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts bis zu ihrem Tod in Hamburg. Zeit ihres Lebens stand sie zu ihrem berühmten Bruder in intensivem Kontakt, der seinen Niederschlag in einem regen, in vertraulichstem Ton gehaltenen Briefwechsel gefunden hat. Als einzige Tochter des Tuch- und Manufakturkaufmanns Samson Heine (1764-1828) und seiner Ehefrau Betty (ursprünglich Peira), geb. van Geldern (1771-1859), wuchs Charlotte gemeinsam mit den Brüdern Heinrich (ca. 1797-1856), Gustav (ca. 1804-1886) und Maximilian (ca. 1805-1879) in ihrer Geburtsstadt auf, wo sie eine aufklärerisch-liberale Erziehung genoss. Schon während der Kindheit entwickelte sich ein besonders enges Verhältnis zwischen Charlotte und Heinrich. Nach dem Bankrott des väterlichen Geschäfts in Düsseldorf im Jahr 1819 gelangte Charlotte gemeinsam mit ihren Eltern und den Brüdern nach Hamburg. Hier nahm sich vor allem der Bankier → Salomon Heine [36], Bruder von Samson, ihrer an. Nach Aufenthalten in Oldesloe und seit Juli 1822 in Lüneburg kehrte die Familie 1828 nach Hamburg zurück, wo Samson Heine noch im selben Jahr starb. 1823 heiratete Charlotte den wohlhabenden Kaufmann Moritz Embden (1790-1866). E. gewährte Heinrich Heine bei seinen zahlreichen Besuchen in Hamburg mitunter Logis. Für E. schrieb Heinrich 1824 das Gedicht »Mein Kind wir waren Kinder«, das gemeinsame Erinnerungen an Kinderspiele im Elternhaus in der Düsseldorfer Bolkerstraße beschwört, weitere Gedichte widmete er ihr. Aus seinen zahlreichen Briefen an die Schwester, die ihm zur engsten familiären Vertrauten wurde, spricht eine fürsorgliche Zugewandtheit, bisweilen auch eine schwärmerische, erotisch getönte Liebe. Mit dem Verleger Julius Campe führte E. Verhandlungen im Auftrag ihres Bruders. In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde der Embden’sche Salon, in dessen Mittelpunkt die Gastgeberin stand, zu einem beliebten Treffpunkt für Persönlichkeiten des literarischen, künstlerischen und musikalischen Lebens. Ende 1855 besuchte E. zusammen mit ihrem Bruder Gustav den kranken Heinrich Heine in Paris. Nach dessen Tod erhielt sie Besuch von Schriftstellern und Literaturhistorikern, so etwa von dem Heine-Biographen Gustav Karpeles. Kaiserin Elisabeth von Österreich besuchte die inzwischen hoch betagte Schwester des von ihr verehrten Dichters 1887 in Hamburg und erhielt einige Heine-Autographen zum Geschenk.
(auch: Javetz), Rabbinischer Gelehrter und Buchdrucker, geb. 4.6.1698 Altona, gest. 19.4.1776 Altona
E. war der Sohn des religiösen Oberhauptes der jüdischen → Dreigemeinde Altona-Hamburg-Wandsbek [9], Chacham Zwi → Aschkenasi [7]. E. erhielt eine gründliche religiöse Erziehung, eignete sich aber auch Fremdsprachen und Kenntnisse außerhalb des jüdischen Bildungskanons an. Trotz seiner kulturellen Aufgeschlossenheit war E. kein früher Verkünder einer jüdischen Variante der Aufklärung. Im Gegenteil blieb er zeitlebens Verfechter eines strengen Traditionalismus. Nach seiner ersten Heirat (von insgesamt dreien) im Alter von 17 Jahren verließ E. das Elternhaus, zunächst um bei seinem Schwiegervater in Ungarisch-Brod (Mähren) das Talmudstudium fortzusetzen. Spätere Reisen, die er unternahm, um sich als Kaufmann zu etablieren, führten ihn in zahlreiche Länder Europas. Als er sich 1729 aufgrund geschäftlicher Unternehmungen in Emden aufhielt, ließ er sich dort von der jüdischen Gemeinde bewegen, das vakante Rabbinat zu übernehmen. Diese Stellung, durch die er seinen Beinamen E. erhielt, gab er nach vier Jahren auf, um sich in Altona niederzulassen. Mit einer Konzession des dänischen Königs ausgestattet, errichtete er 1743 eine hebräische → Buchdruckerei [94], in der er auch seine eigenen Werke verlegte, mit denen er seinen Ruf als herausragender Gelehrter festigte. Seine Schriften beschäftigten sich vorwiegend mit religionsgesetzlichen Fragestellungen, erörterten zuweilen aber auch Probleme der hebräischen Grammatik oder Aspekte der Textkritik. E. galt als schwierig im Umgang, da er seinen Standpunkt stets kompromisslos vertrat. Mit dem Oberrabbiner der Dreigemeinde Jecheskel Katzenellenbogen geriet er in Streit, weil er dessen religions-gesetzliche Entscheidungen in Frage stellte. Als dieser 1749 verstarb, jedoch Jonathan → Eibeschütz [8] als Nachfolger gewählt wurde, reagierte E. mit Verbitterung. Seine Versuche, Eibeschütz als geheimen Anhänger des Pseudomessias Sabbatai Zwi zu entlarven und dessen Entlassung zu erzwingen, entfachten eine mehrjährige Kontroverse (→ Amulettenstreit [86]), die auch außerhalb des Hamburger Raums die Judenschaften polarisierte. In der Dreigemeinde war es aber Eibeschütz, der die Oberhand gewann, sodass 1851 der Bann über E. verhängt wurde und dieser nach Amsterdam flüchten musste, bis ihm die dänischen Behörden die Rückkehr nach Altona ermöglichten. Trotz seiner Erblindung setzte E. auch in den folgenden Jahren den Kampf gegen die Sabbatianer fort, ohne dass es ihm aber gelang, die Amtsenthebung seines Widersachers zu bewirken.
(siehe auch: → Auswanderung [95]) Zwischen 1933 und 1941 emigrierten ca. 10.-12.000 Juden aus Hamburg. Die Flucht vollzog sich im Wesentlichen in drei Phasen: einer ersten Phase, die unmittelbar nach der Machtübernahme einsetzte, einer zweiten, die nach der Verabschiedung der Nürnberger Gesetze folgte, und einer dritten Phase, die durch die Pogromnacht (→ Novemberpogrom [22]) ausgelöst wurde.
1933/1934: Palästina wurde in den beiden ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft zum wichtigsten Zufluchtsland für Hamburger Juden. Annähernd jeder Zweite, der Hamburg in der ersten Auswanderungsphase verließ, emigrierte nach Palästina. Es waren fast ausschließlich Zionisten und jüngere Leute, die sich nach der Machtübernahme zur Auswanderung nach Palästina entschlossen. Unter den Auswanderern war der Anteil von Akademikern und insbesondere von Ärzten auffallend hoch.
1935-1937: Am 15. September 1935 wurden das »Reichsbürgergesetz«, das die Juden zu Staatsangehörigen ohne politische Rechte degradierte, und das »Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre« verabschiedet. Mehrere Gesetze betrafen diejenigen, die sich mit Plänen zur Auswanderung beschäftigten, z. B. das im Februar 1935 erlassene Gesetz über die Devisenbewirtschaftung (→ »Arisierung« [15]). Um zu verhindern, dass Auswanderer ihr Vermögen unter Umgehung der devisenrechtlichen Vorschriften ins Ausland brachten, wurde die Devisengesetzgebung erheblich verschärft. Während sich die Flüchtlinge der ersten Phase zumeist sehr schnell und spontan zur Auswanderung entschlossen hatten, konnten sich diejenigen, die ihre Auswanderung zu einem späteren Zeitpunkt betrieben, in der Regel besser vorbereiten. Ausschlaggebend dafür, in welchem Land man Zuflucht suchen würde, waren wie auch schon in der ersten Phase verwandtschaftliche und/oder geschäftliche Beziehungen.
1938/1939: Der Verfolgungsdruck auf die jüdische Bevölkerung spitzte sich 1938 und insbesondere nach der Pogromnacht dramatisch zu. Am 26. April 1938 erging die Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden. Die Mitnahme von Umzugsgut wurde durch einen Erlass vom 13. Mai 1938 streng reglementiert und unter die Kontrolle der Zollämter gestellt. Im Oktober 1938 erging die Verordnung über die Reisepässe von Juden. Sie wurden eingezogen und erst nach der Abstempelung mit einem »J« wieder ausgegeben. Nach der Pogromnacht erzwangen weitere Verordnungen die endgültige Schließung aller jüdischen Geschäfte und Handwerksbetriebe und die Ablieferung von Schmuckstücken und Wertgegenständen an dafür eigens eingerichtete, öffentliche Ankaufstellen. Nach der Pogromnacht war die »Judenvermögensabgabe« als »Sühneleistung« erhoben worden. Jeder Haushalt mit einem Vermögen von über 5.000 RM musste 20 Prozent an den Staat entrichten. Der forcierte Prozess der Entrechtung führte zu einem erheblichen Anstieg der Auswandererzahlen. Es emigrierten 1938 annähernd so viele Juden aus Hamburg wie in den fünf Jahren zuvor. Die Pogromnacht jedoch wurde zum Auslöser der Massenauswanderung.
Dem größten Teil der Hamburger Emigranten gelang die Flucht in die USA; Großbritannien und Palästina waren die nächstwichtigen Länder. Zu den Flüchtlingen gehörten auch ca. 1.000 Hamburger Kinder, die zwischen Dezember 1938 und dem Beginn des Krieges im September 1939 mit den sog. Kindertransporten nach Großbritannien gelangten. Am 23. Oktober 1941 wurde die Auswanderung verboten.
Land | Zahl der Auswanderer in % | |
1 | USA | 27,1 |
2 | Großbritannien | 15,8 |
3 | Palästina | 13,2 |
Länder 1-3 | 56,1 | |
4 | Niederlande | 8,5 |
5 | Shanghai/China | 3,2 |
6 | Argentinien | 3,1 |
7 | Brasilien | 2,7 |
8 | Südafrika | 2,4 |
9 | Belgien | 2,4 |
10 | Schweden | 1,9 |
11 | Australien | 1,9 |
12 | Frankreich | 1,8 |
Länder 1-12 | 84,0 | |
Sonstige Länder | 16,0 | |
Insgesamt | 100 |
Jahr | Zahl der Auswanderer in % |
1933 | 5,4 |
1934 | 3,8 |
1935 | 3,6 |
1936 | 6,0 |
1937 | 6,6 |
1933-1937 | 25,4 |
1938 | 24,4 |
1939 | 42,1 |
1938/1939 | 66,5 |
1940 | 5,0 |
1941 | 3,0 |
1942 | 0,1 |
1940-1942 | 8,1 |
Insgesamt | 100 |
Architekt, geb. 19.2.1864 Hamburg, gest. 1948 London
Der Sohn des Hamburger Kaufmanns Benni Engel erlernte das Maurerhandwerk, besuchte Bauschulen in Hamburg und Eckernförde und erwarb praktische Erfahrungen als Angestellter von Baubüros. Nach einjähriger Tätigkeit für den Hamburger Architekten Carl Elvers ließ er sich 1889 in Hamburg als selbständiger Architekt nieder. E.s vielseitiges Schaffen umfasste den Neubau von Wohn- und Kontorgebäuden, → Synagogen [96] und gewerblichen Anlagen. Außerdem führte er zahlreiche Um- und Erweiterungsbauten aus und wurde zu einem der meistbeschäftigten Architekten Hamburgs. 1904 gestaltete E. den Um- und Ausbau des Gebäudes der Henry Jones-Loge (→ Logenwesen [32]) in der Hartungstraße (92) und den Neubau der Alten und Neuen Klaus (49) in der Rutschbahn; im selben Jahr entwarf er gemeinsam mit Ernst Friedheim den Bau der Hamburger Hauptsynagoge am → Bornplatz [97] (50). Die Baupläne der Synagogen Hoheluftchaussee (51) (1909), Gluckstraße (1920) und Kielortallee (56) (1929) waren ebenfalls E.s Werk. 1911 übernahm er den Auftrag zur Erweiterung der Kapelle auf dem Jüdischen → Friedhof [34] in Langenfelde (103) und führte 1919 den Umbau der Leichenhalle des Jüdischen Friedhofs in Ohlsdorf durch. 1924 gestaltete er den Umbau des Kinderheims Wilhelminenhöhe in der Rissener Landstr. 127. Als Architekt zahlreicher Etagenhäuser in Harvestehude, Rotherbaum, Eppendorf und anderen Hamburger Stadtteilen hat E. bleibende Spuren im Hamburger Stadtbild hinterlassen. Seine Lebenserinnerungen weisen ihn als humorvolle Persönlichkeit und engagierten Hamburger Bürger aus. 1914 gehörte er einer von den Bürgervereinen gebildeten Polizeihilfstruppe an, diente nach dem Ersten Weltkrieg in der Einwohnerwehr und betätigte sich in einer städtischen Kommission zur Wohnraumversorgung. 1936 machte ihm das NS-Regime die weitere Ausübung seines Berufs unmöglich. 1938 emigrierte er nach London.
Verleger, geb. 22.11.1895 Hamburg, gest. 15.2.1982 Puerto Rico
E. ist in die Geschichte als Pionier des qualitätsvollen Taschenbuchs eingegangen. Er wuchs in Hamburg in einem liberalen jüdischen Elternhaus auf. Nach der Promotion 1921 trat er in das von seinem Vater Oscar Enoch (1860-1934) aufgebaute Familienunternehmen ein, zu dem auch der Gebrüder Enoch Verlag gehörte. E. gab diesem belletristischen Verlag ein literarisches Profil, nicht zuletzt durch die Veröffentlichung der Erstlingswerke von Klaus Mann sowie durch Übersetzungen fremdsprachiger Erfolgsromane. 1932 wurde E. Teilhaber der Albatross Modern Continental Library, die kostengünstige Nachdrucke englischsprachiger Literatur verlegte. Dieses Unternehmen bedeutete den entscheidenden Schritt in das moderne Taschenbuchzeitalter. E.s beruflicher Erfolg wurde jedoch durch den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland und die daraus resultierenden Repressalien gegen Juden überschattet. Unter dem Druck der Verhältnisse musste er seinen Verlag verkaufen und wanderte 1936 zunächst nach Paris aus (→ Emigration [16]). Im Oktober 1940 emigrierte E. schließlich in die USA. In New York beteiligte er sich 1941 an der amerikanischen Tochterfirma von Penguin Books und baute diese erfolgreich aus. Gemeinsam mit einem Partner erwarb er 1947 die restlichen Anteile des Unternehmens und benannte es in The New American Library of World Literature um. Durch E.s Geschick entwickelte sich dieser Verlag zum größten und erfolgreichsten Taschenbuchverlag der Vereinigten Staaten. Nachdem er 1948 amerikanischer Staatsbürger geworden war, reiste E. 1949 erstmals wieder nach Europa und besuchte bei dieser Gelegenheit auch Hamburg – nicht ohne Bitternis. Durch den Holocaust und seine eigene Biographie für das Schicksal der Juden sensibilisiert, engagierte er sich für den Aufbau des Staates Israel, um dessen Druck- und Verlagswesen er sich besondere Verdienste erwarb. Im Ruhestand hielt er noch einmal Rückschau auf seine Anfänge in Hamburg: Er publizierte das von 1921 bis 1930 geführte Journal seines Vaters als Faksimile und schrieb seine Lebenserinnerungen, die 1984 posthum als Privatdruck veröffentlicht worden sind.
Rabbiner, geb. 8.10.1814 Hamburg, gest. 30.12.1876 Fulda
E. besuchte das Hamburger Johanneum und erhielt zugleich Privatunterricht bei dem religiösen Oberhaupt der Hamburger Juden, → Isaac Bernays [98]. Seit 1830 studierte er vier Semester an der Würzburger Universität sowie an der Talmudhochschule des dortigen Oberrabbiners Abraham Bing. Nach Hamburg zurückgekehrt, wurde er 1835 von der Universität Erlangen promoviert. Weitere rabbinische Studien in Hildesheim und Kassel schlossen sich an, bis er 1839 die Leitung der Armenschule Talmud Tora in Altona übernahm. Zudem gründete er auch eine private israelitische Bürgerschule, in der die Kinder beiderlei Geschlechts neben jüdischen Kenntnissen auch eine allgemeine Bildung erwerben konnten und auf den höheren Schulbesuch vorbereitet wurden. Befürwortete er einerseits eine Annäherung der deutschen Juden an die europäische Kultur, so blieb er doch andererseits zeitlebens ein strikter Gegner religiöser Reformen. Um dem gesetzestreuen Judentum eine öffentliche Stimme zu verschaffen, gab er seit 1845 (bis 1854) die erste orthodoxe, deutschsprachige Wochenschrift Der Treue Zions-Wächter heraus, die mit einer hebräischen Beilage erschien (→ Zeitungswesen [81]). 1855 wurde E. als Provinzialrabbiner nach Fulda berufen, wo er weiterhin einen strengen Traditionalismus verfocht. 1870 gehörte E. zu den Mitbegründern der Zeitschrift Jüdische Presse, die sich ebenfalls als Sprachrohr einer modernen jüdischen Orthodoxie verstand.
Zigarrenhandwerker und Gewerkschaftsführer, geb. 9.10.1818 Hamburg, gest. 21.1.1901 Hamburg
Fast 40 Jahre führte E. den Hamburger Cigarren-Arbeiter-Verein. Schon der Vater Joseph Moses Eschwege stellte als selbständiger Handwerker Zigarren in Hamburg her; bei ihm ging E. in die Lehre. In diesem unzünftigen Beruf waren auffallend viele Juden tätig, die zumeist als arm galten. Ihre Selbsthilfe bestand in einer 1823 gegründeten Krankenkasse jüdischer Zigarrenarbeiter. E. gehörte dem überkonfessionellen Cigarren-Arbeiter-Verein in Hamburg seit dessen Gründung im September 1848 an. 1851 übernahm er den Vorsitz, nachdem die bisherigen Präsidenten wegen ihren Beteiligungen an von der Obrigkeit als revolutionär eingestuften Tagungen und Verbindungen den Verein in die Gefahr, amtlicherseits verboten zu werden, gebracht hatten (→ Salomon Sternberg [100]). Neben dem anfänglichen politischen Anspruch fungierte der Verein seit 1849 auch als Kranken- und Sterbekasse für seine 550 Mitglieder und betrieb eine als Produktiv-Assoziation bezeichnete Tabakmanufaktur. Es war E.s vorsichtigem Agieren zu verdanken, dass der Hamburger Zigarren-Arbeiter-Verein als einziger in Deutschland während der Reaktionszeit nicht verboten wurde. Im Gegenteil stieg die Mitgliederzahl bis 1859 auf über 800. Auch die Manufaktur des Vereins entwickelte sich erfolgreich; erst in der Wirtschaftskrise, als der Betrieb 250 arbeitslos gewordene Zigarrenmacher einstellte, kam 1860 der Zusammenbruch. Der Verein aber blieb mit langsam abnehmender Mitgliederzahl bestehen. Mit E. an der Spitze verweigerte er sich dem Einfluss der von Ferdinand Lassalle geführten politischen Arbeiterbewegung und hielt sich bis zu seiner Auflösung 1890 auf liberaldemokratischem Kurs. E. folgte 1859 seinem Vater als Mitglied in der jüdischen Gemeinde, erwarb zugleich das Bürgerrecht und gründete eine Familie. Seitdem war seine Berufsbezeichnung Zigarrenfabrikant.
Rabbiner, geb. 17.3.1798 Karlsruhe, gest. 7.12.1871 Altona
E. gilt als einer der Mentoren der modernen jüdischen Orthodoxie, die die Verbürgerlichung des Lebensstils mit dem strengen Festhalten am Religionsgesetz in Einklang zu bringen versuchte. Aufgewachsen an seinem Geburtsort, begab sich E. als junger Mann nach Würzburg, wo er ein klassisches Studium der talmudischen Literatur absolvierte und sich zu gleicher Zeit als Gasthörer an der Universität einschrieb. Als Rabbiner bekleidete er danach zunächst Stellungen in Karlsruhe, Mannheim und Ladenburg, bis ihn die → Hochdeutsche Israelitengemeinde zu Altona [19] 1836 als ihr neues geistliches Oberhaupt berief. Mit dieser Stellung waren auch das Amt des Vorsitzenden am Rabbinatsgericht (→ Rabbinat [10]) sowie die religiöse Verwaltung der Sprenger Schleswig-Holstein verbunden. Innerhalb der Altonaer Gemeinde unterstanden zudem Unterricht und Kultus E.s direkter Aufsicht. Ungeachtet seiner positiven Auseinandersetzung mit deutscher Kultur widersetzte sich E. den Umdeutungen der Tradition durch die an Zuspruch gewinnende jüdische Reformbewegung. Um dem religiös gesetzestreuen Judentum ein eigenes, periodisch erscheinendes Sprachrohr zu geben, gründete er 1845 die Wochenzeitung Der Treue Zions-Wächter, mit deren Redaktion er → Samuel Enoch [101] betraute (→ Zeitungswesen [81]). Als Lehrer und Interpret jüdischen Sakralrechts galt E. auch über Norddeutschland hinaus als maßgebliche Instanz; seine Rechtsgutachten wurden in traditionstreuen jüdischen Gemeinden als verbindlich anerkannt. E. war zeitlebens ein produktiver Schreiber von Texten in deutscher und hebräischer Sprache, und seine mehrbändigen Talmudnovellen genießen bis in die Gegenwart die Anerkennung der orthodoxen jüdischen Gelehrtenwelt.
Personen und Themen mit F
Pädagoge und Verbandsfunktionär, geb. 24.10.1863 Wittlich (Rheinprovinz), gest. 11.3.1938 Hamburg-Blankenese
F., ältester Sohn des Metzgers Simon Feiner und seiner Frau Karoline, besuchte die Höhere Stadtschule in Wittlich und absolvierte dann das jüdische Lehrerseminar der Marks-Haindorf-Stiftung in Münster. Nach dem Studium an der Universität Berlin und an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums war er seit 1884 zunächst als Lehrer in Sonsbeck/Niederrhein, danach in Finsterwalde tätig. 1892 bestand er das Mittelschullehrerexamen und wurde als Lehrer und Direktor an die städtische Anton-Rée-Oberrealschule in Hamburg berufen, an der er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1928 wirkte. F. engagierte sich in mehreren Gremien der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18]. Als Kandidat der liberalen Liste saß er sowohl im Repräsentantenkollegium der Gemeinde als auch im Schulvorstand (1924/25). Einen Namen machte er sich vor allem als langjähriger Vorsitzender des Lehrervereins Mendelssohn und des Verbandes der jüdischen Lehrervereine im Deutschen Reiche, die sich für die berufsständische Selbstorganisation der jüdischen Pädagogen einsetzten. F., der viele Jahre als Redakteur beim Israelitischen Familienblatt (→ Zeitungswesen [81]) tätig war und sich als Verfasser zahlreicher Schriften an der zeitgenössischen innerjüdischen Diskussion beteiligte, nahm sich angesichts des Nazi-Terrors das Leben.
Im November 1930 wurde unter dem Vorsitz des Tuchgroßhändlers und Gemeindevorstandsmitglieds Hermann Philipp (1863-1938) die F. ins Leben gerufen. Der Bildungsausschuss der Gemeinde unter der Leitung Fritz Warburgs sowie der Gemeindevorstand unterstützten die Stiftung finanziell. Benannt nach dem Philosophen Franz Rosenzweig (1886-1929), der zu den wichtigsten Exponenten der jüdischen Renaissance in der Weimarer Republik gehörte, widmete sich die F. der jüdischen Erwachsenenbildung.
Rosenzweig hatte mit seinem Freien Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt a. M. eine neue Bildungsstätte für Erwachsene geschaffen, die sich mit jüdischer Tradition und Philosophie in zeitgemäßer Auslegung beschäftigen wollten. Im Anschluss an dieses »Neue Lernen« bot die F. in Hamburg seit dem Herbst 1932 akademische Arbeitsgemeinschaften, unter der Leitung namhafter Persönlichkeiten wie z. B. dem Bibelwissenschaftler und Rabbiner Benno Jacob oder der Kunsthistorikerin → Rosa Schapire [103], an. Aber auch öffentliche Vorträge für ein breiteres Publikum zu religiösen, philosophischen oder künstlerischen Fragen standen auf dem Programm. Im Ehrenpräsidium der Stiftung waren mit → Ernst Cassirer [40], Hermann Gumpertz, Alfred Levy, → Paul Ruben [104] und → Max Warburg [24] alle religiösen Richtungen der Gemeinde vertreten. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten entwickelten sich die Arbeitsgemeinschaften zu einer wichtigen Stütze für die Bedrängten. 1935 hatte die F. ungefähr 180 Mitglieder, es nahmen aber rund 750 Menschen an ihren Veranstaltungen teil. Nachdem Philipp im März 1938 gestorben war, ging der Vorsitz auf Paul Ruben über, bis im Juni 1938 alle Veranstaltungen der jüdischen Lehrhäuser im Reich verboten wurden. Die F. löste sich daraufhin auf, ihr restliches Vermögen von 900 RM erhielt der → Jüdische Religionsverband Hamburg [23].
Jeder jüdische Friedhof (hebr. »Haus des Lebens«, »Haus der Gräber« oder »Haus der Ewigkeit«) spiegelt das wechselvolle Leben seiner Gemeinde wider, somit ist seine Geschichte aufs engste mit Geschichte und Schicksal der Gemeinschaft verbunden, und die Formensprache und Inschriften erzählen von der Geschichte der Juden und ihrer Kultur.
Von den sieben noch bestehenden jüdischen F. liegen zwei in Wandsbek (Königsreihe (119), Jenfelder Straße (120)), drei in Altona (Königstraße (100), Bornkamp (102), Langenfelde (103)), einer in Harburg (Schwarzenberg (128)) und einer in den Grenzen Hamburgs vor 1937 (Ilandkoppel). Von diesen sind sechs historische F., d. h., sie wurden von der jeweiligen Gemeinde auf ewige Zeiten erworben, der F. Ilandkoppel jedoch nur auf Zeit. Auf den F. Königstrasse, Bornkamp und Ilandkoppel gibt es klar abgetrennte Bereiche für die sefardischen Juden (Portugiesen) und für die deutschen Juden (Aschkenasim). Von den aufgelassenen bzw. von den Nationalsozialisten zerstörten F. Neuer Steinweg (3), Grindel (57) und Ottensen (101) befinden sich zahlreiche Grabsteine auf dem F. Ilandkoppel. Jeder dieser F. hatte einen unterschiedlichen gesellschaftlichen Stellenwert. Die F. Königstraße und Ottensen wurden vor allem als Begräbnisplatz für berühmte Rabbiner und Gemeindeführer genutzt, der Grindelfriedhof hingegen galt lange Zeit als Begräbnisstätte für Abtrünnige, Dienstboten, uneheliche Kinder und für Fremde, die am unteren Ende der sozialen Ordnung standen. Der F. Langenfelde wurde ausschließlich von orthodoxen Mitgliedern der Hamburger Gemeinde genutzt. Auf dem F. Königsreihe liegen die Wandsbeker Ortsrabbiner bestattet. Völlig verschwunden sind die zehn Gräber des kleinen, 1841 von Michael Nathan angelegten jüdischen Privatfriedhof Bergedorf. 1938 wurde er nach längeren Verhandlungen auf massiven staatlichen Druck aufgehoben und von den Nationalsozialisten zum staatlichen Eigentum deklariert. Nach der Exhumierung der Toten wurde die Fläche für Krankenhauszwecke (AK Gojenbergweg) überbaut.
In künstlerischer und epigraphischer Hinsicht weisen die F. große Unterschiede auf: Dominieren auf den drei sefardischen Arealen flache, liegende Grabplatten sowie sarkophagähnliche Blöcke und lang gezogene pyramidenartige Grabmale (hebr. ohalim, »Zelte«), so dominieren auf den aschkenasischen F. ausschließlich relativ schmucklose Stelen. Sefardische Grabinschriften sind meist einsprachig (Hebräisch bzw. Portugiesisch, seltener Spanisch), mitunter zweisprachig (Hebräisch und Portugiesisch). Auf den ornamental reich geschmückten sefardischen Grabmalen fallen Darstellungen biblischer Szenen auf, vor allem als Anspielungen auf den Namen des Verstorbenen. Dazu kommen noch Darstellungen von Stamm- bzw. Lebensbäumen und überall Memento-mori-Symbole wie Totenschädel, gekreuzte Knochen, Stundenglas, Engels- und Fledermausflügel. Aus den Inschriften ist viel über die Herkunft der Verstorbenen zu erfahren. Auf dem Neuen Jüdischen F. Ilandkoppel fallen Grabsteine in persischer und russischer Sprache ins Auge, ein Hinweis auf die hohe Anzahl jüdischer Neueinwanderer, die nach 1945 nach Hamburg kamen. Mit ihren Inschriften und ihrem Grabschmuck stellen die über 40.000 jüdischen Grabmale der Hansestadt Hamburg, von denen ein Großteil fotografisch dokumentiert wurde, ein eindrucksvolles Archiv aus Stein dar, das die wechselvolle Geschichte und Größe, die Heterogenität und einzigartige Struktur der jüdischen Gemeinschaften des Hamburger Raums widerspiegelt. [106]
Königstraße (100): 1611 erwarben sefardische Juden das Gelände an der heutigen Königstraße in Altona, da ihnen Hamburg einen innerstädtischen Begräbnisplatz »auf Ewigkeit« verwehrte. Wenig später wurde an der Königstraße auch ein aschkenasischer Begräbnisplatz angelegt. Der heute noch knapp 20.000 m2 große Begräbnisplatz mit seinen ca. 7.000 Steinen und Bruchstücken wurde als einziger jüdischer F. Hamburgs unter Denkmalschutz gestellt (1960). Auf dem portugiesischen Teil befinden sich heute noch 1.652 mehr oder weniger gut erhaltene Grabsteine bzw. Steinfragmente. Zu den liegenden Grabplatten kommen 29 Tumben oder Zeltgräber, zwei Steinsarkophage sowie einige pflockartige Stelen. Der aschkenasische Teil des F. mit seinen ursprünglich 6.700 Steinen diente den Aschkenasen aus Altona und Hamburg als Begräbnisplatz.
Ilandkoppel: Der 1883 angelegte und 93.500 m2 große Jüdische F. Ilandkoppel liegt an der Südwestecke des 1877 errichteten Zentralfriedhofs Ohlsdorf. Er besteht heute aus dem Neuen Jüdischen F., dem historischen Grindelfriedhof (aschkenasischer und sefardischer Teil) mit ca. 450 Steinen (von ursprünglich 8.000), dem Ehrenfriedhof für die prominenten Mitglieder der Hamburger Gemeinden, dem Neuen Portugiesenfriedhof (145 Steine), dem historischen F. Ottensen mit 285 Steinen (von ursprünglich ca. 9.000), einem Ehrenf. für die im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten sowie einem Gedenkstein für die von den Nationalsozialisten ermordeten Hamburger Juden. Eine Platte und ein verrostetes Gitter erinnern an die von Januar bis Mai 1814 auf dem Jüdischen F. Neuer Steinweg begrabenen 57 aschkenasischen und sefardischen Toten. Von Tüchern drapierte und halb verhüllte steinerne Urnen in einigen Bereichen des F. deuten symbolisch auf eine Feuerbestattung hin, denn eine offene Zurschaustellung von Urnengräbern war nicht gestattet. Die erste Urnenbestattung fand 1897 statt. [107]
Hamburg-Wandsbek (119): Unter den jüdischen F. der → Dreigemeinde Altona-Hamburg-Wandsbek [9] zählt der fast 5.000 m2 große und ab 1637 angelegte F. Königsreihe mit seinen 1.006 Steinen zu den kleinsten im Hamburger Raum. Der älteste erhaltene Grabstein stammt aus dem Jahr 1675, doch dürften bis dahin schon etwa 50 Gräber existiert haben. Neben Mitgliedern der Wandsbeker Gemeinde fanden hier auch Mitglieder der Hamburger Gemeinde ihre letzte Ruhe. Mitte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts verfügte die Regierung von Schleswig-Holstein die Schließung des nahezu vollständig belegten F., Beerdigungen fanden aber noch bis 1909 auf reservierten Stellen statt. Die erste Beerdigung auf dem Nachfolgefriedhof an der Jenfelderstraße fand erst 1889 statt.
Langenfelde (103): Der F. am Försterweg geht auf die Weigerung der Stadt Hamburg zurück, den orthodoxen Mitgliedern ein Friedhofsgelände »auf Ewigkeit« zu verkaufen. Diese Minderheit erwarb daraufhin im damals preußischen Langenfelde ein 2,5 ha großes Stück Land und begrub dort bis 1941 ihre Toten. In der südöstlichen Ecke befinden sich zehn Reihen mit Kinder- bzw. Kleinkindergräbern. An die Kinderreihen schließen sich Reihen für Ehepaare sowie für verwitwete bzw. unverheiratete Frauen und Männer an. Hinter dem Neubau (rechts) befinden sich in einer Extrareihe die Gräber der Kohanim (Priester), da die Nachkommen des biblischen Aron dem Priesterdienst geweiht wurden und nur auf gesonderten Feldern in der Nähe des Eingangs oder eines eigenen Eingangs bestattet werden durften. [108]
Bornkampsweg (Bahrenfeld) (102): Nach der Schließung des F. Königstraße 1873 diente der neue, ca. 1 ha große F. Bornkamp der Altonaer Hochdeutschen Israelitengemeinde sowie der Altonaer Portugiesengemeinde bis 1939 als letzte Ruhestätte. Auf dem heute geschlossenen F. gab es nach 1945 noch einige Beerdigungen.
Schwarzenbergstraße (Harburg) (128): Auf dem vermutlich um 1614 angelegten F. (der früheste Plan stammt aus dem Jahre 1757) sind heute noch 239 Grabsteine aus der Zeit nach 1812 erhalten, einige wenige davon als Fragmente, sowie ein Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs und eine Gedenktafel. Im Juli 1937 fand die letzte Bestattung auf dem gänzlich belegten F. statt. Zwei Jahre später ordnete der Hamburger Reichsstatthalter Karl Kaufmann die Schließung des F. für Bestattungen an, Anfang 1943 wurde der Harburger F. für 2.982 RM an die Stadt Hamburg verkauft.
Der Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit ist weniger durch Ereignisse denn durch Prozesse gekennzeichnet. Für die Juden im Alten Reich sind in ihrer europäischen Vernetzung folgende Prozesse von Bedeutung: Die Vertreibung der Juden von der Iberischen Halbinsel und die Conversos-Politik der dortigen habsburgischen Könige ab 1492, die Verdrängung aus den meisten Reichsstädten sowie zahlreichen Territorien im ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhundert und die damit verbundene Herausbildung der Landjudenschaften; ferner die Fortsetzung der altkirchlichen Judenfeindschaft auch in den neuen reformierten Kirchen sowie der kulturelle Bedeutungsverlust unter anderem aufgrund demographischer Veränderungen.
Die Wende zur Moderne im ausgehenden 18. Jahrhundert wird bestimmt durch das Gesellschaftskonzept der Aufklärungselite mit dem Vorhaben, die Juden nach einem längeren Erziehungsprozess zu akkulturieren; weiterhin die Akzeptanz dieses Konzepts durch die jüdischen Aufklärer, die Maskilim, sowie deren Akkulturationsprogramme, ferner die sich anbahnende politische Emanzipation in der napoleonischen Ära. Insgesamt zeigt die Entwicklung der Juden im Alten Reich während der Frühen Neuzeit eine aufsteigende Tendenz, nämlich von einer gravierenden Existenzbedrohung zu Beginn des 16. Jahrhunderts zur Stabilisierung im ausgehenden 18. Jahrhundert, wobei für diese Zeit jedoch eine starke Marginalisierung und Verarmung des Gros der jüdischen Bevölkerung in Deutschland in Rechnung zu stellen ist.
Die Vertreibung aus den Reichsstädten und zahlreichen Territorien führte zu einem stärkeren Zusammenschluss der Juden im Alten Reich. Josel von Rosheim (1478-1554), »Befehlshaber der Jüdischheit teutscher Nation« seit 1530, verhinderte durch geschickte Politik gegenüber Kaiser Karl V. die endgültige Verdrängung der Juden, konnte aber Vertreibungen aus den protestantischen Territorien wie im Fall des Kurfürstentums Sachsen (1537) nicht verhindern. Luthers Haltung bei diesem Vorgang zeigt, dass die neue reformierte Kirche den traditionellen Judenhass der alten Kirche fortsetzte. Als Folge entstand eine erneute Vertreibungswelle, diesmal aus lutherischen Städten und Territorien, bzw. eine Zulassung von Juden in protestantischen Territorien nur unter restringierten Bedingungen für den jüdischen Kultus. Das Privileg Karls V. von 1544, das den Juden ein Bleiberecht im Reich garantierte, konnte gegen die Territorialherren nicht durchgesetzt werden, denen 1548 endgültig die Verfügungs- und Schutzrechte über die Juden in ihren Territorien zugesprochen worden waren. Im 17. und 18. Jahrhundert beschränkte sich der kaiserliche Schutz auf die Sicherung der Rechte der Juden in den ihnen verbliebenen Reichsstädten. Unter diese kaiserlichen Schutzmaßnahmen ist auch der Erlass des 1710 herbeigeführten Hamburger → Juden-Reglements [91] zu rechnen.
In den wenigen Territorien oder Adelssitzen, die den Juden für Niederlassungen verblieben, entwickelten diese mit der Einrichtung der Landjudenschaften neue Organisationsformen. Alle männlichen Mitglieder bildeten eine Gemeinde. An der Spitze standen der Vorsteher, die Kollektoren sowie der Landrabbiner. Die Gemeindeangelegenheiten, vor allem die Aufteilung der Schutzgeldsumme auf die einzelnen Mitglieder (Repartition), regelte ein jährlich tagender Landtag, dem alle beitragzahlenden Mitglieder angehörten. Soweit Juden in Städten ein Aufenthaltsrecht erhielten, galt dieses vielfach nur zeitlich begrenzt (5 oder 10 Jahre) und wurde auf einzelne Familien beschränkt. Im Umfeld bedeutender Handelsstädte, in denen Juden kein Wohnrecht erhielten, bildeten sich größere Land- oder Kleinstadtgemeinden (z. B. Fürth, Altona, Moisling).
Im ausgehenden 16. Jahrhundert setzte eine demographische Wende ein. Die Stadtgemeinden (Prag, Frankfurt a. M.) wuchsen wieder, neue (Mainz, Metz, Glogau) entstanden. Eine wichtige Rolle spielten in diesem Prozess Altona und Hamburg. Im Zuge seiner Territorialpolitik ermöglichte um 1600 der Schauenburger Graf die Niederlassung aschkenasischer Juden im Flecken Altona und erteilte ihnen 1612 ein Generalgeleit. Bereits 1622 konnten die 30 jüdischen Familien eine Gemeinde mit entsprechender Infrastruktur (Stubensynagoge, → Friedhof [34]) bilden. Von Altona aus versuchten die Aschkenasim auch in Hamburg Fuß zu fassen. Unabhängig davon ließen sich zur selben Zeit in der Hansestadt portugiesische Marranen, d. h. getaufte Juden, als Marchant Adventurers nieder, unterstützt vom Hamburger Senat wegen dessen Orientierung auf den Amerikahandel. Als die Marranen rejudaisierten, verlangte die Bürgerschaft die Ausweisung der sefardischen Juden. Der Rat setzte sich jedoch durch und stellte sie 1612 in einem Kontrakt »Kaufmannshantierung« den anderen Bürgern gleich, verbot aber die Einrichtung einer jüdischen Infrastruktur.
Die Rechtssicherheit der Juden im Reich wurde im 16., aber vor allem im 17. Jahrhundert von den Territorialherren durch Judenordnungen verbessert. Diese definierten Regeln für das Zusammenleben von jüdischer Minderheit und christlichen Untertanen sowie die Höhe der Schutzgeldabgaben. Neben dem Schutzgeld hatten Juden weitere Steuern zu entrichten. Für die eigenen Kultus- und Schulkosten mussten die Gemeinden selbst aufkommen. Der durch die Landgemeinden bedingten Abkapselung jüdischer Gemeinden konnte unter anderem durch Rabbiner abgeholfen werden, die an den deutschen Talmudhochschulen ausgebildet worden waren und den Kontakt zwischen den Gemeinden aufrechterhielten. Zur Überwindung der Vereinzelung trug auch die jiddische Literatur bei, die durch jüdische Druckereien in Umlauf gesetzt wurde. Jiddischsprachige Epen griffen häufig Sagenstoffe der deutschen Literatur auf und beweisen eine kulturelle Öffnung der jüdischen Gemeinde zur christlichen Mehrheitsgesellschaft.
Die jüdischen Untertanen lebten weitgehend vom Hausierhandel. In größeren jüdischen Gemeinden wie in Prag gab es auch Handwerker der Nahrungsmittel- und Konfektionsberufe. Bedingt durch die Nachfrage der absolutistischen Höfe gelang einigen jüdischen Händlern im 17. Jahrhundert der Aufstieg zu Hoffaktoren. Diese hatten die fürstlichen Haushalte mit Krediten, Preziosen oder auch Heeresausrüstungen zu versorgen. Im 18. Jahrhundert differenzierte sich das soziale Feld sehr breit von den reichen Hoffaktoren bis zu den Betteljuden. Zu Letzteren zählten die Juden, die ihr Schutzgeld nicht aufbringen konnten und deshalb bettelnd durchs Land zogen. Das jüdische Armenwesen (Chalukka) ermöglichte diesen zumindest am Schabbat und an den Feiertagen die Versorgung durch die Gemeinden.
Durch die Judenpolitik des brandenburgischen Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm konsolidierte sich die Niederlassungspolitik in einem der bedeutendsten Länder des Alten Reiches. Sein Judenprivileg von 1671 ermöglichte den Zuzug der aus Wien vertriebenen Juden sowie der Juden, die nach den polnisch-ukrainischen Chmelnicki-Pogromen nach Deutschland geflüchtet waren. Auch wenn seine Nachfolger Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. durch ihre Judengesetze (1730, 1750) die judenfreundliche Politik wieder einschränkten, wurde Brandenburg-Preußen mit Berlin zum Zentrum der deutschen Juden in der Neuzeit. Auch Hamburg und Altona zählten im 17./18. Jahrhundert zu den Zentren der deutschen Judenheit. Zur Infrastruktur der jüdischen Gemeinde in Altona gehörte seit 1616 der Friedhof Königstraße (100) und die vermutlich seit 1620 oder früher existierende Stubensynagoge, für die 1622 ein »Schulklopfer«, d. h. ein Gemeindediener, bezeugt ist. Eine eigene Synagoge entstand nach 1682. Das »prächtige Gebäu« (J. J. Schudt) lag allerdings versteckt in einem Hinterhof in dem Quartier Papagoyen-/Kirch-/Breite Straße. Nach ihrer Zerstörung beim Stadtbrand (1711) wurde sie bis 1716 wieder aufgebaut und blieb bis ins ausgehende 18. Jahrhundert die einzige Synagoge im Hamburger Raum. Die Hamburger aschkenasische jüdische Gemeinde entwickelte sich nach mehreren gescheiterten Versuchen nach 1650 von Altona aus. Als Versuch zur Selbständigkeit ist 1663 der Kauf eines Ackers für einen eigenen Friedhof in Ottensen (101) zu sehen. Seit der Gründung der Hamburger Chewra Kadischa 1670 (→ Beerdigungswesen [85]) ist von der Existenz einer eigenen Gemeinde auszugehen, die sich aber schon 1671 mit der Altonaer und der → Wandsbeker Gemeinde [20] zur → Dreigemeinde [9] zusammenschließen musste. Die Wandsbeker Gemeinde, deren Nucleus ebenfalls eine Chewra Kadischa (»Heilige Bruderschaft«) bildete, entwickelte sich seit 1637. Sie entstand unter dem Schutz des dortigen Gutsbesitzers von Rantzau. Dass die Dreigemeinde über die Territorialgrenzen hinweg gegründet wurde, der Altonaer Oberrabbiner damit auch über die Untertanen der Freien Reichsstadt Hamburg verfügte, war einmalig im Alten Reich. Doch bestimmte der Hamburger Rat politisch mit seiner Judenordnung von 1710 über seine Juden. Diese war allerdings durch Vermittlung eines kaiserlichen Gesandten zustande gekommen, was beweist, dass der Kaiser zumindest in den Reichsstädten seinen Anspruch auf das kaiserliche Judenregal auch im 18. Jahrhundert noch nicht aufgegeben hatte. Die napoleonische Politik beschleunigte ab 1806 den Emanzipationsprozess, wurde aber nicht fortgesetzt, als durch den Wiener Kongress (1815) wiederum eine restaurative Phase eingeleitet wurde und die Juden in Lübeck und Bremen ihr dort erlangtes Wohnrecht wieder verloren. In Hamburg galt zwar wieder das Reglement von 1710, doch wurde staatlicherseits nach Auflösung der Dreigemeinde (1811) die Gründung einer Gemeinde mit entsprechender Infrastruktur nicht mehr in Frage gestellt (→ DIG [18]). Durch die Gründung des Neuen Israelitischen → Tempelvereins [39] (1817) wurde Hamburg dann zu einem Vorort der Reformbewegung in Deutschland. Mit dem Untergang der alten Gemeindestruktur und der Definition eines reformierten Judentums endet für die Hamburger Juden die Epoche der Frühen Neuzeit.
Personen und Themen mit G
Im Gebäude Karolinenstraße 35 (89), in dem sich bis 1942 die damals letzte Hamburger jüdische Schule (→ Schulwesen [80]) befand, wurde Ende 1988 in der Trägerschaft der Hamburger Volkshochschule die Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule eingerichtet. Die G. bindet öffentliches Gedenken an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus in ein umfangreiches Veranstaltungsangebot politischer Bildung ein, um zur Erziehung zu gesellschaftlich verantwortlichem Handeln beizutragen und Versöhnung zu ermöglichen.
Tafeln zur jüdischen Schulgeschichte wurden im oberen Stockwerk als Dauerleihgabe bereitgestellt, der denkmalgeschützte Naturkunderaum von 1930 mit zahlreichen originalen Exponaten aus dem Unterrichtsalltag bestückt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Insbesondere Schulklassen sind willkommen. Das Gebäude wurde 1997/98 nach dem letzten Schulleiter in → Dr. Alberto Jonas-Haus [71] umbenannt. Das Veranstaltungsprogramm der G. widmet sich insbesondere der Hamburger jüdischen Geschichte und Gegenwart. Neben den regelmäßig durchgeführten Stadtrundgängen zu den Stätten ehemaligen jüdischen Lebens haben Theaterprojekte, in Kooperation mit dem Thalia Theater in der Stadt an Originalschauplätzen inszeniert, wesentlich zum Profil der Einrichtung beigetragen. Die G. bietet außerdem diversen Vereinsinitiativen Raum. 2000/2001 wurde in einem ausgebauten Bodenraum die → Arie Goral-Sternheim-Bibliothek [110] aus dem Nachlass des Hamburger Malers und Publizisten bereitgestellt. 2003 wurden auch die Bestände der → Salomo-Birnbaum-Bibliothek [111] aufgenommen, die von der Salomo-Birnbaum-Gesellschaft betreut und verwaltet werden.
Mit zahlreichen Gedenktafeln, Denkmalen, Ausstellungen und Dokumentationsstätten wird in Hamburg heute an die jüdischen Opfer nationalsozialistischer Verfolgung erinnert. Die ersten Mahnmale entstanden schon in den frühen Nachkriegsjahren, z. B. das 1949 errichtete Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung auf dem → Friedhof Ohlsdorf [34]. Seit 1951 erinnert ein Gedenkstein auf dem angrenzenden Jüdischen Friedhof an der Ilandkoppel an die ca. 10.000 Jüdinnen und Juden aus Hamburg, die dem nationalsozialistischen Völkermord zum Opfer fielen. Auf Initiative französischer Überlebender entstand 1953 am Rande des ehemaligen KZ-Geländes in Neuengamme eine erste schlichte Gedenksäule. An ihre Stelle trat 1965 das in einen friedhofsartigen Park eingebettete Mahnmal.
Erst Ende der 1970er Jahre kam es im Zuge der verstärkten öffentlichen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit zu einer starken Zunahme der Erinnerungszeichen, Denkmale und Gedenkstätten, von denen erstmals auch einige mit Informationselementen und Ausstellungen versehen wurden. Oft waren es Vereine, Geschichtswerkstätten und Verbände, die sich für die Kennzeichnung von Erinnerungsorten einsetzten. Im April 1980 eröffnete die »Vereinigung Kinder vom Bullenhuser Damm« eine erste Ausstellung in den Kellerräumen der Schule, in denen im April 1945 zwanzig jüdische Kinder von SS-Männern erhängt worden waren. 1981 wurde auch die KZ-Gedenkstätte Neuengamme um ein Dokumentenhaus ergänzt, das fortan in einer ständigen Ausstellung über das System der Konzentrationslager und die Geschichte des KZ Neuengamme informierte. Mit Hilfe von 3.000 Spenden konnte im Mai 1982 auf dem Rathausmarkt ein neues Heine-Denkmal enthüllt werden, mit dem auch an die Bücherverbrennung und die Zerstörung des Heine-Denkmals durch die Nationalsozialisten erinnert wird. Zur Kenntlichmachung historischer Orte trugen zwei von der Kulturbehörde entwickelte Beschilderungsprogramme bei, die »Stätten der Verfolgung und des Widerstandes 1933-1945« sowie »Stätten jüdischen Lebens« mit Hinweistafeln versahen. Mit beiden Programmen wurden insgesamt über 40 Standorte markiert, die an die Ereignisse der Jahre 1933-1945 und die Zerstörung jüdischer Einrichtungen durch die Nationalsozialisten erinnern. [112]In unauffälliger, aber zugleich nachhaltiger Weise prägt eine weitere, erst in den letzten Jahren in Hamburg realisierte Form von Erinnerungszeichen das Stadtbild, die in den Bürgersteig eingelassenen »Stolpersteine« des Künstlers Gunter Demnig. Inzwischen wurden mit Unterstützung von Patinnen und Paten über tausend dieser Stolpersteine verlegt, die vor den früheren Wohnhäusern auf das Schicksal einzelner Deportierter und Ermordeter hinweisen. Zur Gedenkstätte im eigentlichen Sinn wird ein Ort aber erst, wenn auf ein historisches Ereignis in künstlerischer Form mit einem Mahn- oder Denkmal hingewiesen wird oder wenn es durch eine Ausstellung erläutert wird. Ein Wegweiser zu Stätten der Erinnerung an die Jahre 1933-1945 verzeichnet in der 2009 erschienen Neuauflage 75 über die ganze Stadt verteilte Gedenkstätten, die diesen Vorgaben entsprechen. Diese große Zahl dokumentiert nicht nur das Ausmaß von Verfolgung und kriegsbedingtem Leid, sondern zeigt zugleich, dass sich in Hamburg in den letzten drei Jahrzehnten eine thematisch vielschichtige Erinnerungskultur entwickelt hat. Zuvor war lange Zeit verdrängt worden, dass sich innerhalb der Hamburger Stadtgrenzen zwei berüchtigte → Konzentrationslager [14] befanden: Das KZ Fuhlsbüttel steht für die Etablierung des nationalsozialistischen Terrors in Norddeutschland, das KZ Neuengamme für die Verbreitung dieses Terrors über weite Teile Europas.
[113]Heute erinnern in Fuhlsbüttel und Neuengamme Gedenkstätten mit Ausstellungen und an den meisten Außenlager-Standorten Gedenktafeln an die Verbrechen. Andere Gedenkorte erinnern an die Verfolgung von Jüdinnen und Juden sowie weiterer Opfergruppen, an den Widerstand und an die Folgen der Bombenangriffe. Zwei Lernorte widmen sich schwerpunktmäßig der Aufklärung über die Geschichte der Hamburger Juden, ihrer Ausgrenzung, Enteignung und Verfolgung im »Dritten Reich« und dem jüdischen Leben nach dem Holocaust. Dabei handelt es sich zum einen um die → Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule [114] ( → Dr. Alberto Jonas-Haus [71]). Zum anderen wurde 1997 die Dauerausstellung »Juden in Hamburg« im Museum für Hamburgische Geschichte eröffnet, die die vierhundertjährige Geschichte der Juden in Altona, Hamburg und Wandsbek zeigt. Neben unzähligen Veranstaltungen, von denen viele zu den Jahrestagen des → Novemberpogroms [22] und der Befreiung sowie zu dem seit 1996 eingeführten jährlichen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar stattfinden, gehören zur Hamburger Erinnerungskultur vor allem auch die Begegnungsprogramme mit Zeitzeugen. Bereits 1965 wurde ein Senatsprogramm ins Leben gerufen, das der Kontaktpflege zu den vertriebenen ehemaligen Bürgerinnen und Bürgern dient. Seither wurden weit über 3.000 Personen, von denen viele in Israel und Übersee leben, in die Stadt eingeladen.
Das jüdische Recht umfasst alle juristischen Bereiche. In der frühen Neuzeit wurde die G. in Mitteleuropa jedoch auf Streitfälle, die zwischen Juden auftraten, eingeschränkt. Ausgenommen davon war die peinliche, also Leib und Leben betreffende Gerichtsbarkeit, die der staatlichen Rechtsprechung vorbehalten wurde. Die G. beschränkte sich auf so genannte Zeremonialangelegenheiten.
In der Regel waren damit das Familienrecht und das innergemeindliche Disziplinarrecht gemeint. Grundsätzlich sah das jüdische Recht zwei Möglichkeiten der Zusammensetzung eines Gerichts vor: ein aus drei Zivilpersonen oder ein aus drei juristisch qualifizierten Rabbinern gebildetes. Beide Formen existierten in Altona. Während in der Gründungsphase der Altonaer Gemeinde wohl der Gemeindevorstand alle Streitfälle verhandelte, wurde die Position der Gemeinderabbiner seit der Mitte des 17. Jahrhunderts gestärkt. Die G. des Gemeindevorstands wurde auf die Fälle beschränkt, die Verstöße gegen die Gemeindedisziplin (Störung des Gottesdienstes, unerlaubtes Fernbleiben von demselben usw.) betrafen. Der Altonaer Oberrabbiner erhielt dagegen mehr Kompetenzen. Mit der Bestätigung der → Privilegien [84] für die Altonaer hochdeutsche Gemeinde 1669 wurde die Zuständigkeit des Altonaer Rabbinatsgerichts (→ Rabbinat [10]) für Familien- und Zivilrecht festgeschrieben. Der Gerichtsbezirk wurde über die → Dreigemeinde AHW [9] (hier jedoch nur diejenigen Personen, die ihren Begräbnisplatz in Altona hatten) hinaus auf alle hochdeutschen Gemeinden im damaligen Schleswig und Holstein ausgedehnt. Obwohl die Vorrangstellung des Altonaer Oberrabbinats von den ihm unterstellten jüdischen Gemeinden immer wieder angegriffen wurde, blieb sie bis zur Abschaffung der Zivilgerichtsbarkeit 1863 bestehen.
Hans, Architekt, geb. 19.3.1881 Magdeburg, gest. 14.10.1931 Hamburg;
Oskar, Architekt, geb. 11.7.1886 Magdeburg, gest. 25.12.1966 Berkeley (USA)
Die Eltern der beiden Brüder, Ernst und Bertha Gerson, geb. Reichmann, übersiedelten 1887 von Magdeburg nach Hamburg, wo der Vater als Kaffee- und Zuckermakler tätig war. Die Söhne studierten in München Architektur, um dann 1907 in Altona ein gemeinsames Atelier zu eröffnen, das von Anfang an erfolgreich war. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs entstanden 20 Privat- und Landhäuser für die großbürgerlich-hanseatische Kaufmannschaft. Anfang der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde das Büro Hans und Oskar G. durch Veröffentlichungen besonders über ihre großen Hamburger Kontorhausbauten auch international bekannt. In der Weimarer Republik waren die Brüder neben Fritz Höger die maßgebenden Vertreter der so genannten Hamburger Schule der neuen Backstein-Bau-Kultur. Dazu zählten für Hamburg wichtige Kontorhausbauten wie Thaliahof, Ballinhaus (1938 umbenannt in Messberghof) und der zusammen mit Höger gebaute Sprinkenhof. Daneben errichteten sie in den zwanziger Jahren zahlreiche gutbürgerliche Wohnblocks, zumeist in Hamburg-Eppendorf gelegen. [116]Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 traf Oskar G. zusammen mit dem jüngeren Bruder Ernst, der inzwischen ebenfalls in die Firma eingetreten war, als »nichtarische Architekten« das Berufsverbot. Hans G. war zuvor im Alter von 50 Jahren gestorben. Der Bund Deutscher Architekten schloss »die G.s« im Oktober 1933 aus. Das Architekturbüro durfte nur noch die wenigen Aufträge jüdischer Bauherren übernehmen. Eines der letzten Bauvorhaben war 1937 der Umbau der Hartungstraße 9-11 (92) für den → Jüdischen Kulturbund [4] (heute Hamburger Kammerspiele). Die Familie Ernst G. wanderte 1933 nach Sofia und von dort 1939 nach Neuseeland aus. Die Familie Oskar G. emigrierte Anfang 1939 zunächst nach London, später in die USA (→ Emigration [16]). Erst 1944 konnte G. seinen früheren Beruf als Architekt wieder ausüben; viele seiner neuen Bauherren waren aus Deutschland geflüchtete Juden.
Die G. wurde am 12. Mai 1952 von 28 Persönlichkeiten der Hansestadt in einem Saal des Rathauses gegründet. Darunter waren Bruno Snell, Ernst Schnabel, → Ida Ehre [117], Günther Weisenborn, Theodor Graf Westarp, → Harry Goldstein [118], → Berthold Simonsohn [119] und, als dynamischer Gründungsvorsitzender, Erich Lüth, der 1951 die Aktion »Friede mit Israel« begründet hatte. Er warb für eine »Militanz des wachsamen Gewissens«. Die G. hatte bis zu 800 Mitglieder (1958). Das Hauptmotiv für die Gründung der G. war der Holocaust. Die Gründer wollten sich der nationalen Schuld stellen, wollten aufklären und erinnern sowie eine neue Begegnung von nichtjüdischen Deutschen mit Juden ermöglichen.
Daraus ergaben sich vor allem gesellschaftspolitische Aufgaben: Kampf gegen → Antisemitismus [31], gegen Diskriminierungen, Eintreten für Menschenrechte und Minderheiten und die Verständigung zwischen den Religionen. Seit 1980 gewinnt der religiöse Dialog zwischen den zwei Religionen zunehmend an Bedeutung. Die G. hat mit einer »Absage an die Judenmission« 1995 eine bundesweite Diskussion ausgelöst. Ihre Vertreter waren aktiv beteiligt am Entstehen einer entsprechenden Erklärung der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (2001). Die Kooperation mit der Jüdischen Gemeinde entwickelt sich im Rahmen des Möglichen. Zur Zeit hat die G. rund 300 Mitglieder, etwa zehn Prozent sind Juden. Die Mitgliedschaft der G. ist inzwischen überaltert, ähnlich wie in vielen anderen gesellschaftlichen Gruppen. Die mittlere Generation versagt sich weitgehend der beständigen Mitarbeit. Der Hamburger Senat hat 2001 seine restlichen finanziellen Zuwendungen gestrichen. Die G. arbeitet also gegenwärtig unter erschwerten Bedingungen, möchte aber trotzdem an ihrem Auftrag festhalten. Denn sowohl gesellschaftlich und politisch wie auch im Bereich des religiösen Dialoges ist noch viel Arbeit zu tun.
Auf Initiative der Henry Jones-Loge (→ Logenwesen [32]) wurde im Februar 1898 die G. gegründet. Sie sollte ein »Museum für jüdische Volkskunde« sowie ein Archiv und eine Bibliothek einrichten. Der Gesellschaft gehörten bald mehr als 300, zum Teil prominente Mitglieder aus allen Teilen Europas an. Geschäftsstelle, Museum, Bibliothek und Archiv waren seit Januar 1904 im neu errichteten Logenheim in der Hartungstraße (92) untergebracht, wo sich in der Folgezeit ein reges Vereinsleben mit Vorträgen und Sonderausstellungen entwickelte.
Max → Grunwald [121] gab von 1898 bis 1929 die Mitteilungen der G. heraus, Paul Rieger (1870-1939) hatte den Vorsitz inne. Der Umfang der Sammlungen erlaubte es der G., große Ausstellungen über die Geschichte und Kultur des Judentums in Berlin und Kopenhagen oder die Internationale Hygiene-Ausstellung 1911 in Dresden mit Leihgaben zu bestücken. In Hamburg selbst war die Platz- und Ausstellungssituation des »Museums für jüdische Volkskunde« dagegen beschränkt. 1913 stellte dann das Museum für Völkerkunde dem Museum der G. einen eigenen Raum zur Verfügung. Die G. existierte auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten zunächst weiter. Noch im August 1934 wurde ein neuer Vorstand gewählt. 1934 waren allerdings auf Intervention der SS die in den Räumen des Völkerkundemuseums aufgestellten Objekte entfernt worden. 1938 dann waren die Tage der G. unwiderruflich gezählt. Später kam in Israel zur Vollendung, was in Hamburg begonnen hatte, in Europa jedoch nie verwirklicht werden konnte: Die jüdische Volkskunde ist dort als Lehrfach an den Universitäten Jerusalem, Be’er Sheva und Haifa vertreten.
(auch: Glikl bas Juda Leib), Kauffrau, geb. 1645/6 Hamburg, gest. 1724 Metz (Frankreich)
Mit ihren sieben Memoirenbänden in jüdisch-deutscher Sprache gehört G. als Autobiographin zu den bedeutendsten jüdischen Autoren der Neuzeit, vergleichbar mit Leon da Modena (1571-1648). Sie wurde in der Endphase des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) als Tochter des Juwelenhändlers und Pfandleihers Juda Joseph, genannt Loeb Pinkerle, und seiner Frau Bele Melrich, einer ebenfalls erfolgreichen Geschäftsfrau, geboren. G.s vermögender und angesehener Vater gehörte zu den ersten aschkenasischen Schutzjuden Hamburgs, was ihn und seine Familie im Jahre 1648 jedoch nicht vor der Vertreibung aus der Stadt schützte. Im nahen Altona fand er mit den anderen Hamburger Juden immer wieder eine vorübergehende Bleibe. G. wurde dem Brauch gemäß im Alter von 14 Jahren mit dem kaum älteren Chajim, Sohn des Händlers Joseph ben Baruch Daniel Samuel ha-Levi (oder Segal bzw. auch Hamel) aus der Stadt Hameln, verheiratet. Das Paar ließ sich in Hamburg nieder, handelte u. a. mit Gold und Perlen und führte bis zu Chajims frühem Tod im Jahre 1689 eine glückliche Ehe, in der G. 14 Kinder gebar, von denen 12 das Erwachsenenalter erreichten. Als tüchtige Witwe führte G. die Geschäfte allein weiter und sorgte für die Ausbildung ihrer Kinder im In- und Ausland sowie gute Heiratspartien. In der schwierigen Lebenssituation und »aus vielen Sorgen und Nöten und Herzeleid« begann sie 1691 die Erinnerungen für ihre Kinder niederzuschreiben. Da jüdischen Frauen bis zur Aufklärung der öffentliche intellektuelle Raum verschlossen war, sind G.s Erinnerungen, die 1719 enden, nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen. Sie enthielten detaillierte Berichte über historische Ereignisse, geschäftliche, finanzielle und familiäre Angelegenheiten wie Geburten, Krankheiten und Hochzeitsfeiern sowie Geschichten aus der jüdischen weltlichen und Moralliteratur, die G. sowohl als gottesfürchtige als auch für ihre Zeit außergewöhnlich gebildete Frau ausweisen. Wegen ihrer zweiten Heirat mit Hirsch Levy, einem respektierten Gemeindevorsteher und reichen Witwer, zog G. nach Metz. Durch den baldigen Bankrott ihres Mannes wurde sie allerdings mittellos und musste den Lebensabend im Haus ihrer Tochter verbringen. Dort verfasste sie die letzten Teile ihrer Memoiren, die auch Kritik an der zerstrittenen jüdischen Gemeinde von Metz enthalten. Das Originalmanuskript ist verschollen, ihr Sohn Moses Hameln, Rabbiner von Baiersdorf, hatte aber eine heute in der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. befindliche Abschrift angefertigt. Der Budapester Gelehrte David Kaufmann hat sie 1896 unter dem Titel Sichrojnes maras (Erinnerungen der Frau) Glikl Hamil veröffentlicht, welche 1910 durch Bertha Pappenheim und 1913 durch Alfred Feilchenfeld ins Deutsche übersetzt wurden. Bis heute von großer Bedeutung sind G.s Schilderungen der innerjüdischen Geschichte – z. B. der Unruhen wegen des angeblichen Messias Sabbatai Zwi (1626-1676) – vor dem allgemeinen historischen Hintergrund Europas an der Schwelle eines neuen Zeitalters.
Das Privileg vom 3. August 1619, mit dem Christian IV. die sefardischen Kaufleute (→ Portugiesisch-Jüdische Gemeinden [2]) aus Hamburg und Amsterdam mit ihren internationalen Handelsbeziehungen nach G. holte, garantierte den »Portugiesen« in G. freie Religionsausübung in ihren Häusern, Rechtsautonomie bei Streitigkeiten untereinander, Befreiung von Abgaben sowie uneingeschränkte Handelsfreiheit im dänischen Königreich.
Amsterdamer und Hamburger Portugiesen betrieben in G. alsbald Zuckerraffinerien, Seifen- und Salzsiedereien sowie Ölmühlen, betätigten sich als Reeder und im Überseehandel, handelten mit Textilien und Tabak oder waren wie Moses Josua Henriques mit königlich-dänischem Privileg als Sklavenhändler in Guinea unterwegs. 1620 hatten sich schon 13 Portugiesen in G. niedergelassen, und nur drei Jahre später stellten sie mit 29 Familien 8,1 Prozent aller Haushalte. G. erlebte eine kurze wirtschaftliche Blütezeit, zu einer ernst zu nehmenden wirtschaftlichen Konkurrenz Hamburgs wurde es aber nie. Für die portugiesischen Juden stellte G. allerdings angesichts der von der Hamburger Geistlichkeit geschürten Judenfeindschaft einen attraktiven Zufluchtsort dar. Schon 1622 erhielten sie die Erlaubnis, einen Friedhof anzulegen. Zwischen 1620 und 1650 ließen sich insgesamt 76 Portugiesen als »Neubürger« nieder. Die Portugiesen wohnten in der Kremper Straße, die bis 1623 die Hauptstraße war, am Fleth, in der Portugiesenstraße, später auch am Hafen. Einige erwarben auch Land, zumeist in der Nähe des portugiesischen Friedhofes. 1640 besaßen die zwanzig portugiesischen Familien ca. dreißig Häuser und damit fast 9 Prozent des Gesamthausbestandes. Als die Zahl der Gemeindemitglieder später abnahm, fiel es der kleinen Gemeinde schwer, die bisher gewährten Privilegien aufrechtzuerhalten. Bestärkt in ihrer Eigenständigkeit und finanziell unterstützt aber wurden die Portugiesen in G. immer wieder von der Hamburger (und Amsterdamer) Portugiesengemeinde, die sich damit auch eine mögliche Zufluchtsstätte erhalten wollten. Zwischen 1630 und 1700 wurden die Privilegien zunächst noch beträchtlich erweitert. Sie boten den Portugiesen unter anderem die (teilweise) Befreiung von Einquartierung, Erlaubnis zum Bau einer Synagoge, die Konzession einer Druckerei, die Erlaubnis zum Schiffbau und die Erlaubnis zum Besuch von privaten und öffentlichen Schulen des Landes. 1732 wurde die Verlängerung der Privilegien jedoch verweigert, da keine der alten portugiesischen Familien mehr dort ansässig war. 1772 war die Gemeinde gezwungen, den Hamburger Portugiesen das Eigentumsrecht an Synagoge und Friedhof zuzugestehen, durfte aber beide in Miete behalten. Bei einer Faulfieberepidemie 1783 kam fast ein Drittel der Gemeinde ums Leben. 1785 wurde die Synagoge auf Abbruch verkauft, da zu dieser Zeit keine Portugiesen mehr in G. lebten und sich die Hamburger Muttergemeinde als Rechtsnachfolgerin nicht bereit erklärte, für die notwendigen Restaurierungsarbeiten aufzukommen. Um 1800 zählte die ausschließlich aus Aschkenasim bestehende Gemeinde nur noch 120 Mitglieder, hundert Jahre später lebten nur noch sechs Juden in G.
Komponist und Dirigent, geb. 18.1.1903 Hamburg, gest. 17.10.1996 London
G.s Eltern stammten aus einer angesehenen jüdischen Kaufmannsfamilie, die um 1900 ein Haus in der Steinstraße mit Verkaufs- und Wohnräumen besaß – dies war G.s Geburtshaus. Obgleich nicht streng religiös erzogen, feierte G. seine Bar-Mizwa im Januar 1916 in der großen → Bornplatz-Synagoge [97] (50). Nach dem Abitur in der Oberrealschule St. Georg studierte G. Komposition und Dirigieren in Berlin. Die Uraufführung seiner Oper Der gewaltige Hahnrei in Mannheim 1932 war ein großer Erfolg, die zweite für Berlin annoncierte Einstudierung wurde durch den Machtantritt der Nazis vereitelt. Nach einem Verhör bei der Gestapo floh G. 1935 über die Schweiz nach England (→ Emigration [16]). Das dort gleich nach der Ankunft komponierte 2. Streichquartett drückt die Erleichterung über die gelungene Flucht sowie die Sorge um die in Deutschland verbliebenen Verwandten aus. G., der als Komponist im englischen Exil nicht Fuß fassen konnte, wäre auch nach dem Krieg unbekannt geblieben, hätte nicht der Dirigent Simon Rattle 1987 in Berlin die Ciaccona sinfonica in einem Festkonzert bei Anwesenheit des Komponisten aufgeführt. Der sich sofort einstellende Erfolg sowie Einladungen durch die Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein ermutigten G., wieder zu komponieren. Es entstand ein beachtliches Alterswerk, in dem autobiographische Hinweise dominant sind. G., der sich als Atheist verstand, bekannte sich stets zum Judentum: »Ich habe nie aus meinem Judentum einen Hehl gemacht, ich habe auch nie meinen Namen gewechselt, den Namen meiner Väter, die seit mehr als 100 Jahren oder viel länger vielleicht in Hamburg ansässig waren […]. Ich habe ihn auch nicht anglisiert. Ich bin so wie ich bin, ein Jude geboren und geblieben, und nicht fanatisch geworden, nach keiner Richtung hin.«
ehrenamtliche Gemeindemitarbeiterin, geb. 9.9.1902 Hamburg-Altona, gest. 8.5.1977 in Hamburg
G. arbeitete in der Bank ihres Vaters, Iska Goldschmidt. Ab 1938 war sie im → Jüdischen Religionsverband Hamburg [23] unter dem damaligen Geschäftsführer → Max Plaut [122] tätig. G. wurde am 23. Juni 1943 mit ihrer Schwester → Käthe Starke [123] mit einem der letzten → Deportationen [13] aus Hamburg nach Theresienstadt gebracht. Dort war sie Mitarbeiterin im »Judenrat von Theresienstadt«. Sie überlebte das Lager und wurde im Mai 1945 mit ihrer Schwester von der Roten Armee befreit. Nach ihrer Rückkehr nach Hamburg arbeitete sie für die Jewish Trust Corporation for Germany in Hamburg. G. engagierte sich maßgeblich am Wiederaufbau der → Jüdischen Gemeinde [124] in Hamburg – so gehörte sie viele Jahre deren Beirat an. Später war sie auch Mitglied in verschiedenen jüdischen Dachorganisationen, u. a. in leitender Funktion im Jüdischen Gemeindefonds Nordwestdeutschland, der die Restbestände jüdischen Eigentums von der Jewish Trust Corporation in der britischen Zone übernahm. G. war darüber hinaus ehrenamtlich auch in nicht-jüdischen Organisationen tätig.
geb. Schwabe, Schriftstellerin und Pädagogin geb. 11.12.1806 Bremerlehe, gest. 10.10.1884 Hamburg
G., Tochter des Kaufmanns Marcus Hertz Schwabe und seiner Ehefrau Henriette, lebte seit 1812 in Hamburg. G.s Vater war Mitglied im 1817 gegründeten Neuen Israelitischen → Tempelverein [39]; sie wuchs auf in der liberalen Atmosphäre jüdischer Reform. 1826 heiratete sie den ebenfalls reformerisch gesinnten Kaufmann Moritz David Goldschmidt und wurde Mutter von acht Kindern. 1847 publizierte sie anonym Rebekka und Amalia. Briefwechsel zwischen einer Israelitin und einer Adeligen über Zeit- und Lebensfragen, in dem sie die bedrückte Lage der Juden in Hamburg schilderte. Sie bekannte sich zu einem akkulturierten jüdischen Lebensstil und zur jüdisch-christlichen Verständigung, lehnte aber eine aus Karrieregründen vollzogene Taufe ab. Der Roman enthielt den Entwurf eines interkonfessionellen Frauenvereins, der sich weniger begüterten Geschlechtsgenossinnen zuwandte. Diesen Plan realisierte sie im Frühjahr 1848 unter dem Eindruck der Revolution, indem sie mit acht Jüdinnen und acht freireligiös orientierten Christinnen einen sozialen Verein gründete. Zu ihren Zielen gehörte, für die → Emanzipation [11] von Juden und Frauen einzutreten, konfessionelle Vorurteile zu bekämpfen und den Ausgleich sozialer Unterschiede zu fördern. G. wirkte in Schrift und Tat für die freiheitliche Kindererziehung im Sinne Friedrich Fröbels. Sie unterrichtete Kinder erwerbstätiger Mütter in einer informellen Schule, die 1852 wegen demokratischer und atheistischer Tendenzen polizeilich geschlossen wurde, 1856 aber unter ihrer Leitung neu eröffnet werden konnte und 1862 Bestandteil des neu gegründeten Paulsenstifts wurde. Weil G. sich mit der Anstaltsleitung nicht über den Charakter der Schule einig wurde, schied sie aus und widmete sich fortan ganz dem 1860 gegründeten Fröbelverein und der Gründung von Bürgerkindergärten für Kinder aller sozialen Schichten. Im Fröbelseminar schuf sie Voraussetzungen für neue weibliche Berufe. Als Mitglied der organisierten Frauenbewegung warb sie in öffentlichen Vorträgen für die Fröbellehre und förderte so die internationale Verbreitung der Kindergärten.
Pädagoge und Schulleiter, geb. 9.11.1842 Rakwitz (Posen), gest. 13.6.1925 Hamburg
G. war der erste hauptamtliche Direktor der → Talmud Tora Realschule [38] (TTR), da die Anstalt bis zu seiner Ernennung im Jahre 1889 der Aufsicht des jeweiligen Hamburger Rabbiners unterstand. G. war ein gesetzestreuer Jude, der den jüdischen Glauben als erstes Erziehungsziel auf sein Banner schrieb. Nach seinem Studium der klassischen Philologie in Berlin und Halle, das er mit der Promoton abschloss, unterrichtete er zunächst am Auerbachschen Waiseninstitut für Knaben in Berlin. 1867 bis 1876 war er Lehrer in Hamburg, 1876 bis 1889 Lehrer an der Realschule der Israelitischen Religionsgesellschaft in Frankfurt a. M. Im Einklang mit der damaligen Zeitströmung war er deutsch-national gesinnt, begeisterte sich für deutsche Literatur sowie für die Geschichte des deutschen Mannes und seiner Hamburger Heimat. → Zionistischen [45] Ideen hingegen stand er distanziert gegenüber. Seiner jüdischen wie auch deutsch-nationalen Gesinnung entsprechend räumte das Curriculum der Schule den traditionellen Bibel- und Talmudstudien wie auch den Fächern deutsche Geschichte und Literatur weiten Raum ein. Seine pädagogischen Prinzipien entsprachen den zeitgenössischen Standards, zu denen etwa strenge Disziplin, Gehorsamkeit, präzise Klasseneinteilung nach Alter und Leistung – sowie vor allem gebührende Distanz zwischen Lehrern und Schülern gehörte.
Unter seiner Leitung kamen aber auch Aspekte seiner jüdisch-sozialen Anschauung zum Ausdruck. Während seines ca. dreißigjährigen Amtes blieb die TTR eine Einheitsschule im doppelten Sinn: Schüler aus religiösem und weniger religiösem Milieu wurden in der Schule aufgenommen; weder Lehrer noch Schüler wussten, wer die TTR als Freischule besuchte und wessen Eltern für Schulgeld, Schulbücher wie auch angemessene Bekleidung selbst aufkamen.
G. war ein gebildeter Mann: In seinen Veröffentlichungen kommt sein Versuch einer Synthese zwischen der traditionell ausgelegten Bibel und der deutschen Klassik zu wissenschaftlichem und religiösem Ausdruck, und seine Festschrift zur Hundertjahrfeier der TTR (1905) zeugt bis heute von seinem gewissenhaften Geschichtsbewusstsein.
(auch: Heimann), Gemeindevorsteher, geb. 20.7.1880 Waldenburg (Schlesien), gest. 10.6.1977 Hamburg
G., dessen Familie aus Posen stammte, trat nach Absolvierung einer kaufmännischen Lehre in das väterliche Herrenbekleidungsgeschäft ein. 1907 siedelte er nach Hamburg über, wo er als Handelsvertreter arbeitete. Am Ersten Weltkrieg nahm er von 1914 an teil und wurde mehrfach ausgezeichnet. 1919 in die Hansestadt zurückgekehrt, nahm er seine alte Berufstätigkeit wieder auf und heiratete die Hamburgerin Clara Rohweder, die kurz zuvor zum Judentum übergetreten war. Seine politische Heimat wurde der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, dessen Hamburger Ortsgruppe (→ Vaterländischer Bund [48]) er mit begründete und in dessen Leitung er ununterbrochen tätig war. Im Sommer 1934 entlassen, widmete G. sich vornehmlich Verwaltungsarbeiten in jüdischen Organisationen, insbesondere im Reichsbund und in der Sportgruppe »Schild« (→ Sportvereine [126]). Nach deren Auflösung 1939 übernahm G. allgemeine Wohlfahrtsaufgaben im neuen → Jüdischen Religionsverband [23], um sich nach dessen Verbot 1943 um die wenigen von den → Deportationen [13] verschont gebliebenen Mitglieder der Restgemeinde zu kümmern. Das einzige Kind der Goldsteins hatte 1939 eine Gelegenheit zur → Emigration [16] nach Schweden genutzt. Nach Ende des Weltkrieges wurde G. zur treibenden Kraft beim Wiederaufbau einer → jüdischen Gemeinde [124] in Hamburg, die er zusammen mit anderen Mitgliedern der ehemaligen Gemeinde im September 1945 von Neuem gründete. G. wurde zum Vorsitzenden des Vorstandes berufen, eine Funktion, die er über zehn Jahre lang innehatte. Er kümmerte sich ebenso um die Versorgung der zahlreichen verarmten jüdischen Bürger wie um die Lösung von Entschädigungs- und Wiedergutmachungsfragen. Zudem betrieb er die Wiederherstellung jüdischer Einrichtungen wie der → Synagoge [96], des → Friedhofs [34] in Ohlsdorf, eines Alten- und Pflegeheims und den Bau eines Krankenhauses. G. warb allenthalben um Verständnis für das Verbleiben deutscher Juden im »Land der Mörder«. Er pflegte Kontakte zu angloamerikanischen jüdischen Hilfsorganisationen und wirkte in den sich seit Mai 1946 entwickelnden überregionalen Gremien der jüdischen Gemeinden in der Britischen Zone mit. Im Mai 1952 zählte er zu den Gründungsmitgliedern der → Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Hamburg [127]. G.s Wirken war stets darauf gerichtet, dem jüdischen Leben einen anerkannten Platz in Hamburg zu sichern, und er trat nachdrücklich dafür ein, dass die Öffentlichkeit der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus eingedenk blieb. Bereits 1955 ehrte ihn die Stadt Hamburg mit der Verleihung der silbernen Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes. 1956 erhielt er das Bundesverdienstkreuz erster Klasse.
Maler, Schriftsteller und Publizist, geb. 16.10. 1909 Rheda, gest. 23.4.1996 Hamburg
G.-S.ist im jüngeren Gedächtnis der Stadt als ruheloser Aktivist in Erinnerung, der zahlreiche Protestinitiativen entwickelte und an das vernichtete jüdische Hamburg erinnerte. Weniger bekannt ist, dass er vor seiner Rückkehr nach Deutschland bereits eine Jahrzehnte umfassende publizistische und erzieherische Tätigkeit entfaltet hatte, die ihn als einen Exponenten der jüdischen → Jugendbewegung [128] seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts kennzeichnet. 1921 trat G.-S. dem Wanderbund Blau Weiß bei. Zeitweilig war er leitend im Brith Habonim tätig, dessen Ziel die handwerkliche oder landwirtschaftliche Vorbereitung der Jugend für die Auswanderung nach Palästina war. 1928 bis 1932 absolvierte er selbst eine solche landwirtschaftliche Lehre im »Kibbuz Cherut« bei Hameln. 1933 floh er zunächst nach Frankreich, noch im darauf folgenden Jahr emigrierte er nach Palästina (→ Emigration [16]). Er arbeitete im Kibbuz Giwat Brenner, ging dann nach Jerusalem und gehörte dem Kreis um die Dichterin Else Lasker-Schüler an. Er veröffentlichte rund zehn Lyrikbändchen. Nach seiner Teilnahme am Unabhängigkeitskrieg von 1948 richtete G.-S. Kindermalstudios ein, in denen er u. a. kriegstraumatisierte Kinder zur Verarbeitung ihrer Erlebnisse anregte. 1950 reiste er nach Italien, um in Florenz Malerei zu studieren. 1953 kehrte er nach Deutschland zurück. Hier entfaltete er eine reichhaltige malerische Tätigkeit, die in Ausstellungen in Deutschland, England und Italien ihren Niederschlag fand. Seit den sechziger Jahren betrieb er mit großer Verve zahlreiche Protestinitiativen gegen restaurative und antisemitische Tendenzen. G.-S.s »Intergalerie« war in den siebziger Jahren als Kunst- und Diskussionsforum prägend für viele junge Intellektuelle der Stadt. Hamburg würdigte ihn 1982 durch die Verleihung der Biermann-Ratjen-Medaille.
Zwischen 1870 und 1930 verlagerte sich das Hauptwohngebiet der jüdischen Bevölkerung Hamburgs aus der engen Alt- und → Neustadt [28], wo 1871 noch drei Viertel aller Hamburger Juden ansässig waren, zunächst nach Harvestehude, Rotherbaum und Eppendorf, später vor allem in die beiden Gebiete vor dem Dammtor. Um 1900 hatten sich in Rotherbaum und in Harvestehude ca. 40 Prozent aller im städtischen Teil Hamburgs lebenden Juden angesiedelt. Die Stadtteilkonzentration erreichte 1925 ihren Höhepunkt.
Während der Prozentsatz der Juden an der Gesamtbevölkerung bei nur 1,72 Prozent lag, erreichte er in Rotherbaum mit 15,23 Prozent und in Harvestehude mit 15,89 Prozent eine beträchtliche Höhe. Die zweifache Binnenmigration in die »besseren« Wohnquartiere war Ausdruck des wirtschaftlichen und sozialen Aufstiegs der Hamburger Juden seit der → Emanzipation [11]. Im Gegensatz zu Harvestehude und den alsternahen Teilen Rotherbaums, den bevorzugten Wohngebieten der (z. T. der Oberschicht angehörenden) liberalen und assimilierten Juden, besaß der im Wesentlichen zu Rotherbaum gehörende Grindel, das Gebiet zwischen Bundesstraße, Hallerstraße, Rothenbaumchaussee und Moorweidenstraße, als Wohnquartier des meist im Kleinhandel und Gewerbe tätigen orthodoxen Kleinbürgertums eine jüdisch geprägte Atmosphäre. Infolge der innerstädtischen Migration entstand hier eine dichte Infrastruktur von jüdischen Bildungs-, Kultur- und Sozialeinrichtungen sowie koscheren Lebensmittelgeschäften und hebräischen Buchhandlungen, die dem Viertel im Volksmund den Beinamen »Klein-Jerusalem« eintrug. Zum Milieu orthodoxer Religiosität und Gelehrsamkeit um das Doppelzentrum des Viertels, → Bornplatz-Synagoge [97] (50) und → Talmud Tora Realschule [97] (91), gehörten auch die Israelitische Höhere Töchterschule (48) und die → Jeschiwa [129] mit der Synagoge des ostjüdischen Vereins »Adas Jeschorim« in der Bieberstraße (61) (später Kielortallee (56)) sowie das Gartenhaus des Lernvereins »Mekor Chajim« (52) am Grindelhof. Die Synagoge der sefardischen Gemeinde (→ Portugiesisch-Jüd. Gemeinden [2]) wurde als letzter neuer Versammlungsraum 1935 in einer Villa in der Innocentiastraße (54) eingeweiht. Am Rande des G.s lagen auch das Lyzeum (später Realschule) (90) von → Jakob Loewenberg [130] in der Johnsallee und der erst 1930/31 errichtete neue → Tempel [39] des liberalen Tempelverbandes (53) in der Oberstraße. Mittelpunkt des kulturellen und gesellschaftlichen Lebens war das Haus der Henry Jones-Loge in der Hartungstraße (92) (→ Logenwesen [32]). Das Israelitische Waisenhaus Paulinenstift (68), zahlreiche Wohnstifte, das Hamburgische Deutsch-Israelitische Waiseninstitut für Knaben am Papendamm (heute Martin-Luther-King-Platz) (67) und das Altenhaus in der Sedanstraße (62) zeugten von jüdischer Wohltätigkeit und der Fürsorgepflicht der Gemeinde. Schauplätze jüdischen kulturellen und intellektuellen Lebens waren auch die Universität, das Curiohaus in der Rothenbaumchaussee und das Café Timpe in der Grindelallee. Das »Mixtum compositum ›jüdisches Leben‹ in einer nichtjüdischen Umwelt« machte das G. zu einem der lebendigsten Stadtteile Hamburgs. In der Wahrnehmung Hamburger Juden schwankte der Grindel zwischen einem »freiwilligen Ghetto Rotherbaum« und einem Quartier, in dem Juden und Nichtjuden »neben- und miteinander« lebten. Der besonders von Nichtjuden retrospektiv kultivierten Vorstellung von einer deutsch-jüdischen Symbiose stehen Berichte von antisemitischen Vorfällen bereits vor 1933 entgegen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten blieben Hilfe und Solidarität von Nichtjuden auch im G. Ausnahmen, obwohl die schrittweise Entrechtung und Verfolgung gerade hier nicht zu übersehen waren. Die nach der Befreiung neu gegründete → Jüdische Gemeinde [124] wurde vom Grindel nach Eimsbüttel verlegt. Das Aufgehen der Beneckestraße im Campus der Universität, die Umbenennung des Bornplatzes in Allendeplatz, die langjährige Nutzung des Grundstücks der Bornplatzsynagoge als Parkplatz, die Pläne für seine Überbauung mit Schul- bzw. Universitätsgebäuden, Abrisspläne für die TTR zur Erweiterung des Campus sind Ausdruck der historischen Amnesie nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Zeit der Verdrängung jüdischer Geschichte aus dem kollektiven Gedächtnis der Stadt endete erst Ende der siebziger Jahre. Heute erinnern zahlreiche Gedenktafeln, Mahnmale, der Grundriss der Synagoge auf dem zum Gedenkort umgestalteten → Joseph-Carlebach-Platz [69] (50), das Wandbild an der Hochschule für Wirtschaft und Politik sowie eine Vielzahl von Veranstaltungen an die Geschichte der Juden am Grindel. Mit der Gründung der Jüdischen Organisation Norddeutscher Studenten (JONS), Gedenkveranstaltungen und Chanukka-Feiern der jüdischen Gemeinde auf dem Carlebach-Platz und dem geplanten Umbau der TTR zum neuen Gemeindezentrum hat, 60 Jahre nach der Vertreibung der Hamburger Juden, ein neues jüdisches Leben am Grindel begonnen.
Politiker, geb. 24.8.1856 Daulen (Westpreußen), gest. 5.2.1931 Hamburg
Als sozialdemokratischer Politiker und erster jüdischer Senator in Hamburg hat G. eine spektakuläre Karriere gemacht, aber auch vier Jahrzehnte lang antisemitische Angriffe auf sich gezogen. Da die Eltern ohne gerichtliche Eintragung rabbinisch getraut waren, trug G. den Familiennamen seiner Mutter. Nach der Schule in Deutsch Eylau lernte er in Berlin das Tapeziererhandwerk und leistete Militärdienst. Schon vor seiner Übersiedlung nach Hamburg 1881 war er als Sozialist aufgefallen. In der Hansestadt heiratete er, machte sich selbständig und organisierte für sein Handwerk einen Gesellenverein und eine Krankenkasse. Aus diesen beiden lokalen Vereinen entwickelte G. in wenigen Jahren reichsweite gewerkschaftliche Organisationen. Die Zentralkrankenkasse leitete er von 1886 bis 1919. 1892 wurde G. zum Vorsitzenden des Sozialdemokratischen Vereins für den 1. Hamburger Wahlkreis gewählt. Von 1904 bis 1918 war G. Mitglied der hamburgischen Bürgerschaft und darin seit 1913 Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion. Er führte die Mehrheitssozialisten im Großhamburger Arbeiter- und Soldatenrat 1918/19 und trug wesentlich zu dessen Entscheidung für die parlamentarische Demokratie bei. Mit der Neuwahl der Bürgerschaft 1919 kam G. in den Senat und leitete das Ressort Gesundheit. Er setzte eine Neuordnung des vorher sehr verschachtelten Hamburger Medizinalwesens durch. Unter den Medizinern in den Standesorganisationen und in der Verwaltung gab es massive Gegnerschaft, die sich teilweise antisemitisch äußerte. Der Senat ehrte G. bei seinem Abschied 1928 mit der Otto-Stolten-Medaille und nach seinem Tod mit einer offiziellen Trauerfeier. Seine Urne ist auf dem jüdischen → Friedhof [34] in Ohlsdorf beigesetzt.
Rabbiner, Volkskundler, geb. 10.10.1871 Zabrze (von 1915 bis 1945: Hindenburg) / Oberschlesien, gest. 24.1.1953 Jerusalem
G. studierte Philosophie an der Breslauer Universität und besuchte dort zugleich das Jüdisch-Theologische Seminar. 1892 wurde er mit einer Arbeit über Spinoza promoviert. 1895 wurde er als Rabbiner an die neu gegründete, gemäßigt konservative → Neue Dammtor Synagoge [77] (47) nach Hamburg berufen. 1898 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der → Gesellschaft für jüdische Volkskunde [82] und gab seit diesem Jahr auch deren Mitteilungen heraus. Er legte ein Archiv sowie eine Fachbibliothek an und sammelte Objekte der jüdischen Volkskultur, ließ wichtige Objekte fotografieren und die Grabsteine des jüdischen → Friedhofs [34] in Altona inventarisieren. Zugleich forschte und veröffentlichte er zur jüdischen Geschichte Hamburgs. Mit der Sammlung schufen G. und die Mitglieder der Gesellschaft den Grundstock für ein jüdisches Museum. Im Juni 1903 wurde G. als Rabbiner nach Wien in die Israelitische Kultusgemeinde berufen, 1913 wechselte er dort als Rabbiner an den Leopoldstädter Gemeindetempel. Er gab aber weiterhin die Mitteilungen der Gesellschaft heraus und blieb so Hamburg verbunden. Internationale Anerkennung fand G. 1911 durch die Einrichtung einer jüdischen Abteilung auf der Hygiene-Ausstellung in Dresden. 1915 rief er – dem → Zionismus [45] nahe stehend – das Hilfskomittee für Palästina ins Leben. Er trat in den zwanziger Jahren besonders auch durch soziales Engagement hervor. Nicht zuletzt seine umfangreiche Forschungstätigkeit führte jedoch zu Missstimmungen im Wiener Gemeindevorstand und veranlasste G. 1930, als Rabbiner zurückzutreten. Nach dem »Anschluss« Österreichs an das Deutsche Reich 1938 emigrierte er nach Palästina und engagierte sich dort in verschiedenen Vereinigungen für die Erhaltung der jüdischen Kultur.
Kaufmann und Stifter, geb. 29.4.1770 Hildesheim, gest. 9.11.1843 Hamburg
G. erwarb durch kaufmännisches Geschick und Risikobereitschaft ein großes Vermögen. 1814 übersiedelte er mit seiner Familie nach Hamburg. Angeregt durch seinen Berliner Schwiegersohn wurde er 1817 zum Mitbegründer des reformorientierten Neuen Israelitischen → Tempelvereins [39] in Hamburg. Da es ihm offenbar nur unvollkommen gelang, die seinem Reichtum entsprechende und von ihm angestrebte höhere »bürgerliche Bildung« zu erreichen, wurde er Heinrich Heine im 3. Band seiner Reisebilder, Die Bäder von Lucca, zum Vorbild seines »Markese Christophoro Gumpelino«. Dieses Zerrbild wurde der Gesinnung G.s keinesfalls gerecht. Durch eine von G. 1837 errichtete Stiftung für Freiwohnungen wurden arme Familien von der drückenden Verpflichtung ihrer damals halbjährlich zu zahlenden Wohnungsmiete entlastet. Der Anregung zur Schaffung von Freiwohnungen folgte später eine Vielzahl weiterer jüdischer Stifter. Heine wollte G. nach dessen Tod in einer ihn ehrenden Gedichtzeile späte Gerechtigkeit widerfahren lassen, wodurch das in die Literatur eingegangene Charakterbild des Gumpelino aber nicht mehr aufzuheben war. Nach Zerstörung der Stiftsgebäude im Zweiten Weltkrieg erinnert nur noch ein von der Jüdischen Gemeinde errichtetes Ehrengrab auf dem → Friedhof [34] Ilandkoppel an G.
Opernsänger, geb. 18.6.1889 Andrichau (Galizien), gest. 22.10.1960 New York
G. kam 1923 ans Hamburger Stadttheater, wo er zehn Jahre lang große Solopartien u. a. in Wagner-Opern (Ring des Nibelungen, Tristan, Parsifal) sowie in Opern von Mozart, Beethoven und Strauss auf der Bühne sang. Mit Ende der Spielzeit 1933/34 wurde G. wegen seiner jüdischen Abstammung zwangspensioniert. Nachdem er im Februar 1934 noch bei einem Wohltätigkeitskonzert der Ostjüdischen Vereinigung Groß-Hamburg im → Gabriel Riesser-Saal [92] hebräische und jiddische Lieder gesungen hatte, erhielt er ein Engagement am Deutschen Theater in Prag. Die Stadt wurde für ihn und seine Familie die erste Exilstation. G.s Repertoire erweiterte sich um Rollen u. a. aus Opern von Verdi (Falstaff) und Schostakowitsch (Katerina Ismailowa). Außerdem wirkte er bei der Agitprop-Gruppe Der Rote Stern mit. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Böhmen im Juni 1939 floh G. nach England, wohin ihm seine Frau bald folgte; die beiden Kinder konnten schon vorher in die USA emigrieren (→ Emigration [16]). In London wirkte G. bei Veranstaltungen von Emigrantenvereinigungen (z. B. im Austrian Centre) mit und sang während des Krieges für die britischen Truppen. Ein besonderer Auftritt galt im November 1942 dem Fonds »Lidice shall live« in der Wigmore Hall in London, wo G. einen Liederabend gab. Nach Ende des Krieges siedelten die Gutmanns in die USA zu ihren Kindern über. In den letzten Jahren seines Lebens in New York hielt G. sich und seine Frau mit Gesangsunterricht über Wasser. Das bedrückende Exildasein wurde noch beschwert von dem Wissen, dass seine drei Brüder der Schoah zum Opfer gefallen waren.
Personen und Themen mit H
Schriftsteller und Gemeindesekretär, geb. 14.11.1797 Hamburg, gest. 25.11.1869 Hamburg
Der mit → Gabriel Riesser [92] befreundete Kaufmannssohn engagierte sich schon in jungen Jahren für die Jüdische Gemeinde in Hamburg und nahm aktiven Anteil an den Bemühungen zur Gleichberechtigung der Juden. In Zeitungsartikeln trat er gegen Diskriminierung und Judenfeindschaft auf. H. war an der Gründung des Vereins zur Beförderung nützlicher Gewerbe unter den Israeliten beteiligt und amtierte lange Zeit als dessen Sekretär. Als Anhänger der Reformbewegung wurde er 1828 zum Deputierten des → Tempelvereins [39] gewählt. Angesichts der antijüdischen → Ausschreitungen [12] des Jahres 1835 bekannte H. in seinem Tagebuch: »Das Explosive an sich war eigentlich nicht so wichtig als die niederträchtige Gesinnung, die die Hamburger Christen aller Klassen dabei an den Tag legten, Regierungsbehörden nicht ausgenommen. Mein Entschluss, von hier zu ziehen, sobald es meine Verhältnisse erlauben sollten, jedenfalls aber mindestens meine Söhne nicht für Hamburg zu erziehen, ist seitdem unerschütterlich.« H. blieb in Hamburg, einige seiner Kinder gingen aber später ins Ausland. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit als beeidigter Makler wurde H. 1840 als Sekretär der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] in Hamburg angestellt. Daneben wirkte er ehrenamtlich in → Vereinen [78], schrieb Gedichte und Liedtexte und war u. a. an der Neuauflage des 1841 vom Tempelverein herausgegebenen Gebetbuchs beteiligt. Als H.s wichtigste Veröffentlichung erschien 1867 sein Werk Zwei Epochen aus der Geschichte der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg. H. bezeichnete es »Repertorium aller zu den verschiedenen Zeitpunkten für die hamburgischen Juden in Geltung gewesenen Gesetze und Verordnungen.« Das Buch dokumentiert die staatlichen und innergemeindlichen Regelungen auf dem langen Weg zur rechtlichen Gleichstellung der Juden in Hamburg (→ Emanzipation [11]).
Journalist, geb. 7.6.1891 Prag, gest. 4.9.1973 Hamburg
H. widmete sein Leben der Literatur – »als Betrachter und Analytiker […], als Gestalter nur im entfernteren Sinn, niemals als Dichter«, fasste der Sohn eines jüdischen Anwalts einmal selbst zusammen. Als »Mann des Films« und Brückenbauer zwischen Religionen, Nationen und politischen Anschauungen möchte man ergänzen. Schon als Schüler in Prag hatte H. im Café »Arco« eine Gruppe junger Literaten (z. B. Franz Werfel, Paul Kornfeld) um sich geschart und lernte über Max Brod auch Franz Kafka kennen. Als Mitglied einer jüdischen Studentenvereinigung gab er 1911/12 die Herder-Blätter heraus, die zwischen deutschsprachiger und tschechischer Literatur, zwischen Juden und Christen vermitteln wollten. Es folgte ein kurzes Lektorat bei Kurt Wolff in Leipzig. Nach dem Ersten Weltkrieg kam H. um 1920 nach Berlin. Dort wurde er Kritiker beim Film-Kurier, Drehbuchautor und ab 1925 Herausgeber der Literarischen Welt. Das Blatt bot allen literarischen Strömungen ein Forum und hatte allein die »Scheidung des geistig Diskutablen« zur Maxime erhoben. Angriffe der Nationalsozialisten zwangen ihn 1933 zu einer Rückkehr nach Prag, wo er eine neue literarische Zeitschrift gründete. Doch die Welt im Wort konnte sich nicht etablieren. Danach schlug er sich als Filmkritiker durch. 1939 floh er nach Indien. Anfangs arbeitete er als Filmautor, dann als Zensor in einem Gefangenenlager der britisch-indischen Armee. Über London kam er 1948 nach Hamburg. Zunächst als britischer Controller, ab 1953 als Redakteur der Welt am Sonntag und der Welt wollte er helfen, »die Einheit des deutschen Schrifttums« wiederherzustellen. Bekannt war er den Lesern der Welt auch durch seine wöchentliche Caliban-Kolumne. Zudem schrieb er bei beiden Blättern bis zu seinem Tod über kulturelle und literarische Themen und publizierte zahlreiche, einschlägige Bücher.
H. bezeichnet die Vorbereitung auf die Siedlung in Palästina durch zionistische Organisationen (Hechaluz, Bachad) (→ Zionismus [45]) oder die orthodoxe Aguda-Jugend. Diese bildeten ihre Mitglieder in Landwirtschaft, Handwerk und Hauswirtschaft aus und boten Schulungen in jüdischer Geschichte und Kultur, hebräischer Sprache und – für Zionisten – kollektivem Leben an.
In Hamburg gab es in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Landwirtschaftsschule Schalom des Bachad in Neugraben und seit Juni 1932 das Jugendwohnheim (Bet Chaluz) (47) des Hechaluz in der Beneckestraße. 1933 stieg bei den Jugendlichen das Interesse an der H. Weitere Ausbildungsmöglichkeiten boten seit Juni 1933 eine Tischlerei (Emilienstr.) und die Siedlerschule Wilhelminenhöhe an. Sie wurde im Frühjahr 1934 wegen ihrer zionistischen Ausrichtung eingestellt und stattdessen ein Ausbildungslehrgang für Gärtner eingerichtet. Die Teilnehmer der H. lebten in den in Rissen/Blankenese entstandenen H.-Zentren: Ejn Chajim (August 1933), Schachal und Cherut-Charut (beide Dezember 1933). Diese waren Einrichtungen der Älteren-H. (ab 18 Jahre), für die Jüngeren der Mittleren-H. (14-17 Jahre) bestanden Wohnheime in der Schäferkampsallee (Februar 1936) und Klosterallee (Mai 1937). Eine H. des Hechaluz gab es seit Mai 1934 auch im sog. Brüderhof bei Tangstedt. Handwerkliche Ausbildungen boten die Lehrwerkstätten für Tischler und Schlosser in der Weidenallee, die von der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [132] im März 1934 eingerichtet worden waren. Anfang 1934 war außerdem eine seemännische Ausbildung der Fairplay-, später auch der Bernstein- und Schindler-Reederei aufgenommen worden. Es gelang, einige Lehrlinge in Schiffbaubetrieben in Hamburg und Lübeck unterzubringen. Sie bildeten die personelle Basis der 1934 entstehenden Handelsschifffahrt in Palästina. Für Mädchen gab es eigene Ausbildungsgänge. Sie wurden in Kleingruppen den H.-Zentren zugeordnet, um praktische Hauswirtschaft zu lernen. [133]Externe Jahreskurse gab es seit März 1934 in der Jüdischen Haushaltungsschule in Zusammenarbeit mit der Jüdischen Fachschule für Schneiderinnen (Heimhuderstr.) (60), interne in der Internatsschule des Mädchenwaisenhauses (Laufgraben). Seit Mai 1935 betrieb der Bachad eine religiöse Lehrschule für Mädchen (Johnsallee), der Noar Agudati bereits seit Februar 1935 (Werderstr.). Das Bet Chaluz in der Beneckestraße wurde zu einem Zentrum jüdischer Jugendkultur – und zu einem besonderen Ziel des → Novemberpogroms [22] 1938. Der Brüderhof stellte im Frühjahr 1939 seine Arbeit ein. Andere Zentren konnten ihre Tätigkeiten fortführen (besonders für die Jugend-Alija), mussten diese aber 1941 beenden. Bis 1938 hatten 800 Jugendliche ihre Ausbildung abgeschlossen.
(auch: Leo Raphaeli), Schauspieler, Kabarettist und Textdichter, geb. 15.11.1878 Erfurt, gest. 4.5.1942 Lodz
In Hamburg war H. erstmals 1903 als Jean in Strindbergs Fräulein Julie zu sehen. Seit 1906 trat er in der Hansestadt regelmäßig als Kabarettist auf. 1913 übernahm er die Leitung des Kleinen Theaters, Große Bleichen, heute Sitz des Ohnsorg-Theaters. Claire Waldoff war hier eine seiner berühmten Partnerinnen. In den zwanziger Jahren schrieb H. Texte für Revuen der großen Hamburger Theater. Von 1929 an gehörte er zudem zum Mitarbeiterkreis der Nordischen Rundfunk AG. Seine fast wöchentlichen Programme zeichneten sich durch Esprit und Humor aus; zahlreiche Hörerbriefe und liebevolle Karikaturen seiner Kollegen sind ein beredtes Zeugnis seiner großen Popularität. Im Mai 1934 eröffnete H. im Curiohaus sein Kabarett »Die Rosenrote Brille«, das mit einem beachtlichen Ensemble, bestehend aus bekannten jüdischen Schauspielern und Musikern, antrat. Trotz der strengen Zensur und der kritischen Kommentare der jüdischen Presse konnte sich das Programm zunächst bei ausverkauften Häusern erfolgreich behaupten. Doch Ende 1934 kam das Aus, als H. seinem Publikum einen den Zensoren vorenthaltenen, selbstverfassten »Offenen Brief eines deutschen Juden« vortrug. Das Kabarett wurde umgehend geschlossen und H. mit einem Auftrittsverbot belegt. Erst 1936 übernahm er die Leitung der Kleinkunst im Hamburger Kulturbund, durfte selbst aber nur selten auftreten. Schonungslose bis tollkühne Formulierungen in seinen Programmen, improvisierte ironische Seitenhiebe auf das NS-Regime und eine wenn auch nie veröffentlichte Persiflage auf die Bücherverbrennung zogen ihm endgültig den Hass der Aufsichtsbehörden zu. Im Oktober 1941 wurde H. mit dem ersten Deportationstransport von Hamburg nach Lodz/Litzmannstadt verschleppt, wo er wenige Monate später (unter ungeklärten Umständen) umkam.
Fotograf, geb. 14.5.1882 Hamburg, gest. 30.12.1940 Johannesburg
H., Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie aus Hamburg, war in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts einer der bekanntesten Fotografen der Stadt, der seine Tätigkeit selbst als »künstlerische Bildnis-Photographie« beschrieb. Nach dem Abitur durchlief H. eine Ausbildung in Hamburg, Leipzig, München, Basel und Paris. 1909 bestand er die Meisterprüfung und führte ein eigenes Atelier in Hamburg. Hier fertigte er Porträts an, wobei er sich besonders auf Fotografien von Kindern spezialisierte. Daneben produzierte H. auch eine Reihe von Landschaftsaufnahmen. In allen Genres wollte er nach eigener Aussage »das Typische erfassen und zur Geltung bringen«. Seine Bilder erschienen in allen hamburgischen Tageszeitungen, ebenso in den Organen der Jüdischen Gemeinde. Verbandspolitisch engagierte sich H. in der von ihm mitbegründeten »Gesellschaft Deutscher Lichtbildner«. In erster Ehe war H. seit 1913 mit Sophie Freud (1893-1920) verheiratet, in zweiter Ehe mit Bertha Katzenstein (1897-1982). Eines der bekanntesten Porträts H.s zeigt seinen ersten Schwiegervater, den Psychoanalytiker Sigmund Freud. Nach 1933 verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation H.s aufgrund der → antisemitischen [31] Verfolgung dramatisch. Die Familie war gezwungen, ihre Wohnung aufzugeben und eine Notwohnung im Atelier einzurichten, bis auch dieses aufgegeben werden musste. Im April 1936 emigrierte H. mittellos nach Kapstadt, seine Frau und Tochter folgten einige Monate später (→ Emigration [16]). H. konnte dort zwar Ende 1938 wieder ein eigenes Geschäft in Johannesburg eröffnen, wurde aber schon bald aufgrund einer schweren Krankheit arbeitsunfähig und starb wenige Monate später.
Rabbiner und Historiker, geb. 20.2.1847 Ivenitz bei Wilna, gest. 15.5.1914 Hamburg
H., Spross einer durch ihre Gelehrsamkeit und Gottesfurcht weit über Ivenitz hinaus berühmten Familie, wuchs im Hause seiner Großväter in Ivenitz und Wilna auf. Talmudisch-rabbinische Bildung erwarb H. an der Jeschiwa in Volozhin und als Autodidakt in Wilna. 18-jährig heiratete er eine Cousine mütterlicherseits. Eine Stellung als Rabbiner in einer Ortschaft bei Minsk, die ihm zu dieser Zeit angeboten wurde, lehnte er ab. Stattdessen ließ er sich als Geschäftsmann in Wilna nieder, wo er alsbald als talmudischer Privatgelehrter zu hohem Ansehen gelangte. Er nahm vielfältige innergemeindliche Aufgaben wahr und agierte seit 1872 in offiziellen Belangen als Vertreter der orthodoxen russischen Juden. Geschäftliche Widrigkeiten im Tee-Handel zwangen ihn 1895 Wilna zu verlassen. Sechs Jahre der Wanderschaft durch ganz Europa folgten, in deren Verlauf er die ersten beiden Bände seines Hauptwerkes Dorot ha-Rishonim verfasste. Diese Geschichte der mündlichen Lehre von der Bibel bis in das nachtalmudische Zeitalter begründete seinen Ruhm als orthodoxer Historiker und ließ ihn 1901 zu einem der Initiatoren der Jüdisch-Literarischen Gesellschaft in Frankfurt werden. 1900 trug man ihm die Stelle des Rabbiners an der Lewin Salomon’schen Klaus (→ Jeschiwa [129]) in Hamburg an. Aus dieser Position heraus, die er von 1902 bis zu seinem Tod ausfüllte, suchte er seine Idee von einer internationalen Vereinigung des gesetzestreuen Judentums zu verwirklichen. Gleichermaßen anerkannt und einflussreich bei der russischen wie der westeuropäischen Orthodoxie, hatte er maßgeblich Anteil an der 1912 erfolgten Gründung der Agudas-Jisroel-Weltorganisation.
Mendel Joseph H. (1770-1852) war mittellos aus Halle eingewandert. In Hamburg betrieb er einen Warenhandel und später ein Bankgeschäft, dessen Aktivitäten 1907 endeten. Eine Bibliothek und eine Gemäldesammlung zeugen von kulturellen Interessen, das Zusammenleben der Familien von Schwiegervater und Schwiegersohn in einem mit Waren gefüllten Kaufmannshaus, von der Geringschätzung materiellen Komforts.
Mehrfach äußerte sich H. publizistisch zu Fragen vor allem wirtschaftspolitischer Natur. Als die Beschneidung seines Sohnes Nikolaus Ferdinand (1805-1876) anstand, beantragte er die Genehmigung der Konversion seiner gesamten Familie. Er lehnte eine Religion ab, die Verstöße gegen Ritualgesetze ernster nehme als echte moralische Vergehen, doch wurde deutlich, dass er zentrale Lehren des Christentums nicht zu übernehmen gedachte. Dass sich jeder Einwohner Hamburgs zu einer Religionsgemeinschaft zu bekennen hatte, ist wohl der Hauptgrund dafür, dass H., der durch die Taufe seinen Vornamen Mendel in Martin änderte, nicht zu einem aufgeklärten Atheismus gelangte. Nikolaus Ferdinand H. studierte Jura und wurde 1844 Senator, 1863 Bürgermeister. Nach ihm sind H.-straße und H.-platz benannt. Dass er 1861 Kirchspielsherr von St. Petri wurde, lässt vermuten, dass die jüdische Vorgeschichte seiner Familie schon weitgehend in Vergessenheit geraten war. Für seinen Sohn Martin Emil Ferdinand (1835-1925) wünschte sich Nikolaus Ferdinand H. eine juristische Ausbildung, die auch ihm den Zugang zum Senat eröffnet hätte. Als Martin H. aber schon als Primaner mit einem Wettbewerbsentwurf für das Hamburger Rathaus Anerkennung fand, gestattete ihm sein Vater die Ausbildung zum Architekten. Sein Verständnis für bürgerliche Repräsentation und für die Anforderungen der unterschiedlichsten Bauaufgaben machten Martin H. zum bedeutendsten Baumeister im Hamburg seiner Zeit. Er prägte weitgehend das Gesicht des Alstervorlandes, schuf mit dem heute abgerissenen Dovenhof das erste Kontorhaus auf kontinentaleuropäischem Boden und zusammen mit Emil Meerwein die Laeiszhalle und begründete und führte den Bund der Rathausbaumeister. Seine Memoiren stellte er unter das Motto »Meminisse juvabit« (»Es wird erfreulich sein, sich zu erinnern«) – an das Judentum nämlich. Wie sein Vater offenbarte er sich aber nur wenigen Freunden als Nachkomme von Juden – auch sein zweiter Großvater hatte dieser Religion angehört. Für spätere Mitglieder der Familie – etwa für Martin Ferdinand H. (1871-1963), der als Direktor der Hapag mit mehreren Schriften über politische, insbesondere handelspolitische Fragen hervortrat – lässt sich ein inneres Verhältnis zum Judentum nicht mehr nachweisen.
In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts fand die Beschäftigung mit der Ahnenforschung (Genealogie) in jüdischen Familien Deutschlands wachsendes Interesse. Ein organisatorischer Zusammenschluss jüdischer Genealogen bestand in Deutschland seit 1924, als Arthur Czellitzer die Gesellschaft für jüdische Familienforschung gründete.
Die von der Gesellschaft herausgegebene Zeitschrift Jüdische Familienforschung erschien bis 1938. Eine Renaissance der jüdischen Genealogie setzte in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts in den USA, Israel und westeuropäischen Ländern ein. Zahlreiche Vereinigungen jüdischer Familienforscher und ein internationaler Dachverband wurden gegründet; seit 1984 finden regelmäßig internationale Seminare für jüdische Genealogie statt. In Deutschland besteht seit 1996 die H. Sie befasst sich primär mit der Erforschung der Genealogie und Geschichte von Familien, die in Hamburg beheimatet waren. Familienforscher finden unentgeltlich Unterstützung, um bei der Suche nach genealogischen bzw. biographischen Daten von jüdischen Hamburger Vorfahren Erfolg zu haben. Der Ausbau von Datenbanken zu den historischen Geburts-, Heirats- und Sterberegistern und weiteren genealogischen Quellen der jüdischen Gemeinden Hamburgs gehört zu den vorrangigen Aktivitäten der Gesellschaft. Sie verfügt über eine Fachbibliothek, veranstaltet Vortragsabende und Exkursionen und gibt zusammen mit der Schweizerischen Vereinigung für jüdische Genealogie die Vierteljahreszeitschrift Maajan heraus. Die H. ist Mitglied der International Association of Jewish Genealogical Societies.
Germanistin, geb. 21.9.1896 Hamburg, gest. 8.4.1992 Stuttgart
H. fand erst lange nach ihrem Exil wissenschaftliche Anerkennung. 1896 als Tochter einer jüdischen Bankiersfamilie in Hamburg geboren, hatte sie zunächst alle Voraussetzungen für eine akademische Karriere. Ihr Vater John führte bis zu seinem Tod 1930 das Bankgeschäft Hamburger & Rosenberg. Von 1912 bis 1917 absolvierte H. private Realgymnasialkurse, um sich auf das Abitur vorzubereiten. Nach der Reifeprüfung studierte sie Philosophie, Literaturgeschichte und Geschichte in Berlin und München und promovierte 1922. Bis 1928 lebte sie als Privatgelehrte in Hamburg, von 1928 bis 1933 in Berlin. 1934 flüchtete H. nach Göteborg; ihre Mutter folgte ihr 1939, ihre Schwester Edith ging 1938 nach Ecuador (→ Emigration [16]). In Schweden unterrichtete H. Deutsch, lernte Schwedisch und publizierte in beiden Sprachen. Neben Arbeiten zur Sicherung des Lebensunterhalts schrieb H. dort ihr wissenschaftliches Hauptwerk Die Logik der Dichtung, das bis heute ein Standardwerk ist. 1945 nahm H. die schwedische Staatsbürgerschaft an, versuchte aber trotzdem – vor allem nach dem Tod ihrer Mutter 1951 – nach Deutschland zurückzukehren. 1956 folgte sie dem Ruf der Technischen Hochschule Stuttgart, wo sie sich 1957 im Alter von 60 Jahren habilitierte. Bis 1976 lehrte sie an der TH (Universität) Stuttgart. Ihre Arbeitsgebiete umfassten neben den Schriften Thomas Manns vor allem eine Auseinandersetzung mit den Werken Schillers, Novalis’, Heines, Rilkes sowie Paul Celans und Nelly Sachs’. 1966 erhielt sie das Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
In Harburg ist die Ansiedlung von Juden seit dem frühen 17. Jahrhundert nachweisbar. Im 19. Jahrhundert spielten Juden zunehmend eine wichtige Rolle im Wirtschaftsleben der Elbstadt. Seit der Jahrhundertmitte fielen gesetzliche Beschränkungen schrittweise fort, so dass es Juden möglich wurde, am starken Wirtschaftswachstum Harburgs teilzuhaben. Die Zahl der Gemeindemitglieder wuchs an von 175 Personen im Jahr 1864 auf 312 zur Jahrhundertwende und auf 358 im Jahr 1925.
Ein großer Teil der jüdischen Geschäftsleute betrieb erfolgreich Einzelhandelsgeschäfte, vornehmlich im Konfektionssektor, andere betätigten sich als Großhändler. Die bekannte Phoenix AG in Harburg geht auf eine Gründung der beiden jüdischen Brüder Louis Salomon Cohen und Abraham Albrecht Cohen im Jahre 1856 zurück. 1862/63 ließ die jüdische Gemeinde Harburg (auch Synagogengemeinde Harburg genannt) eine neue Synagoge (127) bauen, gestaltet im Rundbogenstil und mit romanisierenden Formen. Da im Betsaal von Anfang an eine Kanzel stand und kein Gitter den Blick von und zu den Frauenemporen einschränkte, ist zu vermuten, dass die Gemeinde eher liberal eingestellt war. Gemessen an der geringen Zahl von weniger als 30 Gemeindemitgliedern, die Anfang der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts Gemeindesteuern zahlen mussten, ist die Synagoge als aufwändig zu bezeichnen. Diese dokumentierte den Wohlstand und die Finanzkraft der Gemeinde. Mit dem wirtschaftlichen Erfolg der Harburger Juden stellte sich gesellschaftliche Anerkennung ein. Zwei Kaufleute gehörten dem Harburger Kollegium der Bürgervorsteher an, drei andere bekleideten Ehrenämter in der Harburger Handelskammer. Der jüdische Arzt Emil Hirschfeld wurde 1919 zum Harburger Senator gewählt.
Der → Friedhof [34] der Gemeinde (128) liegt am Rand des Harburger Schwarzenbergs (heute Schwarzenbergpark) und wurde vermutlich schon 1614 angelegt. 1813 zerstörten napoleonische Truppen den Friedhof durch den Bau einer Schanze. Mit den heute vorhandenen 239 Steinen, die sämtlich nach der napoleonischen Zeit gesetzt wurden, ist der Grabmalbestand weitgehend erhalten. 1857 ließ die jüdische Gemeinde eine Leichenhalle auf ihrem Friedhof errichten, die ähnlich der Synagoge auf romanisierende Stilelemente zurückgriff. Seit 1933 verschlechterte sich die Situation auch der Harburger Juden, die schon vorher nicht von antisemitischen Anfeindungen verschont geblieben waren. Nicht zuletzt durch die Auswanderung wohlhabender Mitglieder geriet die Gemeinde zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten. 1937 wurde die Jüdische Gemeinde Harburg-Wilhelmsburg, wie sie sich nach der Zusammenfassung Harburgs mit dem benachbarten Wilhelmsburg zur Großstadt Harburg-Wilhelmsburg (1927) nannte, zwangsweise mit den → Jüdischen Gemeinden Hamburg [18] und Wandsbek [20] zum → Jüdischen Religionsverband Hamburg [23] vereint. Am Abend des 10. November 1938 wurde die Synagoge geplündert und in Brand gesteckt (→ Novemberpogrom [22]). Der nur wenig zerstörte Bau wurde wohl erst 1941 abgerissen. Das Synagogengrundstück übereignete man nach dem Krieg der Jewish Trust Corporation for Germany (jüdische Treuhand zur Rückerstattung des während der nationalsozialistischen Diktatur enteigneten jüdischen Vermögens). Diese verkaufte das Grundstück an eine Baugesellschaft, die dort 1954/1955 Wohnungen errichtete. Auch die Leichenhalle auf dem Friedhof war im November 1938 in Brand gesteckt und wohl im Februar 1939 abgebrochen worden. Die letzte Bestattung auf dem Friedhof fand 1937 statt, 1939 wurde die Schließung angeordnet. Anfang 1943 verkaufte der Jüdische Religionsverband Hamburg den Friedhof zwangsweise an den Staat. In einem außergerichtlichen Vergleich sprach man den Friedhof 1952 der Jewish Trust Corporation for Germany zu. Heute gibt es keine jüdische Gemeinde mehr in Harburg. Der Friedhof ist das einzige noch vorhandene Zeichen jüdischen Lebens in der Elbstadt. Zum Gedenken an die Schändung der Synagoge wurde 1988 an ihrem ehemaligen Standort an der Ecke Eißendorfer Straße/Knoopstraße ein Mahnmal errichtet, zum Gedenken an die Schändung der Friedhofskapelle steht seit 1992 ein Gedenkstein auf dem Friedhof.
Bankier und Mäzen, geb. 19.10.1767 Hannover, gest. 23.12.1844 Hamburg
Siebzehnjährig zog H. aus seiner Geburtsstadt nach Hamburg, um im Bankhaus eines Onkels tätig zu werden. Später assoziierte er sich mit einem Wechselmakler und gründete 1797 mit Marcus Abraham Heckscher das Bankhaus Heckscher & Co. Dieses hatte während der napoleonischen Kriege mit Schmuggel durch die Kontinentalsperre Erfolg, während der Restaurationszeit dann mit Kriegslieferungen und internationalen Anleihen. H., dessen Geschäftssinn ebenso legendär war wie seine Ehrbarkeit, avancierte zu »Hamburgs Rothschild«, zu einem der reichsten Männer der Stadt. 1818 übernahm er das Bankhaus am Jungfernstieg allein. H. war einer der größten Mäzene in der Geschichte Hamburgs und half grundsätzlich ungeachtet der Konfession. Er gründete mehrere Stiftungen und finanzierte eine Volksschule ebenso wie eine Synagoge oder das Theater. Das → Israelitische Krankenhaus [134] (26), das er 1841 zum Andenken an seine Frau Betty stiftete, stand jedem Patienten offen. So wurde der fromme Jude, der nie das Bürgerrecht seiner Heimatstadt erhielt, schließlich eine ihrer ersten Integrationsfiguren, von der Bevölkerung mehr gewürdigt als von der Obrigkeit. Wurde etwa während des Aufruhrs von 1830 auch das Bankhaus Heine attackiert, so schützte es während der antisemitischen Krawalle fünf Jahre später (→ Ausschreitungen [12]) die Zivilcourage zufälliger Passanten vor Übergriffen. Der Bankier unterstützte zeitlebens seinen Neffen, den Dichter Heinrich Heine, nachdem er zunächst vergeblich versucht hatte, ihn als Tuchhändler in Hamburg zu etablieren. 1842, beim Großen Brand, war es H., der die Hamburger Wirtschaft vor dem Zusammenbruch rettete. Mit der Macht seines Hauses erhielt er den Kredit der Stadt und mit der Macht seiner Persönlichkeit die Moral der Kaufmannschaft aufrecht. H. verhinderte, dass aus der Krise eine Katastrophe wurde, und stellte erhebliche Mittel zum Wiederaufbau zur Verfügung. Angemessenen offiziellen Dank dafür erhielt er nie, nur die Patriotische Gesellschaft ernannte ihn 1843 in einer politischen Geste zum Ehrenmitglied. Was diese Ausnahmepersönlichkeit für Hamburg wirklich bedeutet hatte, zeigte sich eindrucksvoll bei H.s Beerdigung. Sie geriet zu einer stummen Demonstration seiner verbindenden Popularität. Tausende Hamburger, Juden wie Christen, begleiteten ihn spontan auf seinem letzten Weg nach Ottensen.
Jurist und Funktionär, geb. 4.1.1885 Vechta, gest. 21.12.1984 Plattsburg/NY (USA)
H. hatte 1914 in Delmenhorst die Zulassung als Rechtsanwalt erhalten. 1920 zog er nach Hamburg und praktizierte bis zum Berufsverbot im November 1938. Danach betätigte er sich noch als Testamentsvollstrecker, Nachlass- und Vermögensverwalter. Als »jüdischer Konsulent« wurde er nicht zugelassen. Im August 1941 stellte er sich der von → Max Plaut [122]geleiteten Bezirksstelle Nordwestdeutschland der Reichsvereinigung zur Verfügung. Einige Monate nachdem die Gestapo → Martin Heinrich Corten [135] als Hamburger Vertrauensmann der Rest-Reichsvereinigung eingesetzt hatte, wurde H., der wie jener in → Mischehe [67] lebte, zum Geschäftsführer des Büros in der Bornstraße berufen. Ihm oblagen u. a. die Bearbeitung der Heimeinkaufsverträge der Juden, die nach Theresienstadt deportiert wurden, und die Belegung der → »Judenhäuser« [136]. Im Februar 1945 musste er an der Zusammenstellung eines Transports nach Theresienstadt mitwirken, der erstmals auch die jüdischen Partner aus noch bestehenden »privilegierten« → Mischehen [67] betraf. Corten und er rechneten es sich später als Verdienst an, Rückstellungen aufgrund ärztlicher Atteste bewirkt zu haben. Bereits vor Kriegsende kam H. zu dem Schluss, die »rassisch« Verfolgten müssten im Nachkriegsdeutschland eine gemeinsame Interessenvertretung ins Leben rufen. So gründete er im Mai 1945 die »Hilfsgemeinschaft der Juden und Halbjuden«, die sich in religiöser Hinsicht neutral verhielt. H. unterhielt gute Kontakte zu deutschen und britischen Dienststellen und zur Hilfsorganisation American Jewish Joint Distribution Committee, die den überlebenden Hamburger Juden zugute kamen. Später ging die »Hilfsgemeinschaft« in der neu gegründeten → Jüdischen Gemeinde Hamburgs [124] auf, H. wurde dort Vorstandsmitglied und Justitiar. Im August 1945 erhielt er die Zulassung als Rechtsanwalt wieder, doch wanderte er im Februar 1947 in die USA aus, wo er fortan im Staat New York als Buchhalter arbeitete.
Kantor, geb. 7.8.1850 Laupheim, gest. 24.8.1925 Hamburg
H. tat sich schon früh mit seinem musikalischen Talent hervor, das seine Eltern nach Kräften zu fördern suchten. Infolge ungünstiger wirtschaftlicher Verhältnisse konnte er jedoch sein mit zwölf Jahren begonnenes Studium am Stuttgarter Konservatorium nicht abschließen. Stattdessen war er gezwungen, eine Ausbildung als Lehrer und Vorsänger am evangelischen Seminar in Esslingen zu absolvieren. Seit 1868 zunächst im Dienst seiner Heimatgemeinde stehend, wechselte H. fünf Jahre später als Kantor an die neu erbaute Synagoge nach Ulm, wo er auch Gelegenheit hatte, sein Studium am Konservatorium wieder aufzunehmen. Im Jahre 1876 legte er die zweite staatliche Lehramtsprüfung und 1877 die zweite Vorsänger-Prüfung ab. Zwischenzeitlich wurden auch andere jüdische Gemeinden Deutschlands auf das außergewöhnliche Gesangstalent aufmerksam. Anfang 1879 berief der Israelitische → Tempelverein [39], dessen Rabbiner Max Sänger selbst aus Laupheim stammte, den jungen Kantor mit der schönen Baritonstimme in die Freie und Hansestadt. Schon während seiner zehn Jahre in Laupheim und Ulm hatte H. durch Kompositionen von Chorliteratur auf sich aufmerksam gemacht. In Hamburg traf er nicht nur seine spätere Ehefrau Caroline Franziska, geb. Herschel, sondern fand auch den seinen Fähigkeiten angemessenen Wirkungsrahmen. Die schöpferischen 34 Jahre, die er als Oberkantor am Reformtempel wirkte, zeigen H.s Kreativität und Produktivität auf sehr verschiedenen Gebieten. Neben Kompositionen gab er auch ein Gesangbuch heraus (1883), entwickelte das gemischte Chorwesen der Hamburger Reform-Gemeinde, gestaltete als Vorsänger den Gottesdienst, betätigte sich als Musikschriftsteller, bildete Sänger und Kantoren aus und war schließlich über 15 Jahre Vorsitzender des deutschen Kantorenverbandes.
(auch: William), Bildhauer und Maler, geb. 20.3.1887 Hamburg, gest. 12.9.1962 Ibiza
H., Sohn des Oberkantors → Moriz Henle [138] am Israelitischen → Tempel [39] in Hamburg, genoss zunächst eine Musiker-Ausbildung. Ab 1906 erhielt er Privatunterricht in Malerei, im selben Jahr begann er ein Studium der Bildhauerei an der Lewin-Funcke-Schule in Berlin, das er 1908 bis 1910 an der Münchner Akademie fortsetzte. Daran schlossen sich bis 1913 Studienaufenthalte in Rom und Florenz an. Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem er an der Westfront kämpfte, schloss sich H. kurzzeitig der Hamburgischen Sezession an und trat auch dem Deutschen Künstlerbund bei. Nach einem dreijährigen Italienaufenthalt kehrte H. 1926 nach Hamburg zurück, wo die Kunsthalle einzelne seiner Werke erwarb. H., der sich seit 1929 besonders auf Kinderporträts spezialisierte, darüber hinaus aber stets auch Landschaftsbilder anfertigte, stellte in seinen Gemälden ein außerordentliches Gespür für feine Formen und zarte Umrisse unter Beweis. Seine Porträtbüsten zeichneten sich durch Ähnlichkeit und Formstrenge aus. Ein begeisterter Anhänger von Aristide Maillol, gestaltete H. häufig knabenhafte Mädchenkörper nach antikem oder Renaissance-Vorbild. Nach 1933 wurde er aus der Hamburgischen Künstlerschaft sowie der Reichskulturkammer ausgeschlossen. Zudem wurde ein Gemälde H.s als »Entartete Kunst« in der Hamburger Kunsthalle beschlagnahmt. H., der sich seit 1935 im → Jüdischen Kulturbund [4] engagierte, emigrierte 1939 gemeinsam mit seiner Frau, der Weberin Margarete Brix, nach London (→ Emigration [16]). Hier trat er dem Freien Deutschen Kulturbund bei und verdingte sich als Bildrestaurator am Courtauld-Institute London. Zudem beteiligte er sich an der Webarbeit seiner Frau, die sie in eleganten Geschäften absetzte. Nach 1945 kehrte das Ehepaar H. zweimal zu Besuchen nach Hamburg zurück. H. kam bei einem Bade-Unfall vor Ibiza ums Leben.
Mediziner, geb. 4.9.1891 Koschmin (Posen), gest. 16.12.1973 Jerusalem
H. ließ sich nach dem mit der Promotion abgeschlossenen Medizinstudium in Hamburg nieder. 1929 richtete er eine Arztpraxis in Wandsbek ein, wo er am 1. April 1933 Opfer des Boykotts wurde, den er – als Zeichen des Widerstands – fotografisch dokumentierte. Im Juni 1933 verlor H. als »Nichtarier« die Kassenzulassung und seine berufliche Existenz. Im September 1934 musste H. gemeinsam mit seiner Frau und den drei Kindern Hamburg verlassen, emigrierte nach Palästina (→ Emigration [16]) und eröffnete in Jerusalem eine bescheidene Praxis. Da die Einnahmen nicht zum Lebensunterhalt ausreichten, verdingte er sich zeitweilig als Schiffsarzt und arbeitete in verschiedenen Krankenhäusern. 1939 reiste er nach Belgien, um Verwandte mit falschen Papieren aus Deutschland herauszuholen sowie um Gelder für den Aufbau des jüdischen Staates aufzutreiben. Arretiert und nach Palästina abgeschoben, folgten schwierige Jahre ohne ausreichendes Einkommen. Nach Kriegsende erfuhr H., dass sein Vater und seine Schwestern mit ihren Familien Opfer des Holocaust geworden waren. Depressionen und ein altes Herzleiden beeinträchtigten seine Arbeitsfähigkeit zunehmend. 1955 kehrte H. nach Hamburg zurück, um sich behandeln zu lassen. Etwa zeitgleich begann sein Kampf um eine Entschädigung für die erlittenen materiellen und beruflichen Schäden – und für seine Altersrente von der kassenärztlichen Vereinigung. H. musste sich erneut in Hamburg als Arzt niederlassen – im Alter von 65 Jahren, begleitet von seiner Frau. 1961 kehrte das Ehepaar endgültig nach Jerusalem zurück.
Salonière, geb. 1777 Potsdam, gest. 20.7.1829 Hamburg
H., geboren als Frommet Bacher, älteste Tochter des Steuerschätzers Selig Moses Bacher und seiner aus Hamburg stammenden Frau Blume, geb. Guggenheim, kam nach dem frühen Tod ihrer Mutter nach Hamburg, um sich ihren Lebensunterhalt als Gesellschafterin zu verdienen. In dieser Zeit änderte sie ihren Vornamen in Fanny. 1798 heiratete sie den 25 Jahre älteren Bankier Jacob Moses Hertz (1752-1833), dessen erste Ehefrau bereits 1793 verstorben war. Die Verbindung zwischen der kulturell vielseitig interessierten Fanny und dem im Geschäfts- und Gemeindeleben engagierten Jacob galt allgemein als Vernunftehe. Aus ihr gingen drei Kinder hervor: Adolph Jacob (geb. 1800), Salomon (geb. 1801) und Eduard (geb. 1811). Für die Erziehung ihrer beiden ersten Söhne engagierte das Ehepaar 1804 den 18-jährigen Karl August Varnhagen von Ense, einen protestantischen Medizinstudenten mit literarischen Ambitionen. Dass H. und Varnhagen von Ense bald eine Liebesbeziehung eingingen, blieb der Umgebung nicht verborgen. Freunde gingen davon aus, dass H. nach dem Tod ihres Ehemanns konvertieren und Varnhagen von Ense heiraten würde. Weil Varnhagen von Ense zuweilen befreundete Berliner Literaten im Hause Hertz empfing, wurde später vermutet, H. habe einen literarischen Salon unterhalten. Im März 1805 wurde Varnhagen von Ense durch einen anderen Erzieher protestantischer Herkunft ersetzt, weil er seine Ausbildung fortsetzen wollte. 1808 kehrte er dann nach Berlin zurück und heiratete dort 1814 Rahel Levin, nachdem diese sich hatte taufen lassen. Bis 1809 erhielt er noch Unterstützung von der Hertz-Familie, auch waren er und H. weiterhin eng befreundet. 1829 verstarb H., vier Jahre vor ihrem Mann Jacob. Sie hielt dem Judentum bis zum Schluss die Treue, ihr Sohn Adolph aber nahm den christlichen Glauben an wie viele andere ihrer Nachfahren auch.
Rechtsanwalt und Politiker, geb. 29.7.1877 Köthen (Anhalt), gest. 14.9.1951 Haifa
Der Sozialist H. setzte sich als Kommunalpolitiker in Altona, Hamburg und Berlin vor allem mit Wohlfahrtsfragen und juristischen Themen auseinander. In zahlreichen Schriften und Reden beschäftigte er sich überdies mit der Demokratisierung der Verwaltung. Er gehörte dem linken Flügel der SPD und 1917 bis 1922 dem gemäßigten Flügel der Unabhängigen SPD (USPD) an. H. ließ sich 1904 als Rechtsanwalt in Altona nieder. Er war einer der ersten fünf sozialdemokratischen Abgeordneten im Altonaer Stadtverordnetenhaus (ab 1910) und in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg neben Heinrich Laufenberg und Fritz Wolffheim einer der drei namhaftesten Vertreter der innerparteilichen Opposition in der Hamburger SPD. 1918/19 prägte er zunächst als juristischer Berater und seit Ende 1918 als Mitglied die Politik der Exekutive des Arbeiterrats von Hamburg und Altona. 1921 bis 1926 amtierte H. dann als zweiter Bürgermeister des Berliner Bezirks Spandau und 1926 bis 1933 als erster Bürgermeister von Berlin-Kreuzberg. In dieser Zeit kämpfte er mit großer Leidenschaft für die auf Selbstverwaltung aufgebaute Demokratie. 1933 wurde H. von den Nationalsozialisten abgesetzt. In den folgenden Jahren schlug er sich mit juristischen Arbeiten, vornehmlich für Juden, durch. 1939 emigrierte H. mit seiner Frau Else nach London, wo er sich wieder im Sinne der gemäßigten USPD politisch betätigte. 1946 siedelte H. nach Palästina über, wo zwei seiner drei Kinder – der jüngste Sohn war in Auschwitz ermordet worden – als überzeugte Zionisten lebten.
Bankier und Politiker, geb. 17.1.1841 Hamburg, gest. 22.10.1902 Hamburg
H. besuchte die Stiftungsschule von 1815 (→ Isr. Freischule [139]), an der sein Vater als Schreib- und Rechenlehrer tätig war. Nach Abschluss der Schulbildung absolvierte er eine Banklehre und machte danach Karriere bei der Norddeutschen Bank. Sie verließ er 1879, um mit einem Kompagnon die Privatbank Hardy & Hinrichsen zu gründen. Parallel zur beruflichen Einspannung war H. zeitlebens ehrenamtlich aktiv. So war er u. a. Präses der Handelskammer und fungierte zeitweilig als Vorsitzender der Freihafenlagerhausgesellschaft. Genauso wichtig nahm H. seine Rolle als Vorsitzender des Vorstandes der Stiftungsschule von 1815. Eindeutige Dominanz im gemeinnützigen Engagement H.s hatte freilich die Politik. Als Dreißigjähriger wurde er 1871 erstmals in die Hamburgische Bürgerschaft gewählt und blieb dann als Angehöriger der Fraktion »Linkes Zentrum« über 30 Jahre ihr Mitglied. Wortgewandte Argumentation, Humor und eine unverkennbare organisatorische Begabung zeichneten den Abgeordneten aus, weshalb er kontinuierlich in die allgemeine Geschäftsführung des Parlamentes einbezogen wurde. Ab 1872 war er Schriftführer, 1880 bis 1892 Erster Vizepräsident und schließlich von 1892 bis zu seinem Ableben Präsident der Bürgerschaft. H. beschäftigte sich in Redebeiträgen im Plenum und in der Ausschussarbeit mit den meisten gewichtigen Fragen, die sich der hamburgischen Politik in den drei Jahrzehnten seiner Zugehörigkeit zum Landesparlament stellten, etwa mit den Auswirkungen der Reichsgründung, dem Zollanschluss, der Choleraepidemie usw. Besonders nachhaltig war sein Einsatz für sachgerechte Lösungen im Bereich der Verfassungsgestaltung, der allgemeinen Verwaltung, der Geld- und Währungsvereinheitlichung, des Schulwesens und des Kulturlebens.
Rabbiner, geb. 17.2.1833 Tiszabö/Tisza-Beö (Ungarn), gest. 18.5.1909 Hamburg
H., Sohn und Enkel ungarischer Rabbiner, besuchte ab 1848 zunächst die Jeschiwa in Preßburg, danach in Csába. 1853 kam er nach Prag, wo er Schüler von Rabbiner Salomon J. Rapoport wurde und zugleich an der Universität studierte. 1856 übernahm er das Rabbineramt in Karcag (Ungarn), folgte jedoch kurz darauf einer Berufung zum Distrikrabbiner in seiner Heimatstadt Tiszabö. 1861 bis 1880 wirkte er als Gemeinderabbiner und Rektor der bedeutenden Talmud-Tora-Schule in Óbuda/Alt-Ofen (Ungarn). Von staatlicher Seite wurde er 1867 mit der Schlichtung der innerjüdischen Gemeindestreitigkeiten in Ungarn betraut und konnte 1869/70 erfolgreich darauf einwirken, die Spaltung der Gemeinden in unabhängige orthodoxe und liberale Körperschaften zu verhindern. Im März 1880 trat er das Amt des Prager Oberrabbiners an; in der Gemeinde galt er jedoch als zu konservativ. 1889 qualifizierten seine ehemals vermittelnde Haltung zwischen Anhängern der ungarischen Orthodoxie und der Reformbewegung sowie seine Bildung H. für die Berufung zum Oberrabbiner nach Hamburg (→ Rabbinat [10]). Sein paternalistisches Auftreten führte ihm die Herzen der einfachen Gemeindemitglieder zu und dank seiner Meisterschaft in der volkstümlichen Predigt entwickelte sich die unter seiner Amtsführung erbaute Synagoge am → Bornplatz [97] (50) zum gottesdienstlichen Mittelpunkt für die breite Masse. Sein Anliegen, die Bildung der Jugend zu fördern, ließ ihn in Hamburg zwei Religionsschulen für Jungen und Mädchen sowie die orthodoxe höhere Privatmädchenschule (ab 1912: Lyzeum Bieberstraße) (48) gründen. Als Ausschussmitglied der »Freien Vereinigung für die Interessen des orthodoxen Judentums« galt er als eine der Leitfiguren der Orthodoxie.
Die Vorgeschichte der Jüdischen Gemeinde Altona beginnt im 16. Jahrhundert mit der Gewährung von Partikular-, später Generalgeleiten, die an niederlassungswillige Juden vom jeweiligen Landesherrn (bis 1640 die Grafen von Holstein Schauenburg, danach bis 1842 die dänische Krone) erteilt wurden. Durch sie wurde Aufenthaltsrecht, Religionsausübung, Erwerbstätigkeit und landesherrlicher Schutz gegen die Entrichtung von Schutzgeld und die Verpflichtung von Wohlverhalten gewährt (→ Privilegien [84]).
Vom Beginn ihrer Niederlassung in Altona an bis 1842 waren die Altonaer Aschkenasen Schutzjuden. 1611 waren vier jüdische Familien in Altona zugelassen, in den folgenden Jahren kamen weitere hinzu. 1641 wurde das erste dänische Privileg von Christian IV. erteilt. Es gab keine festgelegte Obergrenze für die Zahl der zugelassenen Haushalte und keinerlei Vorschriften hinsichtlich des Grunderwerbs. Das Recht auf Religionsfreiheit enthielt die öffentliche Religionsausübung – den Synagogenbau eingeschlossen – und eine vom Schutzherrn gewährte Schutzzusage. Zusätzlich zu den vergleichsweise gut ausgestatteten Privilegien, war Altona auch durch seine Nähe zu Hamburg, das einerseits als prosperierender Wirtschaftsplatz und andererseits als Fluchtpunkt galt, von besonderer Anziehungskraft. Die Privilegien wurden bis in das 19. Jahrhundert regelmäßig verlängert und endeten 1842 mit einer königlichen Resolution, durch die Schutzverwandtschaft und Schutzgeldpflichtigkeit abgeschafft wurden und den deutschen Juden in Altona das Bürgerrecht gewährt wurde. [141]Mit dem »Gesetz betreffend die Verhältnisse der Juden im Herzogtum Holstein« vom 14. Juli 1863 wurde dann die bürgerliche Gleichstellung erreicht. Neben der Gewährung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten waren die Abschaffung der jüdischen → Gerichtsbarkeit [17] und die Unterstellung der Juden unter die allgemeine Gerichtsbarkeit von entscheidender Bedeutung. Eine Ausnahme galt hinsichtlich der Beibehaltung von Eheschließung und Scheidung nach jüdischem Recht, sofern sie nicht den allgemeinen Vorschriften zuwiderliefen. Darüber hinaus regelte das Gesetz die Religions- und Gemeindeverfassung wie auch das Schul- und Armenwesen der Juden in Holstein. Nach dem dänisch-preußischen Krieg wurden Schleswig und Holstein 1867 Preußen angegliedert.
Die Gründung der Gemeinde mit Gemeindevorstand, Rabbiner, Vorbeter und Gemeindediener erfolgte 1611, zusammen mit dem Erwerb eines Friedhofsgrundstücks (100) (→ Friedhof [34]) und der ersten auf diesem Gelände stattfindenden Beerdigung. Die Gemeinde entwickelte sich stetig, insbesondere unter dänischer Herrschaft, sie erreichte eine Gleichstellung mit den portugiesischen Juden, das Jurisdiktionsprivileg sowie die Etablierung des Altonaer Oberrabbiners als Richter und geistliches Oberhaupt der aschkenasischen Juden in Schleswig und Holstein (→ Rabbinat [10]). (1780: 1.911 Gemeindemitglieder) Im Jahr 1671 wurden auch die Hamburger Juden der Jurisdiktion des Altonaer Oberrabbiners unterstellt. Im Gemeindeverband AHW (→ Dreigemeinde [9]) beanspruchte die Altonaer Gemeinde zunächst aufgrund ihrer Größe und vergleichsweise gut entwickelten organisatorischen Struktur, ferner als Sitz des Jüdischen Gerichts sowie aufgrund ihres überregionalen Rufs als Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit, die Führung. Das wirtschaftliche Übergewicht der Altonaer Gemeinde sollte sich allerdings Ende des 18. Jahrhunderts bereits zugunsten Hamburgs verschieben, als immer mehr Gemeindemitglieder in Hamburg ansässig wurden. Bedeutsam wurde dies, nachdem sie die Mehrheit der wohlhabenden Gemeindemitglieder ausmachten und Ende des 18. Jahrhunderts bereits den größten Teil des Steueraufkommens der Gemeinde aufbrachten. Die Problematik kam u. a. deutlich in der Auseinandersetzung um die Auflösung des Gemeindeverbandes und der Gründung dreier voneinander unabhängiger Territorialgemeinden im Jahr 1812 zum Ausdruck. [142]Mit der Auflösung des Dreigemeindeverbandes ging die Vorherrschaft der Altonaer Gemeinde zu Ende. Sie entwickelte sich demographisch kaum noch (seit 1780 war die Zahl der Juden in Altona konstant geblieben; 1840: 2.100, 1867: 2.359, 1890: 2.070) und geriet im 20. Jahrhundert in Abhängigkeit von der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] Hamburg. Seit 1880 erfolgte, ausgelöst von Pogromen, ein Zuzug osteuropäischer Juden (→ »Ostjuden« [143]), die von der Gemeinde versorgt werden mussten. Dieser Anforderung war die Gemeinde in der Folgezeit materiell nicht mehr gewachsen. Das Gemeindestatut von 1894/95 schuf einerseits eine moderne Gemeindeverwaltung, wie sie von zahlreichen Gemeindemitgliedern schon lange gefordert worden war. Sie etablierte aber zugleich einen weitreichenden Einfluss kommunaler und staatlicher Stellen. Im 20. Jahrhundert wurde die Gemeinde als öffentlich-rechtliche Körperschaft anerkannt. In der HIG war die Finanzlage, vor allem nach dem Ersten Weltkrieg, sehr schwierig. Der Haushalt wurde in erster Linie durch die hohen Fürsorgekosten belastet. Für größere Bau- und Renovierungsvorhaben wurden mit staatlicher Genehmigung Hypotheken aufgenommen. Zu Beginn der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts war die Gemeinde schließlich auf die Hilfe der Hamburger Gemeinde angewiesen. Hintergrund für diese Entwicklung war der hohe Anteil an ostjüdischen Mitgliedern, deren Unterstützung zunächst vor allem vom → Israelitisch-Humanitären Frauenverein zu Altona [144] organisiert wurde. In Verhandlungen mit Gemeinde und Staat konnte der Frauenverein eine Aufteilung der erforderlichen Sozialkosten erreichen. Zudem existierten eigene kostenintensive Gemeindeeinrichtungen, wie z. B. die jüdische Schule.
[145]Aufklärung und Emanzipation hatten bereits im 19. Jahrhundert zu einer Lockerung der Bindung an die Gemeinde als Pflichtverband geführt. Jüdische Neuzuwanderer ließen sich oft nieder, ohne die Mitgliedschaft zu erhalten. Zugleich genoss die HIG den Ruf einer zutiefst orthodoxen Gemeinde, denn Liberalisierung und Reformbewegung fanden in Altona mehrheitlich keine Anhänger. In der Amtszeit des Oberrabbiners → Maier Lerner [146] (1894-1925) wurde diese Tradition mit der Ablehnung des Frauenwahlrechts und dem Verbot der Aschenurnenbeisetzung fortgesetzt. Sein Nachfolger, Oberrabbiner → Joseph Carlebach [69], unterhielt zwar ein orthodoxes Lehrhaus, vertrat aber in zahlreichen Bereichen weniger strenge Positionen. Zugleich war es z. B. 1921 nur noch selten möglich, einen Minjan zum Frühgebet zu erreichen, d. h., 10 männliche Gemeindemitglieder zu versammeln. 1925 stellten die Altonaer Juden 1,3 Prozent der Gesamtbevölkerung, 1933 verzeichnete die amtliche Statistik 0,83 Prozent »Glaubensjuden«. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten sahen sich viele Altonaer Juden gezwungen auszuwandern. 1937 wurde Theodor Weisz zum Altonaer Oberrabbiner gewählt. Zahlreiche Altonaer Juden (aus Hamburg und Altona waren es insgesamt 700) wurden 1938 in der so bezeichneten Polenaktion verhaftet und abgeschoben. Während der → Novemberpogrome [22] wurde die Große Synagoge in der Papagoyenstraße (96) geschändet; sie wurde 1943 in einem Bombenangriff zerstört. Nach dem Pogrom wurde der Altonaer Kultusverband zwangsweise aufgelöst und die Verwaltung auf Anweisung der NS-Aufsichtsbehörde von der Hamburger Gemeinde, dem → Jüdischen Religionsverband Hamburg [23], übernommen. Nach dem Verbot der Auswanderung 1941 (→ Emigration [16]) wurden die verbliebenen Altonaer Juden mehrheitlich in die Vernichtungslager deportiert (→ Deportation [13]) und dort ermordet.
Architekt, geb. 9.5.1890 Lemgo, gest. 18.3.1985 Los Angeles
H. gehörte in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts zu den führenden Vertretern des Neuen Bauens in Hamburg. Nach seiner Schulzeit in der Hansestadt studierte H. Architektur in Hannover, München und Dresden, wo er 1913 sein Diplom erwarb. Seit 1919 wurde H. in verschiedenen Hamburger Architektenbüros tätig. Sein Sieg im Wettbewerb für die Krieger-Ehrenanlage auf dem Jüdischen → Friedhof [34] in Ohlsdorf führte dann 1921 gemeinsam mit seinem Studienfreund → Fritz Block [147] zur Gründung eines eigenen Architektenbüros, das in den folgenden Jahren eine vielfältige und dem modernen Baustil verpflichtete Tätigkeit entfaltete. H. war mit der Violinistin Hedwig Behrens (1892-1992) verheiratet und kulturell vielseitig interessiert; eine jüdische Identität bestand jedoch lediglich in familiengeschichtlicher Hinsicht. Als die 1933 einsetzenden Repressalien gegen Juden in Deutschland schließlich lebensbedrohlich wurden, emigrierte der Architekt mit seiner Frau und seiner 1928 geborenen Tochter Annette im November 1938 nach Los Angeles. Dort fand er zunächst Anstellungen als set designer bei der Filmindustrie in Hollywood. Nachdem H. 1943 amerikanischer Staatsbürger geworden war und 1946 die kalifornische Architektenlizenz erworben hatte, arbeitete er bis 1972 als Chefzeichner bei verschiedenen Architektenbüros in Los Angeles. Daneben setzte er im Exil seine bereits in Hamburg begonnenen genealogischen Studien fort. Die Hansestadt sah er 1961 noch einmal kurz bei einer Europareise wieder. Seine Erinnerungen an Hamburgs Architektur in den 20er Jahren, die H. 1980 im Alter von 90 Jahren niedergeschrieben hat, enden mit dem Satz: »Die zwanzig Jahre im Baufach in Hamburg waren für mich die lebendigste, schöpferischste, an Erfahrungen reichste Zeit meines Lebens.«
Rabbiner, geb. 18.12.1892 Krotoschin (Posen), gest. 2.11.1975 London
H. wuchs in Königshütte (Oberschlesien) auf. 1914 nahm er sein Studium am Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau auf, das er aber schon kurze Zeit später unterbrach, um als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teilzunehmen. Nach Kriegsende setzte er seine Ausbildung fort und erhielt 1923 die Ordination als Rabbiner. Bereits 1921 war er von der Universität Erlangen promoviert worden. Von 1923 bis 1939 amtierte er als Rabbiner an der → Neuen Dammtor Synagoge [77] (47) in Hamburg, die einen gemäßigt konservativen Mittelweg zwischen dem liberalen → Tempelverband [39] und dem orthodoxen → Synagogenverband [76]beschritt. H. engagierte sich vor allem in der Jugendarbeit sowie in der seelsorgerischen Betreuung jüdischer Häftlinge, seit 1934 unterrichtete er zudem biblische Theologie, jüdische Geschichte und Religionsphilosophie am Hamburger Jüdischen Lehrhaus (→ Franz-Rosenzweig-Gedächtnisstiftung [148]). Nach der Reichspogromnacht im November 1938 (→ Novemberpogrom [22]) von der Gestapo verhaftet und in das KZ Sachsenhausen verschleppt, konnte er nach seiner Freilassung gemeinsam mit seiner Ehefrau nach England emigrieren, wo er in Surrey und London Stellungen als Rabbiner und Schulleiter bekleidete. H., der bereits kurz nach Kriegsende in die Britische Besatzungszone zurückkehrte, um sich als Rabbiner am Wiederaufbau jüdisch-religiösen Lebens zu beteiligen, kam 1951 erneut in die Bundesrepublik, wo er sich – zunächst als Oberrabbiner für Nordwestdeutschland und später als Landesrabbiner für Nordrhein-Westfalen – auch an der Gründung der Rabbinerkonferenz beteiligte. Nach seiner Pensionierung 1958 übersiedelte H. wiederum nach England, um dort seine letzten Lebensjahre in Hendon (Middlesex) zu verbringen.
Regisseurin und Schauspielerin, geb. 15.6.1889 Berlin, gest. 26.9.1967 Lütjensee bei Hamburg
Nach ihrer Ausbildung zur Schauspielerin bei Max Reinhardt debütierte H. an verschiedenen Berliner Bühnen. Hier lernte sie ihren späteren Mann, den Regisseur Erich Ziegel, kennen, mit dem sie eine fast fünfzigjährige, glückliche Ehe verbinden sollte. Sie schlug reizvolle Filmangebote aus und folgte ihrem Mann nach Hamburg, wo sie sich 1916 am Deutschen Schauspielhaus dem Publikum vorstellte. Als Erich Ziegel dort ebenfalls ein Engagement annahm, versuchte das Paar vergeblich, den Spielplan mit moderner Dramatik aufzufrischen. Ende 1917 verließen H. und Ziegel das Haus, um eine eigene Bühne ins Leben zu rufen. Mit zeitgenössischen Autoren, vielfältigen Regiehandschriften und unbekannten Schauspieltalenten sollte den katastrophalen Folgen des Krieges begegnet und der jungen Generation eine Zukunftsperspektive aufgezeigt werden. Ihr Theater, die Hamburger Kammerspiele am Besenbinderhof, eröffneten 1918 mit einer Frank-Wedekind-Woche und entwickelten sich bald zu einem Avantgardetheater. Zum Ensemble zählten neben H. u. a. Gustaf Gründgens, Werner Hinz, Paul Kemp und Fritz Kortner. Als ihr Mann 1926 zum Leiter des Schauspielhauses ernannt wurde, übernahm H. die Direktion der Kammerspiele und begann, regelmäßig zu inszenieren. 1928 musste die Bühne dem Neubau des Gewerkschaftshauses weichen; man zog zunächst in das Kleine Lustspielhaus an den Großen Bleichen und 1932 in das Thalia Theater. Das Auftrittsverbot für H. aufgrund ihrer jüdischen Herkunft erzwang 1934 die → Emigration [16] nach Wien. Gründgens holte Ziegel nach Berlin ans Staatliche Schauspielhaus, und H. folgte ihrem Mann 1938. Erst ab 1945 konnte sie wieder als Schauspielerin arbeiten, u. a. in der Rolle der Mutter Wolffen in Gerhart Hauptmanns Biberpelz und als Regisseurin an Friedrich Schütters Jungem Theater.
Personen und Themen mit I
Die Gründungsgeschichte des I. reicht bis in die frühen fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, als sich einige Hamburger Bürger engagierten, um die geretteten reichen Archivbestände der jüdischen Gemeinden (→ Archiv [149]) im Hamburger Raum wissenschaftlich auszuwerten.
Nach mehreren Anläufen wurde das I. unter der Leitung von Heinz Mosche Graupe (1906-1997) schließlich 1966 eröffnet und widmete sich damit als erste Forschungseinrichtung in der Bundesrepublik ausschließlich der deutsch-jüdischen Geschichte von der → Frühen Neuzeit [150] bis in die Gegenwart. Als Stiftung bürgerlichen Rechts wird das I. von der Freien und Hansestadt Hamburg getragen, Organe der Stiftung sind der Vorstand und ein Kuratorium. Als Direktoren waren Peter Freimark (bis 1992) und Monika Richarz (bis 2001) tätig. Zu den Aufgaben des I. zählen die Erforschung der Geschichte der deutschen Juden, die Heranbildung wissenschaftlichen Nachwuchses auf diesem Gebiet und die Publikation von eigenen und fremden Forschungsergebnissen. Die Bibliothek des I., die im Jahre 2006 über mehr als 40.000 Bände verfügt, ist die bedeutendste historische Spezialbibliothek im gesamten norddeutschen Raum und eine der größten Präsenz- und Forschungsbibliotheken zur jüdisch-deutschen Geschichte in Europa. In den ersten 25 Jahren des Bestehens konzentrierte sich die Arbeit vor allem auf die Dokumentation und historische Bearbeitung der Geschichte der Hamburger Juden, in den letzten Jahren ist zudem eine Ausweitung auf die allgemeine deutsch-jüdische Geschichte sowie eine weitere internationale Vernetzung des I. zu vermerken.
geb. 14.12.1807 Hamburg, gest. 19.8.1888 Hamburg
Die Familie Isler stammte aus Halberstadt. I. besuchte zunächst die Knabenschule, die sein Vater Israel Abraham Meyer 1793 nach dessen Niederlassung in Hamburg eröffnet hatte. 1821 wechselte I. zur Gelehrtenschule des Johanneums, wo ihn die Philologen Friedrich Gottlieb Zimmermann und Franz Wolfgang Ullrich beeinflussten. Von 1824 bis 1827 war er Mitglied im Wissenschaftlichen Verein von 1817. Von 1825 bis 1827 absolvierte er das Akademische Gymnasium und schätzte besonders den Geschichtsunterricht von Karl Friedrich Hartmann. Stipendien ermöglichten ein Studium in Bonn (1827-29) und Berlin (1829/30). In Bonn wurde er geprägt von dem Historiker Barthold Georg Niebuhr, in Berlin besuchte er Abendgesellschaften bei Leopold Zunz und Isaak Markus Jost, die zu den Nestoren der neuen Wissenschaft des Judentums gehörten. Nach der Promotion mit einer Arbeit über Hesiod lehrte er an der väterlichen Schule. 1832 wurde er Registrator, 1851 Sekretär an der Stadtbibliothek. Von 1872 bis 1883 leitete er die Bibliothek, deren Geschichte von 1838 bis 1882 er in einer ausführlichen Monographie darstellte. 1839 hatte er Emma Meyer (1816-1886) aus Dessau geheiratet. Große Verdienste erwarb sich I. durch die Herausgabe der historischen und philologischen Vorträge Niebuhrs, die Auswahl von Briefen an Charles de Villers, den Schriftsteller und Vermittler zwischen französischer und deutscher Kultur, und die Edition der Schriften → Gabriel Riessers [92], für deren ersten Band er eine Biographie Riessers schrieb und eine Auswahl aus dessen Briefen besorgte. Erst 1961 erschienen I.s Jugenderinnerungen, ein lebendiges Zeugnis zur Geschichte der Hamburger Juden im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert wie zu seinem Bildungsgang.
Der IHF war eine der ersten modernen sozialen Frauenorganisationen in Hamburg. Einerseits stand der Verein ganz in der jüdischen Tradition der Wohlfahrt, andererseits arbeitete er nach modernen Methoden der Sozialarbeit.
Die Gründung des IHF 1893 ging von → Gustav Tuch [151] aus, der bis 1909 den Vorsitz innehatte. Ihm folgten → Sidonie Werner [152] (bis 1932), Gertrud Katzenstein (bis 1936) und Rebekka Zadik (bis 1938). Die Mitgliederzahlen lagen zunächst bei rund 180, um 1915 bei 1.000 und bei ca. 750 in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Der Verein setzte sich zum Ziel, »den sittlichen und geistigen Charakter der Judenheit zu heben und zu entwickeln«. Im Rahmen der innerjüdischen Identitätsdiskussion positionierte sich der IHF entschieden gegen assimilatorische Tendenzen.
Der IHF baute mehrere soziale Abteilungen auf. Neben traditionellen Einrichtungen wie Wohltätigkeitsbasaren, Unterstützungskassen und Krankenpflege wurden auch Projekte entwickelt, die vorbeugend gegen Armut und Krankheit wirken sollten. Hierzu zählten Angebote für gewerbliche Ausbildungen, die Einrichtung eines Jüdischen Gemeinschaftsheimes sowie Arbeitsnachweise. Zu dieser modernen Form der Sozialarbeit gehörten auch Kinderheime in Hamburg und Ferienhäuser in Bad Segeberg, die bedürftigen Kindern Unterkunft, Verpflegung und Ausbildungsmöglichkeiten gewährten. Zwei weitere Problemfelder beschäftigten den IHF intensiv: die Rechte der Frauen in der Gemeinde und der internationale Mädchenhandel. Auch in diesen Bereichen engagierte sich der IHF ausdrücklich als jüdischer Frauenverein.
Nach dem → Novemberpogrom [22] 1938 musste sich der IHF auflösen. Zuvor waren zwangsweise alle sozialen Einrichtungen und Besitzungen an nichtjüdische Institutionen übergeben worden.
Die F. wurde 1815 als Schule für arme jüdische Kinder gestiftet. Ihre wohlhabenden Gründer waren eng mit der jüdischen Reformbewegung verbunden, die durch eine umfassende Neugestaltung der innerjüdischen Belange eine Angleichung an die nichtjüdische Gesellschaft erreichen wollte.
Die Reformbestrebungen konzentrierten sich auf drei Bereiche: Umgestaltung des jüdischen Kultus, Reform des jüdischen Schul- und Erziehungswesens und Maßnahmen zur Berufsumschichtung. Diese Bemühungen setzten vor allem bei den mittellosen Teilen der jüdischen Bevölkerung an.
Der schulischen Ausbildung ihrer Kinder kam eine besondere Bedeutung zu: Je schlechter ihre Chancen für eine Schulausbildung waren, desto eher bestand die Gefahr, dass sie später einem Erwerb im Klein- und Hausierhandel nachgehen mussten, und damit einen traditionellen jüdischen Berufsweg wählen würden.
Die Schüler der F. sollten daher nach Möglichkeit auf einen Handwerksberuf vorbereitet werden. Im Religionsunterricht wurde auf den dogmatischen und zeremoniellen Teil der jüdischen Glaubenslehre verzichtet und stattdessen ethische Grundprinzipien der Religion vermittelt.
1817 bis 1848 wirkte → Eduard Kley [153] als Oberlehrer an der F. Sein Nachfolger wurde → Anton Rée [93], der die Schule von 1848 bis 1891 leitete. Seit 1859 nahm die Schule auch christliche Schüler auf und entwickelte sich in den folgenden Jahren zu einer gemischt konfessionellen Schule. In den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts besuchten etwa 700 Schüler die Schule; sie war damit eine der größten Schulen in Hamburg (→ Schulwesen [80]). 1870 wurde die F. in »Israelitische Stiftungsschule von 1815« umbenannt. 1890 erhielt sie dann den Namen »Stiftungsschule von 1815«, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Zahl der christlichen Schüler höher war als die der jüdischen. 1920 wurde die Schule verstaatlicht. Bis zur Schließung 1933 trug sie dann den Namen »Dr. Anton Rée-Realschule«.
Der Schulunterricht hatte in den ersten Jahren in bescheidenen Räumlichkeiten in der → Neustadt [28] stattgefunden. 1830 erhielt die Schule ein eigenes Gebäude am Zeughausmarkt (41), das 1915 durch einen Neubau ersetzt wurde. Heute ist in dem Gebäude die Anna-Siemsen-Gewerbeschule untergebracht.
→ Salomon Heine [36] erbot sich 1839, die gesamte Summe für den Bau eines neuen Hospitals der jüdischen Gemeinde zu übernehmen. Der Bau des 80-Betten-Hauses erfolgte zwischen 1841 und 1843.
Das I. verstand sich als »Institut zur Aufnahme, Verpflegung und Heilung Israelitischer Kranker jedweden Alters und Geschlechts«, nahm aber gegen Bezahlung auch Kranke anderer Konfessionen auf. Seit 1864 verschlechterte sich die finanzielle Lage des Krankenhauses, weil die Gemeinde keine Zwangskorporation mehr war (→ DIG [18]). Eine großzügige Schenkung Carl Heines 1865 diente dazu, die Unterhaltungskosten zu decken. Die Gemeinde und das Krankenhaus vereinbarten, dass die Verwaltung des Krankenhauses nun einem Collegium (später: Kuratorium) übergeben wurde. 1866 und 1889 erhielt das I. durch Senatsbeschlüsse die eigene Rechtsfähigkeit. Während des Ersten Weltkriegs diente das Hausals Militärlazarett. Der Krieg und seine Nachwirkungen verursachten finanzielle Probleme. Trotzdem wurde das I. 1931 um eine neue chirurgische Abteilung in einem eigenen Haus erweitert. Obwohl das I. nach 1933 weiter existierte, waren die Schwierigkeiten dieser Jahre außerordentlich. Die Maßnahmen der Machthaber trugen dazu bei, die finanzielle Basis des I. zu untergraben. 1939 übernahm die Stadt die Gebäude des I. Als Ersatz dienten zwei Gebäude in der Johnsallee. Während des Krieges wurde der Bau in St. Pauli dann schwer beschädigt, aber das I. selbst bestand weiter in der Schäferkampsallee. Nach dem Krieg bemühten sich einige zurückgekehrte Mitglieder der Gemeinde um einen Wiederaufbau. 1946 ernannte der Bürgermeister ein neues Kuratorium. Das Gebäude in der Schäferkampsallee war jedoch völlig ungeeignet und eine Rückkehr in die Ruinen in St. Pauli unmöglich. Senat und Bürgerschaft stellten daher Geld und ein Grundstück am Orchideenstieg für einen Neubau zur Verfügung. Die Bauarbeiten wurden in zwei Abschnitten (1958-60 und 1960-61) verwirklicht. In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts verfügte das Krankenhaus über 219 Betten; gegenwärtig sind es 205.
Rabbiner, geb. 6.2.1881 Burgdorf (Hannover), gest. 17.7.1956 London
I., Sohn eines Lehrers, besuchte zunächst die jüdische Samson-Schule in Wolfenbüttel und absolvierte anschließend das Hildesheimer Gymnasium. 1899 nahm er seine Rabbinerausbildung am Jüdisch-Theologischen Seminar in Breslau auf, wo er 1908 das Examen ablegte. Sein Universitätsstudium, das er zur selben Zeit begann, schloss er 1903 mit der Promotion (Erlangen) ab. Bereits im Jahr vor seiner Ordination wurde er als liberaler Rabbiner der Darmstädter jüdischen Gemeinde eingesetzt, die er zunächst bis 1914 betreute. Während des Ersten Weltkriegs als Feldrabbiner der 7. Armee in Frankreich zugeteilt, setzte er 1918 seine Wirksamkeit in Darmstadt fort. Über seine geistlichen Funktionen hinaus machte sich I. auch als Gelehrter einen Namen. Neben zahlreichen Aufsätzen zur Wissenschaft des Judentums publizierte er eine Faksimile-Edition der Darmstädter Pessach-Haggada, die er durch eine Monographie zur Geschichte der illuminierten Haggadot (1927) ergänzte. I., der sich als deutsch-jüdischer Patriot verstand, betrachtete die wachsende Judenfeindschaft unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs mit Sorge (→ Antisemitismus [31]). Seine 1920 publizierte und mehrfach aufgelegte Broschüre Waffen im Abwehrkampf hob darauf ab, den deutschen Juden Argumentationshilfen gegen antisemitische Anfeindungen an die Hand zu geben. I. verließ Darmstadt 1928, als er einem Ruf des Israelitischen → Tempelverbands [39] nach Hamburg folgte. An der Reformsynagoge erwarb er sich große Verdienste, weil er das wachsende Bedürfnis der Mitglieder nach Selbstvergewisserung aufgriff und den Tempel durch religiöse und kulturelle Veranstaltungsangebote zu neuer Blüte führte, bis dieser nach dem → Novemberpogrom [22] geschlossen wurde. 1939 floh I. gemeinsam mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern über Brüssel nach London (→ Emigration [16]), wo er zunächst im East End und von 1943 bis zu seiner Pensionierung 1951 als Assistant Minister an der West London Synagogue of British Jews fungierte. 1956 erlag I. nach einem Sturz seinen Verletzungen.
Personen und Themen mit J
Musikpädagoge, geb. 24.11.1897 Hamburg, gest. 15.1.1943 London
J., der von 1923 bis 1939 an der → Talmud Tora Schule [38] in Hamburg unterrichtete, hat das Musikleben in der Schule und in den jüdischen Jugendbünden nachhaltig geprägt und bereichert. Schon als Kind fiel er durch seine musikalische Begabung auf. Nach dem Besuch der Talmud Tora Schule bestand er 1916 am Heinrich-Hertz-Realgymnasium das Abitur. Im Anschluss daran studierte er Musikwissenschaft, Französisch, Englisch und Hebräisch in München, Leipzig und Hamburg, wo er 1924 promovierte. Da es ihm als Dirigent nicht möglich gewesen wäre, die Schabbatruhe einzuhalten, verzichtete er auf diesen Berufswunsch. An der Talmud Tora Schule richtete er ein Schulorchester ein, in dem Schüler und Lehrer gemeinsam musizierten; auch eigene Kompositionen von J. wurden aufgeführt. Orchester und Schülerchor erreichten unter J.s Leitung ein ausgezeichnetes Niveau. Nach 1933 war es vor allem J. zu verdanken, dass die Musik zu einer Quelle geistigen Widerstands wurde. Gemeinsam mit seinem Berliner Kollegen Erwin Jospe stellte er 1935 das Liederbuch Hawa Nashira (»Auf! Laßt uns singen!«) zusammen, das deutsche, hebräische und jiddische Lieder enthielt. Es beweist tiefe Verbundenheit mit dem Judentum ebenso wie mit deutscher Kultur. Während des → Novemberpogroms [22] 1938 wurde J. verhaftet und elf Tage im KZ Oranienburg-Sachsenhausen gefangen gehalten. Im März 1939 emigrierte er mit seiner Frau und seinen vier Kindern nach England (→ Emigration [16]). An der Jewish Secondary School in London unterrichtete er jüdische Flüchtlingskinder aus Deutschland. Nach Kriegsbeginn wurde er monatelang als »enemy alien« auf der Isle of Man interniert; dort dirigierte er einen Chor und ein Orchester. Im Alter von 45 Jahren erlag J. einer schweren Krankheit.
Das Studium des Talmud wurde in jüdischen Gemeinden in verschiedenen Einrichtungen gepflegt. In Jeschiwot versammelten sich Schüler um ihre Lehrer, um sich systematisch dem Studium zu widmen. Eine J. wurde in Hamburg erst 1921 durch Rabbiner → Joseph Carlebach [69] und Mitglieder des → Synagogenverbandes [76] gegründet.
Sie diente vertiefenden rabbinischen Studien von Absolventen der → Talmud Tora Realschule [38], zog aber auch auswärtige Schüler an. Während das Studium in Jeschiwot den Charakter einer Ausbildung hatte und mit der Verleihung eines Titels abgeschlossen werden konnte, der bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu einer Tätigkeit als jüdischer Lehrer oder Rabbiner befähigte, diente das Studium in einer Klaus anderen Zwecken. Klausen waren meist private Stiftungen, in denen Gelehrte mit ihren Familien leben und sich dem Studium widmen konnten. Ihr Unterhalt wurde aus dem Stiftungskapital bestritten. Das Lernen in einer Klaus hatte nicht in erster Linie die Ausbildung des Nachwuchses zum Ziel. Häufig wurden Klausen bereits zu Lebzeiten des Stifters als Gedächtnisstiftungen eingerichtet, in denen zu gegebener Zeit durch Gebet und Lernen eine Erleichterung für die Seele des verstorbenen Stifters bewirkt werden sollte. Die älteste Klaus auf dem Gebiet des heutigen Hamburg war die Chacham-Zwi-Klaus in Altona, die 1690 zu Ehren des Altonaer Rabbiners → Zwi Aschkenasi [7] gegründet worden sein soll. In Hamburg selbst existierten seit dem 18. Jahrhundert mehrere Klausen: 1707/09 richtete Issachar Bär Cohn eine Klaus ein, die 1740 infolge des Verlusts des Stiftungskapitals geschlossen werden musste. In der Mitte des 18. Jahrhunderts wurde im Haus des Josel Halberstadt die Alte Klaus gegründet. Die Neue Klaus, angeblich auf Anregung des Rabbiners → Jonathan Eibeschütz [8] im Jahr 1756 errichtet und durch Spenden finanziert, wurde 1789/99 mit der Alten Klaus zur Alt-Neuen-Klaus vereinigt. Vermutlich von Daniel Salomon Wallich (gest. 1789) wurde testamentarisch die Jechiel-Wallich-Klaus gestiftet, die Levin-Salomonsche-Klausstiftung wurde 1811 gegründet. Ende der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts bereiteten die Nationalsozialisten den teils seit Jahrhunderten bestehenden Lehreinrichtungen ein gewaltsames Ende.
Lehrer und Schulleiter, geb. 19.2.1889 Dortmund, gest. 29.8.1942 Theresienstadt
J. wuchs in Breslau auf und promovierte dort 1915 an der Universität. 1916 absolvierte er die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen mit der Lehrbefähigung für Hebräisch, Griechisch und Latein. Er unterrichtete in Halberstadt und in Leipzig, bevor er 1922 an die Hamburger → Talmud Tora Realschule [38] berufen wurde. J. war seit 1923 mit der Ärztin Marie-Anna Levinsohn verheiratet, die später als Schulärztin an der Israelitischen Töchterschule (→ Schulwesen [80]) tätig war. 1924 wurde J. zum Direktor der Israelitischen Töchterschule ernannt. Unter seiner Leitung erfolgte eine organisatorische und pädagogische Umgestaltung der Schule, die notwendig geworden war, um den Erfordernissen einer modernen Mädchenbildung zu genügen. Im Ergebnis seiner mit Ideenreichtum und Verhandlungsgeschick initiierten Veränderungen stand 1930 die staatliche Anerkennung als Realschule. In den Erinnerungen ehemaliger Schülerinnen spiegelt sich das Bemühen J.s, nach Machtantritt der Nationalsozialisten den Schulalltag als Hort der Geborgenheit und des geistigen Widerstandes zu pflegen. Nach dem → Novemberpogrom [22] widmete er sich der Rettung jüdischer Kinder und Jugendlicher und begleitete Kinder nach England. Ihm selbst wurde im Frühjahr 1940 als Direktor der »Volks- und Höheren Schule für Juden« (so die Bezeichnung für den zwischenzeitlich erfolgten Zusammenschluss der Israelitischen Töchterschule mit der Talmud Tora Schule) die Auswanderung nicht gestattet. Nach dem Ende allen Unterrichts an jüdischen Schulen wurde J. mit seiner Frau und seiner Tochter Esther in das KZ Theresienstadt deportiert, wo er kurz darauf verstarb. Seine Frau wurde in Auschwitz ermordet. Esther Bauer lebt heute in New York.
Gewerkschafter, geb. 29.1.1868 Grünthal bei Berlin, gest. 2.2.1938 Hamburg
Als Gewerkschaftsführer der sozialdemokratisch orientierten kaufmännischen Angestellten stand J. zwei Jahrzehnte unmittelbar im Kampf gegen Angriffe nationalistischer und antisemitischer Handlungsgehilfen.
J. besuchte bis zur Mittleren Reife das Wilhelm-Gymnasium in Eberswalde und schloss danach eine 4-jährige Kaufmannslehre ab. Als Angestellter war er dann in Lübeck und Hamburg beschäftigt. J. gehörte 1892 zu den Gründern des Hamburger Vereins der Handlungsgehilfen »Vorwärts«, in dem er 1894 den Vorsitz übernahm. Als »Josephsohn-Club« von den → Antisemiten [31] in der Deutsch-sozialen Reformpartei diffamiert, bauten diese mit dem 1893 in Hamburg gegründeten Deutsch-nationalen Handlungsgehilfen-Verband einen aggressiven Gegner auf. In den heftigen Auseinandersetzungen zeigte sich J. als mutiger und gewandter Redner. Aufgrund seiner Initiative wurde 1897 in Leipzig der Zentralverband der Handlungsgehilfen und -gehilfinnen Deutschlands mit Sitz in Hamburg gegründet. Von 1902 bis 1911 stand J. an der Spitze des Verbandes. Auf dem Internationalen Sozialistenkongress 1904 in Amsterdam leitete er die Angestelltenkonferenz, die die Einrichtung einer Internationalen Auskunftsstelle in Hamburg beschloss. Wahrscheinlich wurde J. aufgrund seines ausgeprägten Internationalismus aus dem Verbandsvorstand abgewählt, denn auch der Leitungswechsel im Hamburger Ortsverband trug offenbar der zunehmenden nationalistischen Stimmung unter den Angestellten Rechnung. J. wurde 1911 zum Leiter der neu geschaffenen Verwaltungsabteilung in der Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Konsumvereine in Hamburg berufen. 1933 schied er dort aus und verlebte seine letzten Jahre in Hamburg. Seine Angehörigen, darunter Ehefrau und Tochter, wurden Opfer der NS-Verfolgung.
Mit dem Wort »J.« wurde seit dem 18. Jahrhundert ein täglicher Markt unter freiem Himmel in der Hamburger → Neustadt [28] bezeichnet.
Hier waren 1775 Straßen benannt worden, in denen Juden Wohnrecht und ein eingeschränktes Recht auf Hauseigentum hatten. Der Straßenmarkt fand in der Elbstraße, heute Neanderstraße, und den parallelen und kreuzenden Nebenstraßen (mit Ausnahme des Neuen Steinwegs) statt. Bis zur 1864 eingeführten Gewerbefreiheit waren jüdische Händler den Bedingungen der mittelalterlichen Realgewerberechte unterworfen. Diese verboten ihnen Ladengeschäfte mit Auslagen und Werbeschildern und den Handel mit den Waren, die allein den Mitgliedern der Handels- und Handwerkerzünfte vorbehalten waren. Der von Juden betriebene Einzelhandel beschränkte sich daher bei Neuwaren auf Produkte von nicht zunftgebundenen Handwerkern oder Manufakturen, großenteils Importwaren. [155]Daneben wurden Gebrauchtwaren, hauptsächlich Kleidung, Möbel und Bücher verkauft. Während andere jüdische Straßenhändler mit wechselnden Standorten oder als Hausierer arbeiteten, hatten die Händler auf der J. feste Standplätze meist in der Nähe ihrer Wohnungen. Karren und Tische dienten zur Auslage. Literarische Beschreibungen und Bilder des Marktes erschienen seit 1800, so in der graphischen Serie von Christoffer Suhr Der Ausruf in Hamburg (1806). In der jüdischen Literatur beginnt die Nennung der »Jüddenbörsch« 1842 in einem jiddischen Gedicht. Der traditionsreiche Markt wurde 1925 durch Polizeiverordnung wegen des zunehmenden Autoverkehrs geschlossen.
Das Reichsgesetz über die »Mietverhältnisse mit Juden« vom 30. April 1939 hob den Mieterschutz und die freie Wohnungswahl für Juden auf und schuf so die Voraussetzung, die jüdische Bevölkerung in bestimmten Stadtteilen ghettoisieren zu können.
Nicht nur die Hamburger Gauleitung der NSDAP begriff die »Judenwohnungen« als Verfügungsmasse für Maßnahmen der Sozialpolitik, die städtebauliche Neugestaltung und später als Entschädigung für Ausgebombte. Der → Jüdische Religionsverband [23] (bzw. später die Bezirksstelle der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland) war bereits 1941 angewiesen worden, Wohnraum von »Volljuden« freizumachen. Die Betroffenen wurden vor allem in jüdische Wohnstifte, Alters- und Pflegeheime, später auch in das Gebäude des Jüdischen Krankenhauses (26) eingewiesen. Nach den jüdischen Ehepaaren traf der Umzugsbefehl die in »nichtprivilegierter« → Mischehe [67] Lebenden, die sechs Häuser im → Grindelgebiet [33] belegten. Mitte 1942 lebte mehr als die Hälfte der noch in Hamburg befindlichen Juden in solchen »J.«. Ab Ende 1942 erhielten die ersten in »privilegierter« Mischehe lebenden Paare die Zuweisung für ein »J.«. Die Luftangriffe auf Hamburg im Juli/August 1943 verstärkten die allgemeine Wohnraumknappheit, so dass die Gestapo forderte, weitere freie Zimmer für nichtjüdische Ausgebombte zu räumen. Die Betroffenen sollten im Grindelviertel, in Randbereichen von Eppendorf und Eimsbüttel sowie in der Altonaer Breitestraße konzentriert werden. Dies wurde nur ansatzweise verwirklicht, und zur angedrohten Einweisung in Baracken auf dem jüdischen → Friedhof [34] kam es ebenfalls nicht mehr. Die »J.« waren jetzt überbelegt, und Juden, die noch in ihren alten Wohnungen lebten, erhielten Einquartierung. Trotzdem gelang es den Machthabern bis Kriegsende nicht, alle in Mischehen lebenden Juden räumlich zu konzentrieren. Mit den »J.« verbanden die Nationalsozialisten hinsichtlich der Juden unterschiedliche Ziele: Sie »verschwanden« aus ihrer bisherigen Umgebung, wurden isoliert und konnten überwacht werden. Zudem beschleunigte der Einweisungsbefehl den Zerfallsprozess mancher Mischehe. Vor allem aber fungierten die Häuser nach den ersten → Deportationen [13] als Sammelstätten für die Transporte. 1951 entschied das Oberverwaltungsgericht in Hamburg, »Sternträgern« für die Unterbringung in »J.« eine Haftentschädigung zu gewähren.
Seit Beginn der Ansiedlung von Juden in Hamburg am Anfang des 17. Jahrhunderts hatte die städtische Geistlichkeit vergeblich vom Senat Maßnahmen zur Bekehrung der Juden zum christlichen Glauben, und damit die Umsetzung des Kernstücks der auf die Juden bezogenen Lehrsätze der lutherisch-orthodoxen Glaubenslehre in konkrete Politik gefordert.
1667 ergriff ein Bürger, der Privatgelehrte und Orientalist Esdras Edzard, die Initiative mit der Begründung einer judenmissionarischen Stiftung, die später als »Edzardische Jüdische Proselytenanstalt« bezeichnet wurde. Esdras Edzard verstand die J. als Lebensaufgabe, der er sich mit einem an Fanatismus grenzenden und gefährlichen Eifer hingab. Auf sein Wirken, das von einer großen Spendenbereitschaft Hamburger Bürger begleitet wurde, wird die ungewöhnlich hohe Zahl von 150 Taufen von Juden zwischen 1672 und 1708 zurückgeführt. Nach dem Tod des Stifters 1708 erst von Edzards Söhnen Sebastian und Georg Elieser weitergeführt, erfuhr die Stiftung 1761 unter der Schirmherrschaft des Rates eine Neuorganisation. Fortan wurde sie von einem Vorstand geleitet, der aus Geistlichen und Professoren bestand. Sie bot taufwilligen Juden und Jüdinnen neben materieller Unterstützung vor allem Unterricht in der christlichen Glaubenslehre. Zwar verlor die Stiftung seit dem 19. Jahrhundert an Bedeutung, überdauerte aber dennoch und wurde, nachdem sie während der nationalsozialistischen Herrschaft 1942 geschlossen worden war, bereits 1945 wieder ins Leben gerufen – ungeachtet der in den Jahren zuvor an den Juden begangenen Verbrechen. Unter dem Namen »Edzardi-Stiftung« existiert diese Stiftung bis heute, allerdings mit einem auf die Unterstützung von Christen in Israel verlagerten Arbeitsschwerpunkt.
Das J. wurde 1710 im Zuge einer Revision der Hamburger Verfassung erlassen, die der Wiederherstellung politischer Stabilität in der Stadt nach der Eskalation heftiger Machtkämpfe zwischen Senat und Bürgern am Ende des 17. Jahrhunderts diente.
Obwohl es sich nicht um eine umfassende, erschöpfende Neuordnung des Judenrechts handelte, gab das J. als Bestandteil (Artikel 37) des Hauptrezesses von 1712 dem Leben der Juden in der Stadt eine neue rechtliche Grundlage, die bis 1849 Bestand hatte. Vor allem im Bereich religiöser Privilegien und Restriktionen knüpfte dieses Gesetzeswerk an die Rechtsverhältnisse der sefardischen Juden (→ Portugiesisch-Jüd. Gemeinde [2]) im 17. Jahrhundert an: → Privileg [84] religiöser Zusammenkünfte in Privathäusern, Privileg der Bestattung Verstorbener an christlichen Sonn- und Feiertagen; Verbot öffentlicher Synagogen, Verbot der Mission und der Lästerung des christlichen Glaubens u. a. Neu im Hamburger Judenrecht von 1710 waren die Vorschriften, die auf die Hauptbetätigungsfelder der aschkenasischen Juden im Kleinhandel sowie der Geld- und Pfandleihe zielten, wie beispielsweise das Verbot überhöhter Zinsnahme oder das so genannte Hehlerprivileg (Freistellung von Schadensersatzansprüchen im Falle unwissentlichen Erwerbs von Diebesgut). Obwohl die aschkenasischen Juden hinsichtlich ihrer Anzahl und wirtschaftlichen Bedeutung den Sefarden bereits den Rang abgelaufen hatten, wurde dem Nimbus der Sefarden im J. mit einer speziellen Privilegierung noch einmal Rechnung getragen: Wegen ihrer Verdienste um den »Hispanischen Handel« und ihres »ansehnlichen« Engagements im Großhandel erhielten sie das Recht, als Makler tätig zu sein. Die minder angesehenen Aschkenasen wurden dagegen einer restriktiven Spezialregelung unterworfen, nämlich einer korporativen Besteuerung – ausdrücklich wegen der fluktuierenden Größe ihrer Gemeinden und ihrer schwer einschätzbaren Sozial- und Wirtschaftsstruktur.
Die J. entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts und wurde vorwiegend von der bürgerlichen Jugend der Großstädte getragen. Auf der Basis neoromantischer und kulturkritischer Vorstellungen postulierten junge Männer die Rückkehr zum einfachen Leben in selbstbestimmter Freiheit, Naturverbundenheit und Authentizität.
Diese Werte konnten auch antisemitische Positionen beinhalten, so dass schon vor dem Ersten Weltkrieg viele, wenn auch nicht alle Gruppen jüdische Jungen und Mädchen ausschlossen. Die jüdische J. verdankte ihre Existenz aber nicht nur dem → Antisemitismus [31] der nichtjüdischen Bünde, sondern zumindest anfangs auch gezielten jugendpflegerischen Maßnahmen der verschiedenen Interessengruppen innerhalb der Gemeinden. Beflügelt vom jugendbewegten Zeitgeist befreiten sich die meisten rasch aus dieser ungeliebten Umarmung und bildeten eigene, relativ autonome Gruppen, die jedoch die konkurrierenden weltanschaulichen Positionen der deutsch-jüdischen Erwachsenenwelt widerspiegelten. Dies galt auch für Hamburg, wo der erste Jugendverein, der Israelitische Jugendbund, schon 1896 gegründet worden war und sich 1909 in Jüdischer Jugendbund umbenannte. Seit 1906 nahm der Verein Mädchen auf, vor dem Ersten Weltkrieg hatte er 300 bis 400 Mitglieder. Sowohl der Jugendbund als auch die vor 1914 gegründeten, kleineren orthodoxen und zionistischen Jugendvereine waren im Wesentlichen Institutionen der gemeindlichen Jugendpflege, was sich nicht zuletzt darin zeigte, dass Streitigkeiten untereinander durch die Intervention der Erwachsenen beigelegt wurden. Diese waren in Hamburg jedoch selten, hier scheint das Toleranzmodell der Hamburger Gemeindeverfassung (→ DIG [18]) sehr wirkungsmächtig gewesen zu sein. Neutralität und Pluralität waren bis 1914 die von allen anerkannten Grundsätze der gemeindlichen Jugendarbeit. Dies änderte sich langsam mit dem Erstarken des zionistisch ausgerichteten Blau-Weiss (→ Zionismus [45]), dessen Hamburger Ortsgruppe 1914 gegründet wurde und der der erste genuin jugendbewegte Bund in der Hansestadt war. Nach dem Krieg entwickelte sich die zionistische J. zur einflussreichsten Gruppierung in Hamburg, deren Leben jedoch ebenso von Spaltungen, Wieder- oder Neuvereinigungen geprägt war wie das des Gesamtbundes auf Reichsebene. Seit Mitte der zwanziger Jahre wiesen die lokalen zionistischen Jugendgruppen einen dezidiert sozialistischen und vom Pioniergeist getragenen Charakter auf. Daneben existierten weiterhin verschiedene orthodoxe und liberale Jugendgruppen, die gemeinsam im Landesauschuss der jüdischen Jugendorganisationen ca. 1.500 Hamburger Jugendliche vertraten. Die Gemeinde ihrerseits bemühte sich erfolgreich, die Jugendlichen zu integrieren, und stellte ihnen ab 1929 im Gemeindehaus sowie ab 1931 auch im Landjugendheim Räume zur Verfügung. Im Gegenzug arbeiteten Vertreter des Landesausschusses im Jugendamt der Gemeinde mit. Ende der zwanziger Jahre kann somit für Hamburg von einer autonomen jüdischen J. kaum mehr die Rede sein. Im Jahre 1936 wurden alle nichtzionistischen, zwei Jahre später auch die zionistischen Jugendgruppen verboten; einzig der auf Auswanderung hin orientierte Hechaluz konnte noch bis September 1939 legal, aber unter strengster Gestapo-Aufsicht weiterexistieren.
1909 wurde die J. als ein moderner Bibliothekstyp, der sich besonders durch die Auslage von Zeitungen und Zeitschriften sowie durch Anschaffung populärwissenschaftlicher Bücher auszeichnete, neben der Büchersammlung der Hamburger Gemeinde eingerichtet.
Die J. wuchs durch Geschenke und Leihgaben aus Privathand, aus der Gemeindebibliothek, aus den Büchereien der Kultusverbände und weiteren jüdischen → Vereinen [78] und Logen (→ Logenwesen [32]). 1921 geriet der Trägerverein in wirtschaftliche Schwierigkeiten, die J. musste daraufhin geschlossen werden. Nachdem 1923 die Gemeinde den Unterhalt übernommen hatte, erlebte die »Bibliothek (und Lesehalle) der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] Hamburg« unter Leitung ihres ersten hauptamtlichen Bibliothekars → Isaak Markon [158] ab 1928 eine kurze Blüte. Markon richtete die überwiegend mit belletristischer und populärwissenschaftlicher Literatur ausgestattete Bibliothek wissenschaftlich aus. Er plante gezielte Anschaffungen, wie u.a. das Sammeln von Responsen der Rabbiner der → Dreigemeinde [9] sowie regionales Schrifttum mit Bezug zum Judentum. Er gliederte die Bibliotheken der Wallich- und der Levi-Salomon-Klaus (→ Jeschiwa [129]) in den Bestand ein und erwarb die Bibliotheken der Rabbiner Nehemias Anton Nobel und → David Leimdörfer [159]. Der Bücherbestand sowie die Ausleihzahlen stiegen sprunghaft an. Während des Nationalsozialismus versuchten die Bibliothekare mit ihrem Literaturangebot zu Selbstbehauptung und Identitätsstärkung beizutragen. In der Nacht des → Novemberpogroms [22] 1938 wurde die Bibliothek vom Sicherheitsdienst konfisziert und im Sommer 1939 nach Berlin verschleppt. 1942 bemühte sich die Bibliothek der Hansestadt Hamburg (die heutige Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg) um die Bestände, die ihr Ende Mai 1943 übereignet und im gleichen Sommer nach Sachsen verlagert wurden. Nach dem Krieg gab die Staats- und Universitätsbibliothek den Bestand an die Gemeinde zurück, der sich aber weiterhin in der DDR befand. Die Bemühungen der Gemeinde, ihre Bücher nach Hamburg zurückzuführen, kamen 1957 mit Hilfe des Historikers Helmut Eschwege zu einem erfolgreichen Abschluss. Seitdem wurden auch neue Erwerbungen eingegliedert, so dass der Gesamtumfang im Jahre 2000 auf ca. 19.000 Bände geschätzt werden konnte. Die J. verfügt zudem über Judaica, die sich in dieser Vielfalt in Deutschland kaum noch finden lassen. Die Bibliothek ist zurzeit (2005) nicht benutzbar, die Jüdische Gemeinde hofft jedoch, die Bibliothek in ihrem neuen Gemeindezentrum präsentieren zu können.
Die Anfänge der neu gegründeten G. nach dem Zweiten Weltkrieg lassen sich urkundlich auf den 8. Juli 1945 bestimmen. An diesem Tag fand eine Besprechung von zwölf Überlebenden statt, die einen vorläufigen Arbeitsausschuss und eine Kultuskommission einsetzten. Etwa 80 Juden hatten zu dieser Zeit ihr Interesse bekundet, die zerstörte G. wiederzubegründen.
Den Überlebenden sollte ein erster organisatorischer Halt, die Möglichkeit der religionsgesetzlichen Lebensführung und materielle Unterstützung gegeben werden. Hilfe versprachen das American Jewish Distribution Committee und das britische Jewish Commitee for Relief Abroad. Am 18. September 1945 konstituierte sich eine Versammlung von 72 Personen als neue »Jüdische Gemeinde in Hamburg«. Ein Vorstand und ein Beirat wurden gewählt. Die Satzung, die im Oktober 1945 angenommen wurde, bestimmte die G. anders als die frühere Organisationsform – das so genannte Hamburger System mit drei verschiedenen Kultusverbänden (→ DIG [18]) – nunmehr als Einheitsgemeinde, die einem gemäßigt orthodoxen Kultus folgen sollte. Diese Entscheidung für eine institutionelle Religiosität war keineswegs selbstverständlich, denn der überwiegende Teil der neuen Gemeindeangehörigen hatte im NS-Staat nur in so genannter »Mischehe« überleben können. Die Mitgliedschaft in der G. bestimmte sich seit der revidierten Satzung von 1946 unverändert nach Maßgabe des jüdischen Religionsgesetzes. Die G. war von Anfang an Mitglied des Zentralrates der Juden in Deutschland, der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland und des Jüdischen -Gemeindefonds Nordwestdeutschland. [161]
Noch im Oktober 1945 beantragte die G. beim Senat der Hansestadt Hamburg die Anerkennung als »Körperschaft des öffentlichen Rechts«. Damit sollte bewusst an die Rechtstradition der Weimarer Zeit angeknüpft werden. Zugleich galt es, die rechtliche Identität mit der 1943 zerstörten Gemeinde zu betonen und die Durchsetzung von Ansprüchen auf Rückerstattung und → »Wiedergutmachung« [162] zu erleichtern. Mit einer derartigen Zielsetzung konnte man zunächst der Frage ausweichen, ob eine Wiederbelebung jüdischen Lebens im »Land der Täter« politisch und moralisch noch denkbar sei. »Gehen oder Bleiben« war die beherrschende Frage. Die G. selbst ließ sie unbeantwortet, überließ die Entscheidung vielmehr jedem Einzelnen. Tatsächlich entwickelte sich die G., von nicht wenigen anfangs nur als so genannte »Liquidationsgemeinde« verstanden, zu einem auf Dauer angelegten Zusammenschluss. Im April 1946 fand auf Anordnung der Britischen Militärregierung und satzungsgemäß die erste Wahl zum Beirat statt, der seinerseits einen Monat später den bisherigen Vorstand in seinem Amt bestätigte. Von ihrem Recht auf freie Wahl hatten 833 Gemeindeangehörige mit einer Wahlbeteiligung von 65 Prozent in einem offenen Wahlkampf Gebrauch gemacht. Traditionsgemäß wurde die Arbeit des Vorstandes durch gewählte Kommissionen und Ausschüsse unterstützt.
Als im Oktober 1948 endlich der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen wurde, war dies auch Ausdruck der beabsichtigten Beständigkeit der G., die alle klassischen Aufgaben übernahm (Kultus, → Beerdigungswesen [85], Fürsorge und jüdische Bildung). Die G. besaß ihre eigene Selbstverwaltung einschließlich Finanz- und Vermögensverwaltung nebst eigener Steuererhebungsbefugnis. Für das Bestattungswesen war frühzeitig eine Chewra Kadischa (→ Beerdigungswesen [85]) gegründet worden. Die G. war Trägerin der sechs geschlossenen jüdischen → Friedhöfe [34] und des offenen jüdischen Friedhofs an der Ilandkoppel (Ohlsdorf). Der Etat des Sozialwesens wurde zu einem großen Teil aus Mitteln der Zentralwohlfahrtspflege der Juden in Deutschland bestritten. Frühzeitig konzentrierte sich die G. auf die Kinder- und Jugendarbeit, um jüdische Identität zu begründen und zu festigen. Sie richtete in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts einen Kindergarten (geschlossen 1979) ein, sorgte für den jüdischen Religionsunterricht, förderte die Jugend- und Kinderferienverschickung und gründete in den siebziger Jahren den Turn- und → Sportverein [126] Makkabi Hamburg.
Nach einer statistischen Erhebung des Vorstandes vom März 1947 hatte die Gemeinde 1.268 Angehörige, von denen 831 verheiratet waren, davon wiederum 671 in so genannter → Mischehe [67] mit nichtjüdischen Partnern. Das deutete einerseits einen erheblichen Grad der Assimilation an, erklärte andererseits auch das Verbleiben in Hamburg durch die enge Verbundenheit mit dem nichtjüdischen Ehepartner. 1952 war die Zahl der Gemeindeangehörigen auf 1.044 gesunken. Überalterung, dadurch bedingt eine geringe Geburtenrate, und eine stetige Auswanderung, vor allem nach Israel sowie in die USA, waren die Gründe. Die Lage verbesserte sich erst Mitte der fünfziger Jahre, als ehemalige Emigranten (→ Emigration [16]) zurückkamen und sich Zuwanderer aus Osteuropa niederließen. Als eine Besonderheit in Deutschland kamen auch etwa 150 jüdische Familien aus dem Iran nach Hamburg. Vor allem diese persischen Juden, zumeist Kaufleute im Teppichhandel, förderten das religiöse Leben innerhalb der Gemeinde. Doch blieb die Frage der Überalterung der Gemeinde aktuell. 1960 war von den 1.369 Gemeindeangehörigen etwa die Hälfte über 56 Jahre alt. Gleichwohl stabilisierte sich die Zahl der Gemeindeangehörigen auf 1.350 bis 1.400 für die nächsten drei Jahrzehnte. Die G. bemühte sich daher, die sozialen und kulturellen Provisorien der Nachkriegszeit Schritt für Schritt zu beenden, ermöglicht durch die finanziellen Mittel aus der »Wiedergutmachung« und durch wohlwollende Aufmerksamkeit und Hilfe der Hansestadt Hamburg. Seit 1957 konnte in Hamburg wieder rituell geschlachtet werden. Im selben Jahr erhielt die G. ihre → Bibliothek [83] zurück, die während des NS-Regimes konfisziert und nach Sachsen »ausgelagert« worden war. Im Mai 1958 eröffnete die G. in der Schäferkampsallee ein rituell geführtes Altenheim (63) – das in den neunziger Jahren aufgegeben werden musste – und im selben Jahr ein Jugendheim. Ein Jahr später konnte der Grundstein für ein neues → Israelitisches Krankenhaus [134] gelegt werden. Höhepunkt dieser Aufbauphase wurde die Eröffnung der neuen Synagoge am 4. September 1960 an der Hohen Weide (55). Mit dem Bau der Synagoge hatte die G. ihr religiöses und kulturelles Zentrum gefunden. Die Kulturkommission führte regelmäßig musikalische und literarische Veranstaltungen sowie Vorträge zu jüdischen Themen durch. Seit 1968 war die G. auch für Schleswig-Holstein zuständig. 1984 und 1985 erschütterte eine Reihe schwerer Friedhofsschändungen (Friedhöfe Bornkampsweg (102), Langenfelde (103) und Ohlsdorf) die G., doch blieben die Ermittlungen der Polizei erfolglos.
War der Synagogenbau zwar ein sichtbares Zeichen jüdischer Präsens, so blieb doch die G. in diesen Jahren gegenüber dem nichtjüdischen Umfeld zurückhaltend, mit Ausnahme offizieller Anlässe. Die Gründe wird man in den leitenden Persönlichkeiten finden können, welche die G. führten. Prägend war in Hamburg die so genannte »Erste Generation« der unmittelbar durch das NS-Regime Verfolgten. Zu ihnen gehörten nicht nur der erste, zehn Jahre lang amtierende Vorsitzende der G., → Harry Goldstein [118], nach ihm für 14 Jahre Siegfried Gottschalk, sondern vor allem → Günter Singer [163]. Durch seine unermüdliche Arbeit und Festigkeit in allen jüdischen Angelegenheiten prägte Singer das Leben in der G. über eine ganze Generation um vieles deutlicher, als es die verschiedenen in Hamburg amtierenden Rabbiner vermochten. Der 1960 für die Länder Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein eingeführte Rabbiner Hans Isaac Grünwald verließ nach einiger Zeit die G. Seit 1962 amtierte der religiös liberale Nathan Peter Levinson (geb. 1921) als zuständiger Rabbiner für fast drei Jahrzehnte. Da er zugleich Landesrabbiner für Baden war, blieb sein Einfluss auf das tägliche religiöse Leben der Hamburger eher eingeschränkt, auch wenn er bei orthodoxen wie liberalen Gemeindeangehörigen hohes Ansehen genoss.
Die Jahreswende 1989/1990 läutete für die Jüdische G. in Hamburg nicht nur einen Generationswechsel in den Gemeindegremien ein, sondern war auch Signal für grundlegende Neuerungen und vertragliche Regelungen mit der Freien und Hansestadt Hamburg.
1989 hatte Hamburgs Jüdische G. 1.340 Mitglieder, davon waren 30 Prozent älter als 60 Jahre, 2004 waren es insgesamt über 5.000 Mitglieder, davon waren 50 Prozent älter als 60 Jahre, 2.000 Mitglieder lebten im Bundesland Schleswig-Holstein, die bis zum 1. Januar 2005 von Hamburg aus mit betreut wurden.
[165]Am 10. Dezember 1989 gewann die Liste 3 (Kadima) zwölf der insgesamt 15 Sitze im Beirat (Gemeindeparlament). Die Vertreter der Kadima wollten mehr innere Demokratie und Transparenz erreichen, die Öffnung der G. nach außen fördern, zugleich aber auch Traditionen bewahren. Am 21. Januar 1990 trat der für vier Jahre gewählte Beirat zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Gleichzeitig wurde damit ein Generationenwechsel vollzogen, denn zwei Drittel der Beiratsmitglieder waren nach der Shoa geboren.
Die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Beirat war nicht immer harmonisch. Schließlich traten vier der fünf Vorstandsmitglieder zurück – sechs Wochen vor Ablauf ihrer Amtszeit, die am 31. März 1991 geendet hätte. Um die Gemeinde nicht handlungsunfähig zu machen, musste der Beirat schnell handeln. Auf einer außerordentlichen Sitzung am 4. Februar 1991 wählte er vier Nachfolger, die erst einmal bis Ende März die Gemeinde nach außen vertraten. Am 1. April 1991 nahm schließlich der neu gewählte Vorstand seine Arbeit auf, dem erstmals in der Hamburger Geschichte auch eine Frau angehörte.
Im Zusammenhang mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der Perestroika begann Ende 1990 die Zuwanderung von Juden aus der Sowjetunion nach Deutschland, hauptsächlich nach Berlin, aber auch nach Hamburg, um hier Verwandte zu besuchen. Viele wollten nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren und baten daher die G. in Hamburg um Hilfe, die sie vorübergehend im inzwischen geschlossenen jüdischen Altersheim unterbrachte. Erst durch einen Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 9. Januar 1991 erfolgte eine geregelte Aufnahme von sowjetischen Juden zur Erhaltung der Lebensfähigkeit jüdischer Gemeinden, zur Familienzusammenführung und in sonstigen Härtefällen. Die Bundesregierung wollte neben der Stärkung der jüdischen Gemeinden auch eine Revitalisierung des jüdischen Beitrags zum Kultur- und Geistesleben in Deutschland erreichen. Die Verteilung der Zuwanderer, so genannte »Kontingentflüchtlinge«, auf die einzelnen Bundesländer erfolgte nach dem »Königsteiner Schlüssel«, der je nach Größe der Bundesländer eine differenzierte Aufnahmequote vorsah. Im Mai 1991 hatten sich ca. 30 »Kontingentflüchtlinge« in der Hamburger Gemeinde gemeldet. Dank der Unterstützung des damaligen FDP-Vorsitzenden Robert Vogel konnten die ersten Zuwanderer in Gebäuden am Mittelweg untergebracht werden. Die G. rief ihre Mitglieder zu Sachspenden auf. Später wurden die Neuankömmlinge in städtischen Unterkünften beherbergt, bis sie eine eigene Wohnung fanden. Dieses Verfahren galt bis 2004.
[166]Die Zuwanderung hat die Zusammensetzung der G. und das Miteinander völlig verändert. Nicht nur, dass die G. zu einer sozialen Anlaufstelle wurde, das innere Leben richtete sich zusehends an den Bedürfnissen der Zuwanderer aus. So wurden auch eigens Sozialbetreuer in Hamburg und Schleswig-Holstein mit russischen Sprachkenntnissen eingestellt, selbst die gemeindeinternen Rundschreiben werden zweisprachig in Deutsch und Russisch verfasst. Für die Zuwanderer gibt es russischsprachige Kulturprogramme, die von ihnen selbst geleitet werden. Es wurde auch eine stark frequentierte russischsprachige Bibliothek eingerichtet. An den Gottesdiensten und Feiertagen beteiligen sich die mit der jüdischen Religion wenig vertrauten Zuwanderer dagegen kaum, schließlich waren sie von dem politischen System in der ehemaligen Sowjetunion geprägt, das durch einen starken → Antisemitismus [31] verschärft worden war. Für den Fortbestand der jüdischen Gemeinschaft in Hamburg war und ist die Zuwanderung von großer Bedeutung, allerdings fühlen sich viele »Alteingesessene« inzwischen fremd in ihrer eigenen Gemeinde.
In den Fokus der Hamburger Öffentlichkeit gelangte die Gemeinde durch den Konflikt um die Bebauung des ehemaligen jüdischen → Friedhofs [34] in Ottensen (101) 1991, als Mitglieder der ultraorthoxen Vereinigung Atra Kaddischa mit Demonstrationen gegen das Bauvorhaben für ein Einkaufszentrum vorgingen. Nach einjährigen Verhandlungen konnte der Konflikt erst durch einen rabbinischen Schiedsspruch beendet werden. Für den im April 1991 für vier Jahre gewählten Vorstand war dies eine große Herausforderung. Die Ausstellung 400 Jahre Juden in Hamburg, die im November 1992 im Museum für Hamburgische Geschichte eröffnet wurde, ermöglichte es der G., sich in einem breiten Rahmenprogramm der nichtjüdischen Öffentlichkeit vorzustellen. Podiumsdiskussionen, Synagogenführungen und kulturelle Veranstaltungen zeigten, dass es in Hamburg ein aktives jüdisches Leben gibt. Für die G. selbst war die Rückkehr des achtarmigen Chanukka-Leuchters der ehemaligen Synagoge der Hochdeutschen Israeliten zu Altona am 20. Dezember 1992 (26. Kislew 5753), dem jüdischen Lichterfest, ein bewegender Moment. Der aus dem 17. Jahrhundert stammende Messingleuchter, dessen Fuss- und Kandelabersäule vom Hebraisten Naftali Bar-Giora Bamberger (1919-2000) im Magazin des Altonaer Museums gefunden worden war, fand in einem feierlichen Gottesdienst mit dem Landesrabbiner Nathan Peter Levinson in der Synagoge seinen endgültigen Platz. Nathan Peter Levinson war 30 Jahre lang Rabbiner von Hamburg und Schleswig-Holstein. Seine Nachfolge trat im Oktober 1993 Dov-Levy Barsilay an, der zuvor in Dortmund amtiert hatte.
Am 22. November 1993 unterzeichneten die Stadt Hamburg und die G. erstmals einen Fünf-Jahres-Vertrag, wonach die G. von 1994 an jährlich einen Zuschuss von 500.000 Mark (ca. 250.000 Euro) »für die Erfüllung ihrer kulturellen und sozialen Aufgaben« erhalten sollte. Der Vertrag sei Ausdruck der besonderen Verantwortung für das jüdische Leben in Hamburg, sagte der damalige Bürgermeister Henning Voscherau (SPD). 1998 wurde der Vertrag um weitere fünf Jahre verlängert, der Zuschuss erhöhte sich bis zum Jahr 2003 auf 700.000 Mark (ca. 350.000 Euro). Im Juni 2007 wurde erstmals ein Staatsvertrag - ähnlich wie er mit den großen christlichen Kirchen besteht - unterzeichnet. Der Vertrag regelt Rechte und Pflichten und wird jährlich mit 850.000 Euro staatlich gefördert, eine vertraglich festgelegte Summe geht an die 2004 gegründetet Liberale Gemeinde e.V.. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) hob die Bedeutung des Vertrages hervor, der jüdisches Leben in Hamburg unter besonderen Schutz stelle und fördere.
In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts konzentrierte sich die G. auch auf die steigende Zahl von Zuwanderern im Nachbarland Schleswig-Holstein. In Lübeck und Kiel wurden Gemeinden gegründet, die von der Hamburger G. betreut und verwaltet wurden. Am 29. Januar 1998 schloss die G. in Hamburg mit der Landesregierung von Schleswig-Holstein einen fünf Jahre laufenden Staatsvertrag, »in dem Wunsch, den Wiederaufbau des jüdischen Gemeindelebens zu erleichtern«, so die damalige Ministerpräsidentun Heide Simonis (SPD). Die Höhe betrug 400.000 Mark (ca. 200.000 Euro) und stieg stufenweise auf 700.000 Mark (350.000 Euro). Der Vertrag verlängerte sich jeweils um drei Jahre. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Gemeinden in Schleswig-Holstein 1.200 Mitglieder, die fast ausschließlich aus den GUS-Staaten eingewandert waren. Im Januar 2005 wurden die jüdischen Gemeinden in Schleswig-Holstein endgültig unabhängig von der G. in Hamburg. Es hatten sich zwei Landesverbände gegründet, 2002 der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein mit Sitz in Bad Segeberg und 2004 der Verband der Jüdischen Gemeinschaft Schleswig-Holstein mit Sitz in Lübeck, der sich aus den ehemaligen von Hamburg verwalteten Gemeinden zusammensetzte. Die Mittel aus dem Staatsvertrag wurden nach Mitgliederstärke aufgeteilt. Der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein erhielt 88.000 Euro, der andere rund 270.000 Euro. Kurz nach der Vertragsunterzeichnung erhielten die beiden Landesverbände den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.
Wegen der starken Zuwanderung entschloss sich die Hamburger G., einen jüdischen Kindergarten zu gründen. Im September 2000 wurde der Ronald S. Lauder-Kindergarten provisorisch im Gemeindezentrum in der Hohen Weide (55) eröffnet und bezog im Juni 2001 seine neuen Räume im Verwaltungszentrum in der Schäferkampsallee 27. Der Ganztagskindergarten, in dem anfangs zwanzig Kinder betreut wurden - Ende 2009 waren es bereits 50 Kinder - vom Krippen- bis zum Vorschulalter - , erhält finanzielle Unterstützung sowohl von der Freien und Hansestadt Hamburg als auch von der Stiftung des amerikanisch-jüdischen Industriellen Ronald S. Lauder.
Nach jahrelangen Bemühungen übertrug die Freie und Hansestadt Hamburg im Oktober 2002 den Besitz am Grundstück der → Talmud Tora Schule [38] am → Grindelhof [33] 30 auf die G. Die Bürgerschaft stimmte der Rückübertragung des Geländes im Wege der Schenkung zu und bewilligte 500.000 Euro für Sicherheitsmaßnahmen. Die Reemtsma-Stiftung spendete ebenfalls 500.000 Euro für Zwecke des Denkmalschutzes. Am 1. Juli 2004 wurde das Eigentum am Grundstück an die Stiftung Jüdisches Leben übergeben. Der Stiftungsvorstand ist gleichzeitig der Vorstand der G. in Hamburg.
Im Juni 2007 wurde das unter denkmalpfelgerischen Gesichtspunkten restaurierte Gebäude bezogen und zum neunen Gemeindezentrum. Damit kehrte die G. wieder zurück an den Grindel, wo vor der Shoa das jüdische Leben blühte. Die Joseph-Carlebach-Schule, der Kindergarten und die Verwaltung sind hier untergebracht, ebenso finden in dem Gebäude interne und öffentliche Veranstaltungen statt.
Die in der Trägerschaft der G. stehende Ganztagsschule mit integrierter Vorschule hat ihren Schulbetrieb mit 20 SchülerInnen zum Schuljahr 2002/2003 begonnen. Mit dem Beginn des Schuljahres 2005/2006 wurde der Schulbetrieb ausgesetzt. Seit dem Wiederbeginn zum Schuljahr 2007/2008 im Gebäude am Grindelhof 30 steigt die Schülerzahl der Joseph-Carlebach-Schule stetig. 2009/2010 waren es 53 SchülerInnen, davon ca. 30 Prozent nicht jüdische SchülerInnen, die haupsächlich aus dem Stadtteil kommen.
Im November 2004 fand in Hamburg die erste »Jüdische Kulturwoche« statt. Vorwiegend Hamburger jüdische Künstler, hauptsächlich Neuzuwanderer, präsentierten das breite Spektrum ihrer Schaffenskraft. Die »Jüdische Kulturwoche« war eines von vielen postiven Zeichen für eine lebendige, vielfältige jüdische Gemeinschaft in Hamburg. Davon zeugt auch, dass sich unterschiedliche religiöse Strömungen gebildet haben: 2003 Chabad Lubawitsch mit einem eigenem Zentrum und zahlreichen Aktivitäten. auch in Kooperation mit der G. in Hamburg. Chabad Lubawitsch ist eine chassidische Gruppierung innerhalb des orthodoxen Judentums, die von Rabbiner Schneor Salman von Ljadi (1745-1812) begründet wurde.
2009 wurde die Kehilat Beit Shira - Jüdische Masorti Gemeinde Hamburg e.V. gegründet. Masorti vertritt innerhalb der jüdischen religiösen Strömungen eine Mittelposition zwischen Reform und Orthodoxie.
Dennoch: Trotz aller Anstrengungen ist es für die G. in Hamburg ein schweres Unterfangen jüngere Menschen an die Gemeinde zu binden, alltägliche Interessen haben Vorrang, denn es geht darum, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren.
Zwanzig Jahre nach der Zuwanderung des Großteils der Hamburger Gemeindemitglieder aus den ehemaligen GUS-Staaten, frequentiert mehrheitlich die inzwischen Großeltern-Generation die Gemeinde, die hauptsächlich an russisch-kulturellen Veranstaltungen teilnimmt. Nur wenige Gemeindemitglieder aus den ehemaligen GUS Staaten engagieren sich auch in den Gemeindegremien.
Als jüdische Künstler 1933 aus dem Kulturbetrieb in Deutschland verbannt wurden, schlossen sich viele dem J. an, dem einzigen Forum, das – unter strenger Kontrolle der NS-Behörden – einem ausschließlich jüdischen Publikum ein künstlerisch-wissenschaftliches Programm bot. Das Regime förderte die Gründung des Bundes, um die kulturelle Ghettoisierung der Juden zu beschleunigen und um gegenüber dem Ausland Toleranz im Umgang mit der jüdischen Bevölkerung vorzutäuschen.
Im Reichsverband der Jüdischen Kulturbünde mit Hauptsitz in Berlin waren 112 Institute zusammengeschlossen; in den ersten Jahren gehörten ihm 2.500 aktive Künstler und weitere 70.000 Mitglieder an. Als wichtigste Ziele galten die Schaffung einer Existenzgrundlage für arbeitslose Künstler, der Aufbau eines eigenen Kulturbetriebs sowie die Selbstbehauptung angesichts einer zunehmenden Isolation. Bereits im Mai 1933 fand sich in Hamburg unter der Leitung des bisherigen Intendanten des Stadttheaters, → Leopold Sachse [167], eine »Gemeinschaft Jüdischer Künstler« zusammen, um die Not entlassener Kollegen zu lindern. Im Januar 1934 entstand daraus die »Jüdische Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft«, die wiederum im August 1935 in »Jüdischer Kulturbund Hamburg« umbenannt wurde.
Eine Theaterkonzession, die Übernahme des Kulturbundes Lübeck und die enge Kooperation mit den Zweigstellen Breslau und Dresden bildeten die wesentlichen Voraussetzungen für das große Engagement und die künstlerische Qualität des Hamburger Bundes in den Bereichen Schauspiel, Tanz, konzertante Musik und Kleinkunst. Hamburg stellte neben Berlin und Köln eine der drei Theatertruppen im Reichsverband und hatte zugleich die Funktion eines Tournee-Ensembles. Die Leitung setzte sich aus einem Kuratorium (Vorsitz: → Rudolf Samson [168]), einem Vorstand (Ferdinand Gowa, Martin Goldschmidt) und einem künstlerischen Beirat (Hans Buxbaum, → Robert Müller-Hartmann [169], → Kurt Löwengard [170]) zusammen. Für die Regie zeichnete zumeist Hans Buxbaum verantwortlich, die Bühnenbilder schufen u. a. Anny Gowa, Heinz Condell und Alfred Müller. Käte Friedheim entwarf die Kostüme, Lutz Proskauer und Kurt Behrens hatten die musikalische Leitung. Das Ensemble, bestehend aus Hamburger und auswärtigen Schauspielern, darunter Julius Kobler, Ruth Festersen, Anneliese Töpfer und Fritz Melchior, fluktuierte stark; 1938 waren noch 13 Künstler im festen Engagement. Die Veranstaltungen fanden zunächst im Conventgarten, Kaiser-Wilhelm-Straße statt, gelegentlich auch im Curiohaus und im → Tempel [39] in der Oberstraße (53). Im Januar 1938 bezog der J. das neu eröffnete Jüdische Gemeinschaftshaus in der Hartungstraße (92), also jenes Gebäude, in dem sich seit 1945 die Hamburger Kammerspiele befinden.
Im Januar 1939 wurde der Hamburger Kulturbund wie alle anderen Bünde in Deutschland geschlossen. Bis zu seiner endgültigen Auflösung im September 1941 unterstand er der Berliner Zentrale. In diesen letzten Jahren wurden überwiegend Filme gezeigt, die auch in den öffentlichen Kinos zu sehen waren, zu denen die jüdische Bevölkerung keinen Zutritt mehr erhielt. Am 16. September 1941 fand die letzte Kinovorführung statt, bei der der Operettenfilm Gasparone zu sehen war.
Am 1. Januar 1938 schlossen sich die → Deutsch-Israelitische Gemeinde [18] in Hamburg, die → Hochdeutsche Israelitengemeinde [19] zu Altona, die Jüdische Gemeinde in → Wandsbek [20] und die Synagogen-Gemeinde → Harburg-Wilhelmsburg [21] zum J. zusammen.
Den Anlass gab die Ausdehnung des hamburgischen Staatsgebiets durch das Groß-Hamburg-Gesetz vom Januar 1937. Die Vorarbeiten für die Zusammenlegung der vier jüdischen Gemeinden leistete der zweite Vorsitzende der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg → Leo Lippmann [66]. Von der Notwendigkeit des Zusammenschlusses überzeugt, weil eine einheitliche Interessenvertretung der Juden im Gebiet der Hansestadt Hamburg geboten schien und eine vereinigte Gemeindeverwaltung Kosten ersparte, führte er die Verhandlungen im Oktober 1937 zum Abschluss. Damit war es gelungen, der befürchteten Zwangsvereinigung zu staatlich angeordneten Bedingungen zuvorzukommen. Aufgrund der von Lippmann ausgearbeiteten Verträge galt die Verfassung der Deutsch-Israelitischen Gemeinde für die neue Gesamtgemeinde. Der Name der alten Hamburger Gemeinde sollte ursprünglich übertragen werden, doch wurde der neue Verband gezwungen, die Bezeichnung J. anzunehmen, weil die Worte »deutsch«, »israelitisch« und »Gemeinde« aufgrund ministerieller Anordnung im Namen einer jüdischen Institution nicht vorkommen durften. Zunächst schien die Existenz einer demokratisch verfassten und relativ autonomen jüdischen Gemeinde in Hamburg gesichert zu sein, doch vollzog sich ihre Entrechtung dann in schnellen Schritten. Aufgrund des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der jüdischen Kultusvereinigungen vom März 1938 verlor der J. den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts und musste sich als Verein konstituieren. Nach dem → Novemberpogrom [22] 1938 hatte die Gestapo → Max Plaut [122] mit der eigenverantwortlichen Geschäftsführung des J. beauftragt und zum Vorstand aller jüdischen Organisationen ernannt. Plaut war der Gestapo als »Aufsichtsbehörde« gegenüber verantwortlich. Gleichzeitig wurde Plauts Handlungsspielraum durch Vorgaben und Kontrollen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland eingeengt, die ihrerseits unter Gestapo-Aufsicht stand. Somit verfiel der J. zu einer rechtlosen Gemeindeorganisation, in der allein der Kultus noch Freiraum bot. Seit Mai 1941 mussten die dafür erforderlichen Ausgaben durch Spenden der Mitglieder aufgebracht werden. Im August 1942 wurde der J. in die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland eingegliedert und Ende November 1942 aus dem Vereinsregister gelöscht. Seine Funktionen übernahm die von Plaut geleitete Bezirksstelle Nordwestdeutschland der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland.
Die mit der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 einsetzenden Maßnahmen beschnitten drastisch die Bürgerrechte sowie die Erwerbs-, Bildungs- und Freizeitmöglichkeiten der knapp 19.000 Juden, die im Frühjahr 1933 in Hamburg, Altona und Wandsbek lebten. Der organisierte Boykott am 1. April 1933 und gezielte Ausschreitungen der SA in der Innenstadt ließen keinen Zweifel daran, was den Juden künftig bevorstand.
Die nationalsozialistische Verfolgung, die an Intensität in den kommenden Jahren zunahm, vollzog sich inmitten Hamburgs und oft unter aktiver Beteiligung der Bevölkerung. Je nach Umfeld verstärkten und ergänzten Schikanen aus der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz oder auf der Straße die staatliche Ausgrenzungspolitik. Während Hamburg einerseits einen Zuzug von Juden aus ländlichen Bereichen verzeichnete, die sich Freiräume in der großstädtischen Anonymität erhofften, verließen andererseits immer mehr Mitglieder der Gemeinde die Stadt, um zu emigrieren, wenngleich die Auswandererquote bis zum Novemberpogrom unter dem Reichsdurchschnitt lag. (→ Emigration [16])
Der so genannte Arierparagraph, der den Nachweis »arischer«, d. h. nichtjüdischer Abstammung verlangte, bedeutete für viele Menschen Berufsverbot. Beamte, Richter, Professoren, Rechtsanwälte, Ärzte, Apotheker, Journalisten und Schauspieler wurden beurlaubt, später entlassen oder verloren ihre Zulassungen. Gewerbetreibende wurden von dem Vergabewesen der öffentlichen Hand ausgeschlossen. Nichtjüdische Unternehmen entließen bereits jüdische Angestellte. Damit begann eine strukturelle Verarmung der Juden, die sich in den folgenden Jahren noch verstärkte. Im Sommer 1933 wurden alle Juden aus Berufsverbänden und Vereinen, namentlich aus den Hamburger Sportvereinen und Bürgervereinen, ausgeschlossen. Juden galten öffentlich als »unerwünscht«, auch in Hotels und Gaststätten. Jüdische Schüler wurden zunehmend aus staatlichen Schulen verdrängt. Die gleichgeschalteten Tageszeitungen diffamierten Juden.
Die Diskriminierungen zeigten alsbald erhebliche wirtschaftliche Folgen. Immerhin konnte die gut organisierte → Deutsch-Israelitische Gemeinde [18] die Auswirkungen für den Alltag in den ersten Jahren durch gezielte Maßnahmen der Berufsumschichtung (→ Hachschara [50]) und der Sozialfürsorge mildern. Eine Beratungsstelle der Gemeinde für jüdische Wirtschaftshilfe, ergänzt durch eine qualifizierte Beratung der Berufsausbildung, durch Wirtschaftsfürsorge und Darlehensgewährung, glich zunächst mit gewissem Erfolg wirtschaftliche Nachteile im gewerblich-kaufmännischen und handwerklichen Bereich aus. Die Gemeinde unterhielt eigene Lehrwerkstätten und Haushaltungsschulen. Der Tendenz zur Verarmung begegnete sie mit Appellen an die innerjüdische Solidarität. So sollten über die Jüdische Wirtschaftshilfe und Solidaritätsaufrufe wie »Unterstützt die jüdischen Handwerker« jüdische Betriebe gestärkt werden; jüdische Arbeitgeber wurden aufgefordert, entlassene jüdische Lohnabhängige einzustellen; das Jüdische Winterhilfswerk sammelte für die Armen. Eine zunehmende soziale und ökonomische Ghettoisierung konnte die Gemeinde indes nicht verhindern. Als der Gemeinde seit Februar 1937 jede Arbeitsvermittlung untersagt war, musste sie sich auf informelle Hinweise beschränken. Berufliche Fähigkeiten dienten, insbesondere bei Jugendlichen, mehr und mehr dazu, sich für eine Auswanderung zu qualifizieren, so etwa bei einer → Emigration [16] nach Palästina.
Eine wichtige Änderung im Alltagsleben der Juden stellten die so genannten Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 dar. Als Jude wurde nun definiert, wer von mindestens drei »der Rasse nach volljüdischen« Großeltern abstammte. Als »Geltungsjude« galt auch, wer nur zwei »volljüdische« Großeltern hatte, jedoch einer jüdischen Religionsgemeinschaft angehörte oder angehört hatte oder mit einem Juden verheiratet war oder gewesen war. Juden verloren das Stimmrecht in öffentlichen Angelegenheiten, blieben aber zunächst deutsche Staatsangehörige. Zwischen Juden und Nichtjuden bestand das Verbot der Eheschließung und außerehelicher sexueller Beziehungen. Verstöße wurden als »Rassenschande« hart bestraft. Diese Apartheidspolitik verstärkte die soziale und kulturelle Separation. Von dieser Situation ausgehend, entwickelten nicht nur die Hamburger Juden vielgestaltige Versuche, der Ausgrenzung und Isolierung individuelle und kollektive Formen der Selbstorganisation entgegenzusetzen, die die jüdische Identität stärken oder auch nur Ablenkung von der bedrückenden Situation ermöglichen sollten. Eigene → Schulen [80], → Sport- und Kulturvereine [126], die teilweise schon länger existierten, erhielten Zulauf. Angesichts des Verbotes, kulturelle Veranstaltungen zu besuchen, offerierte der → Jüdische Kulturbund [4] im Convent Garten und später im Gemeinschaftshaus in der Hartungstraße (92) Vorträge, Filme oder Theaterstücke von jüdischen Künstlern und vertrieb auch Bücher. Nicht nur die jüdischen Familien verarmten durch die massive Verschlechterung der ökonomischen Situation, auch die Gemeinde verlor damit laufend an gemeindlichem Steueraufkommen. Die Emigration der jüngeren Generation und auch der noch vermögenden Gemeindemitglieder tat ein Übriges. Dies prägte seit den Jahren 1937 und 1938 verstärkt das Alltagsleben der Gemeinde. Sie musste trotz starken Rückgangs der eigenen Steuerkraft in immer stärkerem Maße Schul- und Wohlfahrtslasten auf sich nehmen, ohne staatliche Zuschüsse zu erhalten. Die Jüdische Winterhilfe konnte dies nur begrenzt ausgleichen.
[172]Um der äußeren Bedrohung entgegentreten zu können, begruben die vor 1933 zerstrittenen Gruppierungen innerhalb der Jüdischen Gemeinde ihre Differenzen. Zudem nutzte die Deutsch-Israelitische Gemeinde Hamburgs die nach dem Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 angeordnete Fusion der jüdischen Gemeinden in Hamburg, → Wandsbek [20], → Harburg-Wilhelmsburg [21] und Altona unter dem Namen → »Jüdischer Religionsverband Hamburg e.V.« [23], die Ressourcen zu bündeln. Der Religionsverband existierte bis November 1942. Dann wurde er der seit 1939 parallel existierenden Bezirksstelle Nordwestdeutschland der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland eingegliedert. Die Bezirksstelle unterstand der Hamburger Gestapo. Der Gemeinde resp. dem Religionsverband fielen immer neue Aufgaben zu. So benötigte sie nicht nur mehr Personal (dies wurde von 30 auf über 100 Angestellte aufgestockt), sondern ihr Leiter und die Mitarbeiter mussten auch immer erfindungsreicher werden, um die Einhaltung jüdischer Gesetze wie beispielsweise die Speisegebote zu ermöglichen. Das schon im April 1933 erlassene Schächtverbot konnte beispielsweise kurzzeitig umgangen werden, indem Vorräte im Kühlhaus gelagert, später Fleisch aus Dänemark importiert wurde und heimlich weiterhin Geflügel geschächtet wurde. Als nach Kriegsbeginn die Lebensmittelzuteilungen die Ernährung für Juden verschlechterten, bestritt der Vorsitzende des Religionsverbandes → Max Plaut [122] Einkäufe von Fleisch, Zucker, Fett, Milch, Gemüse und Eiern auf dem Schwarzmarkt aus einer schwarzen Kasse.
Im Frühjahr und Sommer 1938 nahmen die wirtschaftlichen Restriktionen zu, d. h., Vermögen wurden anmeldepflichtig, später gesperrt und scheinlegale → »Arisierungen« [15] durchgeführt. Im Oktober 1938 wurden etwa 1.000 → »Ostjuden« [143] verhaftet und nach Polen abgeschoben. Bereits im Juli 1938 verloren alle 195 jüdischen Ärzte ihre Approbation; nur 14 von ihnen durften, vorwiegend im → Israelitischen Krankenhaus [134], als sog. Krankenbehandler weiterhin praktizieren. Im August des Jahres mussten alle Juden den zusätzlichen Vornamen »Israel« oder »Sara« annehmen. Die Verhaftungswelle im Anschluss an den → Novemberpogrom [22] 1938 betraf über 1.000 Männer, die wochen- bzw. monatelang im KZ Sachsenhausen interniert wurden.
Das Leben der Juden veränderte sich infolge des Pogroms noch einmal grundlegend. Einzelhandelsgeschäfte, Handwerksbetriebe und Versandgeschäfte mussten »arisiert« werden. Die Zahl der so genannten Konsulenten, wie die jüdischen Rechtsanwälte sich nennen mussten, betrug seit Anfang 1939 noch 12, wenig später nur 7. Die Auflösung der jüdischen → Vereine [78] wurde angeordnet, die Kultusverbände hatten ihre Tätigkeit einzustellen. Das öffentliche religiöse Leben kam vorübergehend zum Erliegen. Die Große Synagoge → Bornplatz [97] (50) wurde abgebrochen, der → Tempel [39] in der Oberstraße (53) aufgegeben, die → Synagogen [96] in Altona, Wandsbek und Harburg geschlossen, der Ottensener → Friedhof [34] (101) durch Bunkerbau weitgehend zerstört. Im April 1939 verloren Juden den rechtlichen Schutz als Mieter, 1941 musste die Gemeinde → »Judenhäuser« [136] einrichten. Juden konnten nur noch jüdische Schulen besuchen. Bis Ende November 1941 versorgte eine Mittelstandsküche im Heim Innocentiastraße 21 ca. 40 Personen, eine Volksküche in der Schäferkampsallee 27 (64) gab 1941 ca. 73.000 Portionen aus. Im Gemeinschaftshaus in der Hartungstraße 9 bot nicht nur der Kulturbund Unterhaltungsmöglichkeiten, sondern dort trafen sich auch Skatrunden und – als Nachfolge der aufgelösten Volksküche – bot nun ein Restaurant hier ein Mittagsmahl an. Schon lange konnte die Gemeinde über ihre Finanzen nicht mehr frei verfügen. Für Kultusaufgaben beispielsweise durfte kaum Geld aufgewendet werden. Das Bestattungswesen hatte Vorrang, anderes musste auf privater Spendenbasis geschehen oder ehrenamtlich ausgeführt werden. Nach 1939 fanden Gottesdienste im Büro der Gemeinde Beneckestraße 4/6 (47), zeitweise in einem Saal in der Hartungstraße und bis Anfang 1942 dann in der kleinen Synagoge im Hause Kielortallee 22/24 (81) statt, bis religiöse Zusammenkünfte verboten wurden. Zwei Kinderheime und ein Kindertagesheim mussten aufgelöst werden. Damit jüdische Kinder und Jugendliche die Möglichkeit hatten, an die frische Luft zu kommen, wurde je ein gräberfreies Feld auf den Friedhöfen Langenfelde (103) und Ohlsdorf als Spielwiese und Sportplatz zur Verfügung gestellt.
Dies alles erhöhte den Druck zur Auswanderung. Die aus dem KZ Entlassenen flohen, wenn irgend möglich, ins Ausland und überließen notgedrungen ihre Habe den »Ariseuren« und dem Deutschen Reich. Circa. 1.000 Kinder konnten mit Kindertransporten nach England in Sicherheit gebracht werden. Im Oktober 1941, als die Auswanderung verboten wurde, zählte die Hamburger Gemeinde noch 7.547 Mitglieder. Während des Krieges und vor allem, als Luftangriffe den Hamburger Wohnraum dezimierten, wurde die staatlich kontrollierte Belegungspolitik der »Judenhäuser« immer restriktiver. Nach den Großangriffen im Sommer 1943, die auch jüdische Hamburger hatte obdachlos werden lassen, sollten 400 Zimmer von jüdischen Mietern freigemacht und die Betroffenen nördlich und westlich des → Grindelgebiets [33] konzentriert werden. Mehr als 350 Juden nutzten die Luftangriffe zur Flucht aus der Stadt.
Nächtliche Ausgangssperren, der Kennzeichnungszwang für Personen und Wohnungen und das Verbot, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, bewirkten während des Krieges eine weitere Verschlechterung der Situation. Nur beim Religionsverband resp. der Bezirksstelle konnten Juden Informationen über antijüdische Maßnahmen oder den Verbleib verschwundener Personen erhalten. Bei vermeintlichen oder tatsächlichen Übertretungen verhaftete die Gestapo eine bisher nicht bekannte Zahl Juden als »Schutzhäftlinge«, die im → KZ Fuhlsbüttel [14] misshandelt und von denen einige zu Tode gefoltert wurden.
Seit 1940/41 wurden alle arbeitsfähigen Jüdinnen und Juden zum »Arbeitseinsatz« gezwungen. Alternativ konnte der Religionsverband Juden für seine Einrichtungen reklamieren. So arbeiteten beispielsweise 15 jüdische Rechtsanwälte auf dem Jüdischen Friedhof, denen die ungewohnte körperliche Arbeit erspart werden sollte. Im Oktober 1941 dann wurde die Auswanderung untersagt. Juden wurde verboten, über ihr bewegliches Vermögen zu verfügen, insbesondere Möbel, Hausgeräte oder Wertpapiere zu veräußern oder Guthaben aufzulösen. Seit dem 15. September 1941 hatten »Volljuden« in der Öffentlichkeit als Kennzeichnung einen »Stern« zu tragen. Die Jüdische Gemeinde musste zudem die 17 → Deportationen [13] aus der Hansestadt vorbereiten, Sammellager einrichten und – ab Sommer 1942, als die Transporte in das vorgebliche Altersghetto und »Vorzugslager« Theresienstadt begannen – auch die Abwicklung der »Heimeinkaufsverträge« übernehmen. Die Transporte wurden mit Geräten und Maschinen, teilweise ganzen Werkstatteinrichtungen ausgerüstet, die vor 1938 zur Berufsausbildung gedient hatten. Ende 1941 betrug die Zahl der Juden im Sinne der Nürnberger Gesetze aufgrund der Deportationen nur noch 4.051, davon lebten 1.290 in Mischehe oder hatten in Mischehen gelebt, aus denen Kinder hervorgegangen waren. 85 Prozent der Hamburger Juden waren älter als 40 Jahre, 55 Prozent älter als 60 Jahre.
In den Jahren bis 1945 versuchten die jüdischen Repräsentanten, die Deportierten mit Päckchen und Geldanweisungen zu unterstützen bzw. durch die Sendungen wenigstens festzustellen, ob diese noch am Leben waren und wo sie sich befanden. Nachdem ein Großteil der Hamburger Juden bis Ende 1942 deportiert worden und Grundstücke und Gebäude der ehemaligen Gemeinde der Stadt Hamburg in einem Sammelkaufvertrag übereignet worden waren, musste die Bezirksstelle der Reichsvereinigung nun auch ihre Vermögenswerte liquidieren; dem Deutschen Reich kamen 58 Millionen Reichsmark zugute. Im Juni 1943 wurde die Reichsvereinigung formal aufgelöst. Eine Rest-Organisation sollte die Angelegenheiten der in Mischehe Lebenden bearbeiten. Vertrauensmann → Martin Heinrich Corten [135] und sein Büroleiter → Max Heinemann [68] waren dafür verantwortlich, dass alle Mitglieder (vor allem nach den Luftangriffen im Sommer 1943) erfasst wurden, aufgelöste Mischehen zwecks Deportation des jüdischen Partners gemeldet und weiterer Wohnraum zugunsten nichtjüdischer Ausgebombter freigemacht wurde. Sie waren gezwungen, die Anweisungen der Gestapo weiterzugeben, und fungierten als eine Art Clearingstelle für alle Anliegen, die Juden an Behörden richten wollten, unabhängig davon, ob es um die Zuteilung neuer Strümpfe oder um die Rückstellung von der Deportation ging. Im April 1945 verzeichnete der Vertrauensmann 647 Hamburger Juden, fast alle in Mischehen verheiratet. Weitere 50 bis 80 Personen hatten Verfolgung und Krieg im Versteck oder unter falscher Identität überlebt.
Personen und Themen mit K
Zur Zeit der Gründung des Deutschen Reiches lebten in Hamburg etwa 14.000 Juden, das waren gut vier Prozent der 350.000 Einwohner der Stadt. Bereits in den Jahren vor der Reichsgründung waren weitreichende Entscheidungen gefällt worden, die das jüdische Gemeindeleben betrafen: Nach langen Diskussionen war in der Hamburger Verfassung von 1860 die Glaubensfreiheit festgeschrieben worden, d. h., niemand durfte aufgrund seines Glaubens benachteiligt, wie bisher vom Bürgerrecht oder aus bestimmten Berufen ausgeschlossen werden (→ Emanzipation [11]).
1865 war die Zwangsmitgliedschaft in der Gemeinde aufgehoben und 1867 die neue → Deutsch-Israelitische Gemeinde [18] gebildet worden, unter deren Dach Orthodoxie und Reformjudentum in zwei selbständigen Kultusverbänden – dem dominierenden Deutsch-Israelitischen → Synagogenverband [76] und dem Israelitischen → Tempelverband [39] – ihre religiösen Vorstellungen verwirklichen konnten. Dieses neue und in Deutschland einzigartige »Hamburger System« spiegelte das seit Jahrzehnten bestehende breite religiöse Spektrum unter den Hamburger Juden wider und gab auch dem hohen Anteil religiös indifferenter Gemeindemitglieder organisatorischen Halt. Die liberalen Juden der Stadt hatten damit nach heftigen Auseinandersetzungen ihr Ziel erreicht, dass sich der Einzelne für eine religiöse und organisatorische Bindung entscheiden konnte. Der orthodoxe Synagogenverband hatte im Kaiserreich ca. 1.200, der liberale Tempelverband zwischen 600 und 700 männliche Mitglieder. Die eigenständig organisierte → Portugiesisch-Jüdische Gemeinde [2] spielte kaum noch eine Rolle, sie hatte 1872 nur noch 275 Mitglieder sefardischer Herkunft. Die Deutsch-Israelitische Gemeinde war für das → Schul-, Wohlfahrts- und Begräbniswesen [80] zuständig; der Synagogenverband konnte jedoch seinen Einfluss im Ritus bei den Beschneidungen, Hochzeiten und Beerdigungen weitgehend durchsetzen. Der Ausbildung jüdischer Identität dienten u. a. die jüdischen Schulen – allen voran die → Talmud Tora Schule [38] –, die von etwa der Hälfte der schulpflichtigen jüdischen Kinder besucht wurden.
Auseinandersetzungen innerhalb der Gemeinde und mit der Stadt gab es bis in die achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts um das Begräbniswesen (→ Beerdigungswesen [85]). 1875 verweigerte Hamburg der Gemeinde ein Gelände auf dem neuen Ohlsdorfer Zentralfriedhof als Eigentum, überließ es der Gemeinde jedoch 1885 vertraglich zur Nutzung fast ohne Einschränkungen. 1894 wurde ein weiterer, gemäßigt konservativer Kultusverband gegründet, die → Neue Dammtor Synagoge [77], den die beiden anderen Kultusverbände in den folgenden Jahrzehnten vergeblich zu integrieren versuchten. Hamburg besaß damit als einzige Stadt in Deutschland eine jüdische Gemeinde mit drei religiös unterschiedlich orientierten Kultusverbänden.
Bis 1910 stieg die Zahl der jüdischen Bewohner Hamburgs um rund 5.000, ihr relativer Anteil an der Bevölkerung sank aber auf 1,87 Prozent aufgrund der insgesamt hohen Zuwanderung in die Stadt. Nur 52,3 Prozent der Juden waren in der Stadt geboren. Der rückläufige Anteil der Juden an der Hamburger Bevölkerung in den folgenden Jahren (1919: ca. 1,76 Prozent = ca. 18.500; 1933: 1,41 Prozent = 16.850) hatte seine Ursache auch in der großstädtischen Sozialisation als Mittel- und Oberschicht, in der spät geheiratet und weniger Kinder geboren wurden. Eine große Zahl Hamburger Juden konnte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den bürgerlichen Mittelstand aufsteigen. Die Familien der jüdischen Oberschicht besaßen zwar Vermögen, kamen damit aber nicht an den Reichtum der christlichen Führungsschichten der Stadt heran (→ Wirtschaftsleben [174]). Faktisch wurde nach wie vor Juden, die sich öffentlich zu ihrem Glauben bekannten, der Zugang zum gehobenen Staatsdienst oder dem Offizierskorps verwehrt. Auch die sozialen Kreise blieben meistens getrennt. Die wohlhabenden Hamburger Juden pflegten den großbürgerlich-hanseatischen Lebensstil und verhielten sich in religiösen Fragen indifferent. Es finden sich kaum orthodoxe Juden unter ihnen. Angehörige einiger Familien traten zum Christentum über, um den gesellschaftlichen und beruflichen Ausschluss zu vermeiden.
Noch in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts lebten drei Viertel der Hamburger Juden in der Alt- und → Neustadt [28], konzentriert, aber nicht ghettoisiert in bestimmten Straßenzügen. Ende des Jahrhunderts setzte dann eine Wanderungsbewegung ein: Die wohlhabenderen jüdischen Stadtbewohner zogen nach Rotherbaum, Harvestehude und Eppendorf. Im → Grindelviertel [33] entstand »Klein-Jerusalem« mit jüdischem Kleinhandel und -gewerbe sowie der Synagoge am → Bornplatz [97] (50) und der → Talmud Tora Schule [38] (91) im Zentrum. Um 1925 lebten rund 70 Prozent der Hamburger Juden in diesen Stadtteilen.
[175]Das rege jüdische → Vereinsleben [78] erweiterte sich um 1900 über religiöse und wohltätige Belange hinaus auf kulturelle und politische Aktivitäten. Zu diesen Neugründungen gehörten nun auch Frauenvereine (→ Israelitisch humanitärer Frauenverein [144] und zionistische Vereine. Den bürgerlichen Bestrebungen der Zeit, Zeugnisse der Kulturgeschichte zu sammeln und auszustellen, entsprach 1898 die Gründung der → Gesellschaft für jüdische Volkskunde [82]. Um 1913 gab es in Hamburg 136 jüdische Vereine, zugleich waren viele Juden auch in nichtjüdischen Vereinigungen aktiv. Auffällig ist das Engagement der Juden aus dem Hamburger Bürgertum in der Literatur und im Theater (→ Kunst und Kultur [176]). So gründeten jüdische Intellektuelle 1891 die Literarische Gesellschaft, die zum Zentrum der Hamburger Literaturszene wurde. Die bedeutendsten Theater Hamburgs, das Thalia Theater und das Hamburger Stadttheater, wurden während des Kaiserreichs von Direktoren jüdischen Glaubens geleitet.
Für eine große Zahl von Juden war Hamburg nur eine Station auf ihrer Reise: Um der wirtschaftlichen Not und Pogromen in Osteuropa zu entgehen, wanderten sie über den Hafen nach Übersee aus (→ Auswanderung [95]). Aus der Unterstützung Hamburger Juden für die Auswanderer entwickelte sich um 1900 allmählich eine zionistische Bewegung (→ Zionismus [45]). Sie gründete Kolonisationsorganisationen und Hilfsfonds für Landankäufe in Palästina. 1909 fand in Hamburg der IX. Zionistische Weltkongress statt.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 glaubte ein großer Teil der Juden, durch den Kampf für das Vaterland nach der vor Jahrzehnten erfolgten rechtlichen Gleichstellung nun auch die gesellschaftliche Gleichberechtigung und Anerkennung erlangen zu können. Jüdische Organisationen – auch zionistische – riefen zu freiwilligen Meldungen zum Wehrdienst auf. Bis 1918 nahmen etwa 2.900 Hamburger Juden am Krieg teil, 457 von ihnen fielen. Dies entsprach in etwa ihrem Anteil an der Hamburger Bevölkerung. Jüdische Bürger Hamburgs zeichneten Kriegsanleihen und stellten ihre Firmen auf Kriegsproduktion um. Als sich die Kriegslage seit 1916 verschlechterte, verstärkte sich erneut der schon seit 1890 anwachsende → Antisemitismus [31]. Eine Reaktion darauf war 1919 die Gründung einer Hamburger Ortsgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten (→ Vaterländischer Bund [48]), der – als zweitgrößte jüdische Organisation nach dem Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens – das Andenken an die jüdischen Kriegsteilnehmer bewahrte.
Die Jahre vom Ende des Ersten Weltkriegs 1918 bis 1933 waren von zunehmender Integration der Juden und deren wachsendem Selbstbewusstsein einerseits sowie einem aggressiven Antisemitismus vor allem der antirepublikanischen rechten Parteien andererseits gekennzeichnet. 1925 lebten rund 20.000 Juden in Hamburg, das entsprach 1,73 Prozent der Hamburger Bevölkerung. Die Deutsch-Israelitische Gemeinde vereinte nach wie vor unterschiedliche religiöse Ausrichtungen, hatte für die Hamburger Juden einen integrativen Charakter, musste zwischen liberalen und orthodoxen, zionistischen und gewerblichen Interessen vermitteln, durch soziale Fürsorge und Berufsberatung zugleich in den Wirtschaftskrisen helfen und sich gegen den Antisemitismus zur Wehr setzen. Das seit 1898 in Hamburg erscheinende einflussreiche Israelitische Familienblatt (→ Zeitungswesen [81]) erreichte bis 1937 eine Auflage von 30.000 Exemplaren und informierte umfassend über alle Bereiche des jüdischen Lebens.
Erst in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre konnten Schifffahrt, Handel und Industrie in Hamburg wieder einen allmählichen Aufschwung verzeichnen. Vier Reedereien waren in jüdischem Besitz (→ Lucy Borchardt [177]). Die fortschreitende Integration zeigte sich auch darin, dass mit den demokratischen Parteien zugleich Juden in den Senat und in Staatsämter gewählt wurden, darunter Gesundheitssenator → Louis Gruenwaldt [65], Wirtschaftssenator → Max Mendel [178], Finanzsenator → Karl Cohn [179] und → Leo Lippmann [66] als Leiter der Hamburger Finanzverwaltung bis 1933. Auch in der Wissenschaft wurden Juden nun auf Stellen berufen: Am 1908 gegründeten Kolonialinstitut lehrte → William Stern [64]. Als 1919 die Hamburger Universität gegründet wurde, zog sie anerkannte jüdische Wissenschaftler wie z. B. → Erwin Panofsky [180] oder → Otto Stern [181] an. Der Philosoph → Ernst Cassirer [40] wurde 1929 Rektor der Universität. Der Kunsthistoriker → Aby M. Warburg [43] gründete die bedeutende → Kulturwissenschaftliche Bibliothek [83]. Im lebendigen Kulturleben der zwanziger Jahre in Hamburg, sowohl der Musik wie der bildenden Kunst, der Literatur wie dem Theater, waren Juden tätig, allerdings nicht überproportional zu ihrem Anteil an der Bevölkerung.
Wie prekär die Integration der Juden aber tatsächlich war, zeigte sich in den wirtschaftlichen und politischen Krisen seit 1929. Weder die demokratischen Parteien noch die Gewerkschaften bekämpften nachhaltig den radikalen Antisemitismus von rechts. Mit dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft setzte unmittelbar die Verfolgung von politischen Gegnern und des gesamten jüdischen Bevölkerungsanteils in Deutschland ein (→ Jüdisches Leben zur Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung [182]).
Opernsängerin, geb. 28.3.1889 Jaroslaw (Galizien), gest. 1.9.1957 London
Die Altistin K. gehörte zwischen 1915 und 1935 zu den beliebtesten Künstlerinnen auf Hamburgs Bühnen. 1911 debütierte sie an der Wiener Volksoper. Seit Beginn der Spielzeit 1915/16 gehörte sie dem Ensemble des Hamburger Stadttheaters an, nachdem sie erstmals im Mai 1914 als Amneris (Aida) an der Dammtorstraße aufgetreten war. Mit ihrer außergewöhnlich schönen Stimme und einer leidenschaftlich-intensiven Rollengestaltung eroberte sich die Sängerin schon bald die Herzen des Hamburger Publikums. Auch international trat sie wiederholt in Erscheinung. Der Schwerpunkt ihres breit gefächerten Repertoires lag auf den Opern Verdis und den Musikdramen Richard Wagners. Zeitgenössischer Musik verschloss sie sich nicht. So wirkte sie 1929 an der Kroll-Oper in Berlin unter der Leitung Otto Klemperers an der Uraufführung der Hindemith-Oper Neues vom Tage mit. Bereits 1928 hatte sie dort auch die Jocaste in Strawinskys Oedipus Rex gesungen. In Wagners Lohengrin feierte sie als Ortrud Anfang Januar 1933 in Hamburg einen ihrer ganz großen Erfolge. Geradezu ein Triumph war ihre Lady Macbeth in einer Neuinszenierung der Verdi-Oper Macbeth vom April 1933 unter der Leitung Karl Böhms. Zu Jahresbeginn 1935 emigrierte K. nach England (→ Emigration [16]). An der Royal Opera Covent Garden in London wirkte sie 1935 und 1936 an 15 hochkarätig besetzten Wagner-Aufführungen mit. Ihre Partner waren u. a. Lauritz Melchior, Alexander Kipnis und Frida Leider. Im Mai 1935 sang sie die Brangäne in Tristan und Isolde unter Furtwängler. Im Frühjahr 1937 konzertierte sie in Jerusalem u. a. mit Liedern von Schumann, Schubert und Brahms. Im Dezember desselben Jahres kehrte sie noch einmal nach Hamburg zurück, um im Großen Saal des Convent Gartens einen Liederabend für den → Jüdischen Kulturbund [4] zu geben. Ende der dreißiger Jahre wurde es still um die Sängerin. Im Herbst 1950 gab sie in der Hamburger Musikhalle ein letztes Konzert in der Hansestadt.
Diskographische Hinweise
Sabine Kalter: Lebendige Vergangenheit, Preiser Records, Wien (Historic Recordings), (PR89533), 2000.
Richard Wagner: Tristan und Isolde (1936 - Fritz Reiner), Naxos Historical - Great Opera Recordings, (Nr. 8.110068-70), 2000.
Fotograf, geb. 12.1.1898 Ludwigslust, gest. 12.1.1954 New York
Viele Bilder K.s dokumentieren das jüdische Leben in Hamburg nach 1933. Sohn eines aus Posen stammenden jüdischen Kaufmanns, arbeitete K. zunächst in der Exportfirma seines Onkels Hermann Josephy, bevor er sich 1932, autodidaktisch vorbereitet, als Fotograf mit eigenem Atelier versuchte. Er publizierte sowohl Porträt- wie auch Stadtaufnahmen in hamburgischen Presseorganen. Viele Mitglieder der → Jüdischen Gemeinde [124] ließen sich von K. porträtieren: der Schulleiter → Ernst Loewenberg [184] etwa oder Oberrabbiner → Joseph Carlebach [69]. Nach 1933 konnte K. seine Bilder dann nur noch im Rahmen jüdischer Periodika veröffentlichen. Von ihm stammt eine Reihe von Aufnahmen, die jüdische Einrichtungen in Hamburg zeigen, so etwa die → Synagoge an den Kohlhöfen [96] (19) anlässlich der Feier zu ihrer Schließung im Oktober 1934, das Fest des → Sportvereins [126] Bar Kochba im Juli 1936, den Gottesdienst zur Amtseinführung Carlebachs als Oberrabbiner in der → Bornplatzsynagoge [97] (50) 1936 oder den Israelitischen → Tempel [39] (53) 1937. 1938 gelang K. die Flucht nach New York, wo er seine fotografische Karriere bis zu seinem Tod erfolgreich fortsetzte. Seine Eltern wurden deportiert und starben 1942 in Theresienstadt bzw. Minsk.
Prediger und Schulleiter, geb. 10.6.1789 Wartenberg, gest. 4.10.1867 Hamburg
K. besuchte die jüdische Wilhelmsschule und das Gymnasium in Breslau. In Berlin, wo er sich seit 1809 in verschiedenen Stellungen als Privatlehrer verdingte, absolvierte er sein Universitätsstudium. An dem privaten Reformtempel Israel Jacobsons sammelte er zudem erste Erfahrungen als Prediger. 1817 zog er nach Hamburg und übernahm dort die Leitung der neu gegründeten → Israelitischen Freischule [139], die er mit großem Erfolg als Reformanstalt etablierte. Als Erzieher verfolgte K. einen Modernisierungskurs mit säkularer Stoßrichtung, der sowohl die traditionelle Beschränkung der jüdischen Schule auf die religiösen Studien aufbrach als auch die zeitgenössischen pädagogischen Konzepte zu integrieren suchte. Unter akkulturierten Hamburger Juden wusste K. zudem das Interesse für religiöse Reformansätze zu wecken. In den Räumen der Schule veranstaltete er zunächst sonntägliche Andachten, die noch 1817 in die Gründung des Neuen Israelitischen → Tempelvereins [39] mündeten. Trotz des Widerstands der Hamburger jüdischen Orthodoxie richtete der Tempel seit 1818 regelmäßige Gottesdienste aus, in denen auch eine Orgel gespielt, deutsche Gebete gesprochen sowie deutsche Kanzelreden gehalten wurden. K. wurde neben → Gotthold Salomon [185] mit dem Predigeramt betraut, das er bis 1840 ausübte. Beide galten als Wegbereiter der modernen Synagogenpredigt, doch stand K. hinsichtlich seines Redetalents deutlich hinter Salomon zurück. 1848 legte er die Leitung der Freischule nieder, nach 1856 zog sich K. ganz aus dem Unterricht zurück.
Rabbiner, geb. 4.11.1722 Livland, gest. 11.11.1803 Altona
K. studierte an der Minsker Talmudhochschule, deren Leitung er seit 1743 innehatte. Zudem berief ihn die lokale jüdische Gemeinde 1745 als Oberrabbiner. In nachfolgenden Jahren verwaltete er Rabbinate in Litauen und Weißrussland. Von Posen, wo er seit 1771 amtierte, übersiedelte er 1776 nach Altona. Dort trat er die Nachfolge von → Jonathan Eibeschütz [8] als Oberrabbiner der → Dreigemeinde Altona-Hamburg-Wandsbek [9] an. K., der sich als talmudischer Gelehrter weit über die Gemeinde hinaus Anerkennung verschaffte und eine Anzahl von hebräischen Schriften zu Themen der jüdischen Tradition publizierte, trat zeitlebens für eine streng religiöse, kulturelle und soziale Segregation der Juden von ihrer christlichen Umwelt ein. Während die jüdische Aufklärung an Dynamik gewann und eine Transformation der traditionellen Gesellschaft anstrebte, galt K. als Symbolfigur des Widerstands gegen modernisierende Veränderungen. Ohne Kenntnisse der deutschen Sprache zu besitzen, suchte er auch die Verbreitung der von dem jüdischen Aufklärer Moses Mendelssohn herausgegebenen und kommentierten Bibelübersetzung zu verhindern, weil er die unterstützende Wirkung dieses Projekts für eine Reform des Judentums voraussah. Seine Versuche, dem Religionsgesetz im Leben der konfessionellen Gemeinschaft uneingeschränkt Geltung zu verschaffen, blieben jedoch ohne Erfolg, zumal ihm die dänische Obrigkeit Beschränkungen beim Gebrauch religiöser Rechtsmittel auferlegte und auf diese Weise seine Autorität weiter schwächte. 1799 trat K. von seinen Gemeindefunktionen zurück, lebte aber als Privatmann weiterhin in Altona. Pläne, nach Jerusalem auszuwandern, konnte er infolge der Kriegswirren in Europa nicht mehr in die Tat umsetzen. K. war der Großvater mütterlicherseits von → Gabriel Riesser [92].
Kaufmann und Sozialdemokrat, geb. 15.3. 1841 Leczyca, gest. 4.4.1905 Hamburg
K.s Lebenserinnerungen schildern ihn als polnischen Freiheitskämpfer und hamburgischen Sozialdemokraten.
K. wurde in einer alten Festungsstadt in der Nähe von Lodz geboren. Sein Vater war Betreiber eines Kaufhauses, agierte im Gemeindevorstand und im Stadtrat. Da Juden zeitweilig nicht zu den Gymnasien zugelassen wurden, erhielt K. Unterricht bei einem Hauslehrer. K. beteiligte sich am polnischen Aufstand 1863 gegen die zaristische Politik in Russisch-Polen. Nachdem dieser gescheitert war, floh K. nach Westpreußen. 1864 kam er nach Hamburg. Hier verdingte er sich zunächst als Verkäufer von Lotterielosen, dann als Buchhalter. Die Einführung der Gewerbefreiheit in Hamburg ermöglichte ihm, sich als Zulieferer für Schuhmacher selbständig zu machen. Er heiratete 1867 eine aus orthodoxer Altonaer Familie stammende Frau, die ihm elf Kinder gebar. 1873 erwarb er das Bürgerrecht. Seit 1874 engagierte er sich in den Reichstagswahlkämpfen auf sozialdemokratischer Seite. Durch das Sozialistengesetz von 1878 und die damit einsetzende Ausweisung politisch Verdächtiger verlor K. beträchtliche Außenstände; er musste sein Geschäft stark einschränken und in wechselnde kleine Vorstadtwohnungen umziehen. Seit 1886 war K. wieder vielfältig politisch engagiert, so in der Agitation für ein weniger elitäres Bürgerrecht in Hamburg, als Lehrer in Arbeiter-Fortbildungsvereinen, als Kaufmann im sozialistischen Genossenschaftswesen. Er gehörte seit 1900 dem Aufsichtsrat der »Produktion« an und war als Vorsitzender in der Referenten- und Pressekommission der hamburgischen Sozialdemokraten tätig. Als er 1905 beerdigt wurde, beteiligte sich die sozialdemokratische Prominenz mit roter Fahne und roten Kranzschleifen an der rituellen Beerdigung auf dem jüdischen → Friedhof [34] in Ohlsdorf.
Bereits Ende März 1933 wurde provisorisch in einer Torfverwertungsfabrik in Wittmoor das erste Hamburger KZ eingerichtet, in dem fast ausnahmslos Kommunisten inhaftiert wurden. NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann unterstützte Pläne der Landesjustizverwaltung, »sämtliche Konzentrationshäftlinge unter einheitliche straffe Verwaltung in Fuhlsbüttel« zu stellen.
Mit der offiziellen Eröffnung des KZ in dem ehemaligen Frauengefängnis Fuhlsbüttel im September 1933 änderten sich die Verhältnisse. Anders als das Lager in Wittmoor, dessen Auflösung einige Wochen später erfolgte, wurde das im zeitgenössischen Sprachgebrauch als Kola-Fu bezeichnete KZ Fuhlsbüttel schnell zu einem Inbegriff für Grauen, Leiden und Sterben. Kein anderes KZ wies in den Vorkriegsjahren eine so hohe Todesrate auf wie das Kola-Fu. Vor allem politische Regimegegner (zumeist Kommunisten und Sozialdemokraten), aber auch so genannte »Asoziale«, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, Juden (1938 z. B. wurden über 700 Männer nach dem → Novemberpogrom [22] eingeliefert) und während des Krieges Tausende ausländischer Widerstandskämpfer und → Zwangsarbeiter [186] waren hier inhaftiert. Seit 1935 hatte sich die Hansestadt um einen Ersatz für das inmitten der Stadt gelegene KZ bemüht. Die SS verlegte im Dezember 1938 ein Außenkommando des KZ Sachsenhausen nach Neuengamme. In den ersten Kriegsmonaten fiel nach einem Besuch Himmlers die Entscheidung, Neuengamme zu einem großen KZ auszubauen. Noch im Frühjahr 1940 wurde Neuengamme zum eigenständigen KZ erklärt. Die Häftlinge, deren Zahl schnell auf mehrere Tausend stieg, arbeiteten im Lageraufbau, beim Tonabbau für die Ziegelproduktion, bei der Schiffbarmachung der »Dove-Elbe« und der Anlage eines Stichkanals mit Hafenbecken. Im Verlauf des Krieges wurden Zehntausende aus allen besetzten Ländern Europas nach Neuengamme verschleppt. Die Zahl der Häftlinge betrug etwa 100.000, darunter waren ca. 13.000 Juden; die meisten von ihnen hatte die SS ab Sommer 1944 aus dem KZ Auschwitz-Birkenau zum Arbeitseinsatz in den Außenlagern überstellt. Schlechte Arbeitsbedingungen, ungenügende Ernährung, unzureichende medizinische Versorgung und katastrophale sanitäre Verhältnisse sowie Misshandlungen führten zum Tod vieler Häftlinge. Insgesamt zählten zum KZ Neuengamme 86 Außenlager. Im Hamburger Stadtgebiet gab es insgesamt 17 Außenlager, davon sieben für weibliche Häftlinge. Mit der Einrichtung von inmitten der Stadt gelegenen Außenlagern, einzelnen Arbeitseinsätzen auch an belebten Orten und den täglichen Wegen zwischen den Einsatzorten und den Lagern waren die Häftlinge auch für die Hamburger Bevölkerung sichtbar. Bei Kriegsende befanden sich im Hauptlager noch 14.000 und in den Außenlagern zusammen 40.000 Häftlinge, davon fast ein Drittel Frauen. Die Übergabe der Stadt an die Briten sollte kampflos stattfinden, dafür wollte man die Stadt frei von »KZ-Elendsgestalten« wissen. Die Folgen waren Todesmärsche nach Bergen-Belsen, Sandbostel und Wöbbelin und die Verbringung der letzten 10.000 Neuengammer Häftlinge auf als »schwimmende K.« dienende Schiffe. Am 3. Mai 1945 griffen britische Jagdbomber die in der Neustädter Bucht ankernden Schiffe, die sie für Truppentransporter hielten, an. Dabei kamen annähernd 7.000 Häftlinge ums Leben. Britische Soldaten betraten am 2. Mai in Neuengamme ein menschenleeres Lager. Bis dahin waren im Stammlager Neuengamme, in den Außenlagern und im Zuge der Lagerräumungen mindestens 42.900 Menschen zu Tode gekommen. Hinzu kommen mehrere tausend Häftlinge, die nach ihrem Abtransport oder nach Kriegsende an den Folgen der KZ-Haft gestorben sind.
Mechaniker, geb. 13.10.1807 Hamburg, gest. 30.11.1885 Hamburg
Nach der Erfindung der Fotografie durch ein Verfahren zur Herstellung von Lichtbildern auf Metallplatten, das Daguerreotypieren, wurde Hamburg zu einer Hochburg des neuen Mediums. Familienbilder und Porträts waren seither nicht länger das Monopol von Malern und Lithographen, sondern schneller und höchst wirklichkeitsgetreu von Lichtbildnern zu erhalten. Dank großer Nachfrage entstanden in Hamburg zahlreiche Fotoateliers. An der Wiege der Fotografie stand in Hamburg K., der Sohn eines seit etwa 1800 in Hamburg ansässigen Lotteriekollekteurs. Das Verfahren des Daguerreotypierens war im August 1839 in Paris öffentlich bekannt gemacht worden, und bereits Anfang Oktober desselben Jahres befasste sich der Naturwissenschaftliche Verein in Hamburg mit »zwei Daguerreschen Bildern, welche der hiesige Mechanikus und Optikus Rud. Koppel, Bei dem Graskeller 6, angefertigt hat«. K. war es als erstem Hamburger gelungen, die aufwendige Technik zu beherrschen, und damit begnügte er sich; nichts deutet darauf hin, dass er seine Kenntnisse gewerblich nutzte. Ausschlaggebend für seine Beschäftigung mit der Fotografie war offensichtlich die Freude an der Lösung technischer Probleme. Die Hamburger Adressbücher von 1838 bis 1843 verzeichnen ihn als »sehr geschickten Mechaniker, der sehr vollendete und zweckerfüllende Arbeiten aus den Fächern der Mechanik, Hydraulik, Pneumatik, Physik, Optik etc.« lieferte. Im breiten Spektrum seiner bis 1867 ausgeübten Tätigkeit hatte das Fotografieren nur kurzfristig Bedeutung. Offenbar hat K. seine Kenntnisse an den bedeutenden Daguerreotypisten → Hermann Biow [187] weitergegeben, der 1841 Hamburgs erstes Fotoatelier eröffnete.
Filmkaufmann, geb. 23.4.1906 Köln, gest. 25.10.1982 Marburg
K., Sohn eines Kaufmanns, arbeitete nach einer kaufmännischen Lehre zunächst als Angestellter des Hamburger Kaufhauses Schäfer in Bergedorf, wo er später bis zum Filialleiter aufstieg. Nach einer Verhaftung 1933 flüchtete er Ende 1935 zunächst nach Wien, wo er verschiedene Verleihfirmen gründete (→ Emigration [16]). Im August 1941 wegen Vergehens gegen das »Blutschutzgesetz« von den Nationalsozialisten zu einer Haftstrafe verurteilt, wurde er nach einer Flucht quer durch Europa 1942 vom deutschen Sicherheitsdienst in Paris verhaftet und ins → KZ Fuhlsbüttel [14] gebracht. Als Patient des → Israelitischen Krankenhauses [134] überlebte er den Krieg. 1945 setzte ihn die britische Militärregierung als Untertreuhändler für die Hamburger UFA-Kinos ein. Beim Treffen ehemaliger politischer Verfolgter lernte er 1946 den Ungarn Gyula Trebitsch kennen, mit dem er Anfang 1947 eine der ersten Nachkriegsfilmgesellschaften gründete. Das REAL-Film getaufte Unternehmen hatte rasch Erfolg; bald produzierte man auch aufwendige Revuefilme mit Zarah Leander, bis es 1952 zum Ausbleiben der Bundesbürgschaften kam, das vermutlich durch K.s einstige KPD-Mitgliedschaft veranlasst war. Erst durch Landesbürgschaften konnte der Betrieb wieder aufgenommen werden; in der Folge entstanden preisgekrönte Filme wie Des Teufels General (1955) und Der Hauptmann von Köpenick (1956). Als Ende der fünfziger Jahre die Kino-Besucherzahlen zurückgingen, setzte K.s Partner Trebitsch ganz auf das aufkommende Fernsehen – während K. als Vorsitzender der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft die Parole »Keinen Meter Film für das Fernsehen!« ausgab. So kam es zu einer Trennung des Erfolgs-Duos Koppel-Trebitsch, Letzterer führte das Atelier als »Studio Hamburg« allein weiter. K. hingegen musste bereits 1963 mit seiner REAL-Film Konkurs anmelden, und auch spätere Versuche, wieder im Filmgeschäft Fuß zu fassen, scheiterten. Nach K.s endgültigem Rückzug vom Film Ende der sechziger Jahre machte er nur noch 1975 einmal durch seine heimliche Heirat mit der Schauspielerin Tatjana Iwanow Schlagzeilen.
Mediziner, geb. 30.6.1855 Posen, gest. 1.7.1943 Theresienstadt
Der Internist, dessen Person über Jahrzehnte untrennbar mit dem Hamburger → Israelitischen Krankenhaus [134] verknüpft war, wurde zum Ende seines Lebens Opfer der »Judenvernichtung«. Nach dem Medizinstudium in Breslau und Berlin ging der Sohn eines Posener Arztes an das Kölner Bürgerkrankenhaus, wo er seine internistische Facharztausbildung absolvierte. 1882 begann K. als Assistenzarzt am Israelitischen Krankenhaus in Hamburg, 1886 übernahm er 31-jährig die Innere Abteilung des Krankenhauses, der er 44 Jahre lang als Chefarzt vorstand. Auch die medizinische Ausbildung im angegliederten Schwesternheim oblag ihm. Zusammen mit seinem Kollegen, dem Chirurgen Albert Alsberg, forschte er zur Tuberkulosebehandlung und veröffentlichte diverse medizinische Abhandlungen. Im Ersten Weltkrieg leitete er am Krankenhaus das Reservelazarett und übernahm die Führung eines Lazarettzuges. Für seine wissenschaftlichen Verdienste wurde ihm 1917 durch den Senat der Professorentitel zuerkannt. K., der als exzellenter Diagnostiker galt, war Mitglied der Hamburger Ärztekammer und seit 1928 Ehrenmitglied des Ärztlichen Vereins zu Hamburg. Neben den Verpflichtungen im Israelitischen Krankenhaus machte K. sich in verschiedenen jüdischen Wohltätigkeitseinrichtungen verdient (→ Sozial- und Wohlfahrtswesen [79]). Er übernahm die ärztliche Leitung für das Altenheim, das Siechenheim und das Waisenhaus der jüdischen Gemeinde in Hamburg. Weit über seine Pensionierung im Jahre 1930 hinaus wirkte K. in diesen Funktionen ehrenamtlich. Als »Nichtarier« wurde K. 1938 die Zulassung als Arzt entzogen. Am 23. Juni 1943 wurde der inzwischen 88-Jährige nach Theresienstadt deportiert → Deportation [13]), wo er bereits eine Woche nach der Ankunft umkam.
Kantor, geb. 4.5.1875 Wien, gest. Februar 1947 Haifa
Die tiefgreifenden Veränderungen synagogaler Musik am Hamburger Reformtempel im frühen 20. Jahrhundert wurden durch K. initiiert, der die zuvor gepflegten sefardischen Melodien sowie die an protestantische Kirchenmusik angelehnte Musik in deutscher Sprache durch traditionelle aschkenasische Klänge ersetzte. Als Spross einer alten, dem Kantorenstand verbundenen Familie begann er seine musikalische Ausbildung bei seinem Vater. Weitere Studien folgten von 1887 bis 1893 mit L. Unger in Wien und von 1893 bis 1897 mit L. Schmidt in Brünn. K.s musikalische Tätigkeiten waren vielseitig: Er war Dirigent des Synagogengesangvereins in Iglau (1898), Oberkantor in Klattau und Saaz (1899-1905) und am Kaiser Franz Joseph-Tempel in Prag (1906-1913). Mit seiner Anstellung als Oberkantor am Hamburger → Tempelverband [39] 1913 begann seine fruchtbarste Schaffenszeit, während deren er seinen Tätigkeitsbereich zunehmend erweiterte. Er verfasste mehrere Kompositionen gottesdienstlicher Gesänge, darunter Rômmemmôs El (1926). Als Gründer und Redakteur der Monatszeitschrift Der jüdische Kantor (1928-1938) publizierte er Musikbeilagen sowie vor allem eine Anzahl von Aufsätzen, in denen zumeist praxisnahe Fragen der Vorsänger zur Sprache kamen. K. war auch Herausgeber einer 1933 unter dem Titel Jüdische Klänge publizierten Sammlung von synagogalen, paraliturgischen und folkloristischen Melodien deutsch-jüdischer Komponisten für mehrstimmigen Chor, Violine und Klavier und Klavier solo. K. amtierte außerdem als Vorsitzender der Vereinigung jüdischer Kantoren in Deutschland. Diese Position verhalf ihm zu einem Visum, mit dem er seine seit 1936 geplante Auswanderung nach Eretz Israel 1939 realisieren konnte. Bis zu seinem Tod wirkte er als Dirigent an der Zentralsynagoge in Haifa.
Der Kunsthistoriker → Aby Moritz Warburg [43] entwickelte seine studentische Büchersammlung zu einer Bibliothek mit über 60.000 Bänden, die der Universität Hamburg 1919 frei angegliedert wurde und internationale Anerkennung fand. Die Aufbauphase der Bibliothek, ab 1902 bis gegen Ende des Ersten Weltkriegs, zeichnete sich durch eine kontinuierliche Bestandsentwicklung aus, deren thematischer Mittelpunkt das »Nachleben der Antike« war. Warburg knüpfte Verbindungen zu zahlreichen Wissenschaftlern unterschiedlichster Fachrichtungen sowie zu Bibliothekaren, Buchhändlern und Antiquaren. Neben der damals ungewöhnlichen Einbindung von Sonderdrucken und Aufsätzen in den Bestand ergänzten Fotografien die Sammlung. Auf bisher unbekannte Weise versammelte Warburg disziplinenübergreifend Buch- und Forschungsmaterialien unter bestimmten kulturwissenschaftlichen Fragen. Neben der frühen Anerkennung durch Fachkreise folgte 1919 bis 1924 die Phase der Institutionalisierung durch Warburgs Assistenten und interimistischen Leiter → Fritz Saxl [42]. Ihm gelang es, mit den Schriftenreihen Studien und Vorträge der Bibliothek Warburg sowie mit zahlreichen Vorträgen, Symposien, Konferenz- und Ausstellungsbeteiligungen die Bibliothek in die Wissenschaftskreise einzubinden. Es folgte die Blüte- und Konsolidierungsphase der Bibliothek vom Neubau des Bibliotheksgebäudes (93) 1926 in der Heilwigstraße über den Tod Warburgs 1929 hinaus bis zur Übersiedlung nach England 1933. Die vielen Aktivitäten, die Akzeptanz und die engen Verbindungen zu Wissenschaftlern wie → Ernst Cassirer [40], → Erwin Panofsky [180], Gustav Pauli und anderen verdeutlichen ihren Erfolg. 1933 konnte die Bibliothek vor dem Zugriff der Nationalsozialisten gerettet werden. Sie besteht als »The Warburg Institute« an der Universität London fort. Das Haus in der Heilwigstraße wird seit 1993 von der Aby-Warburg-Stiftung verwaltet.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hatten jüdische Künstlerinnen und Künstler an den Aufbruchsbewegungen von Kunst und Kultur maßgeblichen Anteil. Im liberal-pluralistischen Kulturbetrieb der Weimarer Republik waren sie in allen künstlerischen Bereichen und Stilrichtungen vertreten. Das jüdische Bürgertum dieser Zeit fühlte sich mehrheitlich einer akkulturierten Judenheit zugehörig. Mehr als andere Kreise der Bevölkerung zeigte das jüdische Bürgertum eine große Bereitschaft, sich sowohl für die Pflege des humanistischen Erbes zu engagieren als auch offen zu sein für die Innovationen in den Bereichen Wissenschaft, Kunst und Erziehung.
Vor 1933 existierte in Hamburg eine reiche, pluralistische Kunstszene, in der Künstler jüdischer Abstammung vornehmlich als Künstler wahrgenommen wurden. Die älteren waren um 1900 der traditionellen Malerei verpflichtet. Richard Rothgießer und Karl Müller malten z. B. konventionelle Hamburg-Ansichten in lasierender Feinmalerei in der Nachfolge des Biedermeier. Letzterer, wegen seiner militärfreundlich-patriotischen Darstellungen auch »Soldaten-Müller« genannt, spezialisierte sich zudem auf gemütvoll Volkskundliches und Hamburgisches. Unter den 52 Mitgliedern der elitären Hamburgischen Sezession waren neun Künstler jüdischer Abstammung, assimiliert und z. T. getauft: die Bildhauer Paul Hamann und → Paul Henle [190], die Maler → Kurt Löwengard [170], → Willy Davidson [191], Hilde Hamann, Lore Feldberg-Eber, nicht zuletzt das Trio der Malerinnen → Alma del Banco [192], Anita Rée, Gretchen Wohlwill. Diese waren Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts stadtbekannt und angesehen, stellten auch auswärts aus und konnten von ihrer an der Avantgarde orientierten Kunst leben. Rée und Wohlwill bekamen vom Stadtbaudirektor Fritz Schumacher Aufträge für Wandbilder in den neuen Schulen in Hamburg, Hamann fertigte eine »Frühlingsgöttin« für den Hammer Park. Die Sezession löste sich im Mai 1933 selbst auf. Zu der konkurrierenden Hamburgischen Künstlerschaft zählten u. a. die Malerinnen Lore Feldberg-Eber, Maria Wolff, Edith Marcus, Paula Gans (bekannt als Porträtistin).
[193]An der Kunstgewerbeschule Hamburg wirkte → Friedrich Adler [194] als bedeutender Designer und Lehrer. Die Kunstschule für Frauen am Glockengießerwall wurde bis 1939 von jüdischen Malerinnen geleitet. 1891 durch Valeska Röver gegründet, übernahm 1904 die Malerin Gerda Koppel die Schule und leitete sie nach 1933 mit Geschick weiter. 1938 übergab sie die Leitung an ihre Schülerin Gabriele Schmilinsky und emigrierte nach Kopenhagen. Bei den großen Hamburger Künstlerfesten spielten bis 1933 auch jüdische Künstler und Kunstkritiker eine Rolle. Zu erwähnen sind besonders Friedrich Adler, Willy Davidson, Harry Reuss-Löwenstein, der für den Hamburger Anzeiger kurzweilige Rezensionen verfasste und auch einmal als Tarzan auftrat. Die Kunsthistorikerin → Rosa Schapire [103] verlieh der Hamburger Kunst und Kultur weltmännischen Anstrich durch unablässige Vermittlung überregionaler Avantgarde-Kunst und Förderung junger Talente mit Einführung in ihre Sammlung neuester Kunst. Kaufleute, Industrielle, Banker und Akademiker wie Otto Blumenfeld, Richard Samson, Siegfried Julius, → Oskar Gerson [49], Richard Robinow [195], Valerie Alport, Albert Martin Wolffson förderten als Sammler mit Ankäufen und Aufträgen die Hamburger Kunst und Kultur.
Auch im Musik- und Theaterleben spielte das jüdische Bürgertum eine wichtige Rolle. Das Stadttheater (die Oper in der Dammtorstraße) unterlag der Aufsicht des Staatsrats → Leo Lippmann [66], der sich während seiner Amtszeit von 1920 bis 1933 als leidenschaftlicher Förderer aller zehn Hamburger Bühnen erwies. Als Nachfolger Hans Loewenfelds war → Leopold Sachse [167] seit 1922 Intendant des Stadttheaters; unterstützt wurde er von → Egon Pollak [196], Hamburgs erstem Generalmusikdirektor. Zwei Dirigenten standen ihm zur Seite, Werner Wolff und Georg Singer. Seit Ende des 19. Jahrhunderts hatten Gustav Mahler, Bruno Walter und Otto Klemperer dem Orchester vorgestanden. Willy Davidson wirkte am Haus als Bühnenbildner. Zu den herausragenden und beliebtesten Gesangssolisten gehörten die Altistin → Sabine Kalter [197], der Bassist → Julius Gutmann [198] und der Tenorbuffo Paul Schwarz; im Orchester traten besonders die Violinistin Bertha Dehn und der Hornist Bruno Wolff hervor. Zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses gehörten die Regisseure und Schauspieler Julius Kobler und Arnold Marlé, der Dramaturg Julius Glücksmann, die Schauspieler Emil Stettner und Ulrich Arie sowie Margarethe Otto-Körner. Verwaltungsdirektor war Hans Kaufmann. Die Schauspielerinnen Charlotte Kramm und Emmeline Gadiel gehörten ebenso wie der Regisseur Arthur Holz zum Thalia Theater. Die Direktion der Hamburger Kammerspiele teilten sich Erich Ziegel und seine Frau → Mirjam Horwitz [199]. Dramaturg war hier zunächst der Schriftsteller Arthur Sakheim; sein Nachfolger wurde 1926 der Journalist und Schriftsteller → Heinz Liepmann [200]. Schauspielerinnen und Schauspieler wie Sascha Rares, Mira Rosowsky, Fritz Kortner und Hans Hinrich waren an den Kammerspielen engagiert; 1918/19 war → Robert Müller-Hartmann [169] als musikalischer Beirat, Alfred Müller hier wie an vielen anderen Hamburger Bühnen als Bühnenbildner tätig. Carl und Alexander Richter standen zeitweilig dem Kleinen Lustspielhaus, Große Bleichen, der Volksoper und dem Operettenhaus (»Richterbühnen«) vor. Zu ihren Ensembles gehörten Fritz Hirsch, Albert Walter und Max Berg, der Tenor Julius Kuthan, die Mezzosopranistin Karla Monti und Kurt Behrens als Repetitor. Das Schiller-Theater wurde von Max Ellen geleitet, die Schauspieler Kurt Appel, Fritz Benscher und Albert Walter traten hier auf. Konzertmeister der Philharmonie war Heinrich Bandler, sein berühmter Solocellist Jakob Sakom. José Eibenschütz, herausragender Mahler-Interpret und Dirigent der Philharmonie, war ab 1928 Generalmusikdirektor der Nordischen Rundfunk AG. Zahlreiche jüdische Künstler, u. a. die Geigerin Hertha Kahn und der Schauspieler → Willi Hagen [201], traten im Rundfunk auf. Hermann Cerini war Leiter des Hamburger Tonkünstler-Orchesters, die Pianistin und Cembalistin Edith Weiß-Mann lehrte als Dozentin an der Hamburger Universität und gründete 1925 die »Vereinigung zur Pflege alter Musik in Hamburg«. Die Konzerte des jungen Pianisten Bernhard Abramowitsch in der Musikhalle wurden mit großem Lob bedacht.
Das Hamburger Stadtbild wurde durch die Bauten der Gebrüder Hans und → Oskar Gerson [49] sowie der Partner → Fritz Block [147] und → Ernst Hochfeld [47] entscheidend mitgeprägt. Bausenator in Altona war der Architekt Gustav Oelsner. Er gehörte ebenfalls zum Kreis Fritz Schumachers und war der norddeutschen Backsteintradition verpflichtet. 1930/31 errichteten Felix Ascher und Robert Friedmann mit dem → Tempel [39] in der Oberstraße (53) einen der letzten Synagogenbauten in Deutschland vor 1933. Friedrich Adler entwarf die Fenster und einen Teil der Innenausstattung. Zu den bedeutendsten Trägern jüdischer Kultur gehörten die Henry Jones-Loge, die Steinthal- sowie die Nehemia-Nobel-Loge (→ Logenwesen [32]), die → Gesellschaft für Jüdische Volkskunde [82], der Verein für Jüdische Geschichte und Literatur und das Jüdische Gemeinschaftsheim.
1933, nach ihrem Ausschluss aus der »deutschen Volksgemeinschaft«, war für die deutschen Juden die Bildung einer jüdischen Enklave die einzige Alternative zur → Emigration [16]. Auf die Bedrohung von außen reagierten die Betroffenen mit zahlreichen Selbsthilfeaktionen, u. a. mit der Gründung des → Jüdischen Kulturbundes [4]. Die meisten Hamburger bildenden Künstler beteiligten sich 1936 an der Berliner Reichsausstellung Jüdischer Künstler im Jüdischen Museum. Vielen wurde Arbeitsverbot auferlegt, dessen Einhaltung durch Gestapobeamte kontrolliert wurde. Gebrauchsgraphikern, Designern, Kunsthandwerkern wie Ivan Seligmann, Alice Marcus, Marion Baruch, → Naum Slutzky [202], Anni Glissmann widerfuhr das gleiche Schicksal des Ausschlusses aus der Hamburger Kunstszene wie den bildenden Künstlern. Viele Künstler waren von der NS-Verfolgung hart betroffen. Von 85 bildenden Künstlern überstanden fünf als → »Mischlinge« [67] oder in »privilegierter Mischehe« die gefährliche Zeit. 23 starben, ermordet in → KZ [14], hingerichtet oder durch Freitod. Zwei überlebten das KZ Theresienstadt. Die anderen 55 emigrierten. Verloren sind meistenteils ihre Œuvres in Hamburg oder im Ausland. Die Sammlungen jüdischer Hamburger wurden vor der Emigration verkauft, mitgenommen und im Ausland veräußert oder aus dem Liftvans im Hafen geraubt und versteigert. Nach Kriegsende bildete sich eine vergleichbare kulturelle Blüte jüdischen Kunstschaffens in Hamburg nicht wieder.
Politikwissenschaftler, geb. 7.8.1897 Straßburg, gest. 8.12.1968 Hamburg
L., einer der »Gründungsväter« der Politikwissenschaft in Deutschland, entstammte einer weitgehend assimilierten deutsch-jüdischen Familie. Nach dem Studium der Nationalökonomie, Philosophie und Sozialwissenschaften u. a. bei Edmund Husserl, Martin Heidegger, Max Scheler, Karl Jaspers und Alfred Weber wurde er 1925 Mitarbeiter im Institut für Auswärtige Politik in Hamburg und 1927 Assistent des Sozialökonomen Eduard Heimann an der Hamburgischen Universität. Von dort im Juni 1933 als »Nichtarier« vertrieben, lebten er und seine Familie unter schwierigsten Bedingungen im Exil in Ägypten, Palästina und Großbritannien (→ Emigration [16]). Eine auf zwei Jahre befristete Anstellung an der Hebräischen Universität in Jerusalem wurde 1938 trotz Fürsprache renommierter Gelehrter nicht verlängert. L.s 1944 hebräisch gedruckte Pionierstudie über Die Gemeinschafts-Siedlung in Palästina (dt. 2004), deren scharfsinnige Kritik an einem Eckpfeiler der zionistischen Bewegung rüttelte, wurde weitgehend ignoriert, wenngleich von Martin Buber gewürdigt und mit dem Arthur-Ruppin-Preis ausgezeichnet. Bei aller Sympathie für die Kibbuzniks bemängelte der nonkonformistische Wissenschaftler, auch in den Kibbuzim hätten ökonomische Ziele eindeutig Vorrang vor einer gemeinsamen Idee der Lebensführung. Trotz starker Zweifel kehrte L. 1951 nach Hamburg zurück, um den neu eingerichteten Lehrstuhl für die »Wissenschaft von der Politik« zu übernehmen, den er bis 1965 innehatte. Orientiert am aristotelischen Polis-Konzept, bemühte er sich darum, die Politik aus ihrer 2000 Jahre alten Tradition heraus wiederzubegründen. Diesem Ziel war schon sein 1929 erschienenes Hauptwerk Kritik der Soziologie gewidmet. Bekannt wurde L. vor allem durch die Herausgabe der Frühschriften von Karl Marx (1932 bzw. 1953) und einer Auswahl von Texten Alexis de Tocquevilles (1954).
Germanistin, geb. 4.7.1879 Berlin, deportiert 15.8.1942 von Berlin, Todesdatum und -ort unbekannt
L. wirkte zwanzig Jahre als Germanistin in Hamburg: Seit 1917 Assistentin am Deutschen Seminar, habilitierte sie sich im November 1919 für Germanische Philologie und wurde so die erste Privatdozentin, 1923 erste »Titularprofessorin« der jungen Universität. Im Juni 1926 wurde sie auf den neuen außerordentlichen Lehrstuhl für Niederdeutsche Philologie berufen – in Hamburg die erste Frau, in Deutschland die erste Linguistin in diesem Rang. Diese für eine Frau und Jüdin doppelt ungewöhnliche Karriere hatte mit den damals üblichen Stationen (höhere Mädchenschule, Lehrerinnenseminar, Externenabitur bei Berufstätigkeit) begonnen und war mit dem Studium der Deutschen Philologie in Halle (1906-07) und Heidelberg (ab 1907) fortgesetzt worden. Dort 1909 mit einer Arbeit über die Berliner Schriftsprache promoviert, lehrte sie ab 1910 in den USA. Wegen der zunehmenden amerikanischen Kritik an der deutschen Kriegführung kehrte die leidenschaftliche Patriotin 1916 nach Deutschland zurück. In Hamburg unterrichtete sie zunächst am Allgemeinen Vorlesungswesen, ab 1919 am Germanischen Seminar der Universität. Schwerpunkt ihrer Forschungen war die Grammatik und Lexikographie des Mittelniederdeutschen, institutionalisiert in ihrer leitenden Mitarbeit an dem Mittelniederdeutschen und dem Hamburgischen Wörterbuch. Ihre Entlassung nach dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« erfuhr durch die Intervention schwedischer und Hamburger Germanisten einen Aufschub bis zum Juni 1934. Danach erlitt auch sie Ausgrenzung, Arbeitsverbot und Beschlagnahmung ihrer Bibliothek. 1937 zog sie zu ihren Schwestern nach Berlin. Rufe nach Dorpat und Oslo scheiterten an deutscher Intervention. Am 15. August 1942 wurden die Schwestern nach Riga deportiert. In Hamburg erinnern der Agathe-Lasch-Weg in Othmarschen (1971), der seit 1992 alle drei Jahre verliehene Agathe-Lasch-Preis für Nachwuchsleistungen in der niederdeutschen Philologie und ein Hörsaal des Hauptgebäudes der Universität (1999) an diese herausragende Wissenschaftlerin.
Journalist und Schriftsteller, geb. 24.10.1928 Bochnia (Polen), gest. 3.2.1998 Hamburg
L. durchlebte ein typisches jüdisches Schicksal im 20. Jahrhundert. 1939 vor den Deutschen aus Polen nach Russland geflohen, nach Kriegsende Abitur in Krakau und Studium in Prag, wo er 20 Jahre als Journalist und Schriftsteller lebte, bis er 1968 während des »Prager Frühlings« vor den Russen zu den Deutschen emigrierte. L. lernte und beherrschte in kurzer Zeit Deutsch und setzte seine schriftstellerische Tätigkeit hier bald fort. In der Wochenzeitschrift Die Zeit fand er ein erstes Forum. Damit öffneten sich ihm nicht nur die deutschen Leserherzen, sondern auch die Verlagstore. Seine Klugheit, sein mit großer Weisheit gepaarter Humor und seine menschenfreundliche Art spiegeln sich in seinen Satiren und Aphorismen wider, die er in zahlreichen Büchern, Zeitungen und im Rundfunk veröffentlichte. Auch wenn Prag »eine Geliebte fürs Leben« blieb, wie er einmal schrieb, liebte er Hamburg nicht weniger und empfand seine schöne Eppendorfer Altbauwohnung als Heimat und Wohlfühlort. Hier lebte und schrieb der alleinerziehende Vater eines Sohnes, hier empfing er seine vielen Freunde und half denen, die wie er in der Fremde neu beginnen mussten. L. war Mitglied der → Jüdischen Gemeinde [124] in Hamburg. Auch wenn er kein praktizierender oder gläubiger Jude war, sein Fühlen und Denken war tief in jüdischer Kultur und Tradition verwurzelt. Der Segensspruch eines Rabbiners, über ihm als Kind gesprochen, begleitete ihn lebenslang: »Kein böser Mensch soll dir etwas Böses tun!« Daran glaubte er trotz wiederholter anonymer antisemitischer Drohungen in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Nur manchmal überlegte er traurig, ob er eines Tages vielleicht auch Deutschland wieder werde verlassen müssen. Sein letzter Wunsch, in Israel neben seinen Eltern und dem Bruder begraben zu werden, hängt wohl auch ein wenig damit zusammen.
Prediger, Rabbiner und Religionswissenschaftler, geb. 17.9.1851 Hliník (Ungarn), gest. 4.11.1922 Hamburg
L., Sohn eines Handwerkers, besuchte das Gymnasium in Sillein, betrieb aber auch intensive religiöse Studien an den Talmudhochschulen in Waitzen und Preßburg. Seine akademische Ausbildung absolvierte er seit 1871 an der Universität Wien, wo er sich zudem als Hörer am Bet ha-Midrasch der besonderen Förderung des Predigers Adolf Jellinek erfreute. L. wurde zunächst als Feldrabbiner eingesetzt und kam 1874 als Rabbiner nach Nordhausen. 1875 wurde er zum Landrabbiner im Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt ernannt. Seit 1883 wirkte er als Erster Prediger des religiös-liberalen Israelitischen → Tempelverbands [39] in Hamburg, der ihm 1907 den Titel eines Rabbiners verlieh. Gemeinsam mit seinem Kollegen Caesar Seligmann gelang es ihm eine Religionsschule zu begründen sowie Jugendgottesdienste einzuführen. Neben seiner Tätigkeit am Tempel leitete er seit 1917 regelmäßig Gottesdienste an der gemäßigt konservativen → Neuen Dammtor Synagoge [77], bis diese 1922 → Paul Holzer [203]als Rabbiner verpflichtete. L., der zahlreiche Kanzelreden und Religionslehrbücher veröffentlichte, machte sich durch wissenschaftliche Aufsätze und Monographien auch als Bibelforscher einen Namen. Er war zudem langjähriges Vorstandsmitglied im Hamburger Zweig des Vereins für jüdische Geschichte und Literatur. In Anerkennung seiner langjährigen Verdienste ernannte der Tempelverband L. zum Oberrabbiner, als dieser 1921 seinen 70. Geburtstag feierte.
Rabbiner, geb. 1857 in Czenstochau (Polen), gest. 1930 Altona
L. besuchte Talmudhochschulen in Biala (Russland) und in Eisenstadt (Ungarn), anschließend erwarb er in Fulda die deutsche Hochschulreife. Im Alter von 18 Jahren begann er in Berlin bei Esriel Hildesheimer am Berliner orthodoxen Rabbinerseminar zu studieren. Außerdem besuchte er die Universitäten Berlin und Leipzig, wo er Philosophie und orientalische Sprachen studierte und in Philosophie promovierte. Anschließend, 1884, trat er seine erste Rabbinerstelle in Winzenheim (Elsass) an, die er bis 1890 innehatte. Von 1890 bis 1894 war er Rabbiner der Federation of Synagogues in London. 1894 wurde er als Nachfolger von Elieser Loeb zum Oberrabbiner der → Hochdeutschen Israelitengemeinde Altona [19] gewählt, womit er auch das Oberrabbinat von Schleswig-Holstein besetzte. L. war Mitglied des deutschen rabbinischen Rats der Agudas Jisroel und gründete die Organisation Moriah, um ein jüdisches kulturelles Zentrum in Palästina zu etablieren. Er stand der Reformbewegung ablehnend gegenüber, was sich beispielsweise in seinen Äußerungen zu gesellschaftlichen Fragen wie dem Frauenwahlrecht oder in seiner negativen Haltung zur Aschenurnenbeisetzung auf jüdischen → Friedhöfen [34] zeigte. Neben seiner Tätigkeit als Oberrabbiner publizierte L. im Kontext des gesetzestreuen Judentums, so zum Beispiel in den Periodika Berliner Magazin für die Wissenschaft des Judenthums, Der Israelit, Jüdische Presse. Weite Verbreitung fand seine 1905 publizierte Schrift mit Gutachten zur Exhumierung und Aschenurnenbeisetzung. Mit der religionsgesetzlichen Zulässigkeit von Feuerbestattungen hatte er sich bereits in einer 1890 erschienenen Broschüre befasst. Weiterhin hat er eine Schrift über die Geschichte des jüdischen Gerichtshofs Altona (→ Gerichtsbarkeit [17]) publiziert.
(auch: Marek Rubin) Verleger und Journalist, geb. 15.4.1859 Kirngjan/Velschi (Russland), gest. 19.2.1926 Mentone (Schweiz)
1889 gründete L. in der Hamburger ABC-Straße 57 eine Buchdruckerei und Verlagsanstalt als Spezialdruckerei für Handel und Industrie. Dort ließ er nachfolgend auch verschiedene jüdische Periodika erscheinen (→ Zeitungswesen [81]): Das in ganz Deutschland weit verbreitete Israelitische Familienblatt wurde zwischen 1898 und 1938 (ab 1935 in Berlin) aufgelegt, bereits seit 1897 – als dessen Hamburger Lokalausgabe und quasi Organ der jüdischen Gemeinde – erschien das Hamburger Familienblatt für die israelitischen Gemeinden Hamburg, Altona, Wandsbek und Harburg. Beide Wochenzeitungen zeichneten sich durch eine neutrale und umfassende Berichterstattung, einen versöhnlichen Ton und finanziellen Erfolg aus. 1925 folgte das monatliche Gemeindeblatt der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] zu Hamburg, das bis 1938 erschien. Im Februar 1926 starb L. unerwartet mit 66 Jahren während eines Ferienaufenthalts in der Schweiz und wurde auf dem Begräbnisplatz der Gemeinde in Hamburg-Ohlsdorf beigesetzt. Mit der Begründung des Israelitischen Familienblattes, des ersten kommerziellen, nur durch Anzeigen getragenen und zugleich unparteiischen jüdischen Periodikums, leistete L. einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung der jüdischen Presse in Deutschland – über die Wirren des Ersten Weltkrieges und die unruhigen Anfangsjahre der Weimarer Republik hinweg. Mehr als alles andere prägte sein publizistisches Vorzeigeprojekt das Bild eines höflichen und zurückhaltenden, jedoch gleichermaßen bestimmten und kreativen Verlegers, der seinen Zeitgenossen als Idealtypus des »königlichen Kaufmanns« galt. Bemerkenswert sind auch L.s enge berufliche Bindung an die jüdische Gemeinde und sein Einsatz für den Gemeindefrieden.
Intendant, Musiker und Komponist, geb. 14.9.1910 Zürich, gest. 2.1.1999 Paris
L. ist vor allem als langjähriger Intendant der Hamburgischen Staatsoper bekannt. Während seiner zwei Intendanzen von 1959 bis 1973 und 1985 bis 1988 hat er die Staatsoper auf Weltniveau gehoben. Seine jüdische Herkunft trug er nicht wie ein Schild vor sich her, musste aber erfahren, dass sie aufgrund der politischen Entwicklung seinen Werdegang beeinflusste. Schon 1938 vertraute ihm sein Lehrer Hermann Scherchen in Wien nicht nur aufgrund seiner Begabung die Leitung des »Musica-viva«-Orchesters an, das überwiegend aus jüdischen Musikern bestand. Bei seiner Einstellung als Tonmeister am Radio Zürich (1944) meinte Direktor Jakob Job ihn auf seine besondere Verantwortung als »einziger Jude in der Schweizerischen Rundfunkgesellschaft« aufmerksam machen zu müssen. L. war sich bewusst, dass sich in der Nachkriegszeit seine Berufungen auf öffentliche Positionen als Politikum – im Sinne einer → Wiedergutmachung [162] – eigneten, doch fochten ihn solche Tatsachen nicht an. 1957 wurde er zum Leiter der Hauptabteilung Musik des Norddeutschen Rundfunks ernannt. Für L., dessen in Berlin lebende Familie wie viele seiner Freunde unter dem Naziregime gelitten hatte, zählte nur der Blick nach vorn. Es galt Künstlern und der Kunst zu helfen, um nachzuholen, was durch Verbote in der Hitlerdiktatur unmöglich gewesen war. In seiner zweijährigen Tätigkeit am NDR rief er Institutionen ins Leben, die bis heute Bestandteile im Programm des NDR sind – so der Jazz-Workshop oder die Reihe Podium der Jungen (»Podium Rolf L.«). Trotz der Schaffenspausen, die er sich während seiner Intendanzen in Hamburg und Paris (1959 bis 1988) auferlegte, hat L. ein reiches kompositorisches Werk hinterlassen. Grundlage seines Komponierens war die Zwölftontechnik, die er mit Elementen des Jazz kombinierte, unter Berücksichtigung klassischer Formen und unter Einbeziehen von Folklore und Unterhaltungsmusik.
Historiker, geb. 3.12.1893 Hamburg, gest. 28.10.1978 Crosby bei Liverpool
L. besuchte das Johanneum, studierte ab 1912 Alte Geschichte und Klassische Philologie an der Universität Berlin und hörte zugleich Vorlesungen an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums. Von 1914 bis 1916 an der französischen Front, kehrte er gesundheitlich geschädigt aus dem Krieg zurück. 1918 nahm er in Heidelberg das Studium wieder auf und wurde 1920 promoviert. Der Rückkehr nach Hamburg folgte eine Lehrtätigkeit an Realschulen, von 1928 bis 1934 an der Lichtwarkschule. 1921 wurde L. in die Religionswissenschaftliche Gesellschaft aufgenommen, 1922 war er Mitbegründer der Nehemia Nobel B’nai B’rith-Loge (→ Logenwesen [32]). Mit der → Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg [41] war er über → Fritz Saxl [42] eng verbunden. Einem Vortrag an der Bibliothek zu Hildegard von Bingen folgte 1929 die Habilitierung zu diesem Thema. 1934 aus dem Staatsdienst entlassen, widmete er sich verstärkt der Erwachsenenbildung der → Franz-Rosenzweig-Stiftung [37] und dem → Jüdischen Kulturbund [4]. Ab 1936 wirkte er als Dozent an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. Während der Reichspogromnacht 1938 (→ Novemberpogrom [22]) in Hamburg verhaftet, verbrachte L. vier Wochen im KZ Sachsenhausen. Unterstützt von Saxl, gelang ihm 1939 die Ausreise nach England. Nach Internierung auf der Isle of Man im Jahr 1940 konnte L. ab 1942 an verschiedenen Schulen Latein unterrichten. 1946 noch Assistant Lecturer, bekam er eine Anstellung als Reader an der University of Liverpool, wo er bis zu seiner Pensionierung mittelalterliche Geschichte unterrichtete. 1947 wurde L. britischer Staatsbürger. Er war 1955 Mitbegründer des Leo Baeck Instituts. Nach seiner Ernennung zum außerplanmäßigen Professor durch die Universität Hamburg im Rahmen der → Wiedergutmachung [162] hielt er von 1960 bis 1963 Vorlesungen in seiner Heimatstadt. Liebeschütz forschte zeitlebens über das Judentum und die europäische Zivilisation in ihrem gegenseitigen Verhältnis wie Verständnis.
Publizist und Schriftsteller, geb. 27.8.1905 Osnabrück, gest. 6.6.1966 Agarone (Tessin)
Als Sohn eines im Ersten Weltkrieg gefallenen Hamburger Kaufmanns wuchs L. nach dem Tod seiner Mutter 1918 bei einem Verwandten in Bielefeld auf und kehrte erst mit 21 Jahren in die Stadt seiner Kindheit zurück. Bis 1933 arbeitete er hier als freier Schriftsteller und Journalist, veröffentlichte mehrere erfolgreiche Romane und das Theaterstück Columbus, das 1932 im Hamburger Schauspielhaus uraufgeführt wurde. In Artikeln für die Weltbühne und das sozialdemokratische Hamburger Echo warnte L. früh vor den Gefahren des immer virulenter werdenden → Antisemitismus [31] und vor der erstarkenden NSDAP. Als stadtbekannter Feind der neuen Machthaber musste L. 1933 emigrieren (→ Emigration [16]), seine Bücher fielen im Mai 1933 der Bücherverbrennung zum Opfer. Er ging zunächst nach Frankreich und gelangte schließlich über Holland, Belgien und England in die USA. In den Jahren des Exils bemühte er sich, in seinen Romanen an den innerdeutschen Widerstand und an die Verfolgung Hamburger Antifaschisten zu erinnern. Als Berichterstatter für die Times kehrte L. 1947 nach Deutschland zurück, wo er nun auch für deutsche Zeitschriften zu arbeiten begann und die Hamburgerin Ruth Lilienstein kennen lernte. Nach der Hochzeit 1949 gründete das Paar zusammen die noch heute existierende und weltweit bekannte Literaturagentur Liepman. Als sich die Hoffnungen auf einen wirklichen, mit der NS-Vergangenheit brechenden gesellschaftlichen Neuanfang in der Bundesrepublik nicht erfüllten und sich stattdessen gegen Ende der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts neonazistische und vor allem antisemitische Vorfälle häuften, setzte sich L. wieder mit mehreren großen Artikeln zur Wehr. 1961 entschloss er sich zusammen mit seiner Frau, ein zweites Mal zu emigrieren und sich in Zürich niederzulassen, wo er bis zu seinem Tod als freier Publizist tätig war.
Jurist und Gemeindevorsteher, geb. 26.5. 1881 Hamburg, gest. 10./11.6.1943 Hamburg
L. stammte aus einem liberal-jüdischen Elternhaus. Sein Vater, Joseph Behr Lippmann, war 1870 aus Franken nach Hamburg gekommen und hier als Kaufmann tätig. L. besuchte zuerst das Realgymnasium, anschließend die Gelehrtenschule des Johanneums, an der er 1899 die Reifeprüfung bestand. Von Jugend an stand er dem religiösen Judentum fern, doch bekannte er sich zeitlebens zu seiner jüdischen Abstammung, sodass er die Taufe niemals in Erwägung zog. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft, Doktorat, Referendariat und Assessorexamen übertrug ihm die Hansestadt 1906 ein neu geschaffenes Referat in der Finanzdeputation. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde 1915 für die Lebensmittelversorgung Hamburgs ein Kriegsversorgungsamt aufgebaut, für dessen Verwaltungssystem L. als erster Referent die Grundlagen schuf. 1920 ernannte ihn der Senat der Stadt zum Senatssekretär. Als Staatsrat kehrte L. in die Finanzdeputation zurück, in der er bis 1933 den Aufbau einer einheitlichen und effizienten Steuerverwaltung betrieb. Im März 1933 forderte der neue Bürgermeister Krogmann (NSDAP) L. auf, unverzüglich ein Urlaubsgesuch einzureichen. Die Entlassung wurde später auf das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom April 1933 gestützt. In dem Bewusstsein, dass für ihn eine Rückkehr in den Staatsdienst undenkbar war, ließ sich L. im November 1935 in den Vorstand der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] wählen, wo er das Finanzressort übernahm. L.s Engagement erwies sich als ein Glücksfall für die Gemeinde, deren defizitären Haushalt er durch konsequente Reformen binnen kurzem zu sanieren verstand. 1937 übertrug die Gemeinde ihm das Amt eines Stellvertretenden Vorsitzenden. Eine mögliche → Emigration [16] lehnte er für sich und seine Frau ab. Nachdem die Gestapo der Gemeindeleitung am 10. Juni 1943 eröffnet hatte, die noch verbliebenen Juden würden in wenigen Tagen nach Theresienstadt deportiert werden, schied L. zusammen mit seiner Frau durch Freitod aus dem Leben.
Jurist und Staatsbeamter, geb. 2.9.1906 Hamburg, gest. 23.5.1989 Hamburg
Nach dem Studium der Rechtswissenschaft promovierte L. 1932 an der Universität Hamburg. Im selben Jahr erhielt er die Befähigung zum Richteramt. Seine Tätigkeit als Assessor in der hamburgischen Verwaltung musste er wenige Monate später aufgrund des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« beenden. Von 1934 bis 1938 war L. als Geschäftsführer einer Importfirma tätig. Nach der Pogromnacht wurde er zusammen mit etwa 1.000 anderen Juden für mehrere Wochen in dem Polizeigefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel inhaftiert. Seit 1939 arbeitete er als Justitiar in der Finanzabteilung des → Jüdischen Religionsverbands Hamburg [23]. Im Juni 1943 löste die Gestapo die verbliebenen jüdischen Gemeinden im Deutschen Reich auf. L. wurde, wie fast alle verbliebenen Mitarbeiter der Hamburger jüdischen Gemeinde, in das KZ Theresienstadt deportiert. Seine Eltern und Verwandten wurden ermordet, er selbst überlebte die KZ Theresienstadt, Auschwitz-Birkenau und Groß-Rosen (Außenlager Friedland). Im September 1945 trat L. wieder als Beamter in den hamburgischen Staatsdienst ein. 1946 übertrug ihm der Senat die Leitung des Amtes für → Wiedergutmachung [162] (und Flüchtlingshilfe). Nach Auflösung des Wiedergutmachungsamtes im Jahre 1949 blieb L. leitender Fachbeamter, zuletzt bis zu seinem Ruhestand im Jahre 1971 in der Sozialbehörde. L. gehörte als Vorstandsmitglied zu den prägenden Persönlichkeiten innerhalb der neu aufgebauten → Jüdischen Gemeinde nach 1945 [124]. Er war Vorsitzender im Jüdischen Gemeindefonds Nordwestdeutschland e.V., unterstützte die Kinder- und Jugend-Alija sowie die Solidaritätsaktion für Israel und hatte den stellvertretenden Vorsitz im Kuratorium des → Israelitischen Krankenhauses [134] inne.
Pädagoge und Hochschullehrer, geb. 15.6. 1896 Hamburg, gest. 26.1.1987 Brookline (USA)
L. hat sich in Hamburg bleibende Verdienste erworben: als Lehrer und als führendes Mitglied im Vorstand der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] während der ersten Jahre der NS-Herrschaft. L., Sohn des Pädagogen und Dichters → Jakob Loewenberg [130], studierte nach dem Besuch des Wilhelmgymnasiums u. a. an den Universitäten Berlin, Heidelberg und Hamburg. Von 1916 bis 1918 wurde sein Studium durch den Militärdienst unterbrochen. 1921 erhielt er die Lehrbefähigung für Deutsch, Französisch und Spanisch; im gleichen Jahr promovierte er. Von 1921 bis 1934 unterrichtete L. an der Lichtwarkschule in Hamburg. Neben dieser Tätigkeit lehrte er an der Universität Deutsche Literatur. 1934 wurde er als Jude aus dem öffentlichen Schuldienst entlassen. Die → Talmud Tora Oberrealschule [38] stellte ihn unter der Bedingung ein, dass er »in Lehre und Leben auf dem Boden des überlieferten Judentums« stehe. Das traf zu: L. hatte sich von seiner religiös liberalen Haltung abgewandt und war zum traditionellen Judentum zurückgekehrt. So war er besonders befähigt, solchen Schülern zu helfen, die vorher öffentliche Schulen besucht hatten, aus religiös indifferenten oder liberalen Elternhäusern kamen und sich zunächst in der jüdischen Atmosphäre der Talmud Tora Schule nur schwer zurechtfinden konnten. Bei der überaus schwierigen Arbeit der Jahre 1934 bis 1938 unterstützte er den Direktor der Schule → Arthur Spier [204]. Außerdem wirkte er als Vorsitzender des Repräsentanten-Kollegiums und stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der Gemeinde (→ DIG [18]). Besonders setzte er sich für die Organisation »Hilfe und Aufbau« ein, die der schulischen und allgemeinen Vorbereitung für die → Emigration [16] diente. Er selbst wanderte im Herbst 1938 mit seiner Frau und seinen drei Söhnen in die USA aus. Von 1940 bis 1962 lehrte er an der angesehenen Groton School (Massachusetts), von 1962 bis 1965 war er Hochschullehrer an der Brandeis University in Waltham.
Schriftsteller und Pädagoge, geb. 9./16.3. 1856 Niederntudorf, gest. 7.2.1929 Hamburg
Als Schriftsteller und Pädagoge genoss L. vor und nach der Wende zum 20. Jahrhundert weit über Hamburg hinaus große Popularität. Nach seiner Schulzeit hatte L. zunächst ein Lehrerseminar besucht, danach ein Studium der Sprachen und Germanistik in Marburg und Heidelberg absolviert und dieses 1886 mit der Promotion abgeschlossen. Er kam 1886 nach Hamburg und unterrichtete anfänglich an einer kirchlichen Realschule in Sankt Pauli. 1892 wurde er Leiter und Besitzer der privaten Höheren Mädchenschule von Moritz Katzenstein (44). Diese Schule entwickelte er zu einer Reformanstalt im Sinne der Kunsterziehungsbewegung. Den ästhetischen Fächern kam eine besondere Bedeutung zu, künstlerische Aufführungen und eine enge Verbindung von Elternhaus und Schule kennzeichneten das Profil dieser Schule. Die Anstalt stand Mädchen aller Konfessionen offen, ca. 20 Prozent der Schülerinnen stammten aus einem christlichen Elternhaus. Auch als Autor machte sich L. einen Namen. Seine eigene Symbiose von Deutschtum und Judentum schilderte er in seinem autobiographischen Roman Aus zwei Quellen, den er 1914 veröffentlichte. Seine erfolgreichste literarische Publikation war die von ihm herausgegebene Gedichtanthologie Vom goldenen Überfluss. Neben Lyrik veröffentlichte er Prosa, Dramen, Kinderliteratur und pädagogisches Schrifttum. Nach 1933 wurde sein literarisches Werk zunächst verdrängt, relativ bald dann vergessen. In besonderem Maße engagierte sich L. auch als Vermittler von Literatur und Kultur. Er war Gründungsmitglied der Literarischen Gesellschaft und aktives Mitglied der Lehrervereinigung zur Pflege der künstlerischen Bildung. Zu seinen engen Freunden gehörten bekannte Schriftsteller wie Richard Dehmel, Gustav Falke, Detlev von Liliencron und Otto Ernst. Als hingebungsvoller Pädagoge engagierte sich L. in den Vertretungen der Hamburger Lehrerschaft, nach 1918 auch im Lehrerrat und in der Lehrerkammer. Darüber hinaus trat er als Vertreter der Privatschulen auf. Aus der 1895 geschlossenen Ehe mit Jenny gingen drei Kinder hervor. Nach L.s Tod übernahm sein Sohn Ernst die Leitung der Schule, doch zwangen ihn wirtschaftliche Gründe 1931 zur Schließung der Anstalt. In der Johnsallee befindet sich heute eine Erinnerungstafel am letzten Gebäude der Loewenberg-Schule. Seit 1952 gibt es im Stadtteil Iserbrook eine nach L. benannte Straße.
1843 riefen aus Deutschland stammende Juden in New York den Independent Order of B’nai B’rith (Söhne des Bundes) als jüdischen Orden ins Leben, der sich vor allem karitativen Zielen widmete. 1882 wurde in Berlin erstmals eine B´nai B´rith-Loge auf europäischem Boden gegründet. In Hamburg konstituierte sich die erste Loge des Ordens im Januar 1887.
Benannt war sie nach einem der Gründer des Ordens in Amerika, Henry Jones, einem gebürtigen Hamburger. Die Gründung einer ausschließlich jüdischen Loge stieß in Hamburg anfänglich auf Widerstände in der jüdischen Öffentlichkeit, da hier – anders als in den meisten Teilen des Deutschen Reiches – nichtjüdische humanitäre Freimaurerlogen seit 1841 auch Juden als Mitglieder aufnahmen. Die Henry Jones-Loge entwickelte sich unter dem langjährigen Vorsitz von → Gustav Tuch [151] rasch zu einer einflussreichen Vereinigung innerhalb der jüdischen Öffentlichkeit Hamburgs, die – in kritischer Sympathie mit der zionistischen Bewegung (→ Zionismus [45]) – zahlreiche Aktivitäten entfaltete, um eine säkulare deutsch-jüdische Identität zu unterstützen. Die Unterstützung der aus Osteuropa emigrierenden Juden gehörte anfänglich zu den zentralen Aktivitäten der Loge. Die Frauenvereinigung der Loge, der → Israelitisch-humanitäre Frauenverein [144], engagierte sich in der Bekämpfung des Mädchenhandels in Osteuropa. Das 1904 eröffnete Logenheim in der Hartungstraße (92) entwickelte sich zu einem Mittelpunkt des jüdischen Lebens in Hamburg. Die Loge initiierte eine Reihe von Vereinsgründungen, so eines Jugendverbandes, des Hamburgischen Vereins für jüdische Literatur und Geschichte und der → Gesellschaft für jüdische Volkskunde [82]. Sie waren Teil der Bestrebungen des Ordens, ein modernes, nicht ausschließlich religiöses Selbstverständnis vom Judentum zu schaffen. 1909 und 1922 wurden zwei weitere B´nai B´rith-Logen in Hamburg gegründet, die Steinthal-Loge und die Nehemias Nobel-Loge. Den drei Hamburger Logen gehörten 1922/23 insgesamt 487 jüdische Männer an. Im April 1937 wurde der Unabhängige Orden B´nai B´rith in Deutschland wegen »staatsfeindlicher Umtriebe« aufgelöst und sein gesamtes Vermögen durch den NS-Staat beschlagnahmt.
Maler und Künstler, geb. 2.4.1895 Hamburg, gest. 8.1.1940 London
Als ältestes von insgesamt vier Kindern des Architekten Alfred Löwengard und seiner Frau Jenny, geborene Kanitz, wurde L. bereits kurz nach der Geburt evangelisch getauft. Eine Rückbesinnung auf die jüdischen Wurzeln erfolgte erst nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Die erste künstlerische Ausbildung erhielt L. 1912 bis 1914 bei Arthur Siebelist, dem Mitglied des Hamburgischen Künstlerclubs von 1897. Von 1914 bis 1918 nahm er als Soldat am Ersten Weltkrieg teil. Von März 1919 bis Ende 1920 setzte L. sein Kunststudium am Bauhaus in Weimar fort. Anschließend wanderte er durch Spanien und Frankreich. In Hamburg entstanden ausdrucksstarke Holz- und Linolschnitte insbesondere für expressionistische Zeitschriften wie Die Rote Erde und Das neue Hamburg. [205]L. gehörte zum Umfeld der elitären Hamburgischen Sezession, deren Mitglied er 1927 bis 1933 war. Gegenüber dem ekstatischen Expressionismus beruhigte sich seine Formensprache immer mehr. Zahlreiche Aquarelle und wenige Ölbilder zeigen vor allem Landschaftsdarstellungen. Ein großer Teil seines Werkes gilt als verschollen. Einige seiner Arbeiten vernichtete der Künstler eigenhändig, da sie seinen hohen Qualitätsansprüchen nicht genügten. L. nahm an zahlreichen Ausstellungen teil, verkaufte viele Bilder und wirkte am kulturellen Leben der Hansestadt mit, unter anderem auf den legendären Künstlerfesten. Veranlasst durch die Einschränkungen infolge der politischen Veränderungen nach 1933, engagierte er sich als Mitglied des → Jüdischen Kulturbundes [4] und wanderte 1939 nach London aus (→ Emigration [16]). Dort traf er auf ebenfalls emigrierte Hamburger, aber die finanzielle und künstlerische Unsicherheit bedrückte ihn. Im Alter von 44 Jahren verstarb L. an einer schweren Krankheit.
geb. Loewy, Richterin, geb. 7.2.1905 Berlin, gest. 2.7.1994 Hamburg
M. entstammte einer bürgerlichen jüdischen Kaufmannsfamilie aus Berlin. Geprägt wurde ihr Lebensbild von ihren drei Brüdern, die sich früh dem → Zionismus [45] anschlossen. Nach dem Abitur studierte M. zunächst Nationalökonomie in Berlin, widmete sich aber später den Rechtswissenschaften. 1932 bestand sie das Assessorexamen. Nach kurzer Zeit als Richterin in Berlin wurde sie aufgrund des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« im März 1933 entlassen. Sie arbeitete einige Monate als Rechtsanwältin, bis ihr die Zulassung entzogen wurde. 1938 emigrierte sie nach Haifa (Palästina). Ihren Beruf konnte sie dort nicht ausüben, engagierte sich aber in sozialen Einrichtungen. So amtierte sie u. a. einige Jahre als Leiterin des Sozialwerkes der deutschen Einwanderer-Gesellschaft (Histadrut Oleij Germania) und unterstützte außerdem eine Frauenorganisation zum Schutze der orientalischen Jüdinnen. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Juristen Fritz Manasse, kehrte sie 1949 nach Deutschland zurück und zog nach Hamburg. Hier wurde sie zunächst Referentin im Amt für → Wiedergutmachung [162], bevor sie 1952 wieder zur Richterin berufen wurde. Von 1962 bis zu ihrer Pensionierung war sie Landgerichtsdirektorin. Seit 1953 versah M. ehrenamtliche Tätigkeiten in der Hamburger → Jüdischen Gemeinde [124], deren Beirat sie zunächst als Mitglied, von 1976 bis 1989 dann als Vorsitzende angehörte. Ihr besonderes Interesse galt der von ihr 1972 gegründeten »Gruppe der Älteren« innerhalb der Hamburger Jüdischen Gemeinde, die sie bis zu ihrem Tod leitete. M. hatte überdies zahlreiche Ehrenämter inne: Sie war langjährige Vorsitzende des Frauenhilfswerks des Magen David Adom (Roter Davidstern) in Hamburg, jüdische Vorsitzende der → Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit [127] sowie Mitglied in nationalen und internationalen Juristinnenorganisationen.
(auch: Miriam, Marianne), Pädagogin und Schulleiterin, geb. 16.8.1844 Hamburg, gest. 22.4.1930 Hamburg
M. gehört zu den Hamburger Pädagoginnen, die sich um die Mädchen- und Frauenbildung besonders verdient gemacht haben. Die Tochter eines Kaufmanns wuchs nach dem frühen Tod der Mutter bei Pflegeeltern auf. Sie besuchte gemeinsam mit christlichen Schülerinnen eine private Mädchenschule und bereitete sich in Seminarkursen und autodidaktisch auf den Lehrerinnenberuf vor. Nach erster Praxiserfahrung an einer privaten höheren Mädchenschule und als Erzieherin bei einer Familie wurde sie 1868 zur Vorsteherin der Unterrichtsanstalt für arme israelitische Mädchen (42) berufen, einer 1798 aus dem Geist der Aufklärung gegründeten Stiftungsschule. Die Begegnung mit Kindern aus sozial schwachen Familien festigte in ihr die Überzeugung, dass man dieser Benachteiligung durch eine gründliche Bildung und Erziehung entgegenwirken müsse. Als weitere wichtige soziale Aufgabe erkannte sie die Einrichtung von Erholungsheimen und Ferienkolonien für die oft kränklichen, schlecht ernährten Kinder. 1884 wurde M. zur Vorsteherin der Israelitischen Töchterschule (89) ernannt, die aus der Zusammenlegung der israelitischen Mädchenschule von 1798 und der Mädchen-Armenschule (43) der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] entstanden war (→ Schulwesen [80]). Damit hatte sie als Direktorin einer großen, von 400 bis 500 Schülerinnen besuchten Schule eine einzigartige Position in Hamburg inne, da Frauen sonst höchstens kleine Privatschulen leiteten. Gegen zahlreiche Widerstände setzte sie einen anspruchsvollen Lehrplan für ihre Mädchen-Volksschule durch, um Standesunterschiede und die Bildungskluft zwischen Volksschülerinnen und »höheren Töchtern« zu überwinden. Erfolgreich erprobte sie an ihrer Schule moderne, reformpädagogische Unterrichtsmethoden. Die 1908 von ehemaligen Schülerinnen gegründete Mary-M.-Stiftung stellte sie für die Berufsausbildung bedürftiger Schulabgängerinnen zur Verfügung. 1924 trat sie in den Ruhestand. In Hamburg-Bergedorf erinnert seit 1985 die »Mary-M.-Kehre« an die Reformerin der jüdischen Mädchenbildung in Hamburg.
Orientalist und Bibliothekar, geb. 27.1.1875 Rybinsk (Wolga), gest. 28.3.1949 London
M., der aus einer russisch-jüdischen Großkaufmannsfamilie stammte, studierte ab 1896 Orientalistik und Jura an den Universitäten St. Petersburg und Berlin, wo er sich zugleich am orthodoxen Rabbiner-Seminar einschrieb. Von 1901 bis 1917 arbeitete er als Bibliothekar in der hebräischen Abteilung der Kaiserlichen Öffentlichen Bibliothek in St. Petersburg. Zwischen 1918 und 1920 lehrte er als Dozent für Jüdische Studien an der St. Petersburger Universität, seit 1922 bekleidete er ein Ordinariat an der Universität in Minsk. 1924 verließ M. Russland und ging nach Berlin. Hier hielt er zunächst Gastvorlesungen am Rabbiner-Seminar, seit 1926 beteiligte er sich als Redakteur und Mitarbeiter an verschiedenen jüdischen Lexika und Enzyklopädien, für die er mehrere hundert Artikel verfasste. Nach Hamburg kam M. 1928, nachdem ihm die → Deutsch-Israelitische Gemeinde [18] die Leitung der → Jüdischen Bibliothek und Lesehalle [83] angetragen hatte. Dank seiner wissenschaftlichen Kontakte trug er maßgeblich zum Auf- und Ausbau der Bibliothek bei. Zudem veröffentlichte er Aufsätze zur Geschichte der Hamburger Juden und war aktiv in der Erwachsenenbildung, veranstaltete Kurse in der → Franz-Rosenzweig-Gedächtnisstiftung [148] und nahm als Mitglied der Hamburger Beerdigungsbrüderschaft (→ Beerdigungswesen [85]) und der Steinthal-Loge (→ Logenwesen [32]) am gemeindlichen Leben teil. 1938 wurde er als jüdischer Bürger der Sowjetunion aus Deutschland vertrieben. Nach einem Aufenthalt in Amsterdam gelang ihm 1940 die Flucht nach Großbritannien, wo er dem Montefiore College in Ramsgate beitrat. Für die Commission for European Jewish Cultural Reconstruction beschrieb er die Kulturgutverluste der Hamburger, Altonaer und Wandsbeker Bibliotheken und Einrichtungen.
Wirtschaftspublizist, geb. 21.2.1858 London, gest. 7.7.1933 Hamburg
Als Publizist seiner statistisch gewonnenen Erkenntnisse in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften fand M. in der Zeit von 1895 bis 1920 großes Interesse weit über Hamburg hinaus. Seine Kindheit in Hamburg im Kreis von sieben Geschwistern wurde durch den Tod des Vaters Simon May 1866 jäh unterbrochen. Dieser war Textilgroßhändler mit Großbürgerbrief und als Registrator und Vorsteher der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18]hoch geachtet gewesen. Raphael Ernst kam zu Verwandten nach Frankfurt a. M., wo er den Besuch einer jüdischen Oberschule mit mittlerer Reife beendete und eine Kaufmannslehre im Metallhandel abschloss. Nach verschiedenen in- und ausländischen Stationen als Kaufmann heiratete er in London Blanche Adler und übersiedelte 1889 wieder nach Hamburg. Hier wurden Tochter und Sohn geboren. Als Teilhaber und späterer Alleineigentümer der Firma Alexander Jahn & Co., Zuckergroßhandel, handelte er erfolgreich im risikoreichen Termin-Warengeschäft, in dem es hauptsächlich auf die umfassende Berücksichtigung von Informationen ankommt. Zusammenfassungen solcher Informationen veröffentlichte er wochenweise in den Handelsteilen Hamburger und Berliner Zeitungen, fand damit immer größere Beachtung und brachte daraufhin seit 1895 Jahresberichte zur allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung heraus. M. hatte beobachtet, dass der Massenkonsum anwuchs, die marxistische Vorhersage von der langsamen Verelendung der Arbeiter also nicht eintraf. Während des großen Streiks der Hamburger Hafenarbeiter 1896/97, deren berechtigte Forderungen nach verbesserten Arbeitsbedingungen M. unterstützte, suchte er die Zusammenarbeit mit Gewerkschaftsfunktionären, besonders mit dem Führer der Tabakarbeiter und sozial-demokratischen Reichstagsabgeordneten Adolf von Elm. M. war der Mentor für die 1898 erfolgte Gründung des Konsum-, Bau- und Sparvereins »Produktion«. In der veröffentlichten Gründungsgeschichte wurde durch Elms Einflussnahme M.s Anteil stark geschmälert, was diesen zeitlebens gekränkt hat. Zugleich stand M. in bleibendem freundschaftlichen Kontakt zu Eduard Bernstein und versorgte ihn mit statistisch begründeten Argumenten zur Marx-Kritik. Von 1900 an widmete sich M. nur noch seinen Publikationen, die als Aufsätze in renommierten Fachzeitschriften wie Schmollers Jahrbuch, Preußische Jahrbücher, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Finanzarchiv usw. oder als eigene Buchveröffentlichungen erschienen. Themen waren das Volkseinkommen, der Konsum, Steuern und demographische Fragen. Seit Beginn des Ersten Weltkrieges arbeitete er ehrenamtlich in der Hamburger Nachrichtenstelle des preußischen Generalstabes über Außenwirtschaft und Ernährungslagen. Als Militärkreise behaupteten, Juden würden sich vom Fronteinsatz drücken, verfasste M. 1917 eine dies widerlegende Konfessionelle Militärstatistik. Während der Weimarer Republik veröffentlichte M. zahlreiche Erhebungen zur Lage der jüdischen Bevölkerung im Gemeindeblatt der Deutsch-Israelitischen Gemeinde in Hamburg. Als er am 7. Juli 1933 in Hamburg starb, beteiligten sich nur wenige an seinem Begräbnis, die Angehörigen übersiedelten nach England.
Bankier, geb. 13.10.1871 Hamburg, gest. 30.12.1933 Hamburg
M.s Vater Moritz war Mitglied der Bürgerschaft und stammte in vierter Generation aus einer jüdischen Gelehrten- und Kaufmannsfamilie. Die Mutter Emilie war eine geborene Rée. M. studierte seit 1890 Rechtswissenschaft, promovierte 1893 und erwarb 1897 in Hamburg die Befähigung zum Richteramt. 1902 beantragte er seine Entlassung als Amtsrichter und ließ sich als Rechtsanwalt nieder. Noch im selben Jahr berief ihn → Max M. Warburg [24] zum Syndikus des Bankhauses M. M. Warburg. 1911 wurde M. dessen Generalbevollmächtigter, 1917 Teilhaber. In den deutsch-russischen Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk 1917/18 wurde er als Finanzberater Mitglied der deutschen Delegation. Auf Empfehlung von Max Warburg, der diese Aufgabe für sich abgelehnt hatte, wurde M. 1919 in den Friedensverhandlungen von Versailles als wirtschafts- und finanzpolitischer Vertreter einer der sechs Hauptdelegierten. Als die Alliierten unzumutbare Bedingungen stellten, empfahl er der Reichsregierung die Nichtannahme und trat von seiner Aufgabe zurück. Angebote, als Finanzminister in die Reichsregierung einzutreten, lehnte M. mit dem Hinweis auf zu befürchtende antisemitische Agitationen ab. In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde M. mehrfach von staatlicher Seite beauftragt, auf zahlreichen internationalen Konferenzen die deutschen Interessen mit dem Ziel zu vertreten, Deutschland von den Reparationen des Versailler Vertrages zu entlasten. Nach dem Beitritt Deutschlands zum Völkerbund wurde M. 1926 Mitglied der Finanzkommission, 1928/29 deren Vorsitzender. 1929 wurde er zum stellvertretenden Vorsitzenden der deutschen Delegation auf der Pariser Reparationskonferenz berufen. An den Haager Reparationskonferenzen von 1929 und 1930 nahm er als Sachverständiger teil. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten trat M. im April 1933 von allen offiziellen Ämtern zurück. M., der Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei war, gehörte der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] in Hamburg sowie dem liberalen → Tempelverband [39] an. War er in seinem Engagement zugunsten jüdischer Belange zunächst zurückhaltend gewesen, so änderte er diese Haltung mit dem politischen Aufstieg des Nationalsozialismus. 1932 gründete er den Zentralausschuss der deutschen Juden für Hilfe und Aufbau mit, ein Zusammenschluss aller jüdischen Wohlfahrts- und Auswanderungsorganisationen, und übernahm zusammen mit Ludwig Tietz dessen Geschäftsführung. Der Zentralausschuss kann als einer der Vorläufer der Reichsvertretung der deutschen Juden gelten, an deren Gründung M. im September 1933, wenige Monate vor seinem Tod, ebenfalls beteiligt war. 1984 stiftete die deutsche Bundesregierung an der Hebräischen Universität Jerusalem den »Carl-Melchior-Lehrstuhl«.
Kantor, Übersetzer und Notar, geb. 1754 Amsterdam, gest. 25.11.1826 Amsterdam
Der Sefarde M. absolvierte neben einem Studium an der Universität Leiden auch eine Ausbildung an der Talmudschule seiner Geburtsstadt. Seit 1772 im Hamburger Raum ansässig, war M. nicht nur als Kantor – erst in der Altonaer, seit den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts dann auch in der Hamburger → Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde [2] – tätig, sondern arbeitete auch als Übersetzer (für Hebräisch, Portugiesisch und Niederländisch). Zudem wirkte er als kaiserlicher Notar in Hamburg und bekleidete damit ein öffentliches Amt, das nach der Reichsnotariatsordnung von 1512 eigentlich Christen vorbehalten war. Vermutlich waren pragmatische Gründe ausschlaggebend dafür, dass der Senat M.s Ausübung dieses Berufs stillschweigend duldete, war doch M. als Jude in besonderer Weise geeignet, den spezifischen Bedürfnissen der jüdischen Gemeinden im Rechtsleben (Errichtung von Testamenten, Eheverträgen u. Ä. m.) gerecht zu werden. M. blieb bis 1818 als Notar in Hamburg tätig, nachdem seine Stellung nicht nur 1811 während der Okkupation Hamburgs durch das französische Kaiserreich, sondern auch 1816 auf der Grundlage einer neuen städtischen Notarordnung bestätigt worden war. M. betätigte sich überdies auch als Philologe und Dichter: 1785 gab er eine portugiesische Grammatik heraus, veröffentlichte 1794 eine Lobrede auf den dänischen König (in portugiesischer, hebräischer und deutscher Sprache) und hielt 1805 die hebräische Trauerrede auf den in Hamburg verstorbenen jüdischen Aufklärer Naphtali Hartwig (Herz) Wessely. Bis 1822 war M. nachweislich noch als Übersetzer in Hamburg tätig.
Kaufmann und Senator, geb. 19.5.1872 Hamburg, gest. 10.8.1942 Theresienstadt
Seinem Erfolg als Genossenschaftskaufmann verdankte es Mendel, dass ihn die SPD für zwei Perioden in den Hamburger Senat wählen ließ.
Die Familie Mendel war seit Ende des 18. Jahrhunderts in Hamburg ansässig. Der Vater Moritz (1837-1893) betrieb Großhandel mit Steinkohlen und Sackleinen. 1886 musste Max M. das Realgymnasium des Johanneums wegen einer schweren Krankheit mit bleibender Gehbehinderung verlassen. Sein älterer Bruder Joseph, ein Privatlehrer, unterrichtete ihn und machte ihn mit der sozialistischen Ideenwelt und mit sozialdemokratischen Persönlichkeiten bekannt. Neben der Kaufmannsarbeit in der väterlichen Firma studierte M. einige Semester Ökonomie und Sozialwissenschaft in Berlin. 1900 wurde er Mitglied und Schriftführer des Aufsichtsrates des Konsum-, Bau- und Sparvereins »Produktion«, in dessen Vorstand er 1909 berufen wurde. Die von der hamburgischen Bürgerschaft 1911 beschlossene Sondersteuer für Konsumgenossenschaften konterte M. durch die Gründung einer eigenen Handelsgesellschaft »Produktion« mit dem Verkauf an jedermann. Seit 1920 war M. leitender Geschäftsführer sowohl der Genossenschaft wie der Handelsgesellschaft, mit Verflechtungen zu kommunalen und gewerkschaftlichen Unternehmen. 1921 hatte die SPD ihn wegen seiner anerkannten Wirtschaftskompetenz in die Finanzdeputation und 1925 in den Senat entsandt. Die Deutschnationale Volkspartei bediente sich im Wahlkampf 1928 des antisemitischen Bildes vom Moloch »Produktion«. Wegen seiner gemeinwirtschaftlichen Aktivitäten wurde er zudem aus den eigenen Reihen angegriffen und Ende 1928 zur Aufgabe seiner Ämter in der »Produktion« veranlasst. 1929 trat er vorzeitig von seinem Senatorenamt zurück, zusammen mit → Carl Cohn [179] von der Deutschen Demokratischen Partei als damals letzte jüdische Senatoren. Die offenbar antisemitischen Gründe dafür sind bisher nicht aufgedeckt. Dem Verlust der Ämter folgte die politische Isolierung. 1942 wurde M. in das KZ Theresienstadt deportiert.
Schriftsteller, geb. 10.9. oder 4.10.1817 Jever, gest. 4.4.1856 Hamburg
Die Familie Mendelssohn stammte aus dem oberfränkischen Ort Horb am Main. Zeitweise wohnte der Vater mit den Söhnen Joseph und Salomon in Hamburg. Dort besuchten beide Kinder die → Israelitische Freischule [139], Joseph von 1823 bis 1831. In Braunschweig absolvierte er dann eine Schriftsetzerlehre bei Friedrich Vieweg, in dessen Verlag er bis 1839 als Setzer tätig war. Sein erstes schriftstellerisches Werk Blüthen. Gedichte und Novellen eines Schriftsetzers veröffentlichte er 1839 bei Julius Campe in Hamburg. Unterstützt von dem Bankier → Salomon Heine [36], lebte er von 1839 bis 1841 in Paris, wo er unter anderem seine Pariser Briefe verfasste. In ihnen schilderte er Theater, Literatur, Politik und Gesellschaft in der französischen Metropole, die ihn faszinierte, und charakterisierte Victor Hugo, Alexandre Dumas und Heinrich Heine, die er in dieser Zeit kennen gelernt hatte. 1842 verfasste er eine Biographie des beliebten Thronfolgers Ferdinand Philipp, Herzog von Orléans, der bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Nach seiner Rückkehr aus Frankreich war M. als Schriftsteller und Journalist in Hamburg tätig. 1844 schrieb er ein Lebensbild Salomon Heines, das kurz nach dessen Tod erschien und rasch drei Auflagen erlebte. 1845 erschien das Buch Eine Ecke Deutschlands. Reisesilhouetten, Oldenburger Bilder, Charaktere und Zustände, in dem er auch die Situation der Juden im Großherzogtum Oldenburg beschrieb. 1846 heiratete M. Radisch (Rose) Berendsohn, die Tochter des Buchhändlers und Verlegers Bernhard Salomon Berendsohn, die noch im selben Jahr im Wochenbett starb. M. arbeitete bis zu seinem Tod 1856 weiter als Journalist und Bühnenautor. Eine Gesamtwürdigung seines schriftstellerischen und journalistischen Schaffens steht noch immer aus.
Publizistin, geb. 26.4.1905 Hamburg, gest. 18.3.1993 Port Orange (USA)
M., deren Eltern ein Flaggengeschäft mit einem Atelier für Handstickerei besaßen, besuchte zunächst die Israelitische Töchterschule in der Karolinenstraße und anschließend das Oberlyzeum (→ Schulwesen [80]), wo sie erstmalig judenfeindliche Ausfälle erlebte. Um für ihr Judentum eintreten zu können, studierte sie an der Universität Hamburg Geschichte und Ethik des Judentums, allgemeine Geschichte, Philosophie, Literatur und Kunstgeschichte. Auf der Suche nach Bündnispartnern im Kampf gegen den → Antisemitismus [31] nahm sie unter anderem Kontakt zu Franz Rosenzweig, Martin Buber und Leo Baeck auf, um zusammen das »jüdische Erbe« gegen den zunehmenden Judenhass einzusetzen. Zu diesem Zweck engagierte sie sich als Leiterin einer Arbeitsgemeinschaft zu »Deutsch-Jüdischen Grundfragen« in der Deutsch-Jüdischen-Jugend (D.J.J.), der Jugendorganisation des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Bereits früh erkannte sie die Gefahren des aufkommenden Nationalsozialismus und beriet alleinstehende Jugendliche in Fragen der → Emigration [16]. Neben diesen innerjüdischen Aktivitäten versuchte sie durch Vorträge in nichtjüdischen Kreisen dem Antisemitismus entgegenzuwirken. Bald erweiterte M. ihr Forum, indem sie in zahlreichen jüdischen Zeitschriften publizierte. Seit 1936 betrieb M. für sich selbst und ihre Familie die Emigration in die USA. Nach der Übersiedlung arbeitete sie anfänglich als Näherin in einer Fabrik. Später kehrte sie zu den kunsthandwerklichen Wurzeln ihrer Familie zurück und begründete eine Firma für Modeschmuck. Ihrem Engagement in jüdischen Belangen blieb sie auch in den USA treu: So war sie für den National Council of Jewish Women tätig und begründete einen Arbeitskreis für jüdisch-christliche Verständigung. Für ihr Engagement erhielt M. in den USA zahlreiche Auszeichnungen.
Rechtsanwalt und Widerstandskämpfer, geb. 3.9.1898 Hamburg, gest. 14.6.1939 Berlin
M., Sohn eines Börsenvertreters, besuchte die → Talmud Tora Realschule [38] und die Oberrealschule in Eimsbüttel, an der er 1916 das Abitur ablegte. Von Juni 1917 bis August 1918 nahm er am Ersten Weltkrieg teil. Anschließend absolvierte er eine juristische Ausbildung und ließ sich 1928 als Rechtsanwalt in Hamburg nieder. Im Mai 1933 wurde ihm die Zulassung als Rechtsanwalt wegen seiner jüdischen Herkunft entzogen. Nachdem er den Nachweis geführt hatte, dass er »Frontkämpfer« gewesen war, wurde die Rücknahme der Zulassung auf kommunistische Betätigung gestützt: M. war seit 1924 Mitglied der KPD und hatte von 1928 bis 1930 im Auftrag der kommunistischen Hamburger Volkszeitung juristische Sprechstunden abgehalten. Von Mai 1933 bis September 1935 verbüßte M. eine Gefängnisstrafe wegen Betruges in Lübeck. Hier lernte er den Eisendreher Bruno Rieboldt und den Schlosser Dagobert Biermann kennen. Nach ihrer Haftentlassung trafen sie sich in Hamburg wieder. Rieboldt und Biermann hatten aus ihrer Arbeit bei Hamburger Werften Kenntnisse über den Bau von Flugzeugmotoren und Kriegsschiffen sowie über Waffenlieferungen an das Franco-Regime im Spanischen Bürgerkrieg. Mit Hilfe der Kontakte, über die M. zu KPD-Mitgliedern in der Schweiz verfügte, sollte das Ausland über die deutsche Aufrüstung und militärische Unterstützung Francos unterrichtet werden. Ende März 1937 wurde die Gruppe verhaftet. Durch Urteil des Volksgerichtshofs wurde M. wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens im März 1939 zum Tode verurteilt und drei Monate später in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Tänzerin, Choreographin und Tanzpädagogin, geb. 24.12.1907 Hamburg, gest. 27.6.1996 Hamburg
Ihren ersten Tanzunterricht erhielt M. als Siebenjährige. Nach Abschluss ihrer Schulzeit und einer kaufmännischen Lehre begann sie 1926 eine Ausbildung bei Rudolf von Laban und Albrecht Knust in Berlin und Hamburg. Zwei Jahre später eröffnete sie ihre erste Milee-Schule in Hamburg an der Rothenbaumchaussee. 1930 wurde sie von Kurt Jooss als Volontärin an die Folkwangschule Essen eingeladen, wo sie in mehreren seiner berühmten Produktionen zu sehen war. 1931 kehrte sie an ihre Schule zurück. Im 1934/35 gegründeten → Jüdischen Kulturbund Hamburg [4] übernahm sie die Verantwortung für den Tanz. Gemeinsam mit ihren Schülerinnen gestaltete sie mit großem Erfolg eigene Abende, trat im Kabarett → Willi Hagens [201] auf und schuf die tänzerischen Einlagen im Schauspiel. Zukunftsorientiert engagierte sie sich für eine fundierte Ausbildung des nunmehr ausschließlich jüdischen tänzerischen Nachwuchses. Nach der vorläufigen Schließung des Hamburger Kulturbundes übersiedelte sie 1939 nach Berlin und war im dortigen Kulturbund erneut als Tänzerin und Choreographin tätig. Im Oktober 1939 verließ sie mit Hilfe einer italienischen Tanzkompanie Deutschland. Über Italien und Portugal emigrierte sie nach Paraguay und übernahm in Ascuncion die Leitung einer von ihr angeregten Tanzabteilung an der Akademie für Theater, Musik und Malerei. Neben ihrer Lehrtätigkeit hatte sie zahlreiche Auftritte. 1959 kehrte sie in ihre Heimatstadt zurück und eröffnete erneut eine Milee-Schule für klassischen und modernen Tanz, Folklore, Jazztanz und Gymnastik. 1977 war sie Mitbegründerin des Kreises Hamburger Ballettfreunde. Ihre große Liebe und Bewunderung galt John Neumeier, dessen Premieren sie niemals versäumte.
Seit 1849 durften Hamburger Juden eine interkonfessionelle Mischehe (Me.) eingehen, sofern sie das Bürgerrecht erworben hatten.
Ab 1861 bzw. 1865 konnten dann aufgrund der Einführung der Zivilehe auch jüdische Frauen einen nichtjüdischen Partner heiraten. Jüdinnen verloren in Hamburg mit einer interkonfessionellen Heirat ihre Gemeindezugehörigkeit, Juden hingegen wurden nur aus dem orthodoxen → Synagogenverband [76] ausgeschlossen, jedoch nicht aus dem → Tempelverband [39] oder der → Neuen Dammtor Synagoge [77]. 1939/1940, als der NS-Staat Me. nicht mehr nach Konfessionen, sondern nach »Rassen« unterschied, gab es im Deutschen Reich 20.454 Me., in Hamburg lebten 1941 1.036 Me. sowie 198 verwitwete oder geschiedene Personen aus solchen Ehen.
Me., »Mischlinge ersten« wie »zweiten Grades« (»Mi.«) wurden in den ersten beiden Jahren der nationalsozialistischen Machtübernahme unterschiedslos Ziel der antijüdischen Aktionen. 1935 unterschieden die Nürnberger Gesetze zwischen »Voll-« und »Halbjuden«, wobei Letztere später in »Mi. ersten Grades« (nichtjüdische) und »Geltungsjuden« (jüdische) differenziert wurden. »Vierteljuden«, also »Mi. zweiten Grades«, unterlagen nur wenigen diskriminierenden Maßnahmen, während die »Mi. ersten Grades« unter Sondergesetzgebung leben mussten. Die »Mi. ersten Grades« wurden vom öffentlichen Dienst, von medizinischen, künstlerischen, pädagogischen und juristischen Berufen ausgeschlossen (es sei denn, eine Ausnahmegenehmigung erlaubte ihnen die Ausübung), doch sollten sie »Deutschblütigen wirtschaftlich gleichgestellt« sein, d. h., kaufmännische und technische Berufe standen ihnen offen. Universitätsabschlüsse wurden ihnen sukzessive verwehrt, 1942 mussten sie weiterführende staatliche Schulen verlassen; wollten sie heiraten, benötigten sie eine Erlaubnis, die nur in seltensten Fällen erteilt wurde. Außereheliche Verhältnisse zu nichtjüdischen Partnern, nicht per Gesetz verboten, ahndete die Gestapo mit KZ-Einweisung. Zur Wehrmacht wurden »Mi. ersten Grades« zunächst eingezogen, 1940/41 wieder entlassen. Nur bei »besonderer Tapferkeit« durften sie dort verbleiben. Ab Frühjahr 1943/Oktober 1944 wurden sie zur Organisation Todt dienstverpflichtet. Die ca. 1.000 Hamburger »Mi.« und Ehemänner von Jüdinnen konnten – im Unterschied zum sonstigen Deutschen Reich – in der Heimatstadt verbleiben, wo sie vor allem Trümmer räumten und die zerstörte Infrastruktur wiederherstellten.
Die Nürnberger Gesetze verboten die Schließung weiterer Me., änderten für die bestehenden jedoch noch nichts. Im Dezember 1938 dann stellten die NS-Machthaber die Me. besser als »volljüdische« Paare und differenzierten zwischen »privilegierten« und »nichtprivilegierten« Ehepaaren. Als »privilegiert« galten Paare (auch kinderlose), wenn die Frau jüdisch war oder wenn christlich erzogene Kinder vorhanden waren. Diese Familien konnten in ihren Wohnungen verbleiben, das Vermögen auf den nichtjüdischen Teil überschreiben, und der jüdische Partner musste den »Judenstern« nicht tragen. »Nichtprivilegiert« waren Ehen mit einem jüdischen Ehemann, die kinderlos waren, solche mit jüdisch erzogenen Kindern oder solche, deren nichtjüdischer Teil zum Judentum konvertiert war. Sie mussten in → »Judenhäuser« [136] ziehen, ihr Vermögen wurde gesperrt, sie wurden bei Auswanderung als jüdisches Paar behandelt. → Zwangsarbeit [186] mussten auch in Me. lebende Juden leisten. Auf der Wannsee- und Folgekonferenzen 1942/43 wurde u. a. die Einbeziehung der Me. (Alternative: Zwangsscheidung oder → Deportation [13]) und »Mi.« (Zwangssterilisation oder Deportation) in den Judenmord erörtert, eine Entscheidung jedoch »bis Kriegsende« zurückgestellt. Ab Sommer 1942 führte die Auflösung einer Me. zur Deportation ins »Vorzugslager« Theresienstadt, es sei denn, ein minderjähriges Kind war zu versorgen. Ehepaare beider Kategorien erhielten 1942/43 Einweisungen in »Judenhäuser«. Ab Oktober 1944 mussten die nichtjüdischen Ehemänner Zwangsarbeit leisten. Anfang 1945 entfiel der Schutz durch eine Me., und die Deportation nach Theresienstadt wurde verfügt. Obwohl die Besserstellung der Me. nie gesetzlich fixiert wurde und jederzeit durch die Kriminalisierung des jüdischen Partners aufgehoben werden konnte, überlebten viele Betroffene aufgrund dieses Status: Bei Kriegsende gab es noch ca. 12.000 Me. in Deutschland, davon in Hamburg 631.
Als synagogale M. wird die liturgische Musik im jüdischen Gottesdienst bezeichnet, die Ausdruck von Religion und Kultur des Judentums ist. Sie begleitet und reflektiert die Entwicklung der jüdischen Gemeinde von einer vorwiegend religiösen Gemeinschaft im 19. Jahrhundert zu einer verstärkt sozialen, kulturellen und ethnischen Institution im frühen 20. Jahrhundert.
Mit den Reformen des Hamburger → Tempelvereins [39] im Jahr 1817 begannen tiefgreifende Veränderungen in der Synagogalmusik, die viele Gemeinden beeinflussen sollten. Nach dem Vorbild der portugiesischen Gemeinde in Livorno wurden mit der Einweihung des Tempels an der Brunnenstraße (12) 1818 Choralgesang und Instrumentalmusik in die Hamburger jüdische Gemeinde (→ DIG [18]) eingeführt. Die Einführung der Orgel löste erbitterte Kämpfe und Diskussionen aus, die in mehreren Gutachtensammlungen ihren Niederschlag fanden. Die Orgelgegner argumentierten mit dem Verbot, am Schabbat und den Feiertagen ein Instrument zu spielen; darüber hinaus bestand für sie das generelle Verbot von M. in der Synagoge als Zeichen der Trauer um den Verlust des Tempels sowie das Verbot der Nachahmung fremder Gottesverehrung. Die Orgelgegner sahen in der Einführung der Orgel eine Verchristlichung des Gottesdienstes und damit einen Traditions- und Identitätsverlust des Judentums. Die Orgelbefürworter argumentierten, dass das Orgelspiel, wenn es durch einen Nichtjuden geschehe, erlaubt sei. Darüber hinaus sei schon früher Instrumentalmusik in der Synagoge gebraucht worden. Letztlich sei die Orgel kein explizit christliches Instrument. Die Organisten am Tempel waren zunächst nichtjüdisch: Bethuel (1818-1828), G. D. Demuth (1829-1837), A. F. Schinck (1837-1870), A. Dellith (1870-1906) und Caesar Stallmann (1906-1934). Seit 1934 waren die Organisten dann jüdischer Herkunft: Von 1934 bis 1935 Hermann Feiner und von 1935 bis 1938 Hermann Cerini. Die Anstellung jüdischer Organisten ging einher mit einer Wende, die sich um 1900 vollzog, als die erste jüdische Organistengeneration ausgebildet wurde. Um 1933 gab es schließlich eine Anzahl ausgezeichneter jüdischer Organisten. Zur gleichen Zeit durften christliche Musiker aufgrund der nationalsozialistischen Gesetzgebung nicht mehr in jüdischen Institutionen arbeiten. Die Orgel diente der Begleitung des zweistimmigen Knabenchores – bei besonderen Anlässen sang ein gemischter Laienchor – und der deutschsprachigen Gemeindegesänge, die überwiegend protestantischen Chorälen nachempfunden waren. 19 Gesänge wurden von nichtjüdischen Musikern vertont, die 1818 als Religiöse Lieder und Gesänge für Israeliten im Druck erschienen. Eine Reihe von erweiterten Auflagen folgte zwischen 1821 und 1880 mit Melodien u. a. von Albert Gottlieb Methfessel (1785-1869), der bis 1832 am Reformtempel als Chorleiter tätig war. 14 Titel waren Aufzeichnungen portugiesisch-jüdischer Melodien nach David Meldola, der im Oktober 1818 als Kantor angestellt worden war. Die Anstellung eines ausgerechnet orthodoxen, sefardischen Chasans scheint paradox, wollte die Reformgemeinde doch mit alten Traditionen brechen. In der portugiesisch-jüdischen Musiktradition verwurzelt (→ Portugiesisch-Jüd. Gemeinde [2]), brachte Meldola traditionelle sefardische Melodien ein und setzte außerdem die sefardische Aussprache der Gesänge durch. Ganze Teile des Festtagsrepertoires wurden aus der sefardischen Tradition übernommen und am Tempel gepflegt. Nachdem Meldola den Tempel 1859 verließ, übernahm der portugiesische Kantor → Joseph Piza [206] bis 1879 das Amt. Mit der Anstellung von → Moritz Henle [138] von 1879 bis 1913 begann eine Zeit des Übergangs. Henle versuchte, den Gottesdienst mehr und mehr nach aschkenasischer Tradition auszurichten, ohne jedoch das portugiesisch-jüdische Melodiengut ganz zu verwerfen. Im Jahr 1887 publizierte er eine Edition mit allen portugiesischen Melodien, die im Hamburger Tempel gesungen wurden. Sein Nachfolger → Leon Kornitzer [207] vollendete die von Henle eingeleiteten Veränderungen und stellte die M. am Tempel vollkommen in die aschkenasische Tradition. Während der Reformtempel verschiedene Elemente jüdischer Musikkultur verarbeitete, wurde der orthodoxe → Synagogenverband [76] in Hamburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts Schauplatz des »Goldenen Zeitalters der Chasanut«, einer Zeit, in der Kantoren auf virtuose Weise traditionelle liturgische Gesänge darboten. Mit der Einweihung der Synagoge am → Bornplatz [97] (50) 1906 wurde einer der führenden Kantoren der Zeit, Yossele Rosenblatt, als Oberkantor engagiert. Zusammen mit zwei weiteren Kantoren und einem Knaben- und Männerchor machte Rosenblatt bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahr 1912 Hamburg zu einem wichtigen Zentrum für synagogale M. Die Gründung des → Jüdischen Kulturbundes [4] in Hamburg 1935 hatte ungeahnte Folgen für die M. Sie führte zu einer substantiellen Bereicherung des Repertoires vor allem im Bereich der synagogalen M. und die teilweise daran anknüpfenden Werke zeitgenössischer jüdischer Komponisten. Synagogale M. stand auf dem Programm zahlreicher Veranstaltungen des Kulturbundes, dargeboten vom Chor des Tempels in der Oberstraße (53), Hermann Cerini und Leon Kornitzer. Die Blütezeit synagogaler M. war dennoch nur von kurzer Dauer. Durch die Zerstörung der Synagogen in der Reichspogromnacht (→ Novemberpogrom [22]) und die erzwungene Auflösung des Kulturbundes verlor die synagogale M. in Hamburg ihren Ort.
(auch: Dionys Mussaphia), Mediziner und Schriftsteller, geb. ca. 1600/1606 Spanien, gest. 11.12.1674 Amsterdam
Mitglieder der wohl aus Spanien stammenden Familie M. erlangten im 17. und 18. Jahrhundert einflussreiche Stellungen in Hamburg und am gottorfschen Hof. Nach dem Studium der Medizin in Padua, das er 1625 mit der Promotion abschloss, ließ sich M. in Hamburg nieder. Seit 1635 war der Arzt, polyglotte Schriftsteller, Lexikologe, Avisenschreiber und Alchimist für den gottorfschen Hof tätig. Als bedeutendes Handels- und Wirtschaftszentrum bot ihm Hamburg viele Möglichkeiten, wertvolle Nachrichten an den Hof zu liefern. Seine religionskritischen Schriften erregten immer wieder Aufsehen. Nach der Veröffentlichung des Werkes Sacro-Medicae sententiae toto V[etere] T[estamento], das die Lutheraner als blasphemisch einschätzten, musste M. die Hansestadt für einige Wochen verlassen. M. hatte in seiner Schrift biblische Passagen zusammengetragen, die sich auf medizinische Angelegenheiten bezogen, was in den Augen der Lutheraner eine unstatthafte Vermischung von Medizin und Theologie darstellte. Ferner kritisierten sie, dass M. seinen Ausführungen ein jüdisches Gebet vorangestellt und die jungfräuliche Geburt Jesu geleugnet hatte. M.s Schrift forderte nicht nur die Hamburger Lutheraner zu einer umfangreichen Protestschrift an den Rat heraus, sondern veranlasste den Geistlichen Johannes Müller auch, sich in dem Buch Judaismus seinerseits kritisch mit den Juden zu befassen. Im Juli 1640 musste M. aufgrund einer Beschwerde der Geistlichkeit Hamburg endgültig verlassen. Von → Glückstadt [1] begab er sich nach Amsterdam, wo er Mitglied des Rabbinatskollegiums, zeitweiliger Vorsteher der Portugiesengemeinde und verschiedener Gemeindeinstitutionen wurde.
Komponist, Musikwissenschaftler und Musikpädagoge, geb. 11.10.1884 Hamburg, gest. 15.12.1950 Dorking (England)
M. absolvierte ein Studium am Stern’schen Konservatorium in Hamburg sowie bei Eduard Behm in Berlin. Anschließend unterrichtete er an verschiedenen Hamburger Konservatorien das Fach Theorie. Ab 1923 war er Dozent für Harmonie- und Kompositionslehre an der Universität Hamburg. Bereits 1924 übertrug der Hamburger Rundfunk viele seiner Kompositionen, darunter auch seine Schauspielmusik zu Büchners Leonce und Lena. 1930 schrieb M. für die Nordische Rundfunk AG die Musik zu Eduard Stuckens Gawân. Auch wurde er vom Senat der Hansestadt beauftragt, für die Feier zum zehnjährigen Bestehen der Weimarer Verfassung eine musikalische Einleitung zu komponieren. Nach einer Selbstanzeige wegen »nichtarischer Abstammung« wurde M. im Mai 1933 aus dem Hochschuldienst entlassen. Bis 1937 unterrichtete er an der jüdischen Mädchenschule Karolinenstraße (89) (→ Schulwesen [80]), wo er die Schülerinnen u. a. Hindemiths Singspiel Wir bauen eine Stadt aufführen ließ. Darüber hinaus leitete er mehrere Arbeitsgemeinschaften im Rahmen der → Franz-Rosenzweig-Gedächtnisstiftung [148]. Im → Jüdischen Kulturbund [4], dem er sich mit großem Engagement angeschlossen hatte, war er als Beirat für das Musikprogramm verantwortlich, schrieb in dessen Monatsblättern Einführungen zu den jeweils anstehenden Konzerten und hielt Vorträge. Auch seine eigenen Werke wurden in diesem Rahmen des Öfteren aufgeführt. 1938 emigrierte er mit seiner Frau und seiner Tochter nach England, während sich seine beiden Söhne für Palästina entschieden (→ Emigration [16]). In London wurde M. Mitglied des Freien Deutschen Kulturbundes, gab Privatunterricht und war als Musikschriftsteller tätig.
Gemeindesyndikus, geb. 15.7.1879 Emmerich, gest. vermutlich Oktober 1944 Auschwitz
Nach dem Studium der Philosophie und der orientalischen Wissenschaften an den Universitäten Bonn und Berlin, dem Besuch der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums erlangte N. sowohl das Rabbinatsdiplom als auch das philosophische Doktorat (Straßburg). Der wissenschaftlichen Arbeit besonders zugetan, war N. seit 1906 Sekretär der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft des Judentums in Berlin, zugleich tätig am Gesamtarchiv der Juden in Deutschland sowie als Religionslehrer und Rabbinatsvertreter. Die → Deutsch-Israelitische Gemeinde [18] in Hamburg berief ihn, der keine juristische Ausbildung genossen hatte, 1912 gleichwohl zu ihrem einzigen Syndikus. Die ihm übertragene Aufgabe nahm N. in den kommenden Jahrzehnten wahr, dabei seine Vorliebe für wissenschaftlich literarische Arbeit nicht aufgebend. Zahlreiche jüdische Hamburgensien hat N. verfasst oder herausgegeben. In der Gemeinde galt sein besonderes Interesse der Arbeit des Jugendamtes der Gemeinde, das er 1921 mitbegründet hatte, und der redaktionellen Tätigkeit am Gemeindeblatt (→ Zeitungswesen [81]), dessen Herausgeber er seit 1925 bis zu dessen Verbot 1938 war. Vielfach übernahm er Rabbinervertretungen an der → Neuen Dammtor Synagoge [77] (47). N. war Mitglied, zumeist in führender Stellung, in vielen jüdischen → Vereinen [78] oder Institutionen, etwa in der Friedhofskommission der Chewra Kadischa (→ Beerdigungswesen [85]), der → Gesellschaft für jüdische Volkskunde [82], der Jüdischen Mittelstandshilfe und der → Franz-Rosenzweig-Gedächtnisstiftung [148]. Seine Umsicht sicherte ihm das andauernde Vertrauen aller jüdischen Institutionen. Im Spannungsfeld unterschiedlicher religiöser Richtungen in der Gemeinde und während der finanziellen und personellen Umstrukturierung nach 1933 war und blieb N. der ruhende Pol der Gemeinde. Am 19. Juli 1942 wurden er und seine Frau Dora zunächst nach Theresienstadt und von dort am 23. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert. Dort wird das Ehepaar sofort nach der Ankunft ermordet worden sein.
Pädagoge und Rabbiner, geb. 13.1.1820 Hamburg, gest. 31.10.1905 Hamburg
N., von 1848 bis 1905 Lehrer an der → Talmud Tora Schule [38] in Hamburg, verkörperte in seiner Persönlichkeit wie kaum ein anderer das Prinzip »Tora im Derech Eretz«, d. h. die Verbindung von streng traditionellem Judentum und allgemeiner Kultur. Der Sohn des Lehrers und Waisenvaters P. S. Nathan besuchte die Israelitische Armenschule (40) der Talmud Tora, die unter der Leitung des Oberrabbiners → Isaak Bernays [98] reformiert worden war und neben jüdischen Disziplinen Deutsch und weltliche Wissenschaften vermittelte. Bei Bernays widmete sich der junge N. talmudischen Studien. 1840 bestand er das Abitur an der Gelehrtenschule des Johanneums und setzte seine Studien am Akademischen Gymnasium fort. Von 1843 bis 1845 studierte er in Würzburg und Berlin u. a. Philosophie und promovierte 1845 in Jena mit einer Dissertation über den Propheten Habakuk. 1848 wurde ihm die Rabbinatsapprobation erteilt – doch statt Rabbiner zu werden, kehrte er als Lehrer an seine Schule in Hamburg zurück. Dort unterrichtete er neben jüdischen Wissenschaften vor allem Rechnen und Mathematik. Mehrmals wöchentlich hielt er Vorträge in jüdischen Lernvereinen. Nach dem Tode des Oberrabbiners → Anschel Stern [208] 1888 führte er eineinhalb Jahre lang die Rabbinatsgeschäfte (→ Rabbinat [10]) und wurde danach Stellvertreter des neuen Oberrabbiners → Markus Hirsch [88]. N. war ein Gelehrter von hohem Rang. Seine Schüler lernten ihn als strenggläubigen Juden, von deutscher Kultur geprägten Deutschen und Hamburger kennen, der seine Heimatstadt liebte und besonders gern Plattdeutsch sprach. Sein Vorbild blieb in mehreren Schülergenerationen lebendig und wirkte auch nach seinem Tod in der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] in Hamburg fort.
Die N. blieb die einzige Synagoge des gleichnamigen Vereins, zu dem sich Mitglieder der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] 1894 zusammenschlossen, um eine in den neuen Wohnvierteln Harvestehude/Rotherbaum dringend erforderliche Synagoge zu bauen.
1912 beantragte der Verein die Eintragung ins Vereinsregister, 1923 wurde er als selbständiger Kultusverband von der Gemeinde anerkannt. Die Synagoge entstand 1894/95 im neuislamischen Stil, vollständig verborgen hinter gründerzeitlichen Mehrfamilienhäusern am heutigen Allendeplatz nach einem Entwurf der Architekten Schlepps & Rzekonski. Farbige Ziegelmuster, Hufeisenbogen, Säulenkapitelle, die Farbigkeit des Innenraums und v. a. die Ornamentik der Ostwand erinnerten jedoch nur noch vage an islamische Vorbilder. Die Inneneinrichtung spiegelte den liberalisierten, aber nicht reformierten religiösen Ritus des Vereins: Die Bima war vor den Toraschrein verbannt, die Geschlechtertrennung wurde mit niedrig vergitterten Frauenemporen beibehalten, es gab eine Empore für einen vierstimmigen Chor ohne Orgel (→ Synagogen [96]). Vermutlich beeinflusste dieser unentschiedene Ritus die Wahl des Baustils, der zwar lange als Synagogenbaustil galt, doch nicht zu den dominierenden, ideologiebeladenen Stilen zählte. Er schien geeignet, Selbstbewusstsein zu demonstrieren, ohne die jüdische Tradition zu leugnen, in einer Zeit, in der die Mehrzahl jüdischer Gemeinden mit neugotischem und neuromanischem Kirchenbaustil Erinnerungen an einen Ursprung des Judentums im Orient zu vermeiden suchte. Während des → Novemberpogroms [22] 1938 wurde der Innenraum demoliert; mit privaten Mitteln wiederhergestellt, kamen bis zur Beschlagnahme im Juni 1943 aschkenasische Juden aller Richtungen zum Gottesdienst. Kurz darauf wurden Synagoge und Vorderhäuser während der Bombardements zerstört. Ein Gedenkstein auf einer kleinen Grünanlage unmittelbar neben dem Universitätsgebäude im ehemaligen »Pferdestall« erinnert an die N.
Mit dem Bau einer modernen Stadtbefestigung in den Jahren 1616 bis 1628 entstand die Hamburger N. Das neue Befestigungssystem aus Wällen, Gräben und Bastionen umschloss halbkreisförmig die Altstadt und das Gebiet westlich von ihr.
Drei Straßenzüge mit je einem Marktplatz auf halbem Weg führten aus der Altstadt zu den zwei Toren (Millerntor, Dammtor) der N.: der Schaarsteinweg mit dem Schaarmarkt, der Alte und Neue Steinweg mit dem Großneumarkt und der Oberdamm mit der Dammtorstraße und dem Gänsemarkt. 1647 erhielt die Neustadt ein eigenes Kirchspiel, St. Michaelis, das aber erst 1677 mit politischen Rechten versehen und 1685 zu den bürgerlichen Kollegien der Stadt zugelassen wurde und damit gleichberechtigt war. Im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges flüchteten zahlreiche Menschen aus dem Hamburger Umland in die geschützte Stadt und ließen sich in der N. nieder. Im Norden fanden sich die Wohnhäuser wohlhabender Bürger, im Süden, Richtung Elbufer, die Quartiere von Hafenarbeitern. Unter den Zuwanderern waren auch Juden, deren Niederlassung in der N. geduldet wurde. Der antijüdische Tumult von 1730 zeigte aber die vorhandenen sozialen Spannungen, die in diesem Fall vor allem von Seeleuten ausgingen. In dem jahrzehntelangen Streit um die Rechte der Juden in der Stadt legte der Senat 1768 und erneut 1773 einen Plan vor, nach dem den Juden Wohn- und Grundeigentumsrechte nur in fünf Straßen der Altstadt (um den Alten Wall) und in 14 Straßen der N. zugestanden werden sollten. Letztere befanden sich westlich des Großneumarkts etwa zwischen Poolstraße und Venusberg. Diese Pläne führten zwar nicht zur Einrichtung eines Ghettos, beschränkten die Juden aber auf diese Wohngebiete. Die zunehmend dichtere Wohnbebauung im Gängeviertel sowie konjunkturelle Schwankungen im 18. Jahrhundert verstärkten die sozialen Spannungen.
In der N. entstanden seit der Mitte des 17. Jahrhunderts Betsäle und → Synagogen [96]. So besaß die Jüdische Gemeinde zwischen 1654 und 1859 eine Synagoge am Neuen Steinweg (3) und errichtete dann die neue Hauptsynagoge an den Kohlhöfen (19). Zwischen Altem Steinweg und Brunnenstraße mietete der Neue Israelitische → Tempelverein [39] 1818 ein Haus zur Veranstaltung von Gottesdiensten an (12), 1844 weihte er einen Neubau in der Poolstraße (17) ein. 1855 wurde an der Markusstraße eine sefardische Synagoge (18) geweiht. Ein kleiner jüdischer → Friedhof [34] wurde 1814 am Neuen Steinweg (3) angelegt. 1805 wurde in der Elbstraße die → Talmud Tora Schule [38] (40) gegründet, 1815 die → Israelitische Freischule [139] (41) am Zeughausmarkt. Seit 1838 ließen wohlhabende jüdische Wohltäter besonders in der N. → Wohnstifte [209] für Bedürftige errichten. Mit der Aufhebung der Torsperre 1860 entstanden vor den ehemaligen Wällen neue Wohngebiete. Ein großer Teil der jüdischen Bevölkerung zog seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts dann aus der dicht bebauten N. in die Stadtteile Rotherbaum und Harvestehude, vor allem ins → Grindelviertel [33].
Rabbiner, geb. 17.6.1870 in Hamburg, gest. 7.2.1943 Theresienstadt
N. besuchte in Hamburg zunächst die → Talmud Tora Schule [38], anschließend bis zum Abitur 1890 das Johanneum. In Berlin schrieb er sich an der Universität für Philosophie und – trotz seiner liberalen Anschauungen – am orthodoxen Rabbinerseminar ein, hörte aber bald auch Vorlesungen an der progressiv ausgerichteten Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums. Die akademische Ausbildung schloss er 1895 in Halle mit der Promotion ab, das Rabbinatsexamen erfolgte 1896. 1897 trat N. seine erste Stelle als Rabbiner in Neustettin (Pommern) an, wechselte aber 1899 nach Myslowitz (Schlesien). Große Teile seiner Gemeinde gehörten einer ihm fremden, ostjüdisch-orthodoxen Welt an, in der er als entschiedener Fürsprecher des liberalen Judentums schwerlich seine Anschauungen zur Geltung bringen konnte. Das Rabbineramt in Elberfeld, das er 1907 übernahm, entsprach weitaus mehr seinen Vorstellungen, obwohl sein Standpunkt und seine Lebensweise auch dort mitunter auf Unverständnis stießen. N. war aktives Mitglied in der World Union for Progressive Judaism und machte sich einen Namen als Übersetzer der Bücher Claude Montefiores, der zu den Führern des Reformjudentums in England zählte. Im April 1935 trat N. in den Ruhestand und zog kurz darauf nach Hamburg, wo er am Israelitischen → Tempelverband [39] eine neue Heimat und Wirkungsstätte fand. Hier gehörte er seit 1937 dem Rabbinatsgericht an und übernahm 1939 die Nachfolge von Rabbiner → Bruno Italiener [210] (→ Rabbinat [10]). Am 15. Juli 1942 wurde N. nach Theresienstadt deportiert (→ Deportation [13]). Eine → Emigration [16] und Betätigung in England, die ihm mehrfach angeboten worden war, hatte er bis zuletzt abgelehnt, da er, der »in guten Zeiten mit seiner Gemeinschaft gelebt« hatte, nun »auch unter den schlimmen Umständen bei ihr ausharren« wollte.
Unternehmer und Stifter, geb. 23.9.1812 Memmelsdorf, gest. 25.11.1899 Hamburg
N., Sohn eines Viehhändlers aus Unterfranken, gründete 1836 in Hamburg eine Firma für den Handel mit Häuten und Fellen. Mit diesem Unternehmen brachte er es zu Wohlstand und Ansehen. Die → Deutsch-Israelitische Gemeinde [18] wählte ihn 1876 in ihren Vorstand; 1889 wurde er Zweiter, 1890 Erster Vorsitzender. Wohlstand bedeutete für N. Verpflichtung. Zu seinem 70. Geburtstag errichtete er 1882 das Marcus-Nordheim-Stift (29) in der Schlachterstraße mit Freiwohnungen für 27 arme jüdische Familien (→ Wohnstifte [209]). Ein Jahr später trug er auf Wunsch seiner Frau Sara, geb. Lion, mit der er seit 1839 in kinderloser Ehe lebte, entscheidend zum Bau der → Israelitischen Töchterschule [114] (89) in der Karolinenstraße bei. Das Vermögen, das N. bei seinem Tode hinterließ, belief sich auf rund zehn Millionen Mark. Nichten und Neffen, das Haus- und das Kontorpersonal, diverse wohltätige und gemeinnützige Institutionen – nicht nur jüdische – waren mit großzügigen Legaten bedacht worden. Ein »Rest« von mehr als zwei Millionen konnte für die Gründung eines Miete-Hilfsvereins verwendet werden sowie für die Einrichtung des Seehospitals Sahlenburg bei Cuxhaven, das tuberkulosekranken Kindern Heilung bringen sollte. Der Miete-Hilfsverein fiel 1943 der → »Arisierung« [15] anheim. Das Marcus-N.-Stift wurde im Krieg zerstört. Das Seehospital in Sahlenburg trägt wieder den Namen Nordheim-Stiftung und ist heute eine Fachklinik für Orthopädie und Rheumatologie. Zum Silberschatz des Senats der Stadt Hamburg gehört ein Tafelaufsatz mit Kristallschale aus dem Besitz N.s. Seit 1958 erinnert eine Straße in Ohlsdorf an diesen verdienstvollen Wohltäter.
Als die mit Jüdinnen verheirateten nicht-jüdischen Ehemänner und die »Mischlinge ersten Grades« (→ Mischehen [67]) im Oktober 1944 zur → Zwangsarbeit [186] verpflichtet wurden, entwickelten sie dort erstmals ein Gruppengefühl, tauschten Informationen aus und entwarfen Pläne für die Gründung einer Interessenorganisation in der Zukunft.
Einer der Initiatoren war Konrad Hoffmann, ein ehemaliger kaufmännischer Angestellter, der als Bote Interessierte in den verschiedenen Arbeitskolonnen ansprechen, Namenlisten aufstellen und Dokumente sammeln konnte. So vorbereitet, verkündete die N. bereits am 19. Mai 1945 ihre Gründung und eröffnete am 29. Mai als eine der ersten Verfolgtenorganisationen eine Geschäftsstelle. Sie fühlte sich zuständig für »Angehörige des gleichen Erlebniskreises«, nämlich »Juden, die Sternträger waren, Juden aus privilegierten Mischehen, Arier aus Mischehen und Mischlinge ersten Grades«. In der N. engagierten sich u. a. Konrad Hoffmann, → Walter Koppel [211], Erik Blumenfeld, Gerhard Bucerius und Georg Claussen. Die Notgemeinschaft gab insgesamt ca. 8.000 Verfolgtenausweise aus, verteilte Lebensmittel, bemühte sich um Brennmaterial und Bezugsscheine, regelte Wohnungs- und Berufsangelegenheiten und organisierte die Rückführung von ca. 600 in Theresienstadt Inhaftierten nach Hamburg. Jugendliche »Mischlinge« konnten in Förderkursen Schulabschlüsse nachholen, die ihnen während der NS-Zeit verwehrt worden waren. Später unterstützte die N. ehemals Verfolgte durch individuelle Rechtsberatung und setzte sich für die Berücksichtigung von deren Interessen in der → Wiedergutmachungsgesetzgebung [162] ein. So erreichte die N., dass die Zwangsarbeit der in Mischehe lebenden Juden als haftgleich anerkannt wurde, und brachte das »Gesetz zur Anerkennung freier Ehen für rassisch und politisch Verfolgte« ein, das eine Rückdatierung von Ehen ermöglichte, die während der NS-Zeit nicht geschlossen werden durften. Scheidungen konnten dadurch annulliert werden. An der Einrichtung eines Hilfsfonds auf Bundesebene für nichtjüdische »rassisch« Verfolgte hatte die N. maßgeblichen Anteil. Während ähnliche Organisationen in anderen Bundesländern inzwischen ihre Arbeit eingestellt haben, unterhält die N. weiterhin eine Beratungsstelle und arbeitet in der Hamburger Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte mit.
Die Legende, die »Reichskristallnacht« sei in Hamburg ohne größere Schäden verlaufen, weil Gauleiter Kaufmann den Pogrom verboten habe, beruht auf dessen Falschaussagen als Zeuge vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg 1946. Tatsächlich ging der Pogrom nach demselben Muster vonstatten wie andernorts.
Am 10. November 1938 rückten frühmorgens SA-Kommandos aus, um die Geschäfte von Juden zu demolieren und mit Parolen zu beschmieren. Zerstörungen und Plünderungen geschahen in der Innenstadt und in vielen anderen Stadtteilen Hamburgs. Die genaue Zahl der geschändeten → Synagogen [96] und kleineren Betsäle ist bis heute unaufgeklärt; betroffen waren mindestens fünf, möglicherweise auch neun jüdische Sakralgebäude, darunter die Hamburger Hauptsynagoge am → Bornplatz [97] (50), die → Neue Dammtor Synagoge [77] (47), die Synagoge des Tempelverbandes (53) und die Alte und Neue Klaus (49). Am 10. November wurde die Leichenhalle der Synagogengemeinde → Harburg-Wilhelmsburg [21] völlig niedergebrannt. Brandanschläge richteten sich am selben Tag auch gegen die Harburger Synagoge (127). Auch nach der am Abend des 10. November von Propagandaminister Goebbels verkündeten Aufforderung, »von allen weiteren Demonstrationen und Aktionen gegen das Judentum« sofort abzusehen, waren die Ausschreitungen, Demütigungen und Misshandlungen jüdischer Bürger nicht beendet. Noch am übernächsten Tag legten Brandstifter erneut ein Feuer in der Hauptsynagoge. Wie viele jüdische Männer die Hamburger Gestapo in den Pogromtagen verhaftet und in ein auswärtiges KZ gebracht hat, bleibt angesichts sehr unterschiedlicher Angaben ungewiss. Auszugehen ist mindestens von über 1.000 Verschleppten. Zwischen dem 10. und 15. November wurden nachweislich 873 Juden in das Hamburger Polizeigefängnis Fuhlsbüttel (→ Konzentrationslager [14]) eingeliefert; andere hatte die Gestapo im Stadthaus inhaftiert, bevor sie in Eisenbahntransporten den Weg in das KZ Sachsenhausen antreten mussten. Am 10. November drangen zwei Kriminalbeamte in die Wohnung des Musikers Martin Cobliner ein, um ihn zu verhaften. Cobliner stürzte aus dem Fenster in den Tod. Ob es andere Todesopfer des Pogroms in Hamburg gab, ist ungeklärt. Die in den Pogromtagen verhafteten Männer wurden erst nach Wochen und Monaten schwerer Misshandlungen aus dem KZ entlassen. Der N. löste in der jüdischen Bevölkerung Hamburgs eine Massenflucht ins Ausland aus. Für diejenigen, denen der Weg in die rettende → Emigration [16] versperrt blieb, begann in Hamburg eine Leidenszeit der forcierten Ausgrenzung und Entrechtung, an deren Ende → Deportation [13] und Massenmord standen.
Historiker, geb. 27.10.1910 Hamburg, gest. 5.4.2004 Jerusalem
Der aus Hamburg vertriebene Historiker hat vielfältige Anregungen für die Geschichte der Juden in Hamburg gegeben. Geboren als Benno Offenburg, Sohn des in den Gremien der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] engagierten Nathan Hirsch Offenburg, durchlief O. eine klassische Schul- und Universitätsausbildung: 1929 das Abitur am Heinrich-Hertz-Realgymnasium, dann ein Studium der Geschichte, Philosophie und Semitistik in Berlin, Jerusalem und Hamburg. Im Frühjahr 1933 legte er seine historische Dissertation an der Universität Hamburg vor, doch fand seine akademische Prüfung schon unter unwürdigen Zuständen statt. O. emigrierte 1933 zunächst nach Italien, wo er als Mitglied der Jugendbewegung Misrachi eine landwirtschaftliche Ausbildungsstätte leitete. Zwei Jahre später ging er als Landarbeiter in einen Kibbuz nach Palästina, wo er seinen neuen Namen annahm. In den folgenden Jahren war O. als Lehrer tätig, u.a. als Leiter eines landwirtschaftlichen Gymnasiums. Sein Vater und seine Stiefmutter starben in Theresienstadt bzw. Auschwitz. All diese Erfahrungen haben die historische Arbeit O.s tief geprägt. Er stellte eine Geschichte der jüdischen Gemeinden in Bayern zusammen, regte das Hamburger Gedenkbuch für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung an und erarbeitete wichtige Bausteine für eine jüdische Geschichte Hamburgs. In den siebziger Jahren arbeitete O. an der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Die ständige Ausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte über Juden in Hamburg geht auf seine Initiative zurück. Im November 1991 erhielt O. die Ehrendoktorwürde des Fachbereichs Geschichtswissenschaft an der Hamburger Universität, nicht nur um das Werk eines Historikers zu würdigen, sondern auch als Entschuldigung für das Verhalten der Universität im Jahre 1933.
Verfolgung einerseits, ökonomische Verelendung andererseits bildeten den Hintergrund für die → Auswanderungswelle [95], die zwischen 1880 und dem Ersten Weltkrieg etwa drei Millionen Juden aus Osteuropa erfasste und vor allem nach Amerika führte.
Aus dem zaristischen Russland oder Österreich-Ungarn stammend, durchquerten die meisten von ihnen das Deutsche Reich, um sich im Bremer oder Hamburger Hafen nach Übersee einzuschiffen. Allein über Hamburg wanderten jährlich bis zu 109.000 Juden aus, um deren Betreuung sich der 1884 von Daniel Wormser gegründete Israelitische Unterstützungsverein für Obdachlose große Verdienste erwarb. Bildete Hamburg für Hunderttausende osteuropäischer Juden eine Transitstation, so sorgten rigide Zuzugsbeschränkungen und Ausweisungsmaßnahmen dafür, dass sich diese weder in der Kaiserzeit noch in der Weimarer Zeit in größerer Zahl dauerhaft in der Hansestadt niederlassen konnten. 1925 hatten in Hamburg gerade 14 Prozent der Juden einen ausländischen, überwiegend osteuropäischen Hintergrund; im benachbarten – bis 1937 preußischen – Altona lag deren Anteil hingegen bei fast 47 Prozent. Eine Minderheit der ostjüdischen Einwohner Altonas lebte dort bereits seit der Kaiserzeit und gehörte der Mittelschicht an; die Mehrheit war während des Ersten Weltkrieges oder in der Nachkriegszeit ansässig geworden. Weitgehend mittellos, bedurften viele der Neuzuwanderer der Unterstützung; dies war eine Aufgabe, welche die durch Krieg und Inflation ohnehin sehr geschwächte Altonaer jüdische Gemeinde allein nicht bewältigen konnte, so dass es auf dem Gebiet der Wohlfahrt zu einer Zusammenarbeit mit der finanzkräftigeren Hamburger Gemeinde kam.
Die ausländischen Juden waren in den jüdischen Gemeinden von Altona und Hamburg mit den inländischen Juden rechtlich gleichgestellt. In gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht bestanden jedoch große Reserven zwischen beiden Gruppen. Die Vorbehalte der Alteingesessenen gegenüber den »Ostjuden« sowie deren Wunsch, die jüdische Religion unter ihresgleichen in den mitgebrachten Formen zu praktizieren, führten zur Entstehung separater ostjüdischer → Vereine [78] und Betstuben. In Hamburg bildete sich der Verein Adas Jeschorim, der in der rabbinischen Lehranstalt → Jeschiwa [129], Bieberstraße (61), Gottesdienste abhielt, ehe er 1929 unter Mithilfe der Gemeinde an der Kielortallee seine eigene → Synagoge [96] (56) einweihen konnte. In Altona gab es in der Adolphstraße (heute: Bernstorffstraße) (98) und in der Wohlersallee (99) ostjüdische Bethäuser; sie wurden von der Vereinigung Adas Jisroel bzw. von dem Verein Ahavat Thora unterhalten. Neben diesen religiösen Einrichtungen bestand die Ostjüdische Vereinigung Groß-Hamburg (ab 1936: Verband Polnischer Juden Groß-Hamburg) als Selbsthilfeorganisation. Nach der reichsweiten Zwangsabschiebung der polnischen bzw. ehemals polnischen Juden nach Polen Ende Oktober 1938 (→ Deportation [13]), von der in Groß-Hamburg etwa 1000 Personen betroffen waren, standen die ostjüdischen Einrichtungen verwaist da. Der Verband Polnischer Juden wurde im Mai 1940 aus dem Vereinsregister gelöscht.
Kunsthistoriker, geb. 30.3.1892 Hannover, gest. 14.3.1968 Princeton
1902 zog die Familie P. nach Berlin, wo Erwin 1910 am humanistischen Joachimsthaler Gymnasium sein Abitur ablegte. Nach Studien in Berlin, Freiburg und München wurde P. 1914 über die »theoretische Kunstlehre Albrecht Dürers« promoviert. 1920 habilitierte er sich in Hamburg mit Studien zum Werk Michelangelos. Dort sogleich aufgefordert, das Kunsthistorische Seminar der Universität aufzubauen, lehrte er ab 1926 als ordentlicher Professor. Von Beginn seiner Tätigkeit an ergab sich ein enger Kontakt zu dem Philosophen → Ernst Cassirer [40], der → Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg [41] sowie zu deren späteren Direktor → Fritz Saxl [42], mit dem gemeinsam er 1923 die epochemachende Studie Dürers »Melencolia I« vorlegte, die die Grundlage für die 1964 zusammen mit Raymond Klibansky publizierte Arbeit Saturn and Melancholy darstellte. Recht bald sprach man von der aus Cassirer, P., → Aby Warburg [43] und seinen Mitarbeitern bestehenden Hamburger Schule, die nach dem erklärten Willen von Warburg die »Fackel jüdischer Geistigkeit« weitergeben sollte. Nach der → Emigration [16] 1933 lehrte P. von 1935 bis 1963 Kunstgeschichte an der »School of Historical Studies« in Princeton, danach hatte er bis zu seinem Tode die Samuel-Mosse-Professur an der New York University inne. Die Bedeutung P.s weist über die Kunstwissenschaft hinaus: Seine Methode der Ikonologie, die er als Gegensatz zur klassischen Ikonographie konzipierte, veränderte die Wahrnehmung von Bildern grundsätzlich. Denn die Beschäftigung »mit dem Kunstwerk als einem Symptom von etwas anderem, das sich in einer unabsehbaren Vielfalt anderer Symptome artikuliert«, erforderte eine selbständige »Interpretation« dieser Symptome. P. verstand die Ikonologie stets als flexiblen Rahmen, als welcher sie schnell über die Kunst der Renaissance hinaus zu dem wesentlichen Instrument von Kunstinterpretation überhaupt wurde.
Jurist, Politiker und Gemeindefunktionär, geb. 20.8.1887 Hamburg, gest. 8.2.1974 Haifa
Nach dem Besuch des Wilhelmgymnasiums studierte P., Sohn eines Schirmfabrikanten, Jura in München, Berlin und Kiel. Der zionistisch und sozialistisch gesinnte Anwalt trat 1910 in die SPD ein und war im Ersten Weltkrieg als Militärhilfsrichter tätig. 1918/19 wurde er zunächst in den Arbeiter- und Soldatenrat und dann in die Bürgerschaft der Freien und Hansestadt gewählt, der er bis 1932 als sozialdemokratischer Abgeordneter angehörte. Der wegen seiner kompromisslosen Haltung in seiner Partei nicht unumstrittene P. war von 1926 bis 1928 Mitglied des Staatsgerichtshofs, der Steuerdeputation, der Gefängnisbehörde und des Universitätsausschusses und gehörte seit 1927 dem Bürgerausschuss an. Ab 1920 war er außerdem Syndikus des Polizeibeamtenverbandes und betätigte sich aktiv im Vorstand des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold sowie im Hamburger Zionistischen Verband (→ Zionismus [45]). Als Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft setzte er sich vehement gegen den → Antisemitismus [31] zur Wehr. Bis 1933 gehörte er mehrfach dem Vorstand der → Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde [2] an. 1933 emigrierte er nach dem »Judenboykott« nach Palästina, wo er eine Fabrik für Stahlmöbel betrieb (→ Emigration [16]). Nach dem Krieg kehrte P. nach Hamburg zurück und nahm schon im Herbst 1947 aktiv an den Vorstandssitzungen der neu gegründeten → Jüdischen Gemeinde [124] Hamburgs teil. Als Anwalt vertrat er bei → Wiedergutmachungsfragen [162] vor allem die Interessen der Jüdischen Gemeinde sowie die Ansprüche zahlreicher emigrierter Hamburger Portugiesen. Anfang der fünfziger Jahre zog P. nach Haifa, war aber bis 1971 weiterhin in der Hansestadt als Anwalt, vor allem in Wiedergutmachungsfragen, tätig.
Rabbiner, Kantor, Journalist und Übersetzer, geb. 28.2.1824 Altona, gest. 26.9.1879 Hamburg
P. studierte in Göttingen und Heidelberg Philosophie und arbeitete später als Lehrer in Oldenburg. 1854 wurde er als Sprachlehrer an die ursprünglich als → Israelitische Freischule [139](41) gegründete Stiftungsschule in Hamburg berufen, seit 1855 teilte er sich mit dem ebenfalls der → Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde [2] angehörenden David Meldola das Amt des Kantors am Neuen Israelitischen → Tempelverein [39]. 1859 wurde er zum Oberkantor ernannt. Über den beliebten Religionslehrer Piza schreibt Ferdinand Meisel 1917 in seinen Erinnerungen: »Auch unser Religionslehrer Dr. Piza war ein hervorragender Mann, der die deutsche Sprache meisterhaft beherrschte. Seine stattliche Gestalt, sein prächtiger, dunkler Vollbart, sein herrliches Organ sind mir unvergesslich.« 1856 übersetzte er den Roman Marie Henriquez Morales der englischen Sefardin Grace Aguilar, 1876 gab er den (heute verschollenen) Katalog der Bibliothek der fünf vereinigten Logen in Hamburg heraus. 1862 übernahm P. die Redaktion des Norddeutschen Volksblattes, von 1864 bis 1871 war er Redakteur bei der Hamburger Lokalzeitung Freischütz und 1872 wurde er Schriftleiter des Altonaer Volksblattes Reform. 1866 führte er die staatlich angeordnete Konfirmation unter Beteiligung von vier Knaben und einem Mädchen durch (Trennung von Staat und Kirche durch die Verfassung 1860). 1869 wurde er als Abgeordneter in die Hamburger Bürgerschaft gewählt.
Jurist, Ökonom und Gemeindeführer, geb. 17.10.1901 Sohrau (Oberschlesien), gest. 8.3.1974 Hamburg
P.s Eltern verließen Oberschlesien 1919, als in den von Polen beanspruchten Gebieten Unruhen ausbrachen. P. hingegen schloss sich dem Freikorps »Verband Manfred Killinger« an und nahm an den Kämpfen um Annaberg teil. Danach legte er in Marburg sein Abitur ab und kehrte 1922 zu seinen Eltern zurück, die nun in Hamburg lebten. Sein Vater Raphael P. leitete dort das Deutsch-Israelitische Waisenhaus. P. absolvierte eine Lehre im Bankhaus → Warburg [54], studierte dann in Rostock, Freiburg und Paris Rechtswissenschaften und Nationalökonomie und wurde in beiden Fächern promoviert. Bis 1930 arbeitete er für das Bankhaus Warburg und sammelte praktische Verwaltungserfahrung, so als Volontär bei Max Brauer. P., Mitglied der DDP, unterstützte innerhalb der Jüdischen Gemeinde (→ DIG [18]) den Central-Verein deutscher Bürger jüdischen Glaubens, dessen Jugendverband, die Deutsch-jüdische Jugend, er leitete. 1930 wurde er ins Repräsentanten-Kolleg der Gemeinde gewählt, Anfang 1933 als hauptamtlicher Sekretär eingestellt. P. wurde mehrfach kurzzeitig verhaftet, u. a. wegen seiner Logenmitgliedschaft in der B’nai B’rith-Loge (→ Logenwesen [32]) und nach der Pogromnacht (→ Novemberpogrom [22]). Im Dezember 1938 setzte die Gestapo P. als alleinverantwortlichen Leiter des → Jüdischen Religionsverbandes [23] und gleichzeitig als Vorstand aller jüdischen Organisationen in Hamburg ein. Von 1938 bis 1941 organisierte P. mit Unterstützung des Sekretariats Warburg Ausreisemöglichkeiten. Als die Stettiner Juden 1940 ins Generalgouvernement deportiert worden waren, beauftragte die Zentrale der Reichsvereinigung der Juden P., sich um deren finanziellen Nachlass zu kümmern. P. half zu verhindern, dass die ostfriesischen Juden dorthin verschleppt wurden. Als Leiter der Bezirksstelle Nordwestdeutschland der Reichsvereinigung unterstanden ihm auch die Juden in Schleswig-Holstein, Oldenburg, Bremen, in den Regierungsbezirken Stade, Lüneburg und Mecklenburg und später noch die in Hannover und Hildesheim. Bei Auflösung der Reichsvereinigung im Juni 1943 löste die Gestapo ihr Versprechen ein, P. nach Palästina ausreisen zu lassen. 1946 heiratete er Ruth Jacobson, 1950 übersiedelte er nach Bremen, wo er stellvertretender Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde wurde. 1965 kehrte er nach Hamburg zurück. Sein Bericht über die Judenverfolgung wurde im Prozess gegen Adolf Eichmann verwendet. Von 1959 bis 1964 gehörte er der deutschen UNESCO-Kommission an und stand von 1971 bis zu seinem Tod der Lessing-Akademie Wolfenbüttel als Präsident vor.
Dirigent, geb. 3.5.1879 Prag, gest. 14.6.1933 Prag
P. studierte zunächst Mathematik an der Technischen Hochschule in Darmstadt und in Göttingen, soll dann unter dem Einfluss seines Vaters das Interesse daran verloren haben und ließ sich vom Direktor des Prager Konservatoriums privat zum Dirigenten ausbilden. Seine erste Anstellung erhielt er 1901 als Chordirigent des Prager Landestheaters. 1905 wurde er erster Opernkapellmeister in Bremen, 1910 dann in Leipzig. Nach einem Engagement 1912 bis 1917 in Frankfurt a. M. kam er im August 1917 als musikalischer Oberleiter nach Hamburg an das Stadttheater (seit 1934 Staatsoper), das bis 1919 privatgesellschaftlich geführt wurde und nun staatliche Zuschüsse erhielt. 1919 wurde das Stadttheater auch in ein reines Musiktheater umgewandelt, 1922 wurde Pollak hier zum Generalmusikdirektor ernannt. Die zwanziger Jahre waren am Stadttheater geprägt durch wirtschaftliche Schwierigkeiten während der Inflationszeit, den Neubau des Bühnenhauses, bewährte Aufführungen, Neuinszenierungen und Gastspiele. P., der als Wagner-Spezialist galt, wurde besonders für die Inszenierung Die verkaufte Braut, Janáceks Jenufa (1926) und Wagners Ring des Nibelungen (1927) gelobt. Zusammen mit dem Leiter des Stadttheaters, → Leopold Sachse [167], ging es ihm um bewährte Qualität und Erneuerung im Programm. Die Weltwirtschaftskrise 1929 wie auch die Konkurrenz anderer Musikbühnen in Hamburg machten dem Stadttheater zu schaffen, die Besucherzahlen sanken. Nicht ohne Bitterkeit kehrte P. der Hansestadt den Rücken. Für die Saison 1931/32 ging er als Operndirektor nach Chicago und ließ sich anschließend wieder in seiner Heimatstadt Prag nieder.
(auch: Baruch Pohl), Intendant, geb. 16.12. 1838 Köln, gest. 26.11.1897 Hamburg
P., einer der wohl schillerndsten Opernprinzipale des 19. Jahrhunderts, begann seine künstlerische Karriere im Fach Gesang. Nach erfolgreichen Jahren als Impresario der italienischen Oper in Moskau und Petersburg übernahm er 1874 die Direktion des Hamburger Stadttheaters an der Dammtorstraße. P. präsentierte allwöchentlich viermal Oper, zweimal Schauspiel, einmal Operette oder Ballett. Dabei bewies er so viel kaufmännisches Geschick, dass zwei Jahre nach Amtsantritt auch die Leitung des Stadttheaters in Altona in seine Hände gelegt wurde und er zudem den Hamburger Senat bewog, die Pacht zu senken, dem Haus eine Subvention und ihm selbst ein Honorar zu zahlen. 175 Erstaufführungen, davon 51 Uraufführungen, volle Häuser und stattliche Überschüsse – das war die Bilanz, die P. nach 23 Jahren vorweisen konnte. Die tragenden Säulen seines Imperiums waren die Gesangssolisten. Sie lockte P. mit hohen Gagen, das Publikum mit ihren großen Namen. War jeder Auftritt der Stars schon eine Gala par excellence, so geriet der Besuch hochgeschätzter Komponisten, darunter Puccini und Tschaikowsky, zum musikalischen Ereignis für die ganze Stadt, zumal die Künstler ihre Werke selbst dirigierten. Meisterhaft verstand es P., jeden Anlass für Festlichkeiten zu nutzen, und für die Hamburger Gesellschaft gehörte es zum guten Ton, dabei zu sein. Ganz andere Töne freilich vernahm man auf Seiten der Dirigenten. Hans von Bülow klagte 1887 über zu viele Dirigate, ein »abgetriebenes« Orchester und selbstherrliche Gesangssolisten. Ein langes Martyrium durchlitt auch Gustav Mahler, seit 1891 erster Kapellmeister am Haus. Kompromisslos wie Bülow, revoltierte er gegen den »Gewalthaber« P. und dessen »Augiasstall«. Ein Dauerkrieg war die Folge, bis man sich 1897 voneinander trennte, wenige Monate vor P.s Tod.
Im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts wurde Hamburg zu einem begehrten Handelsplatz für englische und niederländische Kaufleute sowie Zufluchtsstätte für Glaubensflüchtlinge wie die Neuchristen (cristãos novos, conversos, marranos) von der Iberischen Halbinsel. Diese Portugiesen waren die ersten Juden, die sich in der protestantischen Hafenstadt dauerhaft niederlassen durften.
Zu diesen Hamburger Portugiesen gehörten der Brasilienkaufmann Emanuel Alvers, der Makler Adrian Gonsalves, der Zuckerimporteur Diego Gomes sowie der Arzt Dr. Rodrigo de → Castro [213] alias David Namias aus Lissabon, der 1592 in Hamburg seine Praxis eröffnete. 1595 waren wohl sieben portugiesische Familien in Hamburg ansässig, für 1609 sind 98 Personen nachgewiesen. Erster Rabbiner wurde 1617 Isaac Atias (→ Rabbinat [10]). Nach dem Ablauf des Waffenstillstands zwischen Spanien und den Niederlanden (1621) verlagerten weitere Portugiesen ihren Wohnsitz von Amsterdam nach Hamburg und → Glückstadt [1]. Die erhaltenen Protokollbücher der Jüdischen Gemeinde geben uns einen guten Einblick in die ausgeübten Berufe. Neben der hohen Zahl von Gemeindebeamten wie Rabbinern, Kantoren, Lehrern, Küstern oder Schächtern waren vor allem Ärzte sowie Apotheker, Steinschneider, Fleischhändler, Börsenmakler, Tabakhändler und Tabakspinner, Zuckersieder und Bankiers vertreten. Es waren die erfolgreichen portugiesischen Bankiers, Großkaufleute, Überseehändler, Seeversicherer, Handelsmakler und Juwelenhändler, denen die P. von Hamburg ihre wirtschaftlichen Grundlagen verdankt und die Hamburg im 17. Jahrhundert zum Aushängeschild des sefardischen Judentums im Westen machten (→ Wirtschaftsleben [174]).
Profitierte die Stadt von der ständig wachsenden Zahl der Fremden, so löste die Tatsache, dass es sich bei den Portugiesen um zwangsgetaufte Juden handelte, immer wieder Unbehagen innerhalb der christlichen Gesellschaft aus. Daraus entstand eine ständige Debatte, wie man mit diesen Fremden verfahren solle, ob man Juden überhaupt in der Stadt dulden könne und, wenn ja, unter welchen Bedingungen. Eine entscheidende Rolle spielte in diesem Zusammenhang die Frage, ob man den Juden die Ausübung ihrer Religion gestatten solle. Ein erstes Ergebnis dieser Hamburger Tolerierungsdebatte war der Kontrakt, den der Hamburger Rat im Februar 1612 mit der »portugiesischen Nation« schloss. Unter der Bedingung, dass sich die Portugiesen gehorsam verhielten und alle (finanziellen) Verpflichtungen erfüllten, sollten die Sefarden das Aufenthaltsrecht in der Stadt erhalten, Gewissensfreiheit genießen und von der Obrigkeit geschützt werden. Sie blieben aber weiterhin »Fremde«, denen der Rat nur für die Geltungsdauer des Kontraktes seinen Schutz gewährte. Die am 3. September 1652 aus dem Zusammenschluss der drei Synagogengemeinden Talmud Tora, Keter Tora und Neve Salom hervorgegangene sefardische Einheitsgemeinde Kahal Kadosch Bet Israel (Heilige Gemeinde des Hauses Israels) bestand aus ca. 1.200 Mitgliedern, größtenteils ehemalige Neuchristen. Ihnen schlossen sich wenig später zahlreiche iberische Juden aus Nordafrika, Italien und dem Osmanischen Reich sowie zahlreiche iberische Altchristen an. Rabbiner, Kantoren und Lehrer aus Nordafrika und Italien, später überwiegend aus Amsterdam, kümmerten sich um die Re-Judaisierung der ehemals katholischen Gemeindemitglieder. Nicht alle traten den P. bei, manche gingen enttäuscht nach Spanien und Portugal zurück. Wie in Amsterdam, Livorno, London oder Bordeaux war die oberste Exekutive der P. der Ma’amad, der nach dem Vorbild der jüdischen Gemeinde in Venedig die »vollständigen Rechte sowie die absolute Macht hatte, über die Nation zu herrschen« und sich überwiegend aus den Oberhäuptern der wohlhabenden Familien zusammensetzte. Für den Kontakt mit den Behörden wurden vor allem die Gemeindemitglieder bestimmt, die wegen ihres Reichtums bzw. ihres diplomatischen Status (z. B. als Residenten ausländischer Mächte) eine herausgehobene Stellung in der Stadt hatten. Kamen die ersten Rabbiner und Kantoren aus Italien (z. B. Isaac Jessurun), so hatten viele der später in Hamburg amtierenden geistlichen Beamten in Amsterdam studiert. Grundlage der in Hamburg und Altona gültigen Liturgie war das 1753 von Jacob Belinfante in portugiesischer und hebräischer Sprache verfasste Minhagim-Buch. Für die Sefarden, die sich in Hamburg und in Norddeutschland niederließ, lässt sich unabhängig von ihrer Herkunft folgende Sprachenverteilung feststellen: Portugiesisch war die verbindliche Umgangssprache innerhalb der Gemeinde sowie im Kontakt mit den anderen Gemeinden, und es wurde ausschließlich in portugiesischer Sprache gepredigt. Auch die (wenigen) gedruckten Predigten erschienen auf Portugiesisch, ebenso die Mehrzahl der Grabinschriften. Spanisch war als halbsakrale Sprache und Sprache der Rückkehr ins Judentum vor allem die Sprache der religiösen und literarischen Texte. Mit Hilfe von Nachdrucken zahlreicher klassischer Werke jüdischer Autoren in spanischer Sprache fanden die Neuchristen in der Marrano-Diaspora zurück ins normative Judentum. Die Sprache der Wissenschaft, aber auch die der gelehrten Dichtkunst, war vor allem Latein.
[214]Die zunehmend antijüdische Stimmung und die Wiederbelebung des holländischen Iberienhandels führten in den sechziger und siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts zu einer Abwanderung vor allem ärmerer Portugiesen. Ende des 17. Jahrhunderts löste eine restriktive Abgabenpolitik eine massive Abwanderung der reichen Hamburger Portugiesen nach Amsterdam aus. Interne Streitigkeiten führten wenig später zur Neugründung einer P. in Altona, die jedoch bis zu ihrer Auflösung Ende des 19. Jahrhunderts von den Hamburger Portugiesen abhing. Anfang des 19. Jahrhunderts verzeichneten die Hamburger und Altonaer P. nicht nur einen beträchtlichen Zuzug von sefardischen Juden aus dem Osmanischen Reich, aus Holland, Dänemark und Portugal, sondern vor allem auch aus Südamerika und Nordafrika. Die seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu beobachtende wachsende Zahl von Eheschließungen mit aschkenasischen Ehepartnern, ein Überaltern der Gemeinden sowie eine wachsende Bereitschaft, aus der Gemeinde auszutreten bzw. zum christlichen Glauben zu konvertieren, schwächte die Position dieser so traditionsbewussten Gemeinden. Innerhalb der Hamburger und Altonaer Jüdischen Gemeinden spielten die Sefarden im 20. Jahrhundert nicht nur zahlenmäßig, sondern auch wirtschaftlich und gesellschaftlich eine eher geringe Rolle. Ihre Abhängigkeit von den deutschen Juden, den tudescos, kompensierten sie zum einen durch eine herablassend ablehnende Haltung ihnen gegenüber, zum anderen durch einen intensiven geschäftlichen und familiären Kontakt mit den Gemeinden der Marranen-Diaspora, hier vor allem mit denen von Amsterdam und Curaçao. Wenige Jahre nach der Feier zum 275-jährigen Bestehen der Gemeinde Bet Israel und dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft emigrierten viele der einflussreichen Portugiesenfamilien nach Holland, in die USA und nach Frankreich, wenige wählten Palästina oder Portugal als ihre neue Heimat. Nach dem Verkauf ihrer → Synagoge [96] in der Markusstraße (18) diente eine Privatvilla in der Innocentiastraße (54) der kleinen Restgemeinde bis 1939 als religiöse Heimstatt. 1942 wurde die P. aufgelöst. Über 80 Portugiesen wurden Opfer der deutschen Vernichtungspolitik. An die Sefarden in Hamburg erinnern heute noch die ehemalige Synagoge in der Innocentiastraße und ihre Friedhöfe (Königstraße (100), Bornkampsweg (102), Ilandkoppel).
Die Niederlassung von Juden in Altona war zunächst auf die Erteilung eines Partikulargeleits gegründet, das Einzelnen oder kleinen Gruppen ausgestellt wurde. 1612 wurde den Altonaer Juden durch den Grafen von Schauenburg erstmals ein Generalprivileg erteilt, das ihnen Wohlverhalten und die Entrichtung der Steuern auferlegte und dafür Aufenthaltsrecht, Religionsausübung, Erwerbstätigkeit und landesherrlichen Schutz zusicherte.
Zuwandernde Juden wurden jeweils durch Befehl an die gräflichen Beamten in das Privileg mit aufgenommen. Nach dem Übergang Altonas an Dänemark wurden die den hochdeutschen Juden erteilten Privilegien durch das Generalprivileg König Christians IV. von 1641 bestätigt und erweitert. Neben dem Recht auf → Synagoge [96] und Gottesdienst sowie eigenen → Friedhof [34] wurde eine autonome jüdische → Gerichtsbarkeit [17] zugestanden. Eine Begrenzung der Familienzahl war nicht vorgesehen, ebenso wenig eine Beschränkung von Haus- und Grundbesitz oder Erwerbstätigkeit. Spätere Privilegien des 17. und 18. Jahrhunderts wiederholten diese Grundzüge, die der Entfaltung jüdischen Lebens und nicht zuletzt der jüdischen Gemeindeautonomie ungewöhnlich weiten Raum ließen. So wurde das Zugeständnis einer eigenen Schiedsgerichtsbarkeit in der Praxis sehr weit gefasst und die jüdische Gerichtsbarkeit mit geringen Einschränkungen als zivilrechtliche erste Instanz anerkannt, wobei den Gemeindevorstehern und dem Oberrabbiner mit der Festsetzung des Strafmaßes obrigkeitliche Funktionen übertragen waren (→ Rabbinat [10]). Die immer wieder bestätigten oder geringfügig modifizierten, im Bedarfsfall durch Einzelentscheide ergänzten Privilegien blieben bis zum holsteinischen Emanzipationsgesetz von 1863 die Grundlage der Judenpolitik in Altona.
Personen und Themen mit R
Seit dem 13. Jahrhundert beauftragten die europäisch-jüdischen Gemeinden Rabbiner mit der Lehre und Auslegung des Religionsgesetzes. Während im Rahmen der vormodernen Gemeindeautonomie »Oberrabbiner« und deren Assessoren die Gerichtsbarkeit über die Juden eines bestimmten Sprengels ausübten, erstrecken sich die Funktionen des neuzeitlichen Rabbiners eher auf Predigt und Religionsunterricht. Auch die Hamburger Juden haben im Laufe ihrer Geschichte unterschiedliche Modelle rabbinischer Autorität gekannt.
Die Rabbiner, die seit etwa 1617 in den → portugiesischen Gemeinden [2] wirkten, waren Prediger ihrer jeweiligen Synagogen; sie führten den Titel »Chacham« (Weiser). Der bekannteste unter ihnen, → David Cohen de Lara [59], wurde 1652 auch Rabbiner der Gesamtgemeinde, musste aber 1656 dem neuen Oberrabbiner (haham geral) weichen. Seit dem frühen 18. Jahrhundert wurde die nur mehr kleine portugiesische Gemeinde von ehrenamtlichen Gelehrten und dem Personal der Talmudstudienstiftung des Abraham Sumbel betreut. Die aschkenasischen Juden Schleswig-Holsteins hatten seit 1664 einen Oberrabbiner mit Sitz in Altona. Kraft einer Übereinkunft der → Drei Gemeinden [9] aus dem Jahr 1672 war dieser auch für Hamburg zuständig, dessen Juden keine eigenen Kultusinstitutionen unterhalten durften. Ein Quotensystem bestimmte die Zusammensetzung und die Wahl des rabbinischen Gerichtshofs, welcher Religions- und Sittenvergehen mit Geldbußen ahndete und in allen innerjüdischen Zivilprozessen das Urteil erster Instanz sprach. Übliches Zwangsmittel war der Synagogenbann. Die Stadt Hamburg verwahrte sich erfolglos gegen das Wirken des Altonaer Oberrabbinats auf ihrem Territorium; im »Gottorfer Tractat« von 1768 musste sie dessen Befugnisse sogar ausdrücklich anerkennen. Die Altonaer Rabbinatswürde bekleideten bedeutende Talmudisten des 18. Jahrhunderts, darunter → Zwi Aschkenasi [7], Ezechiel Katzenellenbogen, → Jonathan Eibeschütz [8], Isaak Horowitz und → Raphael Cohen [215]. Das Oberrabbinat verlor seine Zuständigkeit für Lübeck 1802 und für Hamburg 1812, behielt aber seinen holsteinischen Sprengel; überdies blieb ihm, als letztem Rabbinat Westeuropas, seine zivilgerichtliche Kompetenz noch bis 1863 unbenommen. An seiner Spitze wirkten mit → Jakob Ettlinger [216], Elieser Loeb und → Maier Lerner [146] drei bedeutende Vertreter der Neuorthodoxie. Das Altonaer Oberrabbinat und das seit 1863 in Wandsbek beheimatete Ortsrabbinat wurden beide unter dem Druck der Verfolgungen des Jahres 1938 aufgelöst. Einer der Beisitzer im Altonaer Gerichtshof war in der → Frühe Neuzeit [150] zugleich Ritualgutachter, hebräisch »More-Zedek«, der Hamburger Gemeinde. Die französische Besatzung erhob diesen zum Konsistorial-Oberrabbiner (1813-14). Auf diese Stelle berief der Gemeindevorstand 1821 → Isaak Bernays [98], einen akademisch gebildeten Kandidaten (ein Novum in der Rabbinatsgeschichte), und gewährte ihm die Kultus- und Schulaufsicht. Nachdem schon Bernays sich den sefardischen Titel »Chacham« zulegte, versuchte auch die Gemeinde 1851 den in Stellung und Gehalt herabgestuften »More-Zedek« wenigstens nominell aufzuwerten; doch musste es aus Rücksicht auf den → Tempel [39] bei dem vagen Titel »Oberrabbiner in Hamburg« bleiben. Auch diese Stelle wurde von Rabbinern der neuorthodoxen Richtung versehen, nämlich → Anschel Stern [208], Markus Hirsch, → Samuel Spitzer [217] und schließlich → Joseph Carlebach [69], der von 1938 bis zu seiner → Deportation [13] als einziger Rabbiner des → Verbands der jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte [218] verblieb. Die → Jüdische Gemeinde [124] zu Hamburg berief in den fünfziger Jahren wieder einen Rabbiner, der bis 2003 zugleich Landesrabbiner von Schleswig-Holstein, zeitweilig auch von Niedersachsen war. Die Stelle besetzten zunächst Ludwig Salmonowicz, später H. I. Gruenewald und derzeit Dov-Levi Barsilay. Rabbiner wirkten auch an manchen privaten Synagogenvereinen, etwa am Tempel, dessen Erster Prediger seit 1921 »Oberrabbiner« hieß, und an der → Neuen Dammtor Synagoge [77]. Die zahlreichen Stiftsgelehrten der »Klausen« (Lehrhausvereine, → Jeschiwa [129]) vertraten ein streng traditionelles Talmudstudium. Von ihnen war der in Auschwitz ermordete Altonaer Klausrabbiner → Eduard Duckesz [219] wichtigster Geschichtsschreiber des Hamburger Rabbinats.
Politiker und Jurist, geb. 2.4.1806 Hamburg, gest. 22.4.1863 Hamburg
R. wuchs in einer traditionellen jüdischen Familie Hamburgs auf. Der Vater Lazarus war zunächst Sekretär seines Schwiegervaters, des Rabbiners → Raphael Cohen [215], gewesen, betätigte sich aber zur Jugendzeit seines Sohnes als Lotterie- und Geldhändler. R. besuchte die Eliteschulen Katharineum in Lübeck und Johanneum in Hamburg. 1824 bis Ende 1826 studierte er in Kiel und Heidelberg und schloss seine juristische Ausbildung summa cum laude ab. Danach gelang es ihm infolge der gegen Juden bestehenden Bestimmungen nicht, beruflich Fuß zu fassen. Der Konversionsdruck, den viele Regierungen ausübten, bewog ihn 1830, eine von Pathos erfüllte Schrift Über die Stellung der Bekenner des mosaischen Glaubens in Deutschland zu verfassen. Auf eine Replik des Heidelberger Theologie-Professor H. E. G. Paulus (Über die Nationalabsonderung der Juden …, Heidelberg 1831), der die Erteilung staatsbürgerlicher Rechte an die Bedingung einer Massentaufe geknüpft wissen wollte, reagierte R. wiederum scharf. 1832 gab er eine neue politische Zeitschrift Der Jude heraus (→ Zeitungswesen [81]), in der er die Debatten über die Rechtsstellung der Juden in den deutschen Staaten und in England kritisch kommentierte. Diese Form der säkularen Berichterstattung war neu und übte prägenden Einfluss auf die Entwicklung der jüdischen Presse in Deutschland aus. R.s Schriften erregten öffentliches Aufsehen und wurden auch vom christlichen Publikum gelesen. Von wichtigen jüdischen Notabeln wurde er gebeten, weitere Eingaben zu verfassen. In Hamburg gründete er 1833 das Comité zur Verbesserung der bürgerlichen Verhältnisse der Juden und wies ethnische Argumentationen gegen eine Gleichstellung der Juden energisch ab. Gegen Übergriffe auf Juden in Hamburg während der so genannten »Kaffeehauskrawalle« (→ Ausschreitungen [12]) setzte er sich 1835 persönlich ein. Nachdem ihm in Hessen-Kassel das Bürgerrecht und damit die Niederlassung als Rechtsanwalt verweigert worden war, nahm er 1839 die jüdische Notariatsstelle in seiner Vaterstadt Hamburg an. Als namhaften Juristen und Publizisten entsandten ihn die Wahlmänner des Herzogtums Lauenburg, das Juden bis dato keine Niederlassungsrechte gewährt hatte, in die Nationalversammlung der Frankfurter Paulskirche, wo er im August 1848 wiederum für die Gleichberechtigung der Juden eintrat. R. verurteilte die rechtlichen Benachteiligungen der Juden als Druck zum Religionsübertritt. Er wandte sich gegen den Wuchervorwurf gegenüber Juden und forderte gleiche Rechte ein, da sie ja schon gleiche Pflichten, etwa bezüglich des Militärdienstes, erfüllten. »Deutschtum« bedeutete für ihn in Deutschland geboren und durch deutsche Kultur geprägt zu sein sowie loyal zu den Gesetzen zu stehen. Auf den oft vorgebrachten Einwand, die Juden seien eine der deutschen entgegengesetzte »fremde Nation«, erwiderte er, dass sie weder eine ihnen gemeinsame Regierung aufwiesen noch durch Gesetze, Sprache oder Territorium eine Einheit bildeten. Er verband die allgemeinen Forderungen der Liberalen nach Gleichstellung und Gewissensfreiheit mit dem Anliegen der → Emanzipation [11] der Juden. Auch im innerjüdischen Bereich waren ihm liberale Prinzipien wichtig, so etwa, als orthodoxe Rabbiner 1841 die zweite Auflage des Gebetbuches des Neuen Israelitischen → Tempelvereins [39] heftig kritisierten. Mit der Gleichberechtigung für die Juden im Stadtstaat Hamburg im Jahr 1859 wurde R. Obergerichtsrat und Vizepräsident der Bürgerschaft. Er hatte endlich sein Lebensziel erreicht, verstarb aber im Alter von 57 Jahren. R. gehörte durch sein politisches Engagement zu den bekanntesten Juden seiner Zeit und hat sich große Verdienste im Kampf um die Emanzipation erworben.
In der Geschichte der Hamburger Kaufmannsfamilie R. spiegeln sich beispielhaft zwei historische Entwicklungen im 19. Jahrhundert, die für viele deutsche Juden prägend waren: Ein erfolgreicher sozioökonomischer Aufstieg ins Bürgertum zum einen sowie eine fortschreitende Säkularisierung der Gesellschaft zum anderen.
Rund vier Generationen lang, vom 18. Jahrhundert an, lebte die weitverzeigte Familie R. in Hamburg. Gründungsvater der Dynastie war der in Polen geborene Marcus (1770-1840), der von Altona aus eine Karriere als international tätiger Kaufmann und Bankier startete. Seine Heirat mit Emma Beit (1784-1830), Tochter eines wohlhabenden jüdischen Unternehmers, stärkte zusätzlich seinen sozialen Aufstieg ins hamburgische Bürgertum. Marcus R. war Mitglied in der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18], von 1820 bis 1825 dort als Vorsteher tätig, und zugleich Mitbegründer des reformorientierten → Tempelvereins [39], in dessen Vorstand er von 1817 bis 1839 wirkte. 1820 gründete er seine eigene Firma. Sein ältester Sohn Siegmund (1808-1870), verheiratet mit Therese Dieseldorff (1810-1890), übernahm das Unternehmen nach dem Tode des Vaters zusammen mit seinen Brüdern Adolph (1809-1885) und Meinhard (1814-1895), die beide jeweils eine Filiale in Schottland leiteten. Nach einem Konkurs der Firma 1848 trennten sich die Brüder, und Siegmund gründete 1859 zusammen mit seinem ältesten Sohn Hermann (1837-1922) erneut ein sehr erfolgreiches, internationales Import- , Export- und Kommissionsgeschäft. 1859 wurde Siegmund als Vertreter der Liberalen in die Hamburger Bürgerschaft gewählt, der er bis 1865 angehörte. Wie sein Vater engagierte er sich auch im Tempelverein und in jüdischen → Wohlfahrtseinrichtungen [79]. Doch verstand sich Siegmund als Freidenker, der nur zwangsweise Mitglied einer konfessionellen Gemeinschaft war. Nachdem 1864 durch ein Gesetz der Bürgerschaft dieser Zwang entfiel, trat er zusammen mit seiner Familie im Dezember aus der Jüdischen Gemeinde aus, ohne zugleich zu konvertieren. Sein Sohn Hermann Moses (1837-1922), der das Geschäft des Vaters zusammen mit seinem Bruder Johannes (1838-1897) erfolgreich ausbaute, konnte den Weg der R.s in die hamburgische Wirtschaftselite weiter fortsetzen. Hermann, verheiratet mit Flora May (1845-1891), war Mitglied der Deputation für Handel und Schifffahrt, von 1895 bis 1902 Vizepräsident der Handelskammer sowie bis 1907 Mitglied der Bürgerschaft. Seine vier Kinder blieben, wie er selbst, konfessionslos. Einige seiner Neffen wurden allerdings getauft, so zum Beispiel Franz R. (1880-1960), der 1921 als Ministerialrat in die Reichsverwaltung nach Berlin ging. Dennoch blieben die R.s den Kreisen der assimilierten jüdischen Familien Hamburgs verbunden. Den weitverzweigten Handelsbeziehungen und internationalen Verbindungen des Unternehmens ist es schließlich zu verdanken, dass in den dreißiger Jahren fast alle Familienmitglieder der nationalsozialistischen Verfolgung entkommen konnten.
(auch: a. Imanuel (Manuel) Bocarro Francês; b. Jacob Hebraeus), Kaufmann, Astronom/Astrologe und Schriftsteller, geb. vor 1593 Lissabon, gest. nach 1662 Italien
Der aus einer angesehenen kryptojüdischen Arztfamilie stammende R. studierte nach dem Besuch des Jesuitenkollegs Medizin, Physik, Astronomie und Mathematik in Alcalá de Henares, Montpellier und Coimbra. In seinem 1624 veröffentlichten gelehrten Gesang Anacephaleoses da monarchia Luzitana feierte er die glorreiche Vergangenheit Portugals und sagte die Wiederherstellung und großartige Zukunft des portugiesischen Weltreiches voraus, was die Aufmerksamkeit der spanischen Inquisition erregte. Nach kurzem Gefängnisaufenthalt floh R. nach Rom, wo er 1626 den vierten Teil dieses Buches veröffentlichte, für das Galileo Galilei ein Vorwort verfasste. Mit dieser Schrift gab sich R. als Anhänger der politisch-literarischen Richtung des Sebastianismus zu erkennen, in dem jüdischer und christlicher Messianismus zusammentrafen. 1631 ließ er sich in Hamburg nieder, wo Mitglieder seiner weit verzweigten Familie offen als Juden lebten. Im Juni 1641 wurde er vom deutschen Kaiser Ferdinand III. wegen seiner Verdienste um die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit zwischen Spanien und Deutschland mit der Würde des »kleinen Palatinats« sowie mit einem Freibrief ausgezeichnet, der ihn und seine Nachkommen »vom Makel der jüdischen Abstammung« befreite. 1645 wurde R. Spaniens Vertreter in Hamburg. 1652 unterzeichnete er die Gründungsvereinbarung der → Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde [2] Bet Israel. Als ihn die spanische Regierung nicht mehr bezahlte und er zahlungsunfähig wurde, ließ er sich in Italien nieder. 1662 berief ihn die Herzogin Strozzi nach Florenz, doch verstarb R. auf dem Weg dorthin.
Architekt, Architekturtheoretiker und Kunstschriftsteller, geb. 5.1.1809 Kassel, gest. 15.8.1893 Wiesbaden
R. zählte zu den ersten in Deutschland tätigen jüdischen Architekten. 1826 begann er seine Ausbildung an einer privaten Zeichenschule und der Akademie der bildenden Künste in Kassel, 1827 nahm ihn die Oberbaudeputation Kassel als Eleven an. Mit einem Residenzentwurf, für den er den Prix de Rome der Kasseler Akademie gewann, schloss er seine Ausbildung 1829 ab. In die Zeit als Assistent A. Schuchardts in der Oberbaudeputation Kassel fiel 1833-1839 die Planung und Realisierung der Kasseler Synagoge im bis dahin nur für öffentliche Bauten üblichen romanisierenden Rundbogenstil, der den Synagogenbau in den folgenden Jahrzehnten prägte. Anschließend an die mit dem Prix de Rome finanzierte Studienreise nach Paris, Rom, Venedig und Belgien übersiedelte R. 1842 nach Hamburg, wo er bis 1882/83 eine rege Bau- und Publikationstätigkeit entfaltete. Für christliche und jüdische, private und öffentliche Auftraggeber entstanden Wohn- und Geschäftshäuser, Villen, Wohnstifte, das Gast- und Krankenhaus St. Georg, Kapellen, das Grab-Denkmal für → Gabriel Riesser [92] (heute Jüdischer → Friedhof [34] Ohlsdorf) sowie vier → Synagogen [96] und die → Talmud Tora-Schulgebäude [38] an den Kohlhöfen (9, 18, 19). Seine Publikationen umfassen Reiseberichte, Architekturrezensionen, Architekturtheorie und Übersetzungen. An der Formulierung einer jüdischen Identität war R. weder bei seinen Synagogen oder den Schulen noch in seinen Publikationen interessiert, dennoch reflektierte er das Judesein und das Bauen jüdischer Gemeinden in Deutschland. 1867 trat er aus der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] aus.
Klassischer Philologe und Bibelwissenschaftler, geb. 15.3.1866 Hamburg, gest. 9.5.1943 Hamburg
R., Sohn des Wechselmaklers David Ruben und seiner Ehefrau Mathilde, stammte aus einer seit ca. 1650 in Wandsbek und Hamburg ansässigen Familie, deren Mitglieder als Kaufleute und Ärzte Vermögen und Ansehen erlangt hatten. Er besuchte ab 1872 die → Talmud Tora Schule [38] und wechselte 1880 an die Gelehrtenschule des Johanneums, wo er 1885 das Abitur bestand. R. studierte Klassische Philologie in Freiburg und Bonn; seine Doktorarbeit über den griechischen Kirchenvater Clemens Alexandrinus betreute Hermann Usener in Bonn. Nach dem Militärdienst (1892/93) lebte R. als Privatgelehrter in Hamburg, von 1894 bis 1907 mit Unterbrechungen in England. Seit seiner Jugend verband ihn eine enge Freundschaft mit → Aby Warburg [43]. Im Gegensatz zu Warburg blieb R. sein Leben lang den jüdischen Traditionen verbunden. Er war Mitglied der Steinthal B’nai B’rith-Loge (→ Logenwesen [32]) und des im Juni 1929 konstituierten Ortskomitees Hamburg der Akademie für die Wissenschaft des Judentums; außerdem gehörte er dem Ehrenpräsidium der → Franz-Rosenzweig-Gedächtnisstiftung [148] an. 1931 wurde R. Mitarbeiter der → Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg [41] und blieb nach deren Transfer nach London ihr Hamburger Repräsentant. Nach 1933 lebte er zurückgezogen in Hamburg, ganz mit der Drucklegung seines wissenschaftlichen Hauptwerks beschäftigt, das 1937 in London erschien (Recensio und Restitutio. Eine Vermuthung über die früheste Geschichte der alttestamentlichen Texte). Die 1939 vorbereitete → Emigration [16] nach Dänemark scheiterte am Kriegsausbruch. 1941 wurde R. in ein → »Judenhaus« [136] eingewiesen. Sein schlechter Gesundheitszustand rettete ihn 1942 vor der → Deportation [13] nach Theresienstadt. 1943 starb R. und wurde auf dem → Friedhof [34] an der Ilandkoppel beigesetzt.
Politiker und Pädagoge, geb. 9.11.1815 Hamburg, gest. 13.1.1891 Hamburg
R. gehört zu den jüdischen Persönlichkeiten der Hansestadt, die weit über ihre Religionsgemeinschaft und Stadt sowie über ihre Zeit hinaus Bedeutung erlangten. Geboren als Sohn eines Hofbankiers des dänischen Königs, wurde er zunächst von einem Hauslehrer unterrichtet und erhielt dann auf dem Johanneum und dem Akademischen Gymnasium eine humanistische Ausbildung. In Kiel studierte er Philosophie und promovierte mit einer sprachwissenschaftlichen Arbeit zum Hebräischen. 1838 wurde R. Lehrer an der → Israelitischen Freischule [139] (41), 1848 übernahm er die Leitung der Schule und behielt diese bis zu seinem Tode. Er entwickelte die Anstalt zu einer Simultanschule, in der allerdings nach 1870 die christlichen Schüler die Mehrheit stellten. 1889 ließ R. den Zusatz »israelitisch« aus dem Namen der Schule streichen, er selbst war inzwischen aus der jüdischen Gemeinde (→ DIG [18]) ausgetreten, ohne aber sein Judentum zu verleugnen. Neben seiner pädagogischen Arbeit war R. zeitlebens ein politisch aktiver Vertreter des deutschen Linksliberalismus. Die rechtliche Gleichstellung der Juden war in seinen Augen nur eine Basis für die weitere → Emanzipation [11] der Juden. Er mahnte vor allem eine Änderung der kulturellen und sozialen Verhältnisse der Juden an. Insbesondere forderte er von den Juden, sich durch das Erlernen des Hochdeutschen integrationsfähig zu zeigen. 1845 gründete er gemeinsam mit dem Reformprediger → Gotthold Salomon [185] die Gesellschaft für sociale und politische Interessen der Juden, 1859 gehörte er zu den Mitbegründern des Vereins zur Förderung der Gewissensfreiheit, der sich für die Grundrechte von 1848 einsetzte. R.s schulpolitische Vorstellungen, die er bereits 1848 als Mitglied der verfassunggebenden Konstituante vertreten hatte, waren ihrer Zeit weit voraus. So forderte er eine für alle Kinder gemeinsame »allgemeine Volksschule«, die ihre Schüler ohne Ansehen von Stand und Vermögen der Eltern auszubilden hätte. In einem höheren Grad von Allgemeinbildung und gleichen Aufstiegsmöglichkeiten für alle sah er einen Beitrag zur Lösung der sozialen Frage und zur Demokratisierung der Gesellschaft. Von 1859 bis 1871 war R. Mitglied der Hamburger Bürgerschaft und wirkte dort an der Verfassung von 1860 sowie an dem Unterrichtsgesetz von 1870 mit. Der hohe Bildungsanspruch der 1871 eingerichteten staatlichen Hamburger Volksschule sowie die Absage an eine kirchliche Aufsicht über das Schulwesen waren nicht zuletzt seinem Einfluss zu danken. Den Höhepunkt seiner politischen Laufbahn stellte sein Mandat für die Fortschrittspartei im Reichstag von 1881 bis 1884 dar.
Personen und Themen mit S
Sänger, Schauspieler, Regisseur, Intendant, geb. 5.1.1880 Berlin, gest. 3.4.1961 Englewood Cliffs (N. J., USA)
S. kam nach Studien in Köln, Mailand und Wien und Engagements bzw. Intendanzen u. a. in Straßburg, Münster, Halle und Berlin 1921 ans Hamburger Stadttheater, wo er erst Direktor, ein Jahr später Intendant wurde. Gemeinsam mit dem Dirigenten → Egon Pollak [196] brachte S. die Opernregie in Hamburg auf einen modernen Stand (Der Ring des Nibelungen 1926-28) und sorgte für die Erweiterung des Repertoires um zeitgenössische Werke (Hamburger Erstaufführung von Ernst Kreneks Oper Jonny spielt auf 1927). Das Doppelgespann S./Pollak war antisemitischen Schmähungen in der Presse (Hamburger Tageblatt) ausgesetzt. Als Pollak 1931 Hamburg verließ und Karl Böhm neuer Generalmusikdirektor wurde, stufte man S. zum Oberspielleiter herab. Im März 1933 folgte die Zwangspensionierung. S. engagierte sich in der Fachschaft Künstler der Hamburger Beratungsstelle für jüdische Wirtschaftshilfe. Desgleichen wirkte er in der im September 1933 gegründeten Gemeinschaft jüdischer Künstler mit (→ Jüd. Kulturbund [4]). 1934 übernahm er die künstlerische Leitung der Jüdischen Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft in Hamburg. Im folgenden Jahr emigrierte S. über Frankreich in die USA (→ Emigration [16]). An der Ostküste unweit von New York City lebend, wurde S. zunächst Oberspielleiter an der Metropolitan Opera, 1945 dann Generaldirektor der New Yorker City Center Opera Company, die er zehn Jahre lang leitete. S. war auch Dozent an der Juilliard School in New York und an der Academy of Vocal Arts Philadelphia. Bemerkenswert ist sein Einsatz für die bei Bombardierungen im Krieg schwer beschädigte Hamburger Oper. Als Mitglied des Board of Governors der American Guild of Musical Artists organisierte S. 1948 eine groß angelegte Hilfsaktion zugunsten der Hamburgischen Staatsoper und ihres Ensembles.
Prediger, Pädagoge und Schriftsteller, geb. 1.11.1784 Sandersleben, gest. 17.11.1862 Hamburg
S. genoss in jungen Jahren eine traditionelle religiöse Erziehung, während er seine allgemeine Bildung später überwiegend im Privatunterricht oder autodidaktisch erwarb. Seit 1802 unterrichtete er Deutsch und Hebräisch an der jüdischen Reformschule in Dessau, an der er auch erste Gelegenheit zu öffentlichen Ansprachen erhielt. 1818, das Jahr, in dem er die rabbinische Ordination erwarb, übertrug ihm der Hamburger Neue Israelitische → Tempelverein [39] das Amt des zweiten Predigers, das er fortan neben → Eduard Kley [153] ausübte. Mehr noch als dieser galt S. als herausragender Kanzelredner, der als solcher bestrebt war, über die Nachahmung christlicher Muster hinauszugelangen und eine genuin jüdische Form für den gottesdienstlichen Vortrag zu entwickeln. Von ihm verfasst, erschienen nicht nur zahlreiche Predigtsammlungen, sondern auch eine deutsche Übersetzung der hebräischen Bibel. In mehreren Streitschriften ergriff er für die → Emanzipation [11] der deutschen Juden das Wort. An der Bearbeitung und Neuauflage des Tempelgebetbuchs 1841 maßgeblich beteiligt, verteidigte S. die darin enthaltenen liturgischen Veränderungen gegen die massive Kritik, die sowohl die Reformer als auch die Orthodoxie formulierten. Er verstand sich zeitlebens als Protagonist einer auch den außerkultischen Bereich umfassenden Neugestaltung jüdischer Frömmigkeitsmuster, für die er auf den 1844 bis 1846 stattfindenden Rabbinerversammlungen in Braunschweig, Frankfurt a. M. und Breslau das Wort ergriff. 1857 trat S. als Kanzelredner in den Ruhestand.
Jurist, geb. 6.7.1897 Hamburg, gest. 4.9.1938 Hohwacht
S. besuchte das Johanneum und legte dort, nachdem er im September 1914 als Kriegsfreiwilliger in das Heer eingetreten war, im August 1915 das Notabitur ab. Im August 1917 vor Verdun verwundet, wurde er im Dezember 1918 aus dem Heeresdienst entlassen. Anschließend studierte er an den Universitäten Halle, München und Hamburg Jura. Nach dem Bestehen der zweiten juristischen Prüfung im Februar 1924 trat er in die von seinem Vater Hermann Samson geführte Anwaltskanzlei ein. Politisch stand S. der Sozialdemokratie nahe. 1920 heiratete er die evangelisch konfirmierte Ilse Elkan. Auch wenn er im Vorstand des → Israelitischen Krankenhauses [134] wirkte, standen er und seine Familie mit vier Kindern dem Judentum bis 1933 fern. Als aber im Frühjahr 1933 die antijüdischen Maßnahmen und Gesetze einsetzten, sah sich S. in der Pflicht, den Verfolgten zu helfen. Zuerst organisierte er die Anwaltshilfe, bald darauf übernahm er den Vorsitz der Beratungsstelle für jüdische Wirtschaftshilfe. Im September 1933 wirkte er maßgeblich an der Gründung der Reichsvertretung der deutschen Juden mit, in deren Gremien er an vielen Beratungen teilnahm. Er wurde Vorsitzender des Landesverbandes Norddeutschland und des Ortsverbandes Hamburg des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Auch der 1934 gegründete → Jüdische Kulturbund Hamburg [4] stand unter seiner Leitung. Zu den Vorstandssitzungen der jüdischen Gemeinde (→ Gemeinde [124]) wurde er als ständiger Berater hinzugezogen. Auf die mit diesen Aufgaben verbundene hohe Arbeitsbelastung wird zurückzuführen sein, dass S. im Alter von nur 41 Jahren beim Baden in der Ostsee an einem Herzschlag starb. Seine Kinder kamen im Dezember 1938 mit einem Kindertransport nach Großbritannien. Seine Frau und seine Eltern folgten ihnen im April 1939.
(auch: Felix Friedrich), Kunsthistoriker und Institutsleiter, geb. 8.1.1890 Wien, gest. 22.3.1948 Dulwich (London)
S., Sohn eines Juristen, zeigte bereits als Schüler eine Neigung zur Kunstgeschichte, deren Studium er in Wien begann und in Berlin fortführte. 1912 promovierte S. in Wien mit Rembrandt Studien. S. beschäftigte sich mit astrologischen und mythologischen Illustrationen. 1910 begegnete er erstmals → Aby Warburg [43] in Hamburg, der ihn fortan unterstützte. 1914 an der → Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg [41] angestellt, musste er seine Arbeit durch Krieg und Frontaufenthalt in Italien unterbrechen. Nach Kriegsende war er vorübergehend bei einer Volksbildungseinheit des österreichischen Militärs tätig, 1919 kehrte er nach der Erkrankung Warburgs als dessen Stellvertreter an die Bibliothek zurück. 1922 habilitierte sich S., 1926 wurde er außerordentlicher Professor. Es ist S.s Verdienst, nach Gründung der Universität Hamburg die private Bibliothek in eine international anerkannte Institution umgewandelt zu haben. Neben anderen waren → Ernst Cassirer [40] und → Erwin Panofsky [180] eng mit der Bibliothek verbunden. S. schuf zwei Schriftenreihen und sorgte für einen festen Mitarbeiterstab. Nach der Rückkehr Warburgs und dem Neubau der Bibliothek 1926 widmete sich S. verstärkt eigenen Forschungen und Publikationen. Als Warburg 1929 starb, übernahm S. erneut die Leitung der Bibliothek. Nach dem rettenden Transfer der Bibliothek 1933 nach London gelang es ihm, das Warburg Institute jetzt auch in die Fachkreise Englands einzubinden. Gemeinsam mit → Gertrud Bing [221] bemühte er sich um zahlreiche Verfolgte und ermöglichte ihnen die → Emigration [16]. 1939 wurde S. britischer Staatsbürger, 1941 Fellow der British Academy. 1944 wurde das Institut der University of London angegliedert – die Zukunft war gesichert. Die Anstrengungen der schwierigen Kriegsjahre und die aufopferungsvollen Bemühungen S.s mögen zu seinem frühen Tod beigetragen haben.
geb. 9.9.1874 Brody (Galizien), gest. 1.2.1954 London
Seit 1904 arbeitete S. als selbständige promovierte Kunsthistorikerin in Hamburg. Bereits früh engagierte sie sich für den Expressionismus. Seit 1907 war sie passives Mitglied der »Brücke« und gründete 1916 den Frauenbund zur Förderung deutscher bildender Kunst. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie durch Vorträge sowie durch zahlreiche Publikationen. 1919 schloss sie sich als »literarisches Mitglied« der Hamburgischen Sezession an. Gemeinsam mit Wilhelm Niemeyer gab sie 1919-23 die Monatsschriften Die rote Erde und Kündung (1921) heraus. Durch die Vermittlung von Avantgarde-Kunst in Privatsammlungen sowie durch Präsentation ihrer reichen Sammlung moderner Kunst in der von Karl Schmidt-Rottluff gestalteten Wohnung suchte sie junge Künstler zu fördern. Diese revanchierten sich mit über 19 Schapire-Bildnissen. Fast 30 Jahre lang etablierte sie mit Gleichgesinnten ein tolerantes Kunst-Klima in Hamburg. Nach der Machtübernahme als Jüdin und Vertreterin der Moderne ausgegrenzt, veröffentlichte sie bis 1937 unter Pseudonym und setzte ihre Vortragstätigkeit vor privaten Hörerkreisen fort. Zudem engagierte sie sich im → Jüdischen Kulturbund Hamburg [4] und veranstaltete wöchentliche Treffen von Künstlern und Kunstfreunden in ihrer Wohnung. 1937 wurde sie als »Kritiker(in) der Systemzeit« in der Münchner Ausstellung »Entartete Kunst« angeprangert. Im August 1939 gelang ihr die → Emigration [16] nach England, während ihre Familie später im KZ in Polen umkam. Mit unermüdlicher Energie baute sie in London eine neue bescheidene Berufsexistenz auf. S. starb an einer Herzattacke auf der Freitreppe der Tate-Gallery.
Bis zur Aufklärung stand die religiös-traditionelle Bildung im Mittelpunkt jüdischer Erziehung und hatte als identitätsstiftendes Moment hohe Bedeutung. Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts begann eine weitreichende Verschiebung. Die weltliche Bildung gewann durch die Aufklärung an Gewicht und wurde als Mittel auf dem Weg zur wirtschaftlichen Gleichstellung und rechtlichen → Emanzipation [11] der Juden in der deutschen Gesellschaft gesehen.
Für jüdische Kinder und Jugendliche entwickelte sich daraus folgend im Laufe des 19. Jahrhunderts eine Vielzahl schulischer Bildungseinrichtungen. Diese Ausdifferenzierung wurde durch die innerjüdisch-religiösen Differenzen verstärkt. Im Einzelnen wären an schulischen Einrichtungen zu nennen: religiös-orthodoxe und religiös-liberale Schulen, Privatschulen jüdischer und christlicher Pädagogen sowie die staatlichen Volks- und höheren Schulen. Am Ende der Weimarer Republik besuchte etwa die Hälfte der jüdischen Schulpflichtigen staatliche schulische Einrichtungen.
Das jüdische Schulwesen begann mit dem ausschließlich religiösen Unterricht im »Cheder«, in jenen einklassigen »Schulen« im Zimmer (hebr.: Cheder) eines jüdischen Religionslehrers. Anfang des 18. Jahrhunderts existierten 39 derartige Einrichtungen, die alle in der Hamburger → Neustadt [28] gelegen waren. Stärker weltlich orientierte Eltern schickten ihre Kinder auf private christliche Schreib- und Rechenschulen. Eine höhere Bildung erhielten im 18. und 19. Jahrhundert nur wenige Jugendliche, seit 1778 war dieser Weg auf dem Christianeum in Altona und seit 1802 auf dem Johanneum in Hamburg für Juden offen. Das Schulwesen der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] differenzierte sich bis in die Weimarer Republik hinein nach Geschlecht. Spätestens seit dem »Gesetz betreffend das Unterrichtswesen«, das der Hamburger Senat am 11. November 1870 verkündete und das in Hamburg das staatliche Schulwesen begründete, mussten sich alle jüdischen Schulen im Lehrplan an den staatlichen Schulen ausrichten.
[223]Für die Kinder ärmerer jüdischer Elternhäuser entstanden – wie in ganz Deutschland – so genannte Frei- oder Armenschulen, in denen der Zugang zum weltlichen Wissen und damit der Weg aus der Isolation geebnet werden sollte. In Hamburg wurden zwei Schulen für Jungen von jüdischer Seite aufgebaut: 1805 wurde die Israelitische Armenschule der Talmud Tora (40) gegründet, zunächst noch vorrangig als orthodoxe Religionsschule, ab 1822 öffnete sie sich auch weltlicher Bildung. So entwickelte sich diese Anstalt von einer Religionsschule im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts zu einer Volks-, später Realschule, in den frühen dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer neunstufigen Oberrealschule, die bis zum Abitur führte. Die → Talmud Tora Schule [38] blieb aber immer die Schule der gesetzestreuen Juden. Liberal orientierte Juden gründeten 1815 die → Israelitische Freischule [139] (41), die mit ihrer stärker weltlichen Ausrichtung als Alternative zur religiös orthodoxen Talmud Tora Schule intendiert war und daher Schüler auf ein weltliches Gewerbe vorbereiten sollte. Große Bedeutung wurde dem Deutschunterricht zugeschrieben, denn nur mit der Beherrschung der deutschen Sprache war auch eine gesellschaftliche Integration der Juden zu erreichen. Seit 1848 wurde die Schule von → Anton Rée [93] geleitet. Durch die Aufnahme christlicher Schüler entwickelte sich die Schule zu einer gemischtkonfessionellen Anstalt. Nach 1870 war sie die zahlenmäßig größte Schule der Stadt. 1890 erhielt sie den Namen Stiftungsschule von 1815, da inzwischen weit mehr christliche als jüdische Schüler die Anstalt besuchten. 1920 wurde sie verstaatlicht und zur Dr. Anton-Rée-Realschule, 1933 musste sie wegen rückläufiger Schülerzahlen schließen.
Für Mädchen bestanden im 19. Jahrhundert die 1798 privat gestiftete Unterrichtsanstalt für arme israelitische Mädchen und die 1818 von der Deutsch-Israelitischen Gemeinde eingerichtete Armenschule für jüdische Mädchen. Beide Schulen wurden 1884 zur Israelitischen Töchterschule im Schulhaus Karolinenstraße (89) vereinigt. Die Schule orientierte sich am Lehrplan der Hamburger Volksschule und war allein jüdischen Mädchen vorbehalten. Unter der Schulvorsteherin → Mary Marcus [224], die die Schule über 50 Jahre hinweg bis 1924 führte, wurde die Schule ausgebaut, und unter → Alberto Jonas [71] erhielt sie 1930 die Anerkennung als Realschule.
Für die Ausbildung einer großen Anzahl jüdischer Mädchen der Mittel- und Oberschicht waren vor allem auch Privatschulen von großer Bedeutung. So war mit dem Ziel, jüdischen Mädchen eine religiös-moralische wie auch wissenschaftliche Ausbildung zu geben, im Jahr 1863 die Private Höhere Mädchenschule von Moritz Katzenstein (44) gegründet worden. Als 1892 der Schriftsteller und Pädagoge → Jakob Loewenberg [130] diese Schule übernahm, entwickelte sie sich zu einer der führenden reformpädagogisch inspirierten Anstalten des höheren Mädchenschulwesens in Deutschland. Zu dem Profil der Schule gehörte die Betonung der ästhetischen Fächer, die Weckung der kreativen Kräfte der Schülerinnen unter anderem im Literaturunterricht, Aufführungen und freie Schülervorträge sowie die künstlerische Ausgestaltung der Klassenräume. Darüber hinaus wurde die enge Verbindung von Schule und Elternhaus zu einem Markenzeichen des Pädagogen Loewenberg, der seine Schule auch christlichen Schülerinnen öffnete. Auch diese Anstalt musste 1931 aus wirtschaftlichen Gründen infolge der Weltwirtschaftskrise ihre Tore schließen.
[225]Für Töchter liberal eingestellter jüdischer Eltern waren neben der Loewenberg-Schule insbesondere die Wahnschaff-Schule (1879-1939) und die Delbanco-Schule (1899-1915), aus der dann die Schule von Ria Wirth hervorging, gut frequentierte Bildungseinrichtungen. Für streng orthodox erzogene jüdische Mädchen der Oberschicht wurde 1893 die Israelitische Höhere Mädchenschule (48) gegründet. 1912 wurde sie als Lyzeum, später als Realschule anerkannt, musste aber ebenfalls 1931 aus finanziellen Gründen schließen. Für jüdische Mädchen wie für jüdische Jungen gleichermaßen galt auch noch in der Weimarer Republik: Wer studieren und damit Abitur machen wollte, war gezwungen, eine staatliche Schule zu besuchen.
Für Jungen und Mädchen der jüdisch-liberalen Oberschicht blieb bis zur Auflösung 1939 auch die privat geführte Bertramschule (1848 gegründet) eine geschätzte Bildungseinrichtung. Weitere private Anstalten, die von jüdischen Schülerinnen und Schülern besucht wurden, werden von Otto Rüdiger in seiner Geschichte des Hamburgischen Unterrichtswesens (1896) angeführt, sind von der Forschung bislang aber nicht aufgearbeitet worden.
Mit der Verdrängung der jüdischen Schülerinnen und Schüler aus den staatlichen Schulen der Hansestadt (→ Jüdisches Leben zur Zeit der Verfolgung [182]) nahm die Zahl der Schülerschaft an den beiden verbliebenen jüdischen Schulen, der Talmud Tora Schule und der Jüdischen Mädchenschule in der Karolinenstraße, nach 1933 zunächst erheblich zu. Die beiden Schulen wurden zum Zufluchts- und Schutzraum jüdischer Kinder in einer ansonsten feindlichen Umgebung. Die Schulen setzten neben dem normalen Lehrstoff nun verstärkt auf eine berufsorientierte Vorbereitung für eine → Emigration [16] nach Palästina oder in andere Aufnahmeländer. Im April 1939 wurden die beiden Schulen zwangsweise zusammengelegt. Einer Reihe von Schülerinnen und Schülern war bis dahin die Flucht ins Ausland geglückt. Seit 1941 durfte die Schule nur noch als Volksschule geführt werden und musste den Namen »Jüdische Schule in Hamburg« führen. Unterrichtet wurde in den Räumen des Schulhauses Karolinenstraße. Im Mai 1942 musste die Schule ins jüdische Waisenhaus Papendamm (67) umziehen. Am 30. Juni 1942 wurde die Jüdische Schule in Hamburg – wie alle jüdischen Schulen im Deutschen Reich – durch einen Erlass des Reichserziehungsministeriums geschlossen. Alle verbliebenen Schülerinnen und Schüler, ihre Eltern sowie ihre Lehrerinnen und Lehrer wurden deportiert (→ Deportation [13]). Kaum einer hat überlebt.
Schauspieler, Regisseur und Produzent, geb. 7.11.1888 Hamburg-St. Pauli, gest. 11.9.1954 München
Der geschmeidige Showman und Dandy durchlief drei erfolgreiche Karrieren im Film von 1910 bis in die dreißiger Jahre, ehe er von den Nazis ins Exil vertrieben wurde. Aufgewachsen auf St. Pauli, arbeitete S. zunächst als kaufmännischer Angestellter im Verlagshaus Scherl in Berlin, während er nebenher bereits als Statist am Königlichen Schauspielhaus tätig war. Als Filialleiter des Verlags kam er nach Bremen und Hamburg, wo er sich auch in einem Bühnen-Verein um Richard Ohnsorg engagierte. 1912 nahm er eine Stellung bei einem reisenden Varieté an, bevor er an das Stadttheater Bern wechselte. Bis 1920 hatte er ein Engagement an den Meinhard-Bernauer-Bühnen in Berlin. In den zwanziger Jahren trat S. nur noch gelegentlich auf der Bühne auf. Seit 1916 machte er sich vor allem als Filmschauspieler einen Namen, indem er meist als zynischer Bonvivant oder abgefeimter Großstadt-Ganove glänzte. Mit Anita Berber, Conrad Veidt und Werner Krauß bildet er das erfolgreiche Quartetto infernale in Richard Oswalds Sittenkino. Ab 1918 betätigte er sich auch als vielseitiger Regisseur und Produzent. Seit der Mitte der zwanziger Jahre entstanden improvisierte Komödien, in denen S. nicht nur als Star brillierte, sondern auch Regie führte und produzierte. Als Regisseur von Tonfilmen galt S. zudem als Spezialist für ironische, musikalische Komödien wie Viktor und Viktoria (1933) und Amphitryon (1935). Ab 1933 arbeitete S. als so genannter »Halbjude« mit einer von Goebbels erteilten Sondererlaubnis, bis er 1937 in die USA emigrierte (→ Emigration [16]). 1938 führte er in Hollywood zunächst Regie bei Musikfilmen, ab 1942 verdingte er sich meist als Darsteller von Nazi-Schurken. Nach seiner Rückkehr im Jahr 1949 verschrieb sich S. vor allem der Theaterarbeit in München. Daneben trat er aber auch in Nebenrollen im Film auf, für seinen Auftritt in Meines Vaters Pferde wurde ihm 1954 der Bundesfilmpreis verliehen. Beim CineFest in Hamburg wird seit 2004 der Reinhold Schünzel-Preis für Verdienste um das deutsche Film-Erbe verliehen.
Offizier und Diplomat, geb. 16.1.1903 Berlin, gest. 23.2.1969 Jerusalem
Der begabte Sohn des Hamburger Kaufmanns Benjamin Sealtiel und der aus Karlsruhe stammenden Helene Wormser fiel in seiner Jugend durch rebellisches und provozierendes Verhalten auf. Nach einer katastrophalen Schulzeit auf der → Talmud Tora Schule [38] versuchte er sich erfolglos in verschiedenen kaufmännischen Berufen in Hamburg, Bremen und Fürth sowie zwischen 1923 und 1925 als Orangenpflücker in Palästina. In Marseille trat er 1925 in die Fremdenlegion ein, der er bis 1931 angehörte. Nach 1933 arbeitete er kurze Zeit für den Hechaluz in Palästina, um dann 1934 in Frankreich tätig zu werden, hier vor allem als Europa-Beauftragter und Waffenkäufer für die zionistische militärische Untergrundorganisation Hagana. Im November 1936 wurde S. an der belgisch-deutschen Grenze verhaftet, bis 1939 in zahlreichen deutschen → KZ [14] (Fuhlsbüttel, Dachau etc.) inhaftiert, bevor er Ende 1939 nach Palästina abgeschoben wurde. Als aktives Mitglied des jüdischen Untergrunds von den Engländern zum Tode verurteilt, machte der später begnadigte S. eine steile Karriere in der Armee: Er war Kommandant von Haifa und auf Vorschlag von Ben Gurion Befehlshaber (Aluf) der Hagana im belagerten Jerusalem (1948). Trotz erfolgreicher Verteidigung musste er den Ostteil der Stadt aufgeben, was ihm bis heute von seinen israelischen Kritikern vorgehalten wird. Nach der Staatsgründung diente der sprachbegabte und überzeugte Zionist, ein Freund von Martin Buber und Gershom Scholem, seinem Land erfolgreich als Botschafter in Mexiko, Brasilien und Holland. In seinen letzten Lebensjahren kam er wiederholt nach Hamburg, um das Grab seiner Eltern zu besuchen.
Mitglieder der wohlhabenden Kaufmannsfamilie S. T. gehörten im 17. und 18. Jahrhundert zu den reichsten und einflussreichsten portugiesisch-jüdischen Familien in Hamburg und in Amsterdam (→ Portugiesisch-Jüd. Gemeinde [2]). Als Hamburger Residenten vertraten die S. T.s nicht nur die politischen und wirtschaftlichen Interessen Spaniens und Portugals, sondern auch Dänemarks und Schwedens.
Der aus einer angesehenen und einflussreichen Converso-Familie stammende Großkaufmann Diego Abraham Teixeira de Sampayo (1581-1666) floh vor der Inquisition aus Portugal, um ungestört als Jude leben zu können, jedoch ohne zunächst formal zum Judentum überzutreten. Er ließ sich für kurze Zeit in Brasilien nieder und führte seit 1613 seine internationalen Geschäfte meist von Antwerpen aus, wo er 1622 zum ersten Mal zum Konsul der »portugiesischen Nation« gewählt wurde. 1643 bestätigte ihm der spanische Hof seine adelige Herkunft und sein Wappen. Nach einem kurzen Aufenthalt in Köln verzog Diego S. T. im Juli 1646 nach Hamburg, wo das von ihm und seinem Sohn Manuel Isaac (1631-1705) geführte Unternehmen als eines der bedeutendsten unter den portugiesischen Juden Europas galt. Die T.s belieferten verschiedene europäische Höfe mit Luxusartikeln und wickelten Geld- und Wechselgeschäfte für sie ab. Sie betätigten sich nicht nur im lukrativen Überseehandel, sondern vor allem in Bank- und Wechselgeschäften sowie im Juwelenhandel. Sie waren Finanziers der dänischen Krone und des holsteinisch-gottorfschen Hofes, vermittelten Geldgeschäfte für die Habsburger und verwalteten die Gelder der schwedischen Königin Christine, die 1655 Diego T. und 1666 dessen Sohn Manuel zu ihren Residenten in Hamburg ernannte. 1647 traten er und seine Familie öffentlich zum Judentum über. Diego nahm den Namen Abraham S., sein Sohn Manuel den Namen Isaac S. an, was große internationale Aufmerksamkeit erregte und die Hamburger Lutheraner zu wütenden Protesten veranlasste. In der Gemeinde spielte der wegen seiner Frömmigkeit und Großzügigkeit geschätzte Diego T. von Anfang an eine große Rolle. Nach dem Tod seines Vaters wurde Isaac/Manuel Erbe des prosperierenden Familienunternehmens, das sich immer mehr im internationalen Warenhandel und im Versicherungswesen betätigte. Als sich die Auseinandersetzungen zwischen Bürgerschaft und Senat sowie den Portugiesen verschärften, zog Manuel T. seine Gelder bei Kämmerei, Börse und Bank ab, verließ Hamburg und ließ sich vor 1699 in Amsterdam nieder. Infolge dieser Transaktion kam es zu einem großen Börsenkrach in Hamburg.
Jurist, Soziologe und Gemeindefunktionär, geb. 24.4.1912 Bernburg (Anhalt), gest. 8.1.1978 Frankfurt a. M.
S. wuchs in Bernburg auf, wo er das Humanistische Gymnasium besuchte; er studierte von 1930 bis 1934 in Halle und Leipzig Rechtswissenschaften. Bereits in jungen Jahren war er zionistisch und linkssozialistisch engagiert. 1934 schloss er sein Studium mit der Promotion ab; das Staatsexamen abzulegen wurde ihm verwehrt. 1934 bis 1936 war er in der Papierwarenfabrik seines Vaters beschäftigt. 1938/39 arbeitete er in Stettin als Bezirksfürsorger der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden. Am 9. November 1938 wurde er verhaftet und in das KZ Sachsenhausen eingeliefert. Danach ging er nach Hamburg und übernahm die allgemeine Wohlfahrtspflege (→ Sozial- und Wohlfahrtswesen [79]), die Wirtschaftshilfe, Berufsumschichtung für Jugendliche (→ Hachschara [50]) und die jüdische Winterhilfe sowie die stellvertretende Leitung der Bezirksstelle Nordwestdeutschland der Reichsvereinigung. Im Juli 1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert (→ Deportation [13]), wo er vor allem zionistische Jugendbildungsarbeit leistete. S. wurde mit seiner Frau Trude, die er in Theresienstadt heiratete, im Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert und von dort nach Dachau und Kaufering überführt. Beide überlebten die KZ und organisierten 1945/46 in Theresienstadt die Repatriierung der deutschen und österreichischen Überlebenden. 1946 übernahm S. in Davos die Leitung eines Sanatoriums für lungenkranke zionistische Jugendliche, die Lager überlebt hatten. 1947 bis 1950 studierte er Soziologie, Sozialphilosophie und Sozialökonomie in Zürich. 1950 kehrte er nach Hamburg zurück, wo er in der Sozialabteilung, im → Wiedergutmachungsreferat [162] der → Jüdischen Gemeinde [124] und als deren Vorstandsmitglied wirkte. In einem Musterprozess erstritt S., dass die in der NS-Zeit zwangsweise Kennzeichnung mit dem »Judenstern« als haftgleich entschädigt wurde. Er gründete die Jüdische Zentrale Wohlfahrtsorganisation für die Bundesrepublik wieder und leitete sie bis 1961. Ab 1961/62 lehrte S. an der Frankfurter Universität – von 1966 bis 1977 als ordentlicher Professor – Sozialpädagogik, Jugendkriminologie und Jugendrecht. Er gründete und leitete Komitees, Initiativen und Arbeitsgruppen, von denen wichtige Impulse auf die Sozialpädagogik in Theorie und Praxis ausgingen.
Geschäftsführer und Kantor der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, geb. 14.1.1922 Breslau, gest. 1.11.1989 Hamburg
S. stammte aus einem wohlhabenden und religiösen Elternhaus. Infolge rechtlicher Beschränkungen musste er 1941 das jüdische Realgymnasium seiner Heimatstadt Breslau vorzeitig verlassen. Bis zu seiner → Deportation [13] arbeitete er dann als Verwaltungslehrling in der örtlichen Jüdischen Gemeinde. S. überlebte die Lager Theresienstadt, Auschwitz und Birkenau. Nach der Befreiung kehrte er nach Breslau zurück, wo er jedoch keine überlebenden Familienangehörigen mehr vorfand. Er ging nach Erfurt und beteiligte sich dort am Wiederaufbau der Jüdischen Gemeinde. 1953 verließ S. die DDR und wurde Kantor der → Jüdischen Gemeinde Hamburg [124], drei Jahre später übernahm er auch das Amt des Geschäftsführers. S., der 1986 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, prägte mit seiner Persönlichkeit die Gemeinde nach innen und nach außen. Einerseits bescheiden, selbstlos und korrekt, wirkte er zugleich distanziert und dominant. Am Bau der neuen → Synagoge [96] in der Hohen Weide (55) war S. maßgeblich beteiligt, auch der Bau des Altersheimes in der Schäferkampsallee (63), das in den neunziger Jahren geschlossen wurde, war weitgehend seiner Initiative und Beharrlichkeit zu verdanken. Er vertrat die Hamburger Jüdische Gemeinde in zahlreichen Institutionen: Bis zu seinem Tod war er u. a. Mitglied im Beirat der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland sowie Vorstandsmitglied der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.
Beleuchtungs- und Innenarchitekt, Schmuckkünstler, geb. 28.2.(10.3.)1894 Kiew, gest. 4.11.1965 Stevenage (England)
Auf der Flucht vor den Judenpogromen in Russland gelangte S. 1905 nach Wien, wo er seit 1908 eine dreijährige Goldschmiedlehre bei Cheine Litweie absolvierte und bis 1913 bei den Wiener Werkstätten Anstellung fand. Daran schloss sich ein Studium des Ingenieurwesens an der TH Wien und an der Kunstschule von Johannes Itten an. 1922 erhielt S. sein Meisterdiplom für das Goldschmiedehandwerk. 1924 übersiedelte er nach Hamburg, wo er seit 1928 in der Jüdischen Gemeinde (→ DIG [18]) aktiv war. Freischaffend arbeitete er in der Hansestadt, bis er 1933 nach London emigrierte (→ Emigration [16]). S.s wichtigste künstlerische Arbeiten entstanden vor der Auswanderung. Aus der Zeit am Bauhaus in Weimar (1919) stammen Entwürfe für Gebrauchsgeschirr, Lampen, Herstellung von Schmuck. In Hamburg widmete er sich der Herstellung von Möbeln und Geräten, Dosen, Kannen und Lampen, bevorzugt in Kugel- oder Halbkugelform. Seit 1930 produzierte er zudem konstruktiv strengen Schmuck in Naturstein und Stahl. Im selben Jahr wurden seine Plastiken, Landschafts-Aquarelle und Zeichnungen ausgestellt, doch wandte er sich später von der freien Kunst ab. S. betätigte sich zudem als Innenarchitekt – unter anderem erhielt er den Auftrag zur Gestaltung von Innenraum und Beleuchtung des Israelitischen Tempels in der Oberstraße (53). In den Jahren 1935-40 fand S. Beschäftigung als Lehrer in Dartington Hall, Totnes. 1937 wurden 22 seiner Goldschmiedearbeiten im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe als »entartet« deklariert und beschlagnahmt. 1940-41 war er als »feindlicher Ausländer« auf der britischen Isle of Man interniert. Nach dem Krieg unterrichtete er zunächst als Lehrer in Hampstead, seit 1950 dann als Tutor für Industriedesign am Royal College of Art in London. In zweiter Ehe heiratete er 1949 Rita Ingeborg Mashkowsky, die 1950 eine Tochter zur Welt brachte. 1957-64 leitete S. den Fachbereich Industriedesign am College of Art and Crafts in Birmingham, 1965 lehrte er als Dozent am Ravensbourne College in Kent.
Philosoph und Universitäts-Lehrer, geb. 19.1.1905 Braunschweig, gest. 23.8.1962 Brunswick Ma. (USA)
S., Sohn eines jüdischen Kaufmanns, besuchte ab 1914 das humanistische Gymnasium in Braunschweig. Die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie und die nervliche Verfassung von S. führten ihn 1918 an die Odenwaldschule nach Oberhambach. Der tiefe Eindruck dieser Jahre, besonders sichtbar in der lebenslang nahen Verbindung zu dem Reformpädagogen Paul Geheeb und dessen Frau Edith, prägte S. und führte ihn zum Studium der Philosophie. Nach Etappen in Heidelberg und Berlin fand er in → Ernst Cassirer [40] an der Universität Hamburg seinen Lehrer und Doktorvater. Über Cassirer kam S. an die → Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg [41]. Dort arbeitete er ab 1927 als studentischer, später als freier Mitarbeiter. Seine Gedächtnisrede für → Aby Warburg [43] verdeutlicht seine Nähe zu diesem Gelehrten. Nach 1933 leitete S. in Hamburg philosophische Arbeitsgemeinschaften der → Franz-Rosenzweig-Gedächtnisstiftung [148] bei dem Israelitischen → Tempel [39] in der Oberstraße (53). Seiner Frau Elly Reis war als Jüdin das Studium an der Hamburger Landeskunstschule am Lerchenfeld untersagt. 1936 zogen beide nach München. 1938, im Rahmen der Reichspogromnacht, wurde S. verhaftet und verbrachte vier Wochen im KZ Dachau. Dank der Einwirkung von Wissenschaftlern wie → Fritz Saxl [42] und → Gertrud Bing [221] gelang die Entlassung und 1939 die → Emigration [16] des Ehepaars nach London, wo S. einen Bericht über Dachau verfasste. Nach Übersiedlung in die USA 1940 und dem Abschluss des M. A. an der Harvard University unterrichtete S. ab 1943 Deutsch. 1946 wechselte er an das Bowdoin College in Brunswick (Maine). S. lehrte dort Deutsch und Literatur, später sein eigentliches Fach Philosophie. Seine gesundheitliche Disposition führte immer wieder zu Lebenskrisen. 1962 nahm sich S. das Leben.
Wie in allen jüdischen Gemeinden entwickelte sich auch in Hamburg bereits in der → Frühen Neuzeit [150] eine jüdische Wohlfahrt, die zunächst durch die → Synagogen [96] verwaltet wurde und – abgesehen von der Arbeit einiger Vereine wie Beerdigungsbruderschaften (→ Beerdigungswesen [85]) – hauptsächlich die Verteilung von Almosen regelte.
Als sich im späten 18. Jahrhundert ein öffentliches Unterstützungswesen herausbildete, waren Juden von dessen Leistungen zunächst explizit ausgenommen. Nach der Befreiung der Stadt von den Franzosen entwickelte sich ein weit verzweigtes und auf Effizienz bedachtes separates jüdisches Wohlfahrtswesen. Im Jahr 1818 wurde die überwiegend durch die → Deutsch-Israelitische Gemeinde [18] finanzierte Israelitische Armenanstalt gegründet, die auf vier verschiedenen Gebieten aktiv war. Sie gewährte registrierten Armen eine regelmäßige finanzielle Unterstützung, unterstützte temporär Not leidende Juden mit Geld- oder Sachspenden, speiste jüdische Waisen- und Findelkinder und verteilte Brot, Suppe und gegebenenfalls medizinische Pflege an mittellose Juden. Betrieben wurde die Anstalt von ehrenamtlich tätigen Armenpflegern, die in sieben Distrikten arbeiteten, Anträge von Bedürftigen entgegennahmen und über Hilfsmaßnahmen entschieden. Die Institution war damit ähnlich organisiert wie die aus öffentlichen Mitteln finanzierte Allgemeine Hamburgische Armenanstalt von 1788. Nahezu zeitgleich wurden eine Reihe weiterer Institutionen gegründet: der Verein der jungen israelitischen Armenfreunde zur Vertheilung von Brod und Suppe, der seit 1818 mittels seiner Speisungen die Straßenbettelei bekämpfte, das Vorschuß-Institut von 1819, das Kredite an in Not geratene Gemeindemitglieder vergab, sofern diese einem »nützlichen Gewerbe« nachgingen, und die Depositen-Casse milder Stiftungen, die 1818 zunächst gegründet worden war, um Aussteuergelder zu verwalten, sich aber schnell zu einem wichtigen Finanzinstrument der Gemeinde entwickelte, das aus Stiftungen und Legaten eingenommene Gelder verwaltete.
Präventiv in der Armutsbekämpfung waren vor allem die jüdischen Schulen (→ Schulwesen [80]) tätig. Während eine 1798 von privaten Spendern gegründete Unterrichtsanstalt für arme israelitische Mädchen lediglich hauswirtschaftliche Fähigkeiten vermittelte, unterrichteten die orthodoxe → Talmud Tora Schule [38] von 1805 und die seit 1816 bestehende, der Reform nahe stehende → Israelitische Freischule [139] unbemittelte Jungen auf allen Gebieten. Zwei von Jüdinnen geleitete Bekleidungsvereine stellten diesen Schülern die Schuluniformen zur Verfügung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Zahl der bedürftigen Schüler in einer insgesamt prosperierenden Gemeinde sank, entwickelten sich beide Schulen zu nachgefragten Lehranstalten für die jüdische Mittelschicht. Ähnliches traf auf das 1841 durch eine Einzelspende des Bankiers → Salomon Heine [36] gegründete → Israelitische Krankenhaus [134] zu. Zunächst ein integraler Bestandteil der Armenfürsorge, entwickelte es sich später im Jahrhundert zu einer der führenden Anstalten Hamburgs, der sich auch zahlreiche nichtjüdische Patienten anvertrauten.
Weitere institutionalisierte Säulen jüdischer Wohlfahrtsarbeit waren ein Jungen- (27, 28) und ein Mädchenwaisenhaus (23) und das 1886 eröffnete, finanziell hervorragend ausgestattete Altenhaus (62) der Deutsch-Israelitischen Gemeinde, in dem Männer über sechzig und Frauen über fünfundfünfzig Jahre Aufnahme finden konnten. Daneben gab es eine Vielzahl von kleineren, meist auf bestimmte Zwecke spezialisierten jüdischen → Vereinen [78], die das Unterstützungsangebot der größeren Institutionen ergänzten. Schließlich müssen die zahlreichen, vor allem in den letzten beiden Dritteln des 19. Jahrhunderts begründeten jüdischen → Stiftungen [37] für Freiwohnungen erwähnt werden, die preiswerte Unterkünfte vorwiegend, aber oft nicht ausschließlich, für Juden schufen. 1909 existierten in Hamburg insgesamt 66 solcher Stiftungen, ein Drittel davon waren von jüdischen Stiftern gegründet worden.
Das im Laufe des 19. Jahrhunderts wachsende jüdische Wohlfahrtswesen versorgte die bedürftigen jüdischen Einwohner Hamburgs in nahezu jeder Lebenslage. Besonderes Gewicht wurde auf die Prävention der Armut gelegt, und gerade in der zweiten Jahrhunderthälfte besaß das höchst erfolgreiche jüdische System Vorbildcharakter, was auch von Nichtjuden anerkannt wurde. Die vermögenderen jüdischen Einwohner der Stadt wandten über die Gemeindeabgaben, Sammlungen und Spenden nicht nur erhebliche finanzielle Mittel auf, sondern investierten auch viel Zeit und Mühe in Aufrechterhaltung und Verbesserung der wohltätigen Einrichtungen. Die Aufhebung des Gemeindezwangs und vollständige rechtliche Gleichstellung jüdischer und nichtjüdischer Hamburger in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts bedeuteten auch für die Wohlfahrt eine wichtige Zäsur (→ Emanzipation [11]). Der hamburgische Staat erklärte, dass nunmehr die Allgemeine Armenanstalt für jüdische Bedürftige zuständig sei und die institutionell separate Versorgung der Juden aufzuhören habe. Dies rief großen Widerstand in der Gemeinde hervor. Nach längeren Verhandlungen wurde ein Kompromiss geschlossen, der vorsah, dass ein separates jüdisches System auf freiwilliger Basis weiter existierte, Juden aber im Prinzip staatliche Unterstützung erhalten sollten. In der Praxis änderte sich dadurch jedoch nichts. Im Gegenteil, gerade im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verdichteten sich die jüdischen Organisation und Institutionen in besonderer Weise und boten weiterhin Hilfe in allen Lebenslagen an.
Was motivierte die jüdischen Hamburger, dieses sehr kostspielige System auch nach dem Wegfall des staatlichen Zwangs noch auszubauen? Zum einen gebot dies die starke Verankerung wohltätigen Handelns in der jüdischen Tradition und Religion. Zum anderen war die organisierte Wohlfahrt ein integraler Bestandteil der jüdischen öffentlichen Sphäre Hamburgs und unverzichtbar für die Regulierung sozialer Beziehungen innerhalb der Gemeinde. Darüber hinaus waren sich die Juden bewusst, dass die Unterstützung ihrer eigenen Armen eine wichtige Voraussetzung für die Erlangung der Gleichberechtigung war. Auch nach den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts galt daher in der Gemeinde stets die Maxime, dass bedürftige Juden nach Möglichkeit nicht der Allgemeinheit zur Last fallen sollten. Von existentieller Bedeutung war das jüdische Unterstützungswesen schließlich wieder in der Zeit des Nationalsozialismus. Nach 1933 entzog der Staat jüdischen Bedürftigen sukzessive jede Unterstützung, sodass ein großer finanzieller und organisatorischer Druck auf den jüdischen Organisationen lastete (→ Jüdisches Leben zur Zeit der Verfolgung [182]). Dass diese trotz der durch Berufsverbote stark anwachsenden Zahl jüdischer Hilfesuchender und der aufgrund von → Emigration [16] finanziell geschwächten Gemeinde lange Zeit in der Lage waren, größeres Elend unter der jüdischen Bevölkerung zu verhindern, zeugt von der Leistungsfähigkeit des Systems und dem großen Engagement seiner Träger. Auch bei der Wiedergründung der → Jüdischen Gemeinde in Hamburg [124] im Sommer 1945 war eine Unterstützungsorganisation maßgeblich beteiligt. Die Hilfsgemeinschaft der Juden und Halbjuden kümmerte sich um die Bedürfnisse der Displaced Persons und Rückwanderer, die Hamburg nach dem Krieg (wieder) zu ihrer temporären oder endgültigen Heimat machten.
Pädagoge und Schulleiter, geb. 22.7.1898 Ballenstedt (Anhalt), gest. 30.3.1985 New York
S. wurde 1926 mit knapp 28 Jahren der jüngste jemals an der → Talmud Tora Realschule (TTR) [38] ernannte Direktor. Der rasche Aufschwung der TTR unter S.s Leitung und deren Aufwertung von der Real- zur Oberrealschule im Jahre 1932 dokumentierten den guten Ruf, den die Lehranstalt in- und außerhalb Hamburgs genoss. Die politischen Umbrüche des Jahres 1933 stellten S. vor ungeahnte Schwierigkeiten, die er jedoch geschickt zu meistern wusste: So gelang es ihm in den folgenden Jahren eine Mädchenklasse in der Oberstufe einzurichten und die dauernden Schwankungen der Schülerzahlen zu bewältigen – verursacht durch → Emigration [16] einerseits und durch Aufnahme von Schülern aus umliegenden Orten wie auch von evangelisch getauften Kindern jüdischer Eltern (die nach der rassistischen Diktion der Nationalsozialisten als Juden galten), andererseits. Er musste die fast täglichen Anweisungen der Gestapo genaustens befolgen und war verantwortlich für das Verhalten der Schüler auf dem Schul- und Heimweg gemäß der strengen polizeilichen Vorschriften. Wenngleich seine nichtzionistische Haltung die Erwartungen seiner Schüler enttäuschte, genoss S. unter diesen großen Respekt. Die Schule blieb ein Hort des Lernens und sogar von fröhlichen Schülerinitiativen – bis zur Reichspogromnacht (→ Novemberpogrom [22]), in der zahlreiche Lehrer und Schüler geschlagen und verhaftet wurden. Sein Verantwortungsgefühl bewegte ihn, 1939 von der Begleitung eines Kindertransportes nach England zurückzukehren, aber eine Amerika-Reise 1940 rettete ihm das Leben. Viele seiner ehemaligen Schüler erwarteten ihn eigentlich in Eretz Israel. Sein veröffentlichtes Hauptwerk ist The Comprehensive Hebrew Calendar, der 1952 und wieder 1986 in New York erschien.
Rabbiner, geb. 4.1.1872 Balassa-Gyarmat (Ungarn), gest. 29.5.1934 Hamburg
S. erhielt eine traditionelle ostjüdische Erziehung und erwarb seit seinem 14. Lebensjahr profunde rabbinische Kenntnisse an den Talmudhochschulen in Preßburg, Pápa (Ungarn) und Frankfurt a. M. An den Universitäten von Heidelberg und Würzburg absolvierte er ein philosophisches Studium, das er 1896 mit einer Promotion über den russischen Logiker Afrikan Spir abschloss. Im Jahr 1900 wurde er Rabbiner in Halacz (Schlesien), 1909 Rabbiner in Miskolc (Ungarn). Im gleichen Jahr berief ihn der Hamburger → Synagogenverband [76] zu seinem Oberrabbiner auf Lebenszeit. In diesem Amt, das er von 1910 bis zu seinem Tod fast ein Vierteljahrhundert ausübte, war er zugleich der erste Oberrabbiner, der auch von der sefardischen Gemeinde (→ Portugiesisch-Jüdische Gemeinde [2]) anerkannt wurde, nachdem diese 1910 dem Synagogenverband beigetreten war. S. stand im Ruf großer rabbinischer Gelehrsamkeit, doch seine autoritative Rabbinatsführung führte zu mancherlei Auseinandersetzungen. Er galt als eigensinnig und unnachgiebig und knüpfte nur mühsam Kontakte, sodass er nur geringe Popularität genoss. Seine Zeitgenossen achteten seinen unbestechlichen Wahrheitssinn, seine tiefe Frömmigkeit und sein umfassendes talmudisches Wissen. Seine halachischen Vorträge galten als Meisterwerke und vermochten auch seine Gegner in ihren Bann zu ziehen. S. schloss sich der orthodoxen Vereinigung Agudas Jisroel an und übernahm sowohl in deren Landesorganisation, in der er lange den Vorsitz führte, als auch in der Hamburger Gemeinde Aufgaben in der religiösen Jugenderziehung.
Die Entwicklung einer eigenen Sportbewegung der deutschen Juden war zunächst eng mit dem politischen → Zionismus [45] verbunden und stand daher anfangs bewusst im Gegensatz zu assimilatorischen Vorstellungen. In Hamburg lassen sich erste Organisationsformen zu Beginn des 20. Jahrhunderts feststellen.
Im Jahr 1902 gründete sich die Jüdische Turnerschaft von 1902, die als Vorläufer des 1910 gegründeten Jüdischen Turn- und Sportvereins Bar Kochba gelten kann. Die sportpolitische Zielsetzung war auch hier betont zionistisch. Man sah eine eigene Sportbewegung innerjüdisch als ein Mittel zur Gewinnung jüdischer Identität und in der Außendarstellung als Korrektiv gegenüber dem → antisemitischen [31] Vorwurf des jüdischen Intellektualismus, dem bewusst sportliche Körperlichkeit entgegenzusetzen sei. Dem Bar Kochba gelang es rasch neben dem herkömmlichen Turnbetrieb Jahn’scher Prägung Abteilungen für Leichtathletik, Rudern, Fechten, Fußball und Hockey einzurichten. Der Verein wurde Teil des 1921 gegründeten Turn- und Sportverbandes Makkabi, der sich ebenfalls entschieden zum politischen Zionismus bekannte. Zu Beginn der Weimarer Republik wuchs die Bedeutung der jüdischen Sportbewegung auch in Hamburg, gleichzeitig trat vor allem unter den sporttreibenden Jugendlichen eine Zersplitterung ein. Bereits 1925 formierte sich auf der Reichsebene im Rahmen des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten (RjF) der Sportbund Schild. Er konnte erst Anfang der dreißiger Jahre auch in Hamburg Fuß fassen. Noch 1927 kam es mit dem Hamburger jüdischen Sport- und Turnverein (Hakoah) zu einem weiteren Sportverein, der sich als Gegengründung zum Bar Kochba (Makkabi) verstand und dazu insbesondere seine politische und religiöse Neutralität betonte. Bar Kochba und Hakoah hatten zusammen wohl etwa 800 Mitglieder. Daneben gab es noch den zionistischen Jugendbund Blau-Weiss mit einer eigenen »Sportabteilung«.
Mit dem NS-Regime veränderte sich die Lage des jüdischen Sports grundlegend. Juden wurden als »Nichtarier« in Anwendung des so genannten Arierparagraphen des öffentlichen Dienstrechts aus den allgemeinen Sportverbänden im Frühsommer 1933 ausgeschlossen. Die jüdische Sportbewegung nahm daraufhin einen Aufschwung. In Hamburg eröffnete die Sportgruppe Schild im Sommer 1934 mit gemeindlicher Unterstützung in Lokstedt-Niendorf eine eigene Sportplatzanlage, nachdem Bar Kochba 1932 einen Sportplatz in Bramfeld für seinen Sportbetrieb gepachtet hatte. Während Bar Kochba (Makkabi) sich durch das NS-Regime in seiner zionistischen Grundhaltung bestärkt sah, erlebte die Sportgruppe Schild eine Phase der politisch notwendigen Neuorientierung. Hatte man hier anfangs noch gehofft, eine sportliche Ertüchtigung jenseits zionistischer Zielsetzungen werde das NS-Regime wohlwollend dulden, musste der RjF und damit auch die Sportgruppe Schild 1934 erkennen, dass man sich Illusionen hingegeben hatte. Mit fortschreitender Intensität der Diskriminierung übernahm der Sport vor allem für die jüdischen Jugendlichen zunehmend eine identitätsstiftende Funktion. Trotz des Außendrucks im NS-Staat (→ Jüdisches Leben zur Zeit der Verfolgung [182] blieb in Hamburg die Konkurrenzlage innerhalb der jüdischen Sportbewegung ungebrochen. Anfang 1935 gab es vier Sportvereine, die zionistische Jugendgruppe Blau-Weiß mit etwa 200 Mitgliedern, den ebenfalls zionistischen Bar Kochba mit etwa 450 Mitgliedern, den »neutralen« Hakoah mit etwa 200 Mitgliedern und die Sportgruppe Schild mit etwa 600 Mitgliedern. Die Gesamtzahl von etwa 1.450 Mitgliedern entsprach zu diesem Zeitpunkt einem Anteil von rund 10 Prozent der Angehörigen der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18]. Der Sportverein Hakoah wurde im Februar 1935 aus dem Reichsausschuß jüdischer Sportvereine ausgeschlossen und löste sich alsbald auf. Die zionistischen Ziele der Jugendgruppe Blau-Weiß und von Bar Kochba bedingten einen laufenden Mitgliederverlust durch → Emigration [16], zumeist im Sinne der Alija nach Palästina, der durch den Eintritt jungzionistischer Bünde nicht ausgeglichen werden konnte. Immerhin richtete die Jugendgruppe Blau-Weiß noch 1936/1937 eine eigene Sportanlage in Lokstedt ein. Hingegen wuchs die Sportgruppe Schild und konnte 1936 zeitweise eine vierstellige Mitgliederzahl erreichen. Die Jüdische Gemeinde förderte diese Entwicklung eines jüdischen Breitensports nachhaltig auch finanziell. Nach dem → Novemberpogrom [22] 1938 löste die Gestapo alle jüdischen Organisationen – auch die Sportvereine – mit Ausnahme der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland und der jüdischen Gemeinden auf.
geb. Goldschmidt, geb. 27.9.1905 Hamburg-Altona, gest. 10.8.1990 Hamburg
S. wuchs in der Altonaer Ohlendorffsallee (heute Susettestraße) auf. Nach ihrem Abitur studiert sie Theaterwissenschaften in München. 1935 wurde ihr Sohn Pit geboren. Zusammen mit ihrer Schwester → Erna Goldschmidt [226]und 107 weiteren Hamburgern wurde G. am 23. Juni 1943 nach Theresienstadt deportiert (→ Deportation [13]). Dort bekam sie über den »Putzdienst« Kontakt zu den »Prominenten« des Lagers. Später arbeitete sie in der Zentralbibliothek Theresienstadt. Im Mai 1945 wurde das Lager von der Roten Armee befreit. S. lebte danach mit ihrer Familie in Hamburg-Othmarschen. Ende der vierziger Jahre heiratete sie den Auschwitz-Überlebenden Martin Starke. 1948 promovierte sie in München. 1964 kehrte S. mit ihrem bis 1945 in Deutschland versteckt gehaltenen Sohn Pit nach Theresienstadt zurück, um ihm das »Prominentenghetto« zu zeigen. 1975 veröffentlichte sie unter dem einem Propagandafilm der Nazis entliehenen Titel Der Führer schenkt den Juden eine Stadt ihre Erinnerungen an das Lager Theresienstadt. S. hatte einige Dokumente aus Theresienstadt mitbringen können, die 2002 im Heinrich-Heine-Haus, einer Außenstelle des Altonaer Museums, in der Ausstellung Lebensbilder aus dem Lager – Das Theresienstadt-Konvolut gezeigt wurden. Nach der Ausstellung forderte die SPD-Fraktion in Altona, dass ein öffentlicher Platz nach Käthe Starke zu benennen sei, doch ist dies bis heute nicht geschehen.
Arzt und Religionsphilosoph, geb. 6.8.1789 Bruchhausen (Westfalen), gest. 18.5.1866 Zürich
S. bestand 1807 die Abschlussprüfung am Christaneum in Hamburg mit Auszeichnung, nahm dann ein Medizinstudium an der Kieler Universität auf und promovierte dort 1811. Im Februar 1812 eröffnete er eine Arztpraxis in Altona. Die im Dezember 1814 mit Hinde (Johanna) Mathiessen geschlossene Ehe blieb kinderlos. Das Ehepaar S. führte in der Palmaille in Altona ein offenes Haus. S. war Mitglied des Vorstandes in der jüdischen Gemeinde Altonas, arbeitete im jüdischen Schul- und Vereinswesen und war ehrenamtlicher Hospital- und Armenarzt der Gemeinde. Gemeinsam mit → Gabriel Riesser [92] engagierte er sich im Hamburger Verein für Emanzipationspolitik. 1827 richtete er zusammen mit dem Großkaufmann Karl Theodor Arnemann die erste Flussbadeanstalt in Altona ein, die kostenlos zu nutzen war. Bis 1833 versuchte er sich vornehmlich als Dichter, Maler und Musiker und veröffentlichte medizinische und naturwissenschaftliche Abhandlungen. Zwischen 1833 und 1845 trat S. öffentlich für die → Emanzipation [11] der Juden in den Herzogtümern Schleswig und Holstein ein. Die Übersiedlung des Ehepaares nach Rom 1849 hat auch mit dem gescheiterten Engagement für die Gleichberechtigung der Juden zu tun. Hinzu kamen gesundheitliche Gründe und Unstimmigkeiten mit der jüdischen Gemeinde, die nicht bereit war, ihm nach 32-jähriger Tätigkeit als Armenarzt eine Pension zu zahlen. In Italien widmete er sich seinem philosophischen Lebenswerk Die Offenbarung nach dem Lehrbegriffe der Synagoge. S.s Neubestimmung der Offenbarungslehre auf der Grundlage der klassischen Quellen des Judentums erfolgte unter Einbeziehung Maimonides' und des modernen wissenschaftlichen Denkens und stand damit zwischen Tradition und Moderne. S. war ein Repräsentant der neuen Zeit, ohne sich allerdings den Idealen der Aufklärungsepoche ganz zu verschreiben. Die Basis seines Denkens bildeten die Lehren der Propheten sowie die rationale Philosophie Kants.
Psychologe und Philosoph, geb. 29.4.1871 in Berlin, gest. 27.3.1938 in Durham (USA)
S. wirkte 17 Jahre in Hamburg, während deren er das Psychologische Institut (bis 1929: Psychologisches Seminar und Laboratorium) zu einem international beachteten Zentrum psychologischer Forschung ausbaute. Aufgewachsen im assimilierten Berliner Reformjudentum, studierte S. in seiner Vaterstadt seit 1888 Psychologie und Philosophie und wurde dort 1893 promoviert. 1896 folgte er einem Angebot seines einstigen Lehrers Hermann Ebbinghaus, sich bei ihm in Breslau zu habilitieren. Ab Juli 1897 war S. zehn Jahre lang Privatdozent für »Philosophie, insbesondere Psychologie« an der Breslauer Universität, dann weitere neun Jahre Extraordinarius ebendort. In diese Zeit fielen auch die Heirat mit seiner Cousine Clara S. (1899) und die Geburt der Kinder Hilde (1900), Günther (1902; später der Philosoph Günther Anders) und Eva (1904). Teils in enger Kooperation mit Clara S. entstanden die Monographien über die Kindersprache und die Psychologie der frühen Kindheit. Parallel erschienen der erste Band von Person und Sache sowie Die differentielle Psychologie in ihren methodischen Grundlagen. Überdies war S. führend beteiligt an der Gründung des privaten »Instituts für angewandte Psychologie und psychologische Sammelforschung« in Berlin und seiner Zeitschrift. Gleichwohl blieb ihm der Ruf auf ein Ordinariat verwehrt, weil er nicht bereit war, um der Karriere willen seinen Glauben zu wechseln. 1916 wurde er auf die Hamburger Professur für »Philosophie, Psychologie und Pädagogik« berufen, auf der er eine breite Wirkung entfaltete. Mit Gründung der Universität zum Ordinarius ernannt, widmete er sich u. a. der Jugendkunde und Begabungsforschung, wobei er seine Untersuchungen zur Intelligenzprüfung fortsetzte. 1931 wurde er zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Psychologie gewählt. S.s Entlassung nach dem »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« 1933 bedeutete nicht nur das jähe Ende einer herausragenden Wissenschaftlerkarriere, sondern mit der Entlassung Heinz Werners und dem Freitod Martha Muchows auch das faktische Ende des Psychologischen Instituts. Das Ehepaar S. emigrierte 1934 in die Niederlande, kurz danach in die USA (→ Emigration [16]), wo William an der Duke University in Durham (North Carolina) ein knappes Auskommen, nicht aber eine neue Wirkungsstätte fand. In Hamburg erinnert seit 1964 die Sterntwiete in Lohbrügge an diesen vielseitigen Wissenschaftler, in der Universität die zu seinem hundertsten Geburtstag enthüllte Bronzebüste von Fritz Fleer im »Philosophenturm«, bei den Psychologen ein »William-Stern-Raum« im »Wiwi-Bunker« und, als »e.V.«, die »William-Stern-Gesellschaft für Begabungsforschung und Begabungsförderung«.
Rabbiner, geb. 1820 Steinbach, gest. 11.3.1888 Hamburg
S., Sohn eines rabbinischen Gelehrten, betrieb religiöse Studien unter anderem bei den streng traditionellen Talmudisten Seckel Wormser in Fulda und Seligmann Bär Bamberger in Wiesenbronn, dem er 1840 nach Würzburg folgte. 1844 nahm er ein Studium der Orientalistik an der dortigen Universität auf, während er zugleich als Hauslehrer in den Dienst des Barons Joel Jakob von Hirsch trat. 1848 wirkte S. zunächst als Religionslehrer und Hilfsrabbiner in Bad Homburg. Nach seiner Ordination war er seit 1851 als Rabbiner in Hamburg tätig. Allerdings wurde ihm die besondere Ehrenstellung vorenthalten, die sein Vorgänger → Isaac Bernays [98] innegehabt hatte. Trotz seiner eingeschränkten Autorität und unbeschadet mittelmäßiger Talente als Prediger machte sich S., der 1855 die Tochter des britischen Chief Rabbi Nathan Adler heiratete, um das religiöse Gemeindeleben verdient. Er erteilte Talmudschülern privaten Unterricht und gründete 1862 den religiösen Lernverein Mekor Chajim. Überdies gelang es ihm, die von der Gemeinde unterhaltene und unter seiner Leitung stehende → Talmud Tora Schule [38] als Realschule 2. Ordnung auszubauen, die auch unter nichtorthodoxen Eltern einen ausgezeichneten Ruf genoss. Nach der 1867 erfolgten Neuordnung der Hamburger → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] als Dachverband zweier Kultusverbände trug S. den Titel eines Oberrabbiners, als welcher ihm aber nur noch die Betreuung von Mitgliedern des (orthodoxen) → Synagogenverbandes [76] zukam.
Chemiker, geb. 17.2.1888 Sohrau (Oberschlesien), gest. 17.8.1969 Berkeley (USA)
Nur zehn Jahre, von 1923 bis 1933, wirkte S. als Ordinarius für Physikalische Chemie in Hamburg. Und doch gelang ihm hier die Etablierung einer Forschungseinheit, welche den Ruf der jungen Universität international verbreitete. Vor allem für seine Hamburger Arbeiten erhielt er 1943 den Nobelpreis für Physik. Ältester Sohn aus einer wohlhabenden Getreidehändler- und Mühlenbesitzerfamilie, ging S. in Breslau zur Schule. 1906 begann er ein naturwissenschaftliches Studium, welches ihn über Freiburg und München zurück nach Breslau brachte, wo er 1912 in Physikalischer Chemie promoviert wurde. Die folgende Phase seiner Arbeit führte ihn zu Albert Einstein, mit dem er 1913 von Prag an die ETH Zürich wechselte. 1913 habilitierte sich S. in der Schweiz. Einsteins Weggang nach Berlin 1914 folgte S.s Umhabilitation nach Frankfurt. Während des Ersten Weltkriegs diente S. als Unteroffizier zunächst in der Wetterbeobachtung in Russland, dann in Walther Nernsts Laboratorium für Physikalische Chemie in Berlin. Gemeinsam mit Walther Gerlach gelang ihm 1921 der Nachweis des magnetischen Moments des Elektrons und der Richtungsquantelung von Drehimpulsen (»Stern-Gerlach-Versuch«). Parallel hierzu erhielt S. ein Extraordinariat für Theoretische Physik in Rostock. Zwei Jahre später wurde er auf die Professur für Physikalische Chemie in Hamburg berufen. Formal auf eigenen Antrag wurde S. mit Ende des Sommersemesters 1933 entlassen. Er fand am Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh / Pennsylvania (USA) eine neue Arbeitsmöglichkeit. Nach seiner Emeritierung 1945 zog er nach Berkeley. Hamburg und Deutschland hat er nicht wieder besucht. Im Jahr seines hundertsten Geburtstages enthüllte der Universitäts-Präsident an S.s einstiger Wirkungsstätte an der Jungiusstraße eine von der Patriotischen Gesellschaft ermöglichte Gedenktafel.
Zigarrenarbeiter und Arbeiterführer, geb. 3.7.1824 Hamburg, gest. 4.1.1902 Hamburg
Nachdem S. die → Israelitische Freischule [139] abgeschlossen hatte, arbeitete er als Arbeiter in einer Tabakmanufaktur und wohnte bei seiner Mutter im → Lazarus-Gumpel-Stift [227] (29). Dem Arbeiter-Bildungsverein trat er schon im Gründungsjahr 1845 bei. 1847 ging er auf Handwerkerwanderschaft in mehrere Städte Westdeutschlands sowie Brüssel und Antwerpen. S. gehörte wohl dem geheimen Bund der Kommunisten an, dessen Hamburger Gruppe zu den größten in Deutschland zählte. Im September 1848 beteiligte er sich aktiv an der Gründung des Hamburger Cigarren-Arbeiter-Vereins und wurde zu dessen Vizepräsidenten, 1850 zum Präsidenten gewählt (→ Sally Eschwege [228]). Er vermittelte den Beitritt der Hamburger Zigarrenarbeiter an die Deutsche Assoziation und setzte sich darüber hinaus erfolgreich für den Anschluss an die berufsübergreifende Deutsche Arbeiter-Verbrüderung ein, die von dem jüdischen Schriftsetzer Stephan Born in Berlin geführt wurde. S. übernahm 1850 die Präsidentschaft im Hamburger Bezirks-Comitee der Verbrüderung. Diese Organisation war die erste, die durch die aus Berlin gesteuerte Gegenrevolution verboten wurde. Dennoch wurde S. von den mehr als tausend Mitgliedern des Arbeiterbildungsvereins noch 1852 zum Vizepräsidenten gewählt. Bald darauf wurde er jedoch nach einer Intervention aus Preußen unter verschärfte Polizeiaufsicht gestellt. 1853 beendete S. seine politischen Aktivitäten und machte sich als Zigarrenhersteller selbständig. Er blieb Mitglied in der Jüdischen Gemeinde, heiratete 1854 und erwarb 1858 das Bürgerrecht.
Die ersten jüdischen S. datieren auf den Beginn des 18. Jahrhunderts. Sie waren nach den traditionellen, religiös begründeten Prinzipien der jüdischen Wohltätigkeit (→ Sozial- und Wohlfahrtswesen [79]) ausgerichtet und sorgten mit Geld und Naturalien für arme Gemeindemitglieder, Familienangehörige, Bräute, Kranke und dienten rituellen Zwecken; häufig gab es auch mehrere Aufgabenstellungen.
So stiftete das Jacob Lazarus Legat von 1716 Brautgeld für arme Verwandte und das Lipmann Osterode Legat von 1720 zweimal jährlich Gelder für arme Verwandte und Bräute. Unter dem Einfluss der Aufklärung und der Reformbewegung setzten sich dann auch säkulare Zielsetzungen durch, insbesondere im Bildungsbereich und in der Berufsausbildung, wie sich an den zahlreichen Zustiftungen für die → Israelitische Freischule [139] (41) von 1815 und an den berufspolitischen Zielsetzungen der Hermann Heineschen Stiftung von 1837 zeigte. Das jüdische Stiftungswesen in Hamburg entfaltete seit der bürgerlichen Gleichstellung von 1849 eine bemerkenswerte Breite, die von der rituellen Grabstellenpflege bis zur paritätisch verteilten Mietunterstützung reichte. Insgesamt dominierten wohltätige Bestimmungen der S., daneben gab es auch herausragendes jüdisches Engagement für Wissenschaft und Kultur. Jüdische Mäzene, wie → Salomon Heine [36], → Marcus Nordheim [229], Alfred Beit und Mitglieder der Familie → Warburg [54], belebten alte Hamburger Stiftungstraditionen, wie die → Wohnstiftungen [209], neu, begründeten auch konfessionsübergreifende, paritätische S. und zeigten sich allen gesellschaftlichen Belangen gegenüber aufgeschlossen. Im 18. Jahrhundert wurden 56 S. von Juden gegründet, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits rund 80 und in der zweiten Hälfte noch einmal 130. Von 1900 bis zur Zerschlagung des jüdischen Stiftungswesens unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft Ende 1942 wurden dann sogar noch einmal 170 S. ins Leben gerufen. Für den gesamten Zeitraum sind 438 jüdische S. nachgewiesen. Dieser Boom war eingebunden in die ökonomischen und gesellschaftlichen Transformationen jüdischen Lebens im voranschreitenden Emanzipationsprozess. Die traditionell-religiösen Fundamente jüdischen Stiftungsengagements wurden zunehmend als Instrumente bürgerlichen Handelns begriffen und stellten die Integration der Juden in die bürgerliche Gesellschaft eindrucksvoll unter Beweis.
Die beiden S. an der 1919 gegründeten Universität Hamburg hatten geringe Mitgliederzahlen. Sowohl in der Saxonia als auch in der Kadimah waren meist weniger als 10 Studenten pro Semester aktiv, zuweilen konnte ein regulärer Verbindungsbetrieb nicht aufrechterhalten werden.
Die Saxonia, im Mai 1919 gegründet, war farbentragend und gab unbedingte Genugtuung, war also bereit, Verletzungen ihrer Ehre auch mit Waffen, z. B. in Duellen zu verteidigen. Sie gehörte dem 1896 gegründeten, deutsch-vaterländisch orientierten Kartell-Convent der Verbindungen deutscher Studenten jüdischen Glaubens (KC) an. Ihr Wahlspruch war: »Lewwer duad us Slaav«. Die Mitglieder trugen Farben und Mütze, die zentralen Insignien studentischer Korporationen. Bereits zum Zeitpunkt ihrer Gründung tat sich die Saxonia mit anderen jüdischen Studenten zur Interkorporativen Arbeitsgemeinschaft der jüdischen Studenten zusammen, die sich zum Ziel setzte, »Angriffen auf die Ehre und die Rechte der Juden als Staatsbürger und als Studierende entgegenzutreten«. Zudem beteiligte sich die Saxonia an einem weiteren Bündnis von Einzelpersonen und Gruppen, der Jüdischen Arbeitsgemeinschaft. Sie trat allerdings wieder aus, als die Arbeitsgemeinschaft mit den Zionisten zusammenarbeitete. Das Verbindungsleben bestand im täglichen Fechten, Turnen und regelmäßigen Kneipen. Ihre Mitglieder erhielten Unterricht in jüdischer Geschichte und Religion. Großen Raum nahm bei der Saxonia das erfolglose Bemühen ein, die Anerkennung durch das Ortskartell waffentragender Verbindungen zu erlangen. Im Sommersemester 1923 musste die Saxonia aufgrund von Mitgliedermangel ihren Betrieb einstellen. Ein Hanseatischer Landesverband des KC mit 80 Mitgliedern blieb bestehen und organisierte regelmäßige Zusammenkünfte wie die monatlichen KC-Abende. 1929 wurde ein Stammtisch eingerichtet, bis 1933 bestand die Verbindung als Vereinigung Aktiver KCer fort. Die Einbindung des KC in das gesellschaftliche Leben Hamburgs zeigte sich bei öffentlichen Feiern, Kommersen oder Vortragsabenden, die von jüdischen Honoratioren wie → Max Warburg [24] besucht wurden. Zudem nahmen die Mitglieder des KC und des Landesverbandes regelmäßig an Veranstaltungen der Logen (→ Logenwesen [32]) und des jüdischen Jugendbundes teil.
Die zionistische Verbindung Kadimah (→ Zionismus [45]) im Kartell jüdischer Verbindungen (KJV) wurde ebenfalls im Sommersemester 1919 gegründet und bestand bis 1933. Auch sie hatte mit Mitgliedermangel zu kämpfen. Sie nahm verbindungsstudentische Formen an, trug die Farben Blau-Weiß-Gelb und wählte die Losung »Hilf Dir selbst!«. Fechten fand nicht statt, die körperliche Ausbildung bestand in Turnen und Boxen. Neben geselligen Zusammenkünften wurden Hebräischkurse angeboten. Die Kneipe der Kadimah befand sich im Logenheim in der Hartungstr. 9-11 (92). Im gesellschaftlichen Leben Hamburgs präsentierte sich die Kadimah vor allem durch öffentliche Kommerse, wie zum Beispiel aus Anlass einer Herzl-Gedenkfeier im Jahr 1924. Sie beteiligte sich am nationaljüdischen Jugendausschuss und turnte regelmäßig im Jüdischen Turnverein Bar Kochba (→ Sportvereine [126]). Am 19. Juli 1933 wurde die Kadimah auf behördlichen Befehl aufgelöst.
Neben den Studentenverbindungen existierte von 1919 bis 1933 die Vereinigung Jüdischer Akademiker im Bund Jüdischer Akademiker. Der Bund erstrebte die Verbindung von orthodoxem Judentum und moderner Wissenschaft. Er hatte keinen korporativen Charakter und umfasste nur einige hundert Mitglieder, in Hamburg etwa 50 Mitglieder, darunter → Joseph Carlebach [69].
In der Septuaginta, der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, bezeichnet S. die Versammlung, in jüdischen Quellen des 1. Jahrhunderts n. Chr. (Josephus, Philo) und besonders im Neuen Testament zunehmend den Versammlungsort.
Über lateinische Autoren gelangte der Begriff ins Deutsche. Im Mittelalter sprachen deutsche Juden von der Schul, auf dem Balkan und in den slawischen Ländern wird sie seitdem Tempel genannt. Im modernen deutschen und amerikanischen Sprachgebrauch bezeichnet Tempel die S. der Reformgemeinden, die liberalen Vorkriegs- und heutigen Einheitsgemeinden hielten an S. fest.
Während in vielen europäischen Städten jüdische Gemeinden seit dem 16. Jahrhundert freistehende, mehr oder minder repräsentative, reich ausgestattete S. errichteten, begnügten sich Hamburgs und Altonas Juden bis Mitte des 17. Jahrhunderts mit Beträumen. Die Altonaer Gemeinden, denen die liberale dänische Judenpolitik S. erlaubte, waren zu klein; Hamburg verbot Juden Grundeigentum, S. und selbst religiöse Zusammenkünfte. Die heimlichen Beträume der Sefarden (ab 1612 am Alten Wall (1), ab 1627 an der Herrlichkeit (2)) übersah der Senat jahrzehntelang, weil die Stadt von deren Vermögen und weitgespannten Handelsbeziehungen profitierte. Versuche, am Alten Wall eine S. zu bauen, scheiterten (1670-73); den dort ab 1652 genutzten Betraum ersetzte erst 1834 ein Neubau (13). Die frühesten selbständigen S. entstanden durch den Umbau von Wohnhäusern (1642/43 an der Altonaer Mühlenstraße, 1654 in einem Hof am Neuen Steinweg (3) in der Hamburger → Neustadt [28]). Die ersten repräsentativen Synagogenneubauten errichteten die Altonaer Gemeinden, die Aschkenasen an der Kleinen Papagoyenstraße (1680-84) (→ HIG [19]) (96) und die Sefarden an der Bäckerstraße (1771) (→ Portugiesisch-Jüd. Gemeinde [2]) (97), in kaum einsehbaren Höfen. Ihre Raumschemata unterschieden sie jedoch voneinander: Wie in mittel- und osteuropäischen aschkenasischen S. bildete in der S. Papagoyenstraße die von vier Säulen umgebene Bima (erhöhte Estrade mit einem Pult für die Toralesung) das Raumzentrum, der Toraschrein stand an der Ostwand, das Gestühl war auf ihn ausgerichtet. Die S. Bäckerstraße folgte mit der Bima in der Nähe des Eingangs im Westen, dem Toraschrein im Osten und dem Gestühl entlang der Längswände der sefardischen und italienischen Tradition. In beiden S. hatten Frauen ihre Plätze auf vergitterten Emporen. Der Ausbau der ehem. Berend Cohen-Klaus an der Elbstraße (7) durch die Altonaer Aschkenasen, die bislang Beträume in der Alt- und Neustadt unterhalten hatten, markiert 1788/89 den Beginn des Synagogenbaus in Hamburg. Zu betreten war die großräumige, lichte S. durch die Vorderhäuser, in denen Rabbiner und S.diener wohnten, die Gemeindeverwaltung im Obergeschoss und die Mikwe (rituelles Tauchbad) im Keller untergebracht waren. [231]
Wachstum der Gemeinden und Migration innerhalb der Stadt, → Emanzipation [11] und veränderte Rechtslage sowie innerjüdische Modernisierungsprozesse führten im 19. und 20. Jahrhundert zu einer Vielzahl von Neubauten. Die religiöse Reform forderte mit der Angleichung des Synagogenraums an Kirchenraumschemata (d. h. Aufhebung der Bima als Raummitte, Aufstellung der Bänke mit einem Mittelgang und Blick auf den Toraschrein, Abschaffung der Frauenemporen, Einführung einer Kanzel für die landessprachliche Predigt und einer Orgel) einschneidende Neuerungen. Keineswegs allgemein akzeptiert, führte dies in vielen Großstädten zu Mischformen und in Hamburg zu jeweils eigenen S. für Orthodoxe, Liberale und die Reformgemeinde. Die Frage des Baustils, seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts im Kontext nationaler Identitätsbildung allgemein diskutiert, wurde im Synagogenbau zu einem besonderen Problem, denn es gab keinen spezifisch jüdischen historischen Synagogenbaustil, auf den man hätte zurückgreifen können. So gaben bei der Wahl des Baustils eher politisches Kalkül und Selbstbewusstsein den Ausschlag als die religiöse Richtung. In Hamburg stellte sich die Frage bei den großen Neubauten der Jahrhundertmitte, dem → Tempel [39] (17) an der Poolstraße (1844; Architekt H. G. Krug) und der Gemeinde-S. (19) an den Kohlhöfen (1859; → Albert Rosengarten [232]). Die kleineren S. der orthodoxen Alten und Neuen Klaus-Vereinigung an der Peterstraße (1849, 1853 (9)) und der Sefarden (18) an der Markusstraße (1855; beide Albert Rosengarten) fügten sich weitgehend in die umgebende Wohnbebauung ein. Im Tempel Poolstraße setzte die Gemeinde die 1818 im ersten Tempel an der Brunnenstraße (12) begonnene behutsame Anpassung des Innenraums an den Reformritus fort. Außen zeigte sich der neue Tempel als modisch weiß geschlämmter, mit klassizistischen, gotisierenden und neuislamischen Formen spielender Putzbau. Die Kohlhöfen-S. war hingegen ein repräsentativer gelber Backsteinbau im Rundbogenstil mit hoher Tambourkuppel. Erstmals wurde hier die Fassade einer Synagoge von weitem sichtbar, denn die beiden mit der Synagoge zusammen in Auftrag gegebenen Neubauten für die → Talmud Tora Schule [38] (19), die anfangs auftragsgemäß die Synagoge verdecken sollten, rückten im Verlauf des Planungsprozesses an die seitlichen Grundstücksgrenzen und gaben so den Blick auf die im Hof stehende Synagoge frei. Nicht nur die Selbstwahrnehmung der Gemeinde und ihre Ansprüche an die Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit hatten sich also gewandelt, auch die politisch-rechtliche Situation der Hamburger Juden hatte sich verbessert und schlug sich in ihrem Synagogenbau nieder. Der Synagogenraum war flach überkuppelt, verhältnismäßig hell und vollständig ausgemalt; seine Einrichtung folgte dem traditionellen aschkenasischen Schema. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Stildiskussion bei der neuislamischen → Neuen Dammtor S. [77] (47), einer der wenigen monumentalen unter den vielen Vereins-S. Hamburgs (1895; Schlepps & Rzekonski), und der mächtigen neuromanischen → Bornplatz-S. [97] (50) (1906; Ernst Friedheim & → Semmy Engel [52]) nochmals aktuell. [233]
1905 vollzog Semmy Engel mit einen nahezu schmucklosen weißen Putzbau und seinen Jugendstilanklängen im Innenraum den Aufbruch ins 20. Jahrhundert. Erneut hatte die orthodoxe Alte und Neue Klaus (49) für ihre S. in einem Hof an der Rutschbahn einen avanciert entwerfenden Architekten beauftragt und damit ein Zeichen für die Aktualität religiöser Traditionen auch in modernen Zeiten gesetzt. Ein letztes Mal zog die Stadt 1931 mit dem Tempel an der Oberstraße (53) die Aufmerksamkeit von Architekten und bauwilligen Gemeinden auf sich (Felix Ascher & Robert Friedmann). Dieser von den Ideen des Neuen Bauens geprägte Tempel mäßigte die Reformvorstellungen insofern, als es wieder separate Fraueneingänge gab, und legte sie gleichzeitig strenger aus, indem das Allerheiligste nur durch Material und reine Form geadelt werden und mit der Orgel eine moderne Version des protestantischen Kanzelaltars bilden sollte.
Schon vor 1933 hatte es vereinzelt antisemitische Anschläge (→ Antisemitismus [31]) auf S. gegeben, in der Pogromnacht 1938 (→ Novemberpogrom [22]) schützte ihre Hoflage Hamburgs S. vor spektakulären Bränden. Sie bewahrte sie nicht vor Verwüstung – dem Zertrümmern des Mobiliars, von Orgel und Harmonium in der Oberstraße, dem Abreißen von Lampen und Toraschreinvorhängen, dem Zerreißen von Torarollen und ihren Mänteln, die vermutlich wie andernorts in kleineren Feuern im Innenraum verbrannt wurden – und Plünderung. Offenbar unberührt blieb der letzte Betraum der Sefarden in einem Wohnhaus an der Innocentiastraße (54), in dem bis Ende 1939 Gottesdienste stattfanden. In der Regel folgten kurz nach den Novemberpogromen Beschlagnahme, erzwungener Verkauf zu absurd niedrigen Preisen, Abriss oder Umnutzung als sog. → »Judenhaus« [136] (Innocentiastraße), Gewerbebetrieb (Oberstraße, Rutschbahn) und Parkplatz (Bornplatz), einige wurden von Bomben zerstört (Markusstraße, Neue Dammtor S.).
Nach 1945 nutzten die Überlebenden die erhaltenen Beträume des ehemaligen Oppenheimer Stifts an der Kielortallee (81) und im Altenheim Sedanstraße (62), bis die neu entstehende → Jüdische Gemeinde [124] 1960 S. und Gemeindezentrum an der Hohen Weide (55) einweihte. In der Zeit, in der Überlebende noch nicht über den Völkermord und die Synagogenzerstörungen in der NS-Zeit sprachen, entstand eine architektonisch unauffällige, zur Straße weitgehend geschlossene Anlage. Hinter dem Schutzschild dieser Außenmauern öffnen Glaswände sie vollständig zum Innenhof. (Architekten: K. Wongel & K. May).
Der S. konstituierte sich 1868 nach längerer Diskussion als ein eigenständiger Kultusverband innerhalb der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18].
Der Gemeindevorstand befürchtete eine zu große Eigenständigkeit des S., während Teile des S. wiederum einen größeren, über rein religiöse Belange hinausgehenden Einfluss ihres Rabbiners wünschten. Im Statut von 1873 wurde dann ein Kompromiss gefunden. Der S. war in diesem »Hamburger System« rechtlich selbständig, hatte die eigene Finanzhoheit und betreute seine Angestellten eigenständig. Ziel des S. war es, die Interessen der orthodoxen Juden in Hamburg zu vertreten und ihnen ein streng religiöses Leben zu ermöglichen. Er war verantwortlich für den Gottesdienst in den beiden Gemeinde-Synagogen an den Kohlhöfen (19) und Elbstraße (7), seit 1906 auch für die Synagoge am → Bornplatz [97] (50), für Trauungen und Scheidungen, die rituellen Bäder, Beschneidungen, das Schächtwesen, den koscheren Fleischhandel, die Speisegesetze sowie die Anfertigung der Mazzot. Der S. sorgte auch für die orthodoxe Leitung des jüdischen Armenwesens, einer Jungen- und zweier Mädchenschulen, der zwei Waisenhäuser (→ Sozial- und Wohlfahrtswesen [79]) und des → Israelitischen Krankenhauses [134]. Unabhängig von der Staatsbürgerschaft und Gemeindemitgliedschaft konnte Mitglied nur werden, wer beschnitten war, die Beschneidung seiner Söhne zuließ und die jüdischen Eheschließungsgesetze einhielt. Der S. war mit 1.181 (1893) bzw. 1.700 (1927) Mitgliedern und deren Angehörigen der größte der drei Kultusverbände in der Gemeinde. Die soziale Zusammensetzung seiner Mitglieder war vielschichtig, insgesamt jedoch gehörten dem Verband vergleichsweise viele mittellose Mitglieder an. Oberrabbiner des S. waren → Anschel Stern [208] (1851-1888 im Amt), → Mordechai Amram Hirsch [88] (1889-1909), → Samuel Spitzer [217] (1909-1934) und → Joseph Carlebach [69] (1936-1941). Ein ebenfalls wichtiger Vertreter der orthodoxen jüdischen Gemeinschaft war der in Hamburg von 1907 bis 1909 tätige Nehemia Anton Nobel, Vorstandsmitglied der Zionistischen Vereinigung (→ Zionismus [45]) und Mitgründer der orthodox-zionistischen Misrachi-Organisation. Hirsch, Nobel und Spitzer stammten aus Ungarn und sollen – wie andere Funktionsträger in der jüdischen Gemeinde, die aus Osteuropa stammten, auch – Assimilationstendenzen abgeschwächt haben. Insgesamt zeigten sie sich jedoch weitgehend tolerant gegenüber anderen Strömungen in der Gemeinde. Zu Konflikten kam es allerdings in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts um die Mitnutzung des neuen Hamburger Zentralfriedhofs durch die Gemeinde (→ Friedhof [34]) – die Orthodoxen bemühten sich bereits um einen Begräbnisplatz auf preußischem Gebiet – und 1910 um die Feuerbestattung. Bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts bestand weiterhin ein gespanntes Verhältnis zwischen dem S. und der Gemeinde, die Konkurrenzverhalten und Selbständigkeitsbestrebungen des Verbandes kritisierte. Im Frühjahr 1939 löste sich der S. auf, um den Anordnungen des Reichssicherheitshauptamtes zuvorzukommen.
Rabbiner und Prediger, geb. 9.6.1821 Laupheim, gest. 26.4.1882 Hamburg
S. wuchs als drittes von insgesamt zwölf Kindern eines Lehrers und Vorsängers auf, bei dem er seit dem vierten Lebensjahr auch die ersten religiösen und hebräischen Studien betrieb. Als Elfjähriger nach Stuttgart geschickt, besuchte er dort das Gymnasium und legte das Abitur ab. Die Akten der Universität Tübingen weisen S. ab November 1841 als Studenten aus. Nach dem akademischen Triennium, während dessen er sich der hebräischen und aramäischen Sprache, der biblischen Exegese sowie der Theologie und Philosophie widmete, verbrachte er zunächst zwei Jahre bei seinem Onkel, Rabbiner Jonas Sänger, in Buttenwiesen. Bei diesem bereitete er sich auf die für Rabbinatskandidaten vorgeschriebene Dienstprüfung vor, die er 1846 erfolgreich hinter sich brachte. Während der folgenden acht Jahre verdingte er sich als Hofmeister bei dem Hof- und Kammer-Juwelier Josef Biedermann in Wien, bis er 1854 interimistisch mit dem Posten des Mergentheimer Bezirksrabbiners betraut wurde und in seine württembergische Heimat zurückkehrte. Die zweite Rabbinatsprüfung legte er 1857 in Tübingen ab, nach der ihm das Rabbinat umgehend definitiv zugewiesen wurde. Bereits zwei Jahre zuvor hatte er mit der 21-jährigen Laupheimerin Klara Meyer die Ehe geschlossen, aus der drei Söhne hervorgehen sollten. Neben seiner Tätigkeit als jüdischer Geistlicher tat sich S. auch durch wissenschaftlich-exegetische Forschungen hervor. 1867 legte er seine Dissertation zu Maleachi vor und beantragte die externe Promotion an der Alma Mater in Jena. Nur wenig später wurde S. nach Hamburg berufen, wo er während der nächsten 15 Jahre das Amt des Predigers am Israelitischen Tempel bekleidete.
Personen und Themen mit T
Die 1805 in der Elbstraße 122 (40) gegründete Hamburger T. war die erste jüdische Schule in Deutschland, die streng traditionelles Judentum mit moderner Bildung verband.
Die Schule beschränkte sich zunächst auf die traditionellen jüdischen Disziplinen, vor allem Bibellesen in hebräischer Sprache. Die Kinder erhielten außer kostenlosem Unterricht geregelte Mahlzeiten und bei Bedarf Bekleidung. Von 1822 bis 1829 wurde die T. unter Leitung des Oberrabbiners → Isaak Bernays [98] durch die Einführung weltlicher Fächer, vor allem Deutsch, umfassend reformiert. 1870 wurde die T. als Höhere Bürgerschule anerkannt (später: Realschule). Alle Schichten der jüdischen Bevölkerung lernten hier gemeinsam; die Schule blieb jedoch den sozial Schwachen besonders verpflichtet (→ Sozial- und Wohlfahrtswesen [79]). 1889 wurde → Joseph Goldschmidt [237] der erste wissenschaftlich und pädagogisch ausgebildete Direktor, in dessen Amtszeit der Einzug in das neue Schulhaus (91) am Grindelhof (1911) einen Höhepunkt bildete (→ Grindelviertel [33]). Goldschmidts Nachfolger → Joseph Carlebach [69] führte in den zwanziger Jahren eine tiefgreifende Reform durch, die u. a. die Einführung moderner Unterrichtsfächer und -methoden beinhaltete. Carlebach legte besonderen Wert auf die Betonung des jüdischen Charakters der Schule. Sein Nachfolger → Arthur Spier [204] setzte die Reformen im Sinne Carlebachs fort. 1932 wurde die T. als prüfungsberechtigte Oberrealschule anerkannt. Seit 1933 wurden auch Mädchen in die Oberstufe aufgenommen sowie Kinder und Jugendliche auf die → Emigration [16] vorbereitet. 1939 wurde die jüdische Mädchenschule in der Karolinenstraße (89) geschlossen und mit der T. zusammengelegt (→ Schulwesen [80]). Sie musste sich jetzt Volks- und Höhere Schule für Juden nennen, später Jüdische Schule in Hamburg. 1939 musste das Schulgebäude geräumt werden, im Frühjahr 1942 auch das Schulhaus in der Karolinenstraße. → Alberto Jonas [71], Direktor der Mädchenschule, gelang es mit seinem kleinen Kollegium bis zur endgültigen Schließung aller jüdischen Schulen in Deutschland am 30. Juni 1942, einen vergleichsweise »normalen« Schulalltag aufrechtzuerhalten. Hunderte von Schülern und zahlreiche Lehrerinnen und Lehrer, darunter auch Jonas und seine Frau, wurden Opfer der → Deportationen [13].
Jurist und Gemeindebeamter, geb. 18.10. 1883 Rendsburg, gest. 24.7.1931 Hamburg
T.s Eltern zogen nach Hamburg, als sein Vater, der Lehrer Louis Tannenwald, die Leitung des Mädchenwaisenhauses Paulinenstift übernahm. Nach dem Besuch des Christianeums in Altona studierte T. Rechtswissenschaft in München, Berlin und Kiel. Noch während seiner Berliner Studentenzeit gehörte er zu den Begründern der Vereinigung jüdischer Akademiker. Nach den juristischen Staatsexamen und der Promotion ließ er sich in Hamburg als Anwalt nieder. Die → Deutsch-Israelitische Gemeinde [18] in Hamburg wurde auf T. aufmerksam, als dieser zu ihrem 100-jährigen Bestehen eine Schrift über Die rechtlichen Verhältnisse der Juden in Hamburg veröffentlichte. T. war seit 1919 aktives Mitglied der Zionistischen Ortsgruppe Hamburg-Altona. Seine Frau Leni leitete die Zionistische Frauengruppe. Aus den zionistischen Gruppierungen entwickelte sich 1920 die Hamburger Zionistische Vereinigung, die sich erstmals im März 1920 als Jüdische Volkspartei an den Wahlen der jüdischen Gemeinde beteiligte. T. wurde als jüngstes Mitglied neben drei weiteren Zionisten in das Repräsentanten-Kollegium der Deutsch-Israelitischen Gemeinde gewählt. T., der als ehrenamtlicher Geschäftsführer des → Verbandes der jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte [218] vielfältige Kenntnisse über innerjüdische Organisationen gewonnen hatte, war berufen, die zionistischen Ansichten bei der Reform der Gemeindeverfassung (1924) zu vertreten. So forderte er beispielsweise das aktive und insbesondere das passive Frauenwahlrecht. 1927 stellte ihn der Gemeindevorstand ein, um die Leitung der Gemeindefinanzen und der Gemeindesteuern, der Grundstücksverwaltung, des → Friedhofswesens [34] und der Fremdenpflege sowie der Depositenkasse milder → Stiftungen [37] zu übernehmen.
Der NIT, im Dezember 1817 in Hamburg gegründet, war eine der frühesten religiösen Reforminitiativen des deutschen Judentums.
Seit 1818 veranstaltete der Verein in einem angemieteten Saal am Alten Steinweg (12) regelmäßig Gottesdienste, die in der jüdischen Tradition bislang unbekannte Elemente wie deutschsprachige Kanzelreden, Orgelspiel und Chorgesang beinhalteten. Als Prediger wurden der Oberlehrer der → Israelitischen Freischule [139] → Eduard Kley [153] sowie → Gotthold Salomon [185] berufen. Das Gebetbuch, das der NIT 1818/19 herausgab, rief Protest im gesetzestreuen Judentum hervor, das die durch Neuformulierungen, Kürzungen und Übersetzungen veränderte Liturgie als unzulässige Verstöße gegen die Tradition zu verhindern suchte. Zuspruch fand der am bürgerlichen Zeitgeschmack ausgerichtete Reformritus vor allem bei Angehörigen der akkulturierten Mittelschicht – etwa 300 Familien schlossen sich als Mitglieder an, deren finanzielle Förderung 1844 auch die Errichtung eines Gebetshauses in der Poolstraße (17) ermöglichte (→ Synagogen [96]). [238]Bedingt durch die von der neuen Hamburger Verfassung 1860 vorgesehene Trennung von Staat und Kirche wurde eine Neuordnung der Gemeindeverhältnisse notwendig. Unter dem Dach der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] nahm der liberale Tempel seit 1868 als Kultusverband eine nahezu gleichberechtigte Stellung neben dem → Synagogenverband [76] ein, der sich um die religiösen Bedürfnisse der orthodoxen Hamburger Juden kümmerte. Trotz seiner gefestigten Stellung im institutionellen Gefüge der Gemeinde zeigte der Tempel seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts zunehmend Krisensymptome, weil auch der modernisierte Kultus die religiöse Entfremdung vieler Mitglieder nicht aufzuhalten vermochte. Eine Renaissance erlebte der NIT vor allem nach der Einweihung seines neuen, von den Architekten Felix Ascher und Robert Friedmann gestalteten Gotteshauses in der Oberstraße (53) im Jahr 1931. Nach dem → Novemberpogrom [22] 1938 wurde der Tempel zwangsweise geschlossen, doch fanden liberale Gottesdienste noch bis 1942 im ehemaligen Logensaal des B’nai B’rith-Ordens in der Hartungstraße (92) statt (→ Logenwesen [32]). Die Synagoge am Rothenbaum dient heute als Sendestudio des Norddeutschen Rundfunks.
Pharmazeut, Kunstsammler und Mäzen, geb. 18.1.1863 Gleiwitz, gest. 27.4.1918 Hamburg
Fragt man nach dem innovativsten jüdischen Unternehmer Hamburgs in der Zeit des Kaiserreiches, dann gebührt dieser Titel Oscar T., der das Unternehmen P. Beiersdorf & Co. binnen eines Vierteljahrhunderts von einem kleinen Laboratorium zu einem weltweit operierenden Unternehmen der pharmazeutisch-kosmetischen Industrie machte. Aufgewachsen in Schlesien, hatte der Apotheker T. nach dem Studium in Breslau und Heidelberg 1890 das kleine Laboratorium Dermatotherapeutischer Präparate des Altonaer Apothekers Paul Beiersdorf übernommen. Durch enge Zusammenarbeit mit führenden deutsch-jüdischen Naturwissenschaftlern – unter ihnen der Hamburger Dermatologe Paul Gerson Unna und der Berliner Chemiker Isaac Lifschütz – entwickelte T. eine breite Palette von Markenprodukten, die durch die Verbindung von wissenschaftlicher Innovation, rationeller Produktion und ausgeklügelter Werbung bestachen und seinem Unternehmen eine bis heute anhaltende Marktführerstellung verschafften. So erfand T. die Zahnpasta und brachte von 1890 bis 1914 Produkte wie Nivea, Leukoplast, Atrix und Labello auf den Markt. Die sozialen Einrichtungen der Firma – darunter ein kostenloser Mittagstisch, eine Kranken-Unterstützungskasse, eine Stillstube, eine Alters- und Hinterbliebenen-Stiftung sowie bezahlter Urlaub auch für Arbeiter – galten im Kaiserreich als vorbildlich. Von 1904 bis 1910 wirkte T. als Abgeordneter in der Hamburgischen Bürgerschaft und war darüber hinaus kommunalpolitisch in der Baudeputation, der Oberschulbehörde und der Finanzdeputation tätig. In seinem letzten Lebensjahrzehnt betätigte sich T. als Kunstsammler und Mäzen, der in seinem großbürgerlichen Haus an der Fernsicht (Außenalster) zahlreiche Künstler empfing und unterstützte. Testamentarisch vermachte er der Hamburger Kunsthalle eine bedeutende Sammlung mit Gemälden französischer und deutscher Impressionisten.
Vereinsfunktionär und Zionist, geb. 11.4. 1872 Hamburg, gest. 29.12.1922 Hamburg
T., jüngstes Kind des Hamburger Kaufmannes → Gustav Tuch [151], studierte in Berlin zunächst Philosophie und Staatswissenschaften, beschäftigte sich eingehend mit Kant, Schopenhauer und Stirner. Unter dem Einfluss der nationaljüdischen Bewegung (→ Zionismus [45]) nahm T. dann auch das Studium der orientalischen Wissenschaften auf, lernte Hebräisch sowie Arabisch und besuchte Vorlesungen an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums. Nach der Verheiratung mit seiner Jugendliebe Lieschen Lobatz nahm er 1900 in Berlin die Stelle als Generalsekretär des Vereins für Bodenkultur unter den deutschen Juden an. In der Berliner jüdischen Turnbewegung wurde er Vorsitzender des Vereins Bar Kochba, bis er 1905 in seine Heimatstadt zurückkehrte. Die Umgestaltung jüdischen Lebens durch produktive Arbeit und Körperertüchtigung bezeichnete ein Ideal, das T. am eigenen Leibe erproben wollte. Unterstützt von seinem Vater und gemeinsam mit seiner Frau begann er, einen landwirtschaftlich-gärtnerischen Betrieb aufzubauen – ein Unterfangen, das scheiterte. In den folgenden Jahren arbeitete T. als kaufmännischer Angestellter in Hamburg und Berlin. T. zögerte lange, sich offiziell dem Zionismus anzuschließen. Sein vereinspolitischer Weg war gekennzeichnet von stetem Ringen um Gemeinsamkeit und Integration, besonders in der innerjüdischen Turndebatte. So hatte er sich vergebens bemüht, die Hamburger (»deutschjüdische«) Turnerschaft von 1902 in die Gründung eines überregionalen Dachverbandes einzubeziehen. Unter seiner Führung konstituierte sich der Hamburger Bar Kochba (→ Sportvereine [126]) Ende März 1910 erst, als diese Verhandlungen gescheitert waren. Mit ihm als Ehrenvorsitzenden entfaltete der Hamburger Bar Kochba sodann umfangreiche sportliche Initiativen. Im Alter von 51 Jahren erlag T. den Folgen einer schweren Erkrankung.
Bankier und Gemeindefunktionär, geb. 21.12. 1834 Hamburg, gest. 2.2.1909 Hamburg
T., einziges Kind eines aus Polen zugewanderten kleingewerblichen Tabak- und Zigarrenfabrikanten, besuchte die → Israelitische Freischule [139] und trat mit dreizehn Jahren eine Kaufmannslehre an. Als er 1864 das Hamburger Bürgerrecht erwarb, war er Angestellter der Commerz- und Diskontobank, 1871 übernahm er die Leitung der Anglo-Deutschen Bank. Bis 1879 betreute er die wirtschaftspolitische Redaktion der Hamburger Nachrichten, trat als Autor zahlreicher Publikationen insbesondere zur Frage des Zollvereinanschlusses der Hansestadt an die Öffentlichkeit. Für seine Verdienste um die Zolleinheit erhielt er 1899 den preußischen Kronenorden 4. Klasse. In Reaktion auf den → Antisemitismus [31] begann T., sein gesellschaftliches Engagement auf jüdische Belange auszudehnen. 1894 ließ er sich in das Repräsentanten-Kollegium der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] wählen. In der Henry Jones-Loge (→ Logenwesen [32]) bekleidete er zwölfmal das Amt des Stuhlmeisters. Unter seiner Ägide entfaltete die Loge ein breit gefächertes Netzwerk neuer jüdischer Vereinigungen (→ Vereinswesen [78]). Ein großes Anliegen war ihm die »innere Kolonisation«, eine vom Sozialdarwinismus geprägte Vorstellung innerjüdischer beruflicher Umerziehung zu landwirtschaftlicher Tätigkeit (→ Hachschara [50]). T. maß dem politischen → Zionismus [45] zwar positive Bedeutung zu, schloss sich diesem aber nicht an. Stattdessen initiierte er ein Projekt, das im Verein zur Förderung der Bodenkultur unter den Juden Deutschlands 1897/98 einen organisatorischen Rahmen fand. T. gehörte zu denjenigen, die die Durchführung eines Zionistenkongresses in Hamburg befürworteten. Dem Ereignis selbst konnte er nicht mehr beiwohnen, da er unerwartet bei einer Blinddarmoperation verstarb.
Personen und Themen mit V
Am 17. November 1919 gründete sich in Hamburg eine Ortsgruppe des V. Man folgte damit einem reichsweit ergangenen Gründungsaufruf, der 1920 zum Zusammenschluss der inzwischen entstandenen Ortsvereine zum Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF) führte.
Die Gründung war innerjüdisch umstritten, weil sie der Trennung zwischen Juden und Nichtjuden Vorschub leistete. Der V. trat der Behauptung, die jüdische Minderheit habe in nicht genügender Weise für die Verteidigung des Vaterlandes Opfer gebracht, mit genauem Zahlenmaterial über den Anteil der Juden am Kriege entgegen. Im Leben der Deutsch-Israelitischen Gemeinde war der Vaterländische Bund stets präsent. Die alljährlichen Gedenkfeiern mit nichtjüdischen Traditionsverbänden und prominenten Vertretern des Hamburger und Altonaer öffentlichen Lebens, die bereits 1922 verwirklichte Errichtung eines Ehrenfriedhofs für die jüdischen Gefallenen auf dem jüdischen → Friedhof [34] Ilandkoppel (Ohlsdorf) und die Herausgabe einer programmatischen Zeitschrift waren Teil einer gezielten Öffentlichkeitsarbeit des Vereins. Langjähriger Vorsitzender des V. in Hamburg war Rechtsanwalt Siegfried Urias (1895-1953). Dieser wies nach, dass 457 Hamburger Juden im Weltkrieg gefallen waren und dass damit die Zahl der Gefallenen im Verhältnis zu der Zahl der zum Kriegsdienst Eingezogenen in Hamburg erheblich höher war als die für die deutsche Gesamtbevölkerung. Im Februar 1933 überreichte der Bund das Gefallenengedenkbuch des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten mit einer gesonderten Liste der Hamburger jüdischen Gefallenen in einer feierlichen Gedenkstunde dem Hamburger Senat.
In den Jahren 1933 und 1934 organisierte der V. zahlreiche öffentliche Kundgebungen, auf denen man sich dezidiert gegen Auswanderung aussprach. Damit traten die ideologischen Differenzen zum → Zionismus [45] offen zutage. Nach der Wiedereinführung der Wehrpflicht im Mai 1935, die Juden ausschloss, und nach dem Erlass der so genannten Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935 rückte der Bund jedoch von seiner strikten Ablehnung der → Emigration [16] ab und sprach sich seit 1936 für diese aus. Im Oktober 1936 wurde der RjF durch Heinrich Himmler mit der Betreuung der jüdischen Kriegsopfer »beauftragt« und zugleich in allen anderen Tätigkeiten eingeschränkt. Nach dem → Novemberpogrom [22] 1938 stellten der RjF und seine Ortsvereine jede Tätigkeit ein. 1939 wurden die Mitglieder in die von der Gestapo kontrollierte Reichsvereinigung der Juden in Deutschland eingegliedert.
Nach dem Vorbild bereits bestehender preußischer Provinzialverbände 1912 in Kiel gegründet, bezweckte der Verband der Jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins die wirksame Förderung gemeinsamer Interessen der Verbandsgemeinden, und zwar insbesondere durch deren Vertretung gegenüber Behörden, durch die Schlichtung von Streitigkeiten sowie durch die Regelung der Armenpflege und der Fürsorge für Wanderarme.
Zudem zielte seine Arbeit auf die Unterstützung finanziell leistungsschwacher Mitgliedsgemeinden bei der Aufrechterhaltung von Gottesdienst, Religionsunterricht und ritueller Schlachtung. Größere Aktivitäten auf diesen Gebieten entwickelte er erst nach seiner Neukonstituierung 1925 in Altona, als sich ihm alle jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins anschlossen. Da diese mehrheitlich selbst unterstützungsbedürftig waren, bemühte sich die Führung – um der finanziellen Konsolidierung des Verbandes willen – um dessen Erweiterung über die Provinzgrenzen hinaus. Mit dem 1929 erfolgten Beitritt Hamburgs, Bremens und Lübecks wurde der V. geschaffen und damit erstmals ein Zusammenschluss jüdischer Gemeinden aus verschiedenen Ländern des Deutschen Reiches. Später kamen noch die jüdischen Gemeinden des Freistaats Oldenburg und des Regierungsbezirks Stade hinzu. Verbandsvorsitzender war von 1912 bis 1931 der Wandsbeker Rechtsanwalt → Willy Victor [239], von 1932 bis 1935 sein Altonaer Kollege Alfred Manasse (1881-1958) und nach dessen → Emigration [16] der Kaufmann Paul Möller (1892-1944). Lag der Schwerpunkt der Tätigkeit des V. in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts auf der Sicherung des religiösen Kultus in den Kleingemeinden durch die Einstellung von Bezirksrabbinern und Bezirkslehrern, so stand nach der NS-Machtübernahme die Wohlfahrt (→ Sozial- und Wohlfahrtswesen [79]) im Mittelpunkt der Arbeit, außerdem die seelische Betreuung der zusehends in die Isolation getriebenen kleinstädtischen Juden, für die man eine Wanderbibliothek einrichtete, Kulturabende und Ferienkurse durchführte sowie eine Provinzial- und Wanderfürsorgerin einstellte. Dokumentiert sind die Aktivitäten des V. und seiner Mitgliedsgemeinden im Israelitischen Kalender für Schleswig-Holstein, der von 1926 bis 1928 herausgegeben wurde, und im Jahrbuch für die Jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte, das von 1929 bis zur erzwungenen Einstellung der Arbeit im Jahr 1938 erschien.
Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts gründete sich unter der Leitung von → Baruch Zwi Ophir [240] (1910-2004) in Jerusalem ein »Verein ehemaliger jüdischer Bürger der Stadt Hamburg in Israel«.
Der V. setzte sich zum Ziel, Erinnerungen an die alte Heimatstadt sowie Kontakte dorthin zu pflegen und zugleich Anregungen für das Gedenken an das zerstörte jüdische Leben in Hamburg zu geben. Für das »Besuchsprogramm für verfolgte ehemalige Bürgerinnen und Bürger Hamburgs«, das vom Senat der Stadt seit 1965 durchgeführt wird, war und ist der V. ein wichtiger Ansprech- und Vermittlungspartner. 1992 schloss er sich korporativ dem V. an. Dieser gibt seit 1995 ein zweisprachiges Rundschreiben für die Mitglieder heraus, das über Ereignisse und Personen in Deutschland berichtet. In Israel organisiert der V. die Initiative »Brücken-Bauen«, die Gäste aus Hamburg in Israel begrüßt und begleitet. Daneben hat der V. eine Reihe von kulturellen und wissenschaftlichen Veranstaltungen in Hamburg und Israel mit Hinweisen, Dokumenten und Exponaten unterstützt, so z.B. 1991 die Ausstellung Vierhundert Jahre Juden in Hamburg. Auch die ständige Sonderausstellung im Museum für Hamburgische Geschichte über jüdisches Leben in Hamburg geht auf eine Initiative des V.s, insbesondere seines Vorsitzenden, zurück. 1998 publizierte der V. eine Broschüre mit Erinnerungen ehemaliger Hamburger an die Pogromnacht (→ Novemberpogrom [241]) in Hamburg in Hebräisch und Deutsch. Ophir leitete den V. bis 1991, ihm folgten Jonny Kern (bis 1994) und Abraham Seligmann (bis 2004). Zurzeit ist Frank Meir Löwenberg Vorsitzender.
1906 gründeten Handwerker und Gewerbetreibende innerhalb der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] den V., der das unter den Juden wenig verbreitete Handwerk und entsprechende Lehrlingsausbildung fördern wollte.
Bei den Wahlen zum Repräsentanten-Kollegium 1911 konnte mit der Wahl des Steinmetzmeisters Eduard Berlin ein erster Erfolg verbucht werden. Bei der Gemeindewahl von 1920 erreichte die so genannte Handwerkerpartei 13,7 Prozent der Stimmen und entsandte nun auch den Malermeister Max Cossen in das 21-köpfige Kollegium. Bei den letzten regulären Wahlen von 1930 konnte die Wirtschaftsgruppe Handwerk und Gewerbe die Zahl der Mandate auf vier erhöhen. Einen Platz im Vorstand der Gemeinde konnte die »Wirtschaftspartei« bis 1938 jedoch nicht erreichen. In der Gemeindearbeit stand der Verein zumeist der liberalen Richtung nahe. 1935 hatte der V. 420 Mitglieder.
Der V. richtete eine eigene Berufsberatungsstelle ein, die auch Stellenvermittlung und später Berufsumschichtungen (→ Hachschara [50]) übernahm. Er gründete eine Lehrlingsabteilung, aus der sich eine Jugendgruppe des Handwerksvereins und ein selbständiger Lehrlings- und Gehilfenverein entwickelten, und errichtete 1928 unter Leitung von Rebekka Zadik ein eigenes Lehrlingsheim. Den allgemeinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten Ende der zwanziger Jahre und der Diskriminierung durch das NS-Regime stellte sich der V. aktiv entgegen. 1931 hatte er eine Darlehenskasse gegründet, die dem Vorschuss-Institut der Gemeinde angegliedert wurde. Nach dem Boykott jüdischer Geschäfte bemühte sich der V., einen innerjüdischen Wirtschaftskreislauf herzustellen, und warb für solidarische Aufträge durch Angehörige der jüdischen Gemeinde. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, durch die kontinuierliche → Emigration [16] verstärkt, trafen vor allem die Handwerker und die Kleingewerbetreibenden. Gerade ihnen bot der Verein durch zahlreiche Veranstaltungen und Hilfsmaßnahmen einen Rückhalt. Ende 1938 löste die Gestapo den Verein auf.
Wie in anderen Großstädten gab es auch in Hamburg ein entfaltetes jüdisches V. Entsprechend dem Anliegen und der sozialen Funktion lässt sich eine Gliederung in traditionelles und neues V. vornehmen, das sich insbesondere in Auseinandersetzung mit dem → Antisemitismus [31] ab Mitte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts konstituierte.
Es waren zunächst vornehmlich religiöse Anliegen, die die Gründung eines Vereins veranlassten und die den jeweiligen Akteuren hohes Sozialprestige verliehen. Unverzichtbar im Gemeindeleben war die Chevra Kadischa (→ Beerdigungswesen [85]), die Verstorbene für die Bestattung herrichtete und das Begräbnis vornahm, die die ordnungsgemäße Durchführung der täglichen Gebete unterstützte, das gemeinsame Studium von Talmud und Tora ermöglichte sowie wohltätige Aufgaben wahrnahm. Aufgrund der besonderen Wohnverhältnisse der Hamburger Juden bildeten sich die Anfänge des traditionellen Vereinswesens besonders vielfältig heraus: Talmud-Tora-Vereine zum gemeinsamen Studium des Schrifttums, die manchmal im Besitz einer eigenen Betstube waren, Bikkur-Cholim-Vereine für Krankenbesuche und religiösen Beistand insbesondere am Sterbebett, Hachnassat-Kallah-Vereine für die Ausstattung mittelloser Bräute. Andere Vereinigungen gründeten sich – analog zum Versorgungssystem der Zünfte – für gegenseitige finanzielle Unterstützung bei Krankheit und Tod, die im Laufe des 19. Jahrhunderts zahlreich zu modernen Kassen umgeformt wurden. Sie gewährten ihren Mitgliedern auch während der religiös vorgeschriebenen siebentägigen Trauer beim Tod eines Familienmitgliedes Beihilfen. Geradezu unüberschaubar war weiterhin das Feld der Wohltätigkeitsvereine (→ Sozial- und Wohlfahrtswesen [79]). Ein separates Vereinswesen mit einer eigenen Beerdigungsbrüderschaft entstand im Kreis des Neuen Israelitischen → Tempelvereins [39].
Das alte V. bestand fort, als sich das neue herausbildete. An der Schwelle zum 20. Jahrhundert gab es in Hamburg an die 150 jüdische Vereine. Aufgrund ihrer strukturellen Beschaffenheit (langfristige Festlegung des Zweckes bei freiwilliger, jederzeit zu beendender Mitgliedschaft) tradierten Vereine alte Anliegen über einen langen Zeitraum und gaben Impulse für neue, wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen es erforderten. So richtete sich beispielsweise seit alters her Vereinsaktivität auf die Unterbringung und Verköstigung durchreisender Fremder am Schabbat. Als nach den Pogromen in Russland seit Beginn der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts viele Flüchtlinge die Hafenstadt passierten (→ Auswanderung [95]), entfaltete sich binnen kurzem ein Netzwerk von Hilfsinitiativen. Am Ende eines Jahrhunderts, das von sozialer Integration geprägt war, entstanden neue innerjüdische Zusammenschlüsse mit ausschließlich auf Juden bezogenen säkularen Zielen. In Hamburg lassen sich dabei drei Zentren ausmachen:
1. Das in vieler Hinsicht wichtigste neue Aktionsfeld war das der 1887 gegründeten Henry Jones-Loge (→ Logenwesen [32]), die zahlreiche Initiativen als organisatorisch selbstständige Einheiten entfaltete. Seit 1903 bot das Logenhaus in der Hartungstraße (92) vielen Vereinsaktivitäten ein Heim.
2. Zum Zentrum der »Sammlungsbewegung« wurde auch die 1898 gegründete Hamburger zionistische Ortsgruppe, deren ideelles Ziel primär darin bestand, osteuropäischen Juden eine neue Heimat in Palästina zu schaffen. Auch die Zionisten etablierten bzw. förderten weitere Vereine. 1913 sollen ca. 1.500 Mitglieder zum »harten Kern« Hamburger zionistischer Vereinigungen gehört haben.
3. Während Zionisten und Henry Jones-Loge in der Hansestadt zusammenarbeiteten und auf Vorstandsebene personelle Verflechtungen aufwiesen, gestalteten sich die Beziehungen zwischen Zionisten und dem dritten Zentrum, der erst 1901 gegründeten Ortsgruppe des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV) von Anfang an schwierig. Der CV, der bis 1906 in Hamburg ungefähr 1.500 Mitglieder zählte, trat überwiegend mit programmatischen Großveranstaltungen auf.
Mit der Entfaltung des jüdischen Vereinslebens vollzog sich eine allgemeine innerjüdische Politisierung, die Hamburger Besonderheiten aufwies, aber zunehmend auch überregionale Gegebenheiten in die Hansestadt brachte. Nach dem hier 1909 durchgeführten Zionistenkongress, dem einzigen auf deutschem Boden, formierte sich die Orthodoxie auf Vereinsebene. Der religiös-zionistische Misrachi gewann erheblich an Zulauf, ausdrücklich als Gegengewicht zum → Zionismus [45] konstituierte sich die Vereinigung Moriah, eine frühe Umsetzung des Strebens nach einem weltweiten Bündnis der Orthodoxie. Eine Ortsgruppe der orthodoxen Weltorganisation Agudas Jisroel gründete sich 1913.
Nach dem Ersten Weltkrieg setzte sich die Zersplitterung des jüdischen V.s fort. Ursachen hierfür waren zum einen Politisierung und Wertepluralismus innerhalb der Jüdischen Gemeinde. Zum anderen führten die bei den Hamburger Juden vorhandenen Grundströmungen der religiösen Orthodoxie, des Zionismus und des Liberalismus unverändert zu weiteren Differenzierungen auf praktisch allen Gebieten des religiösen, sozialen und kulturellen Lebens. Daneben verstärkte die sich fortsetzende Assimilation die Neigung, in nichtjüdischen Vereinen Mitglied zu werden, soweit dem nicht antisemitische Tendenzen entgegenstanden. Innerhalb der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18] führte dies zu Zuordnungen entweder im Hinblick auf die Kultusverbände oder die jüdischen politischen Parteigruppierungen. Allerdings gab es Veränderungen in den Mitgliederzahlen. Vereine mit zionistischen Zielsetzungen konnten sich in der Weimarer Zeit stärker etablieren. Außerdem trat seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts ein Generationsbruch deutlich hervor. Die jüdische Jugend suchte sich eigene Vereine (→ Jugendbewegung [128]), vor allem im Bereich des Sports (Bar Kochba, Makkabi, Blau-Weiß, später Schild, → Sportvereine [126]), der Wanderbewegung (Jung-Jüdischer Wanderbund, Blau-Weiß, Esra) und des Zionismus (Hechaluz). Demgegenüber verstärkte sich bei der älteren Generation die Hinwendung zu kulturellen Vereinen (→ Franz Rosenzweig-Gedächtnisstiftung [148], Jüdische Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft, → Gesellschaft für jüdische Volkskunde [82], Verband der Vereinigten Jüdischen Lernvereine), zu wirtschaftlichen Interessenverbindungen (u. a. → Verein selbständiger jüdischer Handwerker und Gewerbetreibender von 1909 [242]) und unverändert zu zahlreichen Wohltätigkeitsvereinen (u. a. Hilfsverein der deutschen Juden) und zu → Stiftungen [37]. Eine gewisse Sonderstellung nahm die Ortsgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten (1920) ein (→ Vaterländischer Bund Jüdischer Frontsoldaten [48]). Einige dieser Vereine waren Ortsgruppen von auf Reichsebene organisierten Dachverbänden.
Im NS-Staat veränderte sich die Struktur jüdischer Vereine grundlegend (→ Jüdisches Leben zur Zeit der nationalsozialistischen Verfolgung [182]). Nicht-jüdische Vereine übernahmen im Sommer 1933 den so genannten Arierparagraphen und schlossen damit Juden aus. Das führte trotz einsetzender → Emigration [16] zunächst zur Zunahme der Mitgliederzahl der jüdischen Vereine, gleichzeitig aber zur sozialen und kulturellen Ghettoisierung. Dem jüdischen Vereinsleben, obwohl unter Überwachung der Geheimen Staatspolizei, erwuchs zunehmend die Aufgabe, einen innerjüdischen Freiraum und Schutzbereich herzustellen. Dies war insbesondere bei der Gründung und Tätigkeit des → Jüdischen Kulturbundes [4] der Fall. Die stete Auswanderung, welche die Führungsstruktur und die Mitgliederzahl traf, die Minderung der Vereinseinnahmen – auch aufgrund der allgemeinen Verarmung der Hamburger Juden – erschwerten es immer mehr, ein differenziertes jüdisches Vereinsleben aufrechtzuerhalten. Die Jüdische Gemeinde versuchte, diese Entwicklung durch eigene Maßnahmen personell und finanziell auszugleichen, konnte dies unter den Bedingungen des NS-Staates aber nur eingeschränkt leisten. Nach der Pogromnacht (→ Novemberpogrom [22]) löste die Geheime Staatspolizei 1938 nahezu alle jüdischen Vereine auf und überführte 1939 einige Bereiche wie das Schul- und das Wohlfahrtswesen (→ Schulwesen [80]) in die Zuständigkeit der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland. Nur der Jüdische Kulturbund blieb im Interesse des nationalsozialistischen Regimes bis zum September 1941 auch in Hamburg weiter bestehen.
Jurist, geb. 20.1.1876 in Posen, gest. 2.4.1956 Israel
V. kam 1904 mit seiner Frau Lisbeth, geb. Rinteln, nach → Wandsbek [20], wo er sich als Rechtsanwalt und Notar niederließ. Obwohl nicht religiös, machte er die Stärkung der jüdischen Gemeinschaft nach innen und außen zu seiner Sache. So wurde er 1905 Mitbegründer des Jüdischen Volksvereins, trat 1906 dem Vorstand der zionistischen Ortsgruppe Hamburg bei (→ Zionismus [45]) und verfasste 1913 eine Abhandlung über den schwierigen Weg der → Emanzipation [11] der Juden in Schleswig-Holstein. Seit 1914 vertrat er als Stadtverordneter die SPD in Wandsbek, nach der Kriegsteilnahme fungierte er 1920 als unbesoldeter Stadtrat. Die jüdischen Belange behielt er weiterhin im Blick: als Mitglied der Jüdischen Gemeinde Wandsbek und durch seine langjährige Tätigkeit im → Verband der jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte [218]. Bereits im April 1933 wurde V. als Jude und Sozialdemokrat von der SA verfolgt. Er versteckte sich vorübergehend bei Verwandten in Altona und reiste dann in die Schweiz aus, wohin ihm die zurückgelassene Familie nachfolgte, um gemeinsam nach Palästina zu emigrieren. Dort setzte sich V. als Mitherausgeber eines Mitteilungsblattes für Einwanderer aus Deutschland wiederum für andere ein. Der Versuch, als Geschäftsmann in Tel Aviv Fuß zu fassen, scheiterte jedoch. Gezwungen, sein Unternehmen nach vier Jahren aufzugeben, verlor V. den Großteil seiner aus Deutschland geretteten Kapitalanteile. Auch als Gemüse- und Blumenzüchter gelang es ihm nicht, den Lebensunterhalt ausreichend zu sichern, zumal er erkrankte, mehrfach operiert werden musste und schließlich fast erblindete. Erst 1954, knapp zwei Jahre vor seinem Tod, besserte sich seine finanzielle Situation, als Entschädigungszahlungen aus Deutschland eintrafen.
Personen und Themen mit C
In W. ließen sich die ersten jüdischen Familien unter den Gutsbesitzern Rantzau nieder, vielleicht schon 1583/84.
Sicher beurkundet ist jüdischer Zuzug 1621, als vier Schutzjuden aus Altona übersiedelten. Ein weiterer Schutzjude verstarb sogleich, weitere Todesfälle folgten, sodass sich die dringende Frage einer Bestattung nach jüdischem Ritus stellte. Das Gut gehörte inzwischen dem dänischen König und unterstand Berend von Hagen. 1637 erteilte der Pächter seinen Schutzjuden das → Privileg [84] der vollständigen Religionsausübung, d. h., Gottesdienste, Beschneidungen und Bestattungen waren erlaubt, Letztere auf einem zugewiesenen Grundstück für den → Friedhof Königsreihe [34] (119). Die dafür zu entrichtenden Schutzgelder basierten auf moderaten Tarifen. Auch auswärtige Juden waren in diese Rechte mit einbezogen. Nach einer Generation hatte sich die Gemeinde etabliert. Sie bestand aus Juden, die aus Hamburg ausgewiesen worden waren, frommen Exilanten aus Wilna sowie der wohlhabenden Großfamilie Delbanco aus Venedig, die 1670 aus Wien vertrieben worden war. 1671 wurde sie Teil der → Dreigemeinde AHW [9]. Innerhalb dieser Gesamtgemeinde durften Juden ihren Wohnsitz frei wählen, sodass eine Reihe von ihnen nach Hamburg zog, aber Wandsbeker Schutzjuden blieben. Im 18. Jahrhundert wohnten nur noch sechs bis sieben jüdische Familien in W. gegenüber 123 Haushalten in Hamburg. Die auf dem Gut verbliebenen Juden betätigten sich im An- und Verkauf von Waren und nicht eingelösten Pfändern, auch als Schächter und Fleischverkäufer. 1811 mussten sich die drei Gemeinden auf Geheiß des französischen Präfekten Hamburgs trennen. Die Gemeinde verlor damit einen Großteil ihrer zahlungskräftigsten Mitglieder und war fortan auf sich selbst gestellt. Bis 1840 konsolidierte sie sich so weit, dass erstmalig eine → Synagoge [96] (mit angegliederter Gemeindeschule) im Hinterhof Langereihe (Königsreihe) (118) erbaut werden konnte. Mit David Hanover wurde 1863 erstmals ein Rabbiner gewählt, der sowohl ein Rabbinerseminar als auch eine akademische Ausbildung absolviert hatte. Auf diese Weise untermauerte die Gemeinde ihren Anspruch auf bürgerliche Gleichstellung. Diese führte auch zu Konflikten mit dem Magistrat W., zum einen über die Aufstellung sog. Judentore im Stadtgebiet und zum anderen über die als illegal angesehene Beerdigung eines auswärtigen Juden 1883. Ein städtisches Gutachten leitete 1884 die Schließung des ersten Friedhofs ein. Ein neuer Friedhof in der Jenfelder Straße (120) konnte 1886 eingeweiht werden. Im September des gleichen Jahres fand in W. die Hochzeit des späteren Begründers der Psychaoanalyse Sigmund Freud mit Martha Bernays, einer Enkelin des 1841 verstorbenen Hamburger Rabbiners → Isaak Bernays [243], statt. 1902 übernahm → Simon Bamberger [244] das Rabbineramt in der etwa 200 Mitglieder zählenden Gemeinde. Er lenkte ihre Belange zusammen mit dem Gemeindevorsteher Benjamin Wolf (Benny) Beith bis zu ihrer Auflösung. Um 1900 und noch einmal um 1920 veränderte sich die Gemeinde durch den Zuzug neuer Mitglieder aus den deutsch-polnischen Provinzen. Mit der 1938 erzwungenen Vereinigung der Gemeinden Hamburg, Altona, Wandsbek und → Harburg-Wilhelmsburg [21] zum → Jüdischen Religionsverband Hamburg [23] hörte die durch → Emigration [16] und Abwanderung ohnehin stark dezimierte Gemeinde auf zu existieren. Im Oktober 1938 wurde die Synagoge geschlossen. Während des → Novemberpogroms [22] wurden auf die beiden Friedhöfe, die Synagoge und mehrere Geschäfte Anschläge verübt. Mindestens 100 Gemeindemitglieder wurden seit 1941 deportiert (→ Deportation [13]), nur zwei von ihnen überlebten. An die altehrwürdige Gemeinde erinnern heute nur noch die beiden Friedhöfe, je ein Gedenkstein für Rabbiner Bamberger und die Synagoge (124) und »Stolpersteine« (→ Gedenkstätten und Gedenkkultur [245]) für einzelne Deportationsopfer.
Kunsthistoriker, geb. 13.6.1866 Hamburg, gest. 26.10.1929 Hamburg
Nach dem Abitur am Hamburger Johanneum studierte W. ab 1886 Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie in Bonn, München und Straßburg. Für seine 1892 vorgelegte Dissertation ging er nach Florenz, um dort Untersuchungen über die Vorstellungen von der Antike in der italienischen Frührenaissance durchzuführen. Seit 1897 war er mit der protestantischen Malerin Mary Hertz verheiratet. Aus der Ehe gingen die Kinder Marietta, Max Adolph und Frede C. hervor. Um 1900 begann W. eine intensive Vortragstätigkeit, die weite Beachtung fand. Dagegen veröffentlichte er zeitlebens nur relativ wenige Texte, stets skeptisch gegenüber deren Qualität. Sie bezeugen jedoch einen intellektuellen und sprachschöpferischen eigenwilligen Kopf. W. wollte schon früh einen selbständigen Weg gehen. So wandte er sich während des Studiums mehr und mehr von religiösen Praktiken ab, die in seinem Elternhaus noch traditionell gepflegt wurden. Anstellungen an der Hamburger Kunsthalle schlug er aus, ebenso ein Angebot der Universität Kiel. 1912 verlieh ihm der Hamburger Senat die Professorenwürde – nicht nur wegen seiner Verdienste um die kulturgeschichtliche Wissensvermittlung, sondern weil er seit 1907 mit der Gründung der Hamburger »Wissenschaftlichen Stiftung« die Idee einer Universität maßgeblich gefördert hatte. Seit 1888 kaufte W. in großen Mengen Bücher an, die um 1911 eine 15.000 Bände umfassende Bibliothek ausmachten. Zwei Jahre später stellte er → Fritz Saxl [42] als Forschungsassistenten ein. Der wissenschaftliche Grundstock für die → Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg [41] (KBW) war gelegt. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs brach W. physisch und psychisch zusammen. Erst 1924 kehrte er nach mehreren Sanatoriumsaufenthalten nach Hamburg zurück. Im Mai 1926 wurde die KBW mit 46.000 Bänden in der Heilwegstraße (93) eingeweiht. Bis zum Ende seines Lebens arbeitete W. an einem neuartigen Bildatlas (Mnemosyne), um das Fortwirken der Antike zu dokumentieren. W. war nach eigener Aussage »Jude von Geburt, Hamburger im Herzen, im Geiste ein Florentiner«, eine Kombination, die sich im Leben und Werk auf eine faszinierende Weise realisierte.
Bankier, geb. 15.4.1900 Hamburg, gest. 9.7.1990 Hamburg
Der Lebensweg W.s war geprägt und überschattet von der Existenzvernichtung jüdischer Unternehmer unter nationalsozialistischer Herrschaft und einem schwierigen Neubeginn nach 1945. Nach Ausbildung zum Bankkaufmann in Berlin, Frankfurt, London und New York war der Sohn → Max M. Warburgs [24] 1929 als Teilhaber in das väterliche Bankhaus eingetreten. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und die → »Arisierung« [15] der Bank 1938 beendeten jedoch seine Tätigkeit in Hamburg und zwangen ihn ins amerikanische Exil (→ Emigration [16]), wo er das Bankhaus E. M. W. & Co. in New York gründete. Nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor trat er in die amerikanische Armee ein, in deren Diensten er u. a. kriegsgefangene Offiziere und hohe Würdenträger des NS-Regimes wie Hermann Göring verhörte. 1956 kehrte er endgültig nach Hamburg zurück und trat im Oktober 1956 als persönlich haftender Gesellschafter in die frühere elterliche Firma – jetzt Brinckmann, Wirtz & Co. – ein, wo er sich vergeblich um eine Rückkehr zum alten Namen M. M. Warburg & Co. bemühte. Eine besondere Bedeutung erlangte W. als informeller Mentor der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Er war mit dem amerikanischen Hochkommissar John McCloy persönlich befreundet, fungierte als Vorstandsmitglied des American Council for Germany und war an der Gründung der Atlantik-Brücke e.V. beteiligt, die noch heute einen »Eric M. Warburg-Preis« für besondere Verdienste um die deutsch-amerikanischen Beziehungen vergibt. Darüber hinaus setzte sich W. in zahllosen persönlichen Initiativen für die Entschädigung ehemaliger jüdischer Zwangsarbeiter durch deutsche Industrieunternehmen ein, die ohne sein Engagement nicht zustande gekommen wäre.
Die W.s gehörten seit dem 18./19. Jahrhundert zu den bedeutendsten Familien des jüdischen Bürgertums in Hamburg, Deutschland und den USA.
Einer ihrer Vorfahren, der Geldwechsler Simon von Kassel, hatte sich 1559 im westfälischen W. niedergelassen und den Namen der Stadt als Familiennamen angenommen. Mit seinem Urenkel Juspa Joseph W., der sich 1668 im damals dänischen Altona niederließ, verlagerte sich der Familiensitz in den hamburgisch-norddeutschen Raum. Einer seiner Nachkommen, Gumprich Marcus W., verlegte 1773 seinen Wohnsitz nach Hamburg, wo seine Söhne Moses Marcus und Gerson 1798 das Bankhaus M. M. Warburg & Co. gründeten. Als Matriarchin der künftigen W.-Dynastie gilt Sara W. (1804-1884), die nach dem Tod ihres Mannes Abraham 1856 mehr als zwanzig Jahre die Geschicke der Bank leitete, und deren Kinder Siegmund und Moritz die Familienzweige der Alsterufer- und der Mittelweg-W. begründeten.
Die bedeutendsten Repräsentanten der Familie W. brachte die »vierte« Generation (seit Moses Marcus W.) hervor, zu der u. a. der Kulturwissenschaftler → Aby W. [43], der Bankier → Max W. [24] und sein Bruder Paul W. (1868-1932) gehörte, der 1902 von Hamburg nach New York übersiedelte, die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm und zu den Begründern der amerikanischen Zentralbank zählte. Die lange Friedensperiode und der wirtschaftliche Aufstieg des Kaiserreiches sowie die Jahre der Weimarer Republik schufen einen günstigen Rahmen, innerhalb dessen sich der Aufstieg der »vierten« Generation vollziehen konnte, während der Lebensweg der »fünften« Generation – repräsentiert durch den Bankier → Eric W. [247] (1900-1990) – von der Herrschaft des Nationalsozialismus, der → »Arisierung« [15] der Bank, der erzwungenen → Emigration [16] und der schwierigen Remigration nach 1945 überschattet wurde. [248]
Insgesamt brachte die Familie W. keineswegs allein »Geldwechsler« und Bankiers hervor. Auch bedeutende Naturwissenschaftler sind unter den W.s zu finden: So der Botaniker Otto W. (1859-1938), Mitbegründer der Hebräischen Universität Jerusalem und Leiter der dortigen botanischen Abteilung, der als einer der Nachfolger Theodor Herzls von 1911 bis 1920 als Präsident der Zionistischen Organisation fungierte. Der Biochemiker Otto Heinrich W. (1882-1970), Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Zellphysiologie in Berlin, erhielt für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Biochemie 1931 den Nobelpreis für Medizin.
Philantropie und Mäzenatentum sind ebenfalls mit dem Namen der Familie W. eng verbunden. So fungierte der Bankier Felix W. (1871-1937) aus der »vierten« Generation als Gründer und langjähriger Präsident des American Jewish Joint Distribution Committee, der bedeutendsten Hilfsorganisation der amerikanischen Juden. Seine Gattin Frieda W. (1875-1958) bedachte zahlreiche jüdische Einrichtungen in Amerika mit großzügigen Stiftungen und engagierte sich in besonderem Maße für den Aufbau Israels, u. a. als Ehrenpräsidentin der Hebräischen Universität. Lola Hahn-W. (1901-1989) und Anita W. (1908-1995), Töchter Max W.s, waren in besonderer Weise bei der Betreuung deutsch-jüdischer Flüchtlinge in Großbritannien und vor allem der so genannten »Kindertransporte« 1938/39 engagiert, ebenso ihre Schwester Gisela W. (1912-1991), die sich schon in Deutschland für die Auswanderung junger Juden engagiert und zeitweise das Büro der Jugend-Alija in Berlin geleitet hatte. In ähnlicher Weise setzte sich Ingrid W. Spinelli (1910-2000), Tochter des Bankiers Fritz W., als Mitglied des Emergency Rescue Committee während des Zweiten Weltkrieges für jüdische Flüchtlinge aus Europa ein.
Bankier und Politiker, geb. 5.6.1867 Hamburg, gest. 26.12.1946 New York
Der in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts bisweilen als »König von Hamburg« apostrophierte W. war der wichtigste Bankier innerhalb der Familiendynastie Warburg und darüber hinaus eine Persönlichkeit von politischer Bedeutung. Nachdem der Sohn von Moritz und Charlotte Warburg seine Banklehrzeit in Frankfurt, Amsterdam, Paris und London absolviert hatte, avancierte er 1893 zum Teilhaber bei M. M. Warburg & Co., deren internationale Verbindungen und Geschäftsaktivitäten er systematisch ausbaute. Gemäß der Bedeutung der Bank rückte W. in den Zentralausschuss bzw. den Generalrat der Reichsbank auf und fungierte seit 1902 als Vorstandsmitglied des Zentralverbandes des Deutschen Bank- und Bankiersgewerbes in Berlin. Schon im Kaiserreich nahm W. in der hamburgischen, deutschen und internationalen Politik eine wichtige Rolle ein: Er gehörte der Hamburger Bürgerschaft (1904-1919) sowie der Hamburger Handelskammer (1903-1933) an und zählte neben → Albert Ballin [30] zu den »Kaiserjuden«, die Wilhelm II. in Finanzfragen berieten. Aufgrund seines internationalen Ansehens wurde er 1919 als Finanzsachverständiger in die deutsche Friedensdelegation in Versailles berufen – eine Tätigkeit, die ihm später heftige Angriffe von antisemitischer Seite eintrug, obwohl W. die Ablehnung des Versailler Vertrages empfohlen hatte. Aufgrund dieser Erfahrungen lehnte W. alle Angebote ab, als Minister in ein Reichskabinett einzutreten. Nach 1933 nahm seine politische Bedeutung für die Juden in Deutschland stetig zu: Von 1935 bis 1938 fungierte W. als Vorsitzender des Hilfsvereins der deutschen Juden und als Ratsmitglied der Reichsvertretung der deutschen Juden. Mit großem persönlichen Engagement suchte W. die Möglichkeit zur → Emigration [16] für Juden – vor allem in finanzieller Hinsicht – zu verbessern und knüpfte diesbezüglich auch Kontakte zu Persönlichkeiten des NS-Staates. M. M. Warburg & Co. war sowohl an der »Paltreu« (Palästina Treuhand-Stelle der Juden in Deutschland GmbH) wie der »Alltreu« (Allgemeine Treuhandstelle für die jüdische Auswanderung GmbH) als Gesellschafter beteiligt, die emigrationswilligen Juden günstige Konditionen beim Devisentransfer ins Ausland gewährten. Nachdem M. M. Warburg & Co. Mitte 1938 »arisiert« (→ »Arisierung« [15]) und in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt worden war, reiste W. Ende August mit Frau und Tochter in die USA. Die eigentlich geplante Rückkehr nach Deutschland wurde durch den → Novemberpogrom [22] 1938 und die Verhaftung seines Bruders Fritz unmöglich gemacht. Den Sturz Hitlers und der Nationalsozialisten mitzuerleben war W. noch vergönnt, der im Exil verstarb.
Bankier und Mäzen, geb. 6.6.1816 Altona, gest. 25.11.1900 Altona
W. gehörte zu den bedeutendsten Repräsentanten des Altonaer Zweiges der → Familie Warburg [54]. Sein Vater Wulf Salomon hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Altonaer Bankhaus W. S. Warburg gegründet, das sich schnell zu einem bedeutenden Geldinstitut entwickelte und zahlreiche Unternehmer Hamburgs und Schleswig-Holsteins zu seinen Kunden zählte. Mitte des 19. Jahrhunderts nötigte Wulf Salomon Warburg seinen jüngsten Sohn Pius zum Eintritt in das Bankhaus, der nach dem Besuch des Christianeums ein Studium in Berlin aufgenommen hatte und dieses auf väterliche Weisung abbrechen musste. W. bewährte sich zwar in der ungeliebten Tätigkeit, konzentrierte seine Aktivitäten jedoch auf den politisch-kulturellen Raum. Von 1865 bis 1885 war er Stadtverordneter in Altona, wo er überdies als »Bürgerworthalter« fungierte, d. h. als Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung. Darüber hinaus gehörte W. dem schleswig-holsteinischen Provinziallandtag (1869 bis 1887) und dem Provinzialausschuss an. Auch in der Verwaltung der Hochdeutschen Israelitengemeinde und im Vorstand des Altonaer Kunstvereins war W. aktiv. Sein Haus in der Palmaille entwickelte sich schnell zum Zentrum des künstlerisch-gesellschaftlichen Lebens in Altona. Zu den Gästen W.s, der ausgezeichnet Cello und Klavier spielte, zählten u. a. die Musiker Johannes Brahms und Cornelius Gurlitt, der dänische Märchendichter Hans Christian Andersen und der Soziologe Ferdinand Tönnies. Als Kunstsammler und Mäzen reichte der Ruf W.s weit über die Altonaer Stadtgrenzen hinaus. Seine bedeutende Kunstsammlung vermachte er testamentarisch dem Altonaer Museum, und zu Ehren seiner Mutter Betty Warburg richtete er das Betty-Stift (112) ein, ein Wohnheim für alleinstehende ältere Damen, das auch heute noch besteht.
Politiker, geb. 23.2.1896 Landsberg a. d. Warthe (Oberschlesien), gest. 9.10.1983 Hamburg
W. wuchs in Liegnitz in einer liberalen jüdischen Arztfamilie auf. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Sanitäter teil. Von 1919 bis 1922 absolvierte er ein Jurastudium, das er mit der Promotion abschloss. Es folgte die Große Staatsprüfung für privates und öffentliches Recht. Da er erst 1926 als Richter eingestellt werden konnte, arbeitete er, wie schon während des Studiums, als Journalist. 1927 wurde er persönlicher Referent des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun. 1928 lernte er bei den Verhandlungen über das preußisch-hamburgische Hafenabkommen Max Brauer, damals Oberbürgermeister von Altona, kennen. Noch als Student war er unter dem Einfluss des Kapp-Putsches in die SPD eingetreten, strebte aber keine Funktionärsaufgaben an. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde W. aufgrund des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« in den Ruhestand versetzt. Die Flucht aus Deutschland (→ Emigration [16]) führte ihn über die Tschechoslowakei und Frankreich in die USA. In New York arbeitete W. nach einem erneuten Studium als Wirtschaftsprüfer. 1948 rief ihn Brauer, der seit 1946 Hamburger Bürgermeister war, zurück nach Deutschland. Obwohl W.s Mutter und seine Schwester in Auschwitz ums Leben gekommen waren, nahm er den Ruf an. Von 1948 bis 1957 wirkte er in Hamburg als Präsident des Rechnungshofes, danach als Finanzsenator. 1965 wurde er nach dem Rücktritt von Paul Nevermann Bürgermeister. Gemeinsam mit seiner Frau Elsbeth genoss er über die Stadt hinaus großes Ansehen. Er überzeugte durch seinen Sachverstand, politischen Weitblick und die Glaubwürdigkeit, mit der er seine Entscheidungen vertrat. Bei den Bürgerschaftswahlen 1966 erreichte er als Spitzenkandidat für die SPD mit 59 Prozent die größte Mehrheit in der Nachkriegsgeschichte. 1971 trat er im Alter von 75 Jahren als Bürgermeister zurück. In seine Amtszeit fällt die Aufnahme des Programms, jährlich ehemalige jüdische Bürger in ihre Heimatstadt einzuladen. Seine eigene jüdische Herkunft hat W. nicht öffentlich herausgestellt, zum Teil aus Sorge, neuen → Antisemitismus [31] zu provozieren oder alten wieder hervorzurufen. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass er dennoch antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt war. So fällt möglicherweise doch ein Schatten auf die Meinung Max Brauers: »Es war eine Demonstration. Ich wollte beweisen, dass die Hamburger einen jüdischen Mitbürger an leitender Stelle akzeptieren würden. Ich habe diese Entscheidung nicht bedauert. Und Hamburg hat sie nicht bedauert.«
Lehrerin, Leiterin sozialer Einrichtungen, Frauenrechtlerin, geb. 16.3.1860 Posen, gest. 27.12.1932 Bad Segeberg
W. stammte aus einer frommen jüdischen Kaufmannsfamilie, besuchte eine höhere Mädchenschule und anschließend ein Lehrerinnenseminar. Nach erstem Unterricht an der jüdischen Volksschule in Altona trat sie in den hamburgischen Volksschuldienst ein und blieb bis zu ihrer Pensionierung Lehrerin. 1893 gründete sie mit → Gustav Tuch [151] den → Israelitisch-Humanitären Frauenverein [144], dessen Vorsitzende sie 1908 wurde und bis zu ihrem Tod blieb. Der Verein entwickelte unter ihrer Leitung zahlreiche soziale Aktivitäten für Kinder, Jugendliche und Frauen. Neben ihrer sozialen Arbeit war W. vor allem im Kampf um die Rechte der Frauen aktiv. Sie setzte sich für die berufliche Qualifizierung der Frauen und ihre aktive Mitwirkung im gesellschaftlichen und politischen Leben ein. Als Kandidatin für die Bürgerschaftswahl 1919 erhielt sie von der Deutschen Demokratischen Partei jedoch nur einen aussichtslosen Listenplatz. In anderen Vereinigungen war sie dagegen in leitender Funktion tätig: 1904 war sie Mitbegründerin des Jüdischen Frauenbundes und als Nachfolgerin Bertha Pappenheims von 1915 bis 1925 dessen Vorsitzende. In dieser Funktion trat sie für das Frauenwahlrecht ein, kämpfte gegen den Mädchenhandel und vertrat den Frauenbund auf vielen Reisen im In- und Ausland. 1915 wirkte sie an der Gründung des Stadtbundes Hamburgischer Frauenvereine mit; 1917 wurde sie Vorstandsmitglied in der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden und 1918 einzige Frau im Vorstand des Hamburger Jüdischen Schulvereins; 1919 war sie Mitglied im Notstandskomitee für die »Ostjuden« und 1921 im Jugendamt der Hamburger → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [18]. Darüber hinaus arbeitete sie mehrere Jahre als Beisitzerin in der Vereinigung für das Liberale Judentum. Dieses vielfältige Engagement W.s in sozialen und politischen Einrichtungen wurde öffentlich besonders wahrgenommen, als sie 1929 die Weltkonferenz der jüdischen Frauen in Hamburg organisierte.
Das Thema W. und seine Definition gehört bis heute zu den umstrittensten Aspekten der deutsch-jüdischen Geschichte während des »Dritten Reichs«.
Angesichts einer staatlichen Politik, die erst auf die völlige Entrechtung und Vertreibung und schließlich auf die Ermordung der jüdischen Bevölkerung abzielte, lässt sich jede gegen diese Politik gerichtete Handlung als W. begreifen, also alle Akte kleinen und großen nonkonformen Handelns, durch die Verfolgte versuchten, Würde, Lebensunterhalt oder Leben zu retten. In der Forschung wird dies meist unter dem Begriff »Selbstbehauptung« zusammengefasst, worunter z. B. auch die Tätigkeit der jüdischen Gemeinden als Institutionen fallen, die sich nach Kräften bemühten, die Not zu lindern, Alternativen zu finden und konkrete Hilfe zu beschaffen. In Hamburg wurde diese Arbeit vorwiegend vom Hilfsausschuss der vereinigten jüdischen Organisationen Hamburgs koordiniert, während dem → Jüdischen Kulturbund Hamburg [4] eine wichtige Rolle bei der moralischen Unterstützung der Verfemten zukam. Da die deutschen Juden schon vor 1933 keine homogene Gruppe mit gemeinsamen Zielen bildeten, war ein gemeinsames politisches Vorgehen gegen die neuen Machthaber nicht zu erwarten. Zudem hatten die verschiedenen antijüdischen Maßnahmen zur Folge, dass die jüdische Bevölkerung im Reich wie in Hamburg im Laufe der dreißiger Jahre zusehends verarmte, überalterte und verzweifelte – die Voraussetzungen für aktives Widerstehen also immer weniger gegeben waren. Dennoch kam es überall immer wieder zu mutigen Einzelhandlungen. In Hamburg protestierte der Kaufmann Walter Gutmann in einem Flugblatt, das er auch in anderen Städten verteilte, gegen den → Novemberpogrom [22]. Er wurde verhaftet, verurteilt und 1942 nach Auschwitz deportiert. Es waren vor allem jüngere jüdische Männer und Frauen, die den Nationalsozialismus von Anfang an organisiert und politisch bekämpften und somit W. im engeren Sinne leisteten. Viele von ihnen waren schon vor 1933 politisch organisiert gewesen, wie etwa die beiden ehemaligen Talmud-Tora-Schüler und Kommunisten Georg Oppenheim und Rudolf Neumann oder Hilde Schottländer, Tochter des Universitätsprofessors → William Stern [64] und Mitglied einer aus der KP ausgeschlossenen Splittergruppe. Andere kamen aus der jüdischen → Jugendbewegung [128] und hatten sich nach der Auflösung bzw. dem Verbot der nichtzionistischen Gruppen entweder neuen Parteien angeschlossen oder sich weiter in losen Freundeszirkeln getroffen, deren hauptsächliches Ziel es war, den inneren und geistigen Zusammenhalt in der Diktatur zu bewahren. Ersteres galt z. B. für Rudolf Levy und Gisela Peiper, die aus den »Kameraden« kamen und für den Internationalen Sozialistischen Kampfbund in Hamburg illegale Arbeit leisteten, Letzteres für die Gruppe um Kurt von der Walde, Marion Deutschland und Werner Philip, die noch 1935 antifaschistische Jugendarbeit mit Schulungen und Fahrten organisierten. Alle erwähnten Widerständler wurden in den dreißiger Jahren verhaftet und konnten nach relativ kurzer Haftstrafe ins Ausland fliehen. Dies sind jedoch nur einzelne Beispiele, der Gesamtanteil jüdischer Kommunisten und Sozialisten am Hamburger W. ist bislang nicht erforscht.
W. umfasst im juristischen Sinn die Rückerstattung konfiszierten bzw. verlorenen Eigentums sowie die Entschädigung für erlittene Nachteile, wozu auch die Ermordung verwandter Personen oder Haftzeiten zählen. In Hamburg entstand die erste der sehr komplizierten W.-Regelungen im Dezember 1945.
Die britische Militärregierung erließ die »Zonenpolitische Anweisung Nr. 20«, um Displaced Persons und politisch, »rassisch« oder aus anderen Gründen Verfolgte mit Lebensmittelsonderrationen, Wohnungszuteilungen, Arbeitsplätzen oder finanzieller Hilfe unterstützen zu können. Ein Ausschuss prüfte »Würdigkeit« und Bedürftigkeit der Antragsteller und bewilligte einen besonderen Ausweis. Im Mai 1948 erließ die Hamburgische Bürgerschaft als erstes W.sgesetz das »Gesetz über Sonderhilfsrenten«, das den von den Ausschüssen anerkannten Verfolgungsopfern – auch zurückgekehrten Emigranten – Renten gewährte. Es folgten das Haftentschädigungsgesetz (August 1949) und schließlich das Hamburger Allgemeine Wiedergutmachungsgesetz (April 1953), das fast zeitgleich mit dem Bundesentschädigungsgesetz erlassen wurde. Bis 1953 wurden nach dem Sonderhilfsrentengesetz ca. 23.300.000 DM, nach dem Haftentschädigungsgesetz ca. 31.100.000 DM und nach dem allgemeinem Wiedergutmachungsgesetz 175.000 DM an Verfolgte gezahlt. Bei den späteren Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz, nach dem bis 1970 Anträge gestellt werden konnten, dominierten für Hamburg die bewilligten »Schäden im beruflichen Fortkommen« und »Schäden an Körper und Gesundheit«.
Die Wiedergutmachungsverfahren wurden aus vielerlei Gründen immer wieder kritisiert: So führten (teils sogar NS-belastete) Gutachter bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts psychische und physische Schäden auf angeborene Faktoren zurück; staatliche Akten, die finanzielle Einbußen bewiesen hätten, wurden nicht zur Verfügung gestellt usw. Als problematisch erwies sich auch die Stichtagsregelung, nach der die Antragsteller ihren Wohnsitz zu einem bestimmten Zeitpunkt in Hamburg haben mussten, oder die Fristenregelungen, die Betroffenen im Ausland nicht unbedingt bekannt waren. Vor allem aber erwies sich die Ausgrenzung vieler Opfergruppen (beispielsweise Zwangssterilisierte, Homosexuelle, Kommunisten u. a. »vergessene Opfer des NS-Regimes«) oder Personen, die als Kriminelle galten, aber tatsächlich aus politischen Gründen verurteilt worden waren, als sehr problematisch. Um diese Mängel zu beseitigen, stellte der Hamburger Senat 1988 20 Mio. DM (später auf 22 Mio. aufgestockt) zur Gründung der Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte bereit. Deren Vorstand, in dem die Hamburger Verfolgtenorganisationen vertreten sind, bewilligte einmalige Leistungen oder Renten für mehr als 1.700 Personen.
Juden haben im Hamburger Wirtschaftsleben der letzten vierhundert Jahre eine bedeutende Rolle gespielt. Vor allem als Händler und Bankiers, aber auch als Ärzte und Juristen nahmen sie teil am wirtschaftlichen Geschehen der Stadt und dies in vielen Fällen mit großem Erfolg.
Erfolgreiche Unternehmen wie das Bankhaus → Warburg [54] oder die Kaufhäuser der Gebrüder Heilbuth stehen exemplarisch für diesen Aspekt Hamburger Geschichte. Der Aufstieg von einer anfänglich lediglich zeitweise geduldeten Minorität zu einer in weiten Teilen dem städtischen Bürgertum angehörenden Bevölkerungsgruppe vollzog sich in mehreren Phasen. Waren es anfangs sefardische Juden (→ Portugiesisch-Jüd. Gemeinde [2]), deren Wirtschaftstätigkeit Hamburgs Rolle als Handels- und Finanzzentrum mit beförderte, so folgten ihnen seit dem 18. Jahrhundert die aschkenasischen Juden, die sich vor allem im Bereich des Waren- und Kredithandels, zunehmend aber auch in den freien Berufen betätigten.
Die sefardischen Juden waren, bedingt durch ihre Herkunft aus verschiedenen europäischen Hafenstädten, aber auch aufgrund ihrer weitverzweigten familiären und wirtschaftlichen Netzwerke vor allem im Seehandel tätig. Als Großhändler betrieben sie Überseehandel mit den spanischen und portugiesischen Kolonien und waren für den Hamburger Brasilienhandel zentral. Zu den wichtigsten Gütern, die sie nach Hamburg brachten, gehörten Zucker und Tabak. Um 1612 waren 18 der insgesamt 28 Händler, die in Hamburg mit Zucker handelten, sefardische Juden. Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts verlagerten sich die Aktivitäten der Sefarden in Hamburg zunehmend auf den Juwelenhandel, das Geld- und Kreditwesen sowie auf die Vermittlung von Handelsgeschäften als Makler. Der Überseehandel scheint infolge verstärkter Handelsaktivitäten in Holland, England und Skandinavien für die Sefarden seit dieser Zeit an Bedeutung verloren zu haben. Die verstärkte Hinwendung zum Geld- und Kreditwesen war Ausdruck für die Entwicklung der Hansestadt zu einem der führenden Finanzzentren in Nordwesteuropa. Hamburger sefardische Geldhändler tätigten Geschäfte mit zahlreichen fürstlichen Regierungen und Residenzen und sorgten nicht nur für die Finanzierung politischer Angelegenheiten sowie des Kriegswesens, sondern auch für die Belieferung verschiedener Höfe mit Luxuswaren. Die restriktive Abgabenpolitik des Senates führte am Ende des 17. Jahrhunderts zu einem Rückzug vor allem wohlhabender sefardischer Juden aus Hamburg.
Seit dem 17. Jahrhundert begannen auch aschkenasische Juden sich in der Stadt niederzulassen. Da ihnen der Zugang zu den meisten Handwerken versperrt war, waren auch sie überwiegend im Handel tätig. Mehrheitlich lebten sie vom Kleinhandel, vorzugsweise Textilien, Kolonialwaren und Lebensmitteln. Der in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts einsetzende Aufschwung des Hamburger Handels infolge erweiterter Handelsmärkte zog auch die Öffnung neuer Betätigungsfelder für Juden nach sich. Einer zunächst kleinen Gruppe gelang es, sich erfolgreich im Geld- und Kreditwesen sowie im Großhandel, aber auch einigen frühen Industrieunternehmen, zu etablieren. Jüdische Unternehmer begründeten im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine Reihe von Firmen, die noch 100 Jahre später als selbständige und florierende Geschäfte existierten, so etwa die Silberscheideanstalten der Gebrüder Beit (um 1773), der Gebrüder Jonas (1783) oder die Bankhäuser von Abraham Heilbut (um 1760), Moses Seligmann (1795), Levy Behrens (1796) oder Moses M. Warburg (1798). Während der französischen Besatzung der Stadt (1811-1814) gelangten weitere jüdische Kaufleute trotz eingeschränkter Handelsbedingungen zu geschäftlichen Erfolgen, insbesondere durch den Geldhandel (→ Salomon Heine [36], Marcus Abraham Heckscher, Jacob Oppenheimer oder Levy Hertz).
Die Gründung dieser und weiterer Unternehmen markiert den Beginn eines sich im 19. Jahrhundert vollziehenden Aufstiegsprozesses eines wachsenden Teils der Hamburger Juden, der nicht zuletzt in der für sie spezifischen Berufsstruktur begründet lag. Die folgenden Zahlen erhellen dies, wenn man berücksichtigt, dass Juden im 19. Jahrhundert etwa 4 bis 5 Prozent der Hamburger Bevölkerung ausmachten. In der Folgezeit sank ihr Anteil – trotz absoluter Zunahme – kontinuierlich auf 2,3 Prozent (1900) und schließlich auf unter 2 Prozent in den Jahren der Weimarer Republik. Im gleichen Zeitraum war etwa die Hälfte bis zu zwei Dritteln aller jüdischen Berufstätigen in Hamburg im Wirtschaftssektor »Handel und Verkehr« tätig, während lediglich ein Viertel bis zu einem Drittel aller Berufstätigen in der Hansestadt in diesem Bereich arbeiteten. Der Anteil der in »Industrie und Handwerk« tätigen Juden lag in dieser Periode zwischen 8 und 12 Prozent gegenüber etwa 32 Prozent der Gesamtbevölkerung und bei etwa 6 bis 7 Prozent im Bereich »Öffentlicher Dienst und freie Berufe« (Gesamtbevölkerung: 8 Prozent). Diese Durchschnittswerte spiegeln die für die jüdische Minderheit in Deutschland insgesamt charakteristische Berufsstruktur wider, die sich deutlich von der Gesamtbevölkerung unterschied. Einer überdurchschnittlichen Beschäftigung im Handelssektor standen eine relativ hohe Betätigung im Bereich freie Berufe und öffentlicher Dienst (bezogen auf den Anteil von Juden an der Gesamtbevölkerung) sowie eine weit unter dem Durchschnitt liegende Beschäftigung in Industrie und Handwerk gegenüber. Soweit es sich aufgrund der wenigen vorliegenden Zahlen beurteilen lässt, zählten auch im 19. Jahrhundert zu den bevorzugten Geschäftszweigen der Hamburger Juden der Handel mit Textilien und Tabak sowie die Vermittlung von Handelsgeschäften und das Geld- und Kreditwesen. Eine dominierende oder gar eine Monopolstellung hatten jüdische Unternehmer jedoch in keinem dieser Handelszweige inne. Selbst im Bereich der Privatbanken, wo Juden nicht nur in Hamburg stark präsent waren, lässt sich nur schwerlich von einer Dominanz jüdischer Bankiers sprechen. Die Bedeutung der Privatbanken für das allgemeine Wirtschaftsleben nahm zwar seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert aufgrund der Expansion anonymer Banken (Aktienbanken, Genossenschaftsbanken etc.) ab, doch spielten sie weiterhin eine wichtige Rolle, in Hamburg besonders im Im- und Exportgeschäft oder in der Kommissionierung von Waren aller Art. Etwas über die Hälfte aller Hamburger Privatbanken wurde 1923 von jüdischen Inhabern geleitet; bis 1930 ging ihr Anteil auf etwa 43 Prozent zurück.
Die berufliche Stellung ist im Hinblick auf die Wirtschaftstätigkeit ebenso relevant wie die ausgeübte Tätigkeit. Auch hier unterschieden sich Hamburgs Juden deutlich von der übrigen Bevölkerung. Den vorliegenden Angaben zufolge waren an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert 58 Prozent aller männlichen Juden selbständig tätig gegenüber 22 Prozent der übrigen Bevölkerung. Weitere 23 Prozent arbeiteten als Angestellte (gegenüber 12 Prozent der Gesamtbevölkerung), und 18 Prozent waren als Arbeiter und Gehilfen tätig (Gesamtbevölkerung: 63 Prozent). Obwohl sich in der Weimarer Republik diese Verhältnisse partiell änderten, blieb der Anteil der Selbständigen unter allen berufstätigen Juden mit 50 gegenüber 15,4 Prozent innerhalb der übrigen Erwerbstätigen sehr hoch. Der überdurchschnittliche Anteil an Selbständigen unter den Hamburger Juden bildete somit ein charakteristisches Merkmal der Beschäftigungsstruktur dieser Bevölkerungsgruppe.
Die soziale Schichtung der jüdischen Minderheit lässt sich vornehmlich mithilfe von Angaben zum Steueraufkommen beschreiben. 1832 zahlten 35 Prozent der Mitglieder der Gemeinde (→ DIG [18]) aufgrund mangelnden Einkommens (oder als von der Steuer befreite Kultusbeamte) keine Gemeindesteuern; bis 1860/61 sank ihr Anteil auf 27,5 Prozent. Der kontinuierlichen Abnahme der Armen und untersten Einkommensgruppen entsprach, wie Zahlen aus der Zeit des Kaiserreichs belegen, eine Zunahme der mittleren und höheren Einkommen, die sich von der Entwicklung der gleichen Einkommensgruppen in der Gesamtbevölkerung unterschied. 1871 hatten rund ein Drittel aller in der Hamburger Gemeinde registrierten Juden ein Einkommen zwischen 600 und 1.200 Mark, hingegen verfügten 62 Prozent der Gesamtbevölkerung über ein Einkommen in dieser Höhe. 43 Prozent der erwerbstätigen Juden versteuerten ein Einkommen zwischen 1.200 und 3.600 Mark und 27 Prozent ein über der Grenze von 3.600 Mark liegendes Einkommen (Vergleichszahl: 12,3 Prozent). Die soziale Schichtung der Hamburger Juden im Kaiserreich war also geprägt durch eine vergleichsweise kleine Gruppe geringer Einkommen sowie überdurchschnittliche Anteile in den mittleren und höheren Einkommensgruppen. Inwieweit diese Schichtung sich in der Zeit der Weimarer Republik veränderte, ist angesichts fehlender Zahlen nicht konkret zu belegen.
Ähnlich wie in anderen Teilen des Deutschen Reichs und hier besonders in den Großstädten vollzogen die Juden Hamburgs im 19. Jahrhundert in weiten Teilen einen sozialen Aufstiegsprozess, der sie zu einem ökonomisch gewichtigen, aber sozial weiterhin separierten Bestandteil des lokalen Bürgertums werden ließ. Ihre überwiegende Betätigung im Handel, an der sie auch in der Phase der Hochindustrialisierung festhielten, fand gerade in der Handelsstadt Hamburg ein gleichsam ideales Betätigungsfeld und trug somit in erheblichem Maße dazu bei, sich erfolgreich im städtischen Wirtschaftsleben zu betätigen. Die Bereitschaft und Fähigkeit, mit einem breit gefächerten Spektrum von Waren zu handeln, ein hohes Maß an Selbständigkeit sowie ihre spezifische Berufsstruktur ermöglichten es der jüdischen Minderheit, sich über Jahrhunderte hinweg erfolgreich am Hamburger Wirtschaftsleben zu beteiligen – in einzelnen Fällen sogar an herausragender Stelle.
Pädagogin, geb. 20.6.1841 Seesen, gest. 30.12.1919 Hamburg
W.s Mutter, eine aus Hamburg gebürtige → Warburg [54], kehrte nach dem frühen Tod ihres Mannes, des Schuldirektors → Immanuel Wohlwill [249], gemeinsam mit ihren fünf Kindern nach Hamburg zurück, wo sie Unterstützung von der verwandten Bankiersfamilie erhielt. W. besuchte eine höhere Töchterschule und erhielt außerdem Unterricht von den Reformpädagogen → Anton Rée [93] und Otto Jessen sowie von ihren studierenden Brüdern. Durch regelmäßige Hospitationen wuchs W. seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr in die Aufgaben einer Lehrerin für Kinder der Armen hinein. Als Armenschule und Kindergarten des Frauenvereins zur Unterstützung der Armenpflege 1866 ein eigenes Gebäude erhielten, wurde W. als Direktorin berufen. Unter ihrer langjährigen Leitung entwickelte sich die so genannte Paulsenstiftschule zu einer staatlich anerkannten höheren Mädchenschule. Nach der Trennung der Anstalt vom Frauenverein achtete W. darauf, dass die Tradition als ehemalige Armenschule erhalten blieb und die gemeinsame Erziehung von Schülerinnen aus allen sozialen Schichten sowie die finanzielle Förderung ärmerer Mädchen fortgesetzt wurde. 1906 feierte W. sowohl ihr 50-jähriges Lehrerinnenjubiläum als auch ihr 40-jähriges Dienstjubiläum als Direktorin. Zu diesem Anlass verlieh ihr der Senat als erster Frau eine goldene Denkmünze. Kurz vor Vollendung des siebzigsten Lebensjahres wurde W. 1911 pensioniert. Auch im Ruhestand blieb sie trotz zunehmender Erblindung im Schulvorstand der Paulsenstiftschule und setzte ihren Unterricht teilweise fort. Die neu konstituierte Demokratie ehrte die überkonfessionell tätige jüdische Pädagogin durch Benennung einer Straße nach ihr, die aber nach wenigen Jahren von den nationalsozialistischen Machthabern umbenannt wurde.
Chemiker und Wissenschaftshistoriker, geb. 24.11.1835 Hamburg, gest. 2.2.1912 Hamburg
W., Sohn des jüdischen Lehrers → Immanuel Wohlwill [249], wuchs in Seesen auf, bis er 1851 nach Hamburg zurückkehrte, wo er das Johanneum und das Akademische Gymnasium besuchte. 1855 bis 1860 studierte W. Chemie an den Universitäten Heidelberg, Berlin und Göttingen. Nach der Promotion unterrichtete er Physik in Hamburg und arbeitete als freiberuflicher Handelschemiker. Schließlich fand er eine Anstellung bei der Norddeutschen Affinerie, für die er das elektrolytische Verfahren zur Raffination von Buntmetallen und Gold entwickelte – die so genannte »Wohlwill-Goldelektrolyse«. W.s Leidenschaft galt der Wissenschaftsgeschichte, insbesondere der Physikgeschichte. Hier fand er eindrucksvolle Zeugnisse für den Kampf zwischen dem Alten und dem Modernen. Jahrzehntelang beschäftige er sich mit Galilei und der Entstehung eines neuen wissenschaftlichen Weltbildes im 17. Jahrhundert. Zu diesem Zweck lernte er Italienisch und studierte in Italien zahlreiche Quellen, u. a. auch die Akten des Galilei-Prozesses in den Vatikanischen Archiven. 1909 publizierte er den ersten Band seines Werks Galilei und sein Kampf für die copernicanische Lehre, der zweite erschien 1926 aus dem Nachlass. W. war ein liberaler Bürger Hamburgs, der sich auf eine sehr unabhängige Weise an der Auseinandersetzung um die → Emanzipation [11] der Juden beteiligte. Als er 1863 das Bürgerrecht beantragte, verweigerte er die Angabe seines Bekenntnisses, da er davon ausging, dass Religion Privatsache sei und nichts mit dem staatsrechtlichen Zustand eines Bürgers zu tun haben dürfe. Dieser Fall beschäftigte mehrere Gremien. Das Bürgerrecht wurde W. zunächst verweigert, bis 1864 der Austritt aus der Kultusgemeinde gesetzlich möglich wurde.
Lehrer und Schulleiter, geb. 28.8.1799 Harzgerode, gest. 2.3.1847 Seesen
Immanuel Wolf, der sich ab 1822 Wohlwill nannte, besuchte nach dem frühen Tod seiner Eltern die Freischule in Seesen. Nach Abschluss der Bürgerschule wechselte er 1815 auf das Gymnasium in Berlin-Kölln über, wo er 1818 das Abitur bestand. Er blieb in Berlin und studierte dort bis 1822 unter anderem bei Hegel. Seine Promotion zum Dr. phil. erreichte er an der Universität Kiel. Schon als Gymnasiast stieß W. 1816/17 zu einem Wissenschaftszirkel junger jüdischer Intellektueller, aus dem sich nach 1820 der Verein für Cultur und Wissenschaft der Juden konstituierte, der das Judentum dem modernen Wissenschaftsverständnis öffnen sollte. In einem Vortrag vor dem Verein formulierte W. einen weiten Kulturbegriff für das Judentum, der die Wissenschaften wie die Lebensweise der Juden umfasste. Das Judentum begriff er sowohl als historische Größe wie auch als zeitgenössische Erscheinung, deren politische und kulturelle Substanz statistisch zu erfassen sei. 1823 ging W. als Lehrer an die → Israelitische Freischule [139] nach Hamburg. 1830 schloss er sich der Philalethen-Gruppe um den Kieler Anwalt Theodor Olshausen an, die für eine Religion über alle Religionsgrenzen hinweg eintrat. Trotz dieser interkonfessionellen Ambitionen blieb W. Mitglied des Neuen Israelitischen → Tempelvereins [39], für dessen Gesangbuch er eine Reihe von Liedern verfasste. Seine akkulturativen Bestrebungen fanden Anerkennung im Hamburger Bürgertum. Als erster Jude wurde er 1834 in die Patriotische Gesellschaft als Ehrenmitglied aufgenommen. W. entwarf eine den Grundsätzen der Aufklärung verpflichtete Pädagogik, die er erst an seiner Schule in Hamburg erprobte und dann an der Jacobson-Schule in Seesen, die er von 1838 bis zu seinem Tod leitete, in die Praxis umsetzte. Aus seiner im Oktober 1831 geschlossenen Ehe mit Friederike Warburg gingen sechs Kinder hervor, von denen → Anna und Adolph [54] im kulturellen bzw. wissenschaftlichen Leben Hamburgs eine bedeutende Rolle spielen sollten.
Den Beinamen »Stiftungshauptstadt« verdankt Hamburg auch der Vielzahl von → Stiftungen [37] für Freiwohnungen, die eine aus kirchlichen Anfängen erwachsene Tradition bürgerlich-gemeinnützigen Verantwortungsgefühls und republikanischen Selbstverständnisses bezeugten.
Als sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die negativen Begleitsymptome des Urbanisierungsprozesses auch in dramatischer Wohnungsnot zeigten, stifteten Kaufleute testamentarisch oder zu Lebzeiten in solcher Zahl Freiwohnungen, dass man von einem Gründungsboom sprechen kann. Bis 1914 waren 66 Stiftungen errichtet worden. Der Beitrag jüdischer Stifter dazu war sehr hoch. Jüdische Kaufleute finanzierten zwölf Stiftungen für jüdische Familien, die zunächst in der Alt- und → Neustadt [28], später im → Grindelviertel [33] angesiedelt wurden und sich zurückhaltend, teilweise mit mehreren Häusern, in die umgebende Wohnbebauung einfügten. Außer den obligatorischen Aufnahmevoraussetzungen mussten die Bewerber ihre Mitgliedschaft in einer jüdischen Gemeinde nachweisen und für die Aufnahme in drei Stiftungen außerdem nach orthodoxem Ritus leben. Juden stifteten 1849 auch die erste paritätische Stiftung, deren Wohnungen ohne konfessionelle Beschränkung vergeben wurden. 1914 reihten sich die 22 Häuser dieser insgesamt fünf Institutionen mit klar definierter Zweckbestimmung in die Stiftsviertel der Stadt (St. Georg, Rotherbaum, Borgfelde, Eppendorf) ein.
Unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurde die eigentlich wohltätige Zweckbestimmung der Wohnstifte in ihr Gegenteil pervertiert und die zwölf jüdischen Stiftungen und drei der paritätischen Stiftsgebäude als sog. → »Judenhäuser« [136] missbraucht. Die heute mehrheitlich noch erhaltenen Gebäude stellen deswegen zugleich Zeugnisse für den erfolgreichen Emanzipationsprozess der Hamburger Juden wie Mahnmale für dessen gewaltsames Ende dar.
Sänger und Schauspieler.
Die Geschichte der Gebrüder W. begann im Jahre 1895, als der 28-jährige Rummelplatzsänger Ludwig Isaac (1867-1955) seine beiden jüngeren Brüder Leopold (1869-1926) und James (1870-1943) überzeugte, mit ihm als Trio aufzutreten. In der Tradition der humoristischen Herren-Sänger-Gesellschaften machten sich die drei Brüder Isaac als W.-Trio schnell einen Namen. Innerhalb kurzer Zeit wurden sie mit ihren ebenso witzigen wie provokanten Kostümauftritten weit über die Grenzen Hamburgs bekannt. Leichte Unterhaltungskunst, gemischt mit parodistischen Couplets, witzigen Plaudereien und kurzen szenischen Burlesken waren ihr Erfolgskonzept. Tourneen durch die skandinavischen Länder, durch Holland, Österreich, Ungarn und die Schweiz sorgten zudem für internationale Popularität. Ludwig, der kreative Kopf der drei Brüder, war zudem Mitgründer der internationalen Artistenloge, die sich um die sozialen Belange der darstellenden Künstler bemühte. Als der jüngste Bruder James das Trio nach elfjähriger Zusammenarbeit verließ, arbeiteten Ludwig und Leopold unter dem Namen Gebrüder W. weiter. 1911 entwickelten die beiden die Figuren Fietje und Tetje. Sie traten in der Arbeitskleidung Hamburger Schauermänner auf, präsentierten dazu plattdeutsche Lieder und jede Menge »uhlenspegeligen Schabernack«. Noch im gleichen Jahr feierten sie mit ihrem neuen Konzept sensationelle Erfolge. In ihrer Ausstattungsrevue Rund um die Alster begeisterten sie das Publikum mit Gassenhauern wie Snuten und Poten, Dat Paddelboot – Hannes, zuckersüßer Hannes sowie Mariechen, Du süßes Viehchen. Häufig gastierten sie auch in Berlin sowie in fast allen größeren Städten Deutschlands. Hamburgs berühmtestes Volkslied An die Eck steiht´n Jung mit´n Tüdelband ist auch auf Ludwig W. zurückzuführen. Die zweite Strophe des Liedes stammt aus einem Couplet der Gebrüder W. mit dem Titel Een echt Hamborger Jung, das Ludwig W. 1911 schrieb. 1924 gelang es Ludwig und Leopold, das Operettenhaus zu erwerben. Im selben Jahr veranlasste der stärker werdende → Antisemitismus [31] die beiden dazu, ihren Familiennamen Isaac gegen den Künstlernamen W. zu vertauschen. 1926 erlag Leopold einem Herzanfall, doch trat sein Sohn James Iwan (1893-1981) an seine Stelle. Seit 1933 begrenzten die Berufsverbote die Auftrittsmöglichkeiten des Duos auf den → Jüdischen Kulturbund [4] oder die jüdische Künstlergruppe. Im November 1938 (→ Novemberpogrom [22]) wurde der mittlerweile 45-jährige James Iwan W. in das KZ Sachsenhausen gebracht, das er nach einem Monat verließ. Entschlossen zur Flucht aus Deutschland (→ Emigration [16]), gelangte er 1939 gemeinsam mit einem jüngeren Bruder Donat (1902-1984) nach Shanghai. 1947 emigrierten sie nach New York, wo sie noch einige Zeit gemeinsam auftraten, bis Donat einen Neuanfang in San Francisco versuchte und James nach San Diego zog. Ludwig überlebte die Verfolgungen, weil er in zweiter Ehe mit einer nichtjüdischen Deutschen verheiratet war. Der Jüngste des ehemaligen W. Trios, James, wurde 1942 mit seiner Frau nach Theresienstadt deportiert (→ Deportation [13]), wo beide 1943/4 umkamen.
Zeichner und Kupferstecher, geb. 1775 Alt-Strelitz, gest. 10.4.1840 Hamburg
W. kam im Jahr 1800 nach Altona, wo er zunächst Kupferstiche nach Porträtzeichnungen von ihm selbst und anderen Künstlern anfertigte. 1806 übersiedelte er nach Hamburg und lieferte ab jetzt für die Gemeinnützigen Unterhaltungsblätter vierteljährlich als Kunstbeilagen insgesamt 32 Kupferstiche, die fast alle Hamburger Ansichten zeigen und damit ein Bild Hamburgs während der so genannten Franzosenzeit überliefern. Die Tragik seines Lebens bestand in einer Nervenerkrankung, die zeitweilig seine künstlerische Tätigkeit vollständig unterbrach und seine spät gegründete Familie in schwere Notlagen brachte. Die → Deutsch-israelische Gemeinde [18] würdigte sein Andenken durch die Errichtung eines Ehrengrabes auf dem → Friedhof [34] Ilandkoppel.
Journalist, geb. 30.10.1888 Berlin, gest. 17.3.1942 Ravensbrück
Die revolutionäre Bewegung in Hamburg am Ende des Ersten Weltkrieges hatte mit W. einen mitreißenden Führer. W. besuchte in Berlin ein Gymnasium, leistete den einjährig-freiwilligen Militärdienst und schloss eine Kaufmannslehre ab. Dann aber wechselte er in den Journalistenberuf und wurde Sozialdemokrat. 1910 reiste er in die USA und arbeitete dort für sozialistische Zeitungen. 1913 zurückgekehrt, bewarb er sich in Hamburg mit Schilderungen der amerikanischen Arbeiterbewegung um Mitarbeit in der sozialdemokratischen Presse. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges ging W. in entschiedene Opposition zur Mehrheit seiner Partei und veröffentlichte zusammen mit Heinrich Laufenberg und → Carl Herz [251] kritische Schriften. Antisemitische Denunziationen und verdeckte Informationen veranlassten seinen Einzug zum Kriegsdienst und schließlich eine kriegsgerichtliche Verurteilung wegen Majestätsbeleidigung zu neun Monaten Festungshaft. W. gewann starken Einfluss auf die aus der SPD ausgeschlossenen Linksradikalen in Hamburg und war deren Vertreter auf der Reichskonferenz der Spartakusgruppe im Oktober 1918 in Berlin. Als Hauptredner der revolutionären Massenkundgebung auf dem Heiligengeistfeld am 6. November 1918 rief er zum Sturm auf das militärische Kaiserliche Generalkommando in Altona auf. Nach einer halbjährigen Pause wegen eines Nervenleidens machte sich W. innerhalb der kommunistischen Bewegung zum Wortführer eines Volkskrieges gegen die Westmächte und löste damit einen leidenschaftlichen innerparteilichen Streit aus. Er verlor seinen Einfluss und wurde zum Sektierer in sozialrevolutionären, nationalistischen Zirkeln. 1939 wurde W. verhaftet, in den → KZ [14] Fuhlsbüttel und Sachsenhausen gefangen gehalten und schließlich in Ravensbrück ermordet.
Rechtsanwalt und Politiker, geb. 21.1.1817 Hamburg, gest. 12.10.1895 Hamburg
Der Vater Meyer Wolffson, Schullehrer und Kaufmann, stammte aus einer Hamburger reformorientierten Familie. Die Mutter Zündel oder auch Zirla Levi, Witwe des Hamburger Kaufmanns Simon Marcus Warburg, kam aus Franken. W. besuchte zunächst die → Israelitische Freischule [139] und wechselte später auf das Johanneum. Der nach dem Studium der Rechtswissenschaft und Promotion 1839 in Hamburg gestellte Antrag auf Zulassung zur Advokatur wurde abgelehnt, da W. als Jude kein Bürgerrecht erwerben konnte und dies Voraussetzung für die Advokatur war. Er fand einen Ausweg, indem er die erlaubte gewerbsmäßige Beratung und Vertretung vor dem Handelsgericht übernahm. W. war einer der führenden politischen Köpfe der 1845 gegründeten Gesellschaft für sociale und politische Interessen der Juden. Bei dem ersten Deutschen Anwaltstag 1846 in Hamburg wurde er zum Schriftführer bestellt. Im selben Jahr gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des Vereins hamburgischer Juristen. Anfang 1848 übernahm W. die Mitarbeit in der Redaktion der Neuen Hamburger Blätter, einer Zeitschrift der hamburgischen Liberalen. Im Revolutionsjahr 1848 wurde der jetzt 29-jährige Mitglied der konstituierenden Versammlung Hamburgs. Nachdem er aufgrund der Religionsfreiheit der Paulskirchenverfassung 1848 zur Advokatur zugelassen worden war, zog sich W. nach dem Scheitern der Revolution zunächst aus dem politischen öffentlichen Leben zurück, engagierte sich jedoch verstärkt in der Gemeinde (→ DIG [18]). 1853 wurde er Mitglied ihres Vorstandes und blieb dies bis 1868. W. wurde 1859 erneut in die konstituierende Versammlung Hamburgs gewählt. Mit der Verfassung von 1860, die nunmehr volle Religionsfreiheit und Gleichberechtigung der Konfessionen vorsah, erfüllten sich W.s politische Forderungen. 1861 und 1862 wählte ihn die Bürgerschaft zum Präsidenten und damit zum ersten jüdischen Präsidenten eines deutschen Landesparlaments. Abgeordneter der Hamburger Bürgerschaft blieb er bis 1883. Diese in Hamburg erworbene Integrität legte den Grund dafür, dass W. für die Nationalliberale Partei in vier Wahlen ein Mandat für den Reichstag erhielt. Dort war er 1875 und 1876 Mitglied der Kommission zur Ausarbeitung der einheitlichen Justizgesetze des Reiches. 1890 wurde W. dann ständiges Mitglied der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Bereits 1879 war er Präsident der gemeinsamen Hanseatischen Rechtsanwaltskammer der freien Hansestädte Hamburg, Lübeck und Bremen geworden.
Pädagoge und Vereinsfunktionär, geb. 14.11.1840 Altdorf (Baden), gest. 11.5.1900 Hamburg
Der Name W. verbindet sich mit der selbstlosen Hilfe für ostjüdische Flüchtlinge auf der Durchreise nach Amerika. Seit 1864 war W. Lehrer an der → Talmud Tora Schule [38] in Hamburg. Nach seminaristischer Ausbildung, die er später durch das Mittelschullehrerexamen ergänzte, besaß er die Lehrbefähigung für Deutsch, Französisch und Hebräisch. Die Schule befand sich im Aufbau zur Höheren Bürgerschule, an dem er mit großem Wissen und pädagogischer Begabung mitwirkte. In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts fand er neben seiner Lehrtätigkeit eine Aufgabe, die seine Kräfte aufs äußerste beanspruchte: Juden aus Russland und anderen osteuropäischen Ländern mussten vor einer restriktiven Gesetzgebung und Pogromen fliehen. Eine Massenauswanderung (→ Auswanderung [95]) nach Amerika setzte ein. Der Hamburger Hafen war die Zwischenstation vor der Einschiffung nach den USA. Das Elend der verarmten Flüchtlinge, die oft wochenlang in Hamburg warten mussten, war groß. 1884 nahm der von W. gegründete Israelitische Unterstützungsverein für Obdachlose seine Arbeit auf und versorgte die Notleidenden bis zur Abreise mit einem Nachtquartier und Mahlzeiten, wenn nötig auch mit Kleidung und Reisegeld. Dabei war es in W.s Sinne, dass zuweilen auch Nichtjuden unterstützt wurden. Als die Geldmittel des Vereins knapp wurden, wandte sich W. an Baron Moritz von Hirsch in Paris und bewog ihn zu einer großzügigen Spende. Es galt auch die christliche → Judenmission [252] abzuwehren, die hier ein weites Tätigkeitsfeld entdeckt hatte. W. sorgte dafür, dass in den Auswandererhallen am Amerika-Kai eine streng rituell geführte Küche eingerichtet wurde. 1896 folgte die Einweihung einer gut ausgestatteten Synagoge
Personen und Themen mit Z
Wenngleich Hamburg für den hebräischen → Buchdruck [94] eine gewisse Bedeutung besaß, spielte es in der Entwicklung des modernen jüdischen Pressewesens (etwa im Vergleich zu Berlin oder Leipzig) zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Als erste periodische Publikationen sind zwei hebräische Kalender (Luchot) in Altona (1735-1814) und Hamburg (1784/85) belegt.
Das Erstlingsrecht der jüdischen Presse im engeren Sinne kommt dem hebräischen Zentralorgan der Berliner Haskala, ha-Me’assef (Der Sammler, 1783-1812), zu, das 1809/10 für ein halbes Jahr in der Altonaer Druckerei der Gebrüder Bonn erschien. Bis 1938 lassen sich für Hamburg und Altona mindestens 32 jüdische Zeitungen und Zeitschriften nachweisen, dazu 11 Kalender, Jahrbücher und Almanache. Eine erste Blüte erlebte das jüdische Pressewesen im Vormärz: 1832/33 gab → Gabriel Riesser [92] seine politische (Halb-) Monatsschrift Der Jude (1835 erneuert) im dänischen Altona heraus, um der deutschen Zensur zu entgehen. Eine Verschärfung der Zensur in Preußen und Sachsen in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts dürfte wiederum einige Herausgeber jüdischer Blätter bewogen haben, in die Freien Reichsstädte Frankfurt a. M. und Hamburg oder Altona auszuweichen. So fallen in die Zeit von 1845 bis 1848 vier Neugründungen, an erster Stelle Der treue Zions-Wächter, der von → Samuel J. Enoch [101] und → Jakob Ettlinger [216] im Juli 1845 als orthodoxes Gegengewicht zur bis dato reformorientierten jüdischen Presse gegründet wurde. Im April 1846 wurden Redaktion und Druck von Hamburg nach Altona verlegt. Das Hauptblatt wurde Ende Dezember 1854 eingestellt, das hebräische Literaturblatt Schomer Zijon ha-ne'eman noch bis Ende März 1856 (Nr. 222) weitergeführt. Neben dem obskuren Schriftchen Der kabbalistisch-bibelsche Occident (August 1845), das Simon L. Schwabacher zugeschrieben wird und vermutlich gegen den orthodoxen Rabbiner → Isaak Bernays [243] gerichtet war, sind für Hamburg noch zwei politische Zeitungsprojekte von Eduard Cohn zu nennen: Der Jude in Deutschlands Gegenwart (1846/47), das inoffizielle Organ der zuerst im Mai 1845 von → Anton Rée [254] und → Gotthold Salomon [255] begründeten »Gesellschaft für sociale und politische Interessen der Juden«, und Phönix (1847/48) als dessen Nachfolger. Er ging in den Wirren der Revolution von 1848 unter. Danach lassen sich bis 1890 lediglich der kurzlebige Israelitische Anzeiger (1881/82) von Michael L. Rodkinson, bzw. der Altona-Hamburger Israelitische Kalender (1877-1907), Salomon Goldschmidts Purim Almanach (1884-92/1906?) sowie der Neue Hamburger Israelitische Kalender (1889?) sicher nachweisen. Der eigentliche Beginn eines jüdischen Pressewesens in Hamburg fällt damit erst in die neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts: 1890 verlegte Moritz Rahmer sein Israelitisches Predigt-Magazin (1874-95) kurzzeitig nach Hamburg, 1891/92 folgte Die Menorah von → Moses Max Deutschländer [256]. 1898 übernahm Deutschländer schließlich auch die Redaktion des Israelitischen Familienblattes (1898-1938) von → Max Lessmann [257], das durch seine unparteiische Berichterstattung und kommerzielle Vermarktung in ganz Deutschland Verbreitung fand. Als Hamburger Lokalausgabe diente das bereits 1897 begründete Hamburger Familienblatt für die israelitischen Gemeinden Hamburg, Altona, Wandsbek und Harburg, das allen Gemeindemitgliedern kostenlos zugestellt wurde. Hinzu kamen diverse Beilagen, u.a. die Jüdische Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, später ein eigener Kalender (1915-36), das illustrierte Beiblatt Aus alter und neuer Zeit (1924-35) und die Jugendbeilage Unser Familienblatt (1934-35). Von 1898 bis 1904 gab zudem → Max Grunwald [121] seine Mitteilungen der → Gesellschaft für jüdische Volkskunde [82](1898-1929) in Hamburg heraus.
Mit Ausnahme zweier zionistisch orientierter Organe, der Hamburger jüdischen Nachrichten (1913-22?) und der Jüdischen Jugendblätter (1919-26) des orthodoxen Jugendbundes »Esra« (→ Vereinswesen [78] / → Jugendbewegung [259]), kam es nach Weltkrieg und Inflation erst wieder 1924/25 zu einer Welle langlebiger Neugründungen: Mit geringem Umfang erschien seit 1925 das monatliche Gemeindeblatt der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [132] zu Hamburg, dazu ein eigener Israelitischer Kalender (1928-28), der als Beilage zum Jahrbuch für die jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte (1929-37) fortgesetzt wurde. 1925 begründete Moritz Steinhardt die Jüdische Schulzeitung als Organ der jüdischen Lehrervereine, wie sich zeitgleich, als othodoxes Gegenstück der »Agudas Jisroel«, die Blätter des Keren Hatorah nachweisen lassen. 1926/27 folgten die zionistischen Bar Kochba-Blätter, das Mitteilungsblatt der Hamburger Zionistischen Vereinigung und Der jüdische Kantor als Organ des deutschen Kantorenverbandes. Ab 1928 verlegte auch das Hauptorgan der »Agudas Jisroel«, die Deutsche Israelitische Zeitung (gegr. 1884), ihren Sitz nach Hamburg. Unter nationalsozialistischer Herrschaft erlebten schließlich die Organe diverser jüdischer Jugend-, Gemeinde- und Hilfsorganisationen eine letzte Blüte: Ab 1933 erschienen die zionistischen Blätter ha-Ohel (1933-35?) der Jugendgemeinschaft »Habonim Noar Chaluzi« und Kolenu (1934) als Monatsblatt des »Brith Hanoar schel Zeïre Misrachi«. Neben dem Gemeindeblatt der → Deutsch-Israelitischen Gemeinde [132] gab der → Israelitische Tempelverband [260] ein eigenes Rundschreiben (1933-38) heraus, ab 1935 publizierte der → Jüdische Kulturbund [261] Hamburg seine Programme in periodischer Form (1936-38 unter dem Titel Monatsblätter des jüdischen Kulturbundes Hamburg), und auch der »Hilfsausschuss der Vereinigten jüdischen Organisationen Hamburgs« (→ Widerstand, jüdischer [262]) schuf sich mit Hilfe und Aufbau in Hamburg (um 1937?) noch ein eigenes Organ. Am 10. November 1938 wurden letztlich alle jüdischen Zeitungen und Zeitschriften verboten. [263]
Nach 1945 entwickelte sich Hamburg (in Nachfolge zu Berlin) schnell zum führenden Pressestandort in Deutschland. Das jüdische Pressewesen konnte dagegen an die Vorkriegstradition in keiner Weise anschließen, und so erschienen 8 der mindestens 10 zum Jahr 2009 nachweisbaren jüdischen Zeitungen und Zeitschriften im engeren Sinne erst nach den Umbrüchen von 1989/90. Während als zentrales Organ der befreiten Juden in der Britischen Besatzungszone bereits ab Juli 1945 die DP-Zeitung Unzer Sztyme/ Our Voice (1945-65) in Bergen-Belsen erschien, gab die Hamburger → Notgemeinschaft der durch die Nürnerberger Gesetze Betroffenen [264] ab 1948 ein monatliches Mitteilungsblatt (bis 1969?) heraus. Für gut vier Jahrzehnte sollte dieses neben der hebräischen Quartalsschrift he-Atid (1966-94) die einzige spezifisch jüdische Neugründung in Hamburg bleiben. Von christlicher Seite wandten sich hingegen gleich mehrere Blätter an ein jüdisches Publikum: zum einen die beiden Organe der Hamburger → Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit [127], Friede mit Israel (1952-63) und Im Gespräch (1991ff.); zum anderen offen judenmissionarische Periodika wie der Gemeinde-Rundbrief (1955-70?), der Nazareth-Gruß (1966-80?) und der Jerusalem-Brief (1974ff.) mit Schwerpunkt Israel (→ Judenmission [252]). Als internes Mitteilungsorgan der 1945 neu konstituierten → Jüdischen Gemeinde in Hamburg [124] lassen sich etwa ab 1980, neben dem vierjährigen Geschäftsbericht (1978-86), diverse Rundschreiben in loser Folge nachweisen, die jedoch erst seit 1990/97 in Form einer Gemeindezeitung unter dem Titel Hamburger Jüdische Stimme (1990-91) bzw. Jüdische Gemeinde in Hamburg (1997ff.) herausgegeben werden (letztere seit 2007 zweisprachig in Deutsch und Russisch). Daneben traten nach 1990 nun auch die Organe gemeindenaher Vereine und Einrichtungen: so das jüdische Journal MaZe (1994-95) des Vereins → Gedenk und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule [114], u.a. in Verbindung mit dem → Verein ehemaliger Hamburger, Bremer und Lübecker in Israel [265]; Chawerin (1999-2000) als Zeitung der »B'nai B'rith Youth Organization Hamburg«; der elektronische Informationsdienst JONS (2007ff.) des Vereins »Jüdische Organisation Norddeutscher Studenten« (gegr. 1995); in jüngster Zeit auch Jüdisches Hamburg (2008ff.) des Vereins »Jüdisches Bildungszentrum Chabad Lubawitsch«; der JCS-Newsletter (2009ff.) an der Joseph-Carlebach-Schule Hamburg; oder die ATID-Nachrichten (2009ff.) als Initiative einiger Hamburger Gemeindemitglieder. Schließlich seinen noch einige geschichtswissenschaftliche bzw. judaistische Periodika erwähnt, die nach 1990 von Verlagen mit Sitz in Hamburg publiziert wurden: so ab 1998 die Zeitschrift Mnemosyne (1986ff.), die letzte Ausgabe des Jahrbuchs Menora (1990-2006) oder verschiedene Schriftenreihen, unter anderem des Hamburger → Instituts für die Geschichte der deutschen Juden [266].
[aktuelle Bestandsnachweise über die Zeitschriftendatenbank (ZDB) der Staatsbibliothek zu Berlin / Preußischer Kulturbesitz (www.zeitschriftendatenbank.de [267]) und über das Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, Heidelberg (www.uni-heidelberg.de/institute/sonst/aj/ [268])]
1735–1814 | Lu’ach [Kalender] (hebr.), hrsg. Aron ben Elia Hakohen / Moses ben Mendel Bonn Halevi / Gebrüder Bonn, Jg. 5496 (1735/36) – 5575 (1814/15), Altona [ZDB-ID: 2472462-2]. |
1783–1812 | ha-Me’assef – Der Sammler (hebr. mit dt. Beilagen), hrsg. I. Euchel u. a., zuletzt (1808-12) Schalom ha-Kohen, Jg. I - X, Königsberg / Berlin [I - VI (1783-90)], Breslau [VII (1794-97)], Berlin [VIII (1808/09)], Altona [IX/ 1-2 (1809-10)], Dessau [IX/ 3 - 4 (1810) und X (1810-12)] [Mikrofiche-Ausgabe: Leiden, o. J.] [ZDB-ID: 552030-7, 552031-9 und 1130354-2]. |
1784–85? | Lu’ach [Kalender] (hebr.), hrsg. Leser und Nathan May, Jg. 5545 (1784/85) – 5546 (1785/86) [?], Hamburg [ZDB-ID: 2472494-4]. |
1806–07 | Gesammelte Actenstücke und öffentliche Verhandlungen über die Verbesserung der Juden in Frankreich, hrsg. Friedrich Alexander Bran, Bd. I – II (Nr. 1 – 8?), Hamburg [ZDB-ID: 1455749-6]. |
1826–27? | Sammlung der neuesten Predigten, gehalten in dem neuen Israelitischen Tempel zu Hamburg, hrsg. Eduard Kley / Gotthold Salomon, Jg. I – II, Hamburg [ZDB-ID: 2065131-4]. |
1832–33/35 | Der Jude. Periodische Blätter für Religion und Gewissens-Freiheit, ab Jg. III (1835): Der Jude, ein Journal für Gewissens-Freiheit [Beilage (Jg. III): Der Jude. Intelligenzblatt], hrsg. Gabriel Riesser, Jg. I – III, Altona [Mikrofilm-Ausgabe: New York (1985); Online-Ausgabe: Aachen: RWTH, 2000–06 (= Compact Memory. Internetarchiv jüdischer Periodika; www.compactmemory.de [269])] [ZDB-ID: 23724-3, 146347-0 und 2391768-4]. |
1845 | Der kabbalistisch-bibelsche Occident, hrsg. Simon Leon Schwabacher, Verlag: B. S. Berendsohn, Jg. I (1 Ausgabe), Hamburg [Mikrofilm-Ausgabe: New York, o. J. / Frederick/Md., o. J.] [ZDB-ID: 26038-1]. |
1845–54/56 |
Der treue Zions-Wächter. Organ zur Wahrung der Interessen des orthodoxen Judenthums, Red.: Samuel J. Enoch, Jg. I-X, Hamburg [I - II/ Nr. 13 (1845-46)], Altona [II/ Nr. 14 - X (1846-54)] [Mikrofilm-Ausgabe: Princeton 1974 / New York (1985); Online-Ausgabe: Aachen: RWTH, 2000–06 (= Compact Memory. Internetarchiv jüdischer Periodika; www.compactmemory.de [269])] [ZDB-ID: 961968-9 und 2241903-2].
Literaturbeilage (hebr.): Schomer Zijon ha-ne’eman, hrsg. Jacob Ettlinger, Bd. I – VI (Nr. 1 – 222) = Jg. II – [XII] (1846–56), Altona [ND: New York 1962/63; Mikrofiche-Ausgabe: Leiden 2000] [ZDB-ID: 961964-1]. |
1846–47 | Der Jude in Deutschlands Gegenwart, hrsg. Eduard Cohn, Jg. I-II, Hamburg [Online-Ausgabe (Jg. I/ Nr. 1–2): München: BSB, 2009 (Digitale Bibliothek, Münchener Digitalisierungszentrum; www.digitale-sammlungen.de [270])] [ZDB-ID: 2436401-0 und 2526725-5]. |
1847–48 | Phönix. Blätter der Gesellschaft für sociale und politische Interessen der Juden, hrsg. Eduard Cohn, Jg. I-II, Hamburg. |
1848–1916? | Finanzbericht der Jahre… Deutsch-Israelitische Gemeinde in Hamburg, Jg. 1848–60? [nachgewiesen], fortgesetzt als: Bericht der Deutsch-Israelitischen Gemeinde Hamburg, Jg. 1916? [nachgewiesen], Hamburg [ZDB-ID: 2383876-0 und 2384598-3]. |
1874–95 | Israelitisches Predigt-Magazin. Homiletische Monatsschrift, hrsg. Moritz Rahmer, Jg. I - XVI, Leipzig [I - XII (1874-85)], Hamburg [XIII (1890)], Magdeburg [XIV - XVII (1892-95)] [Mikrofilm-Ausgabe: New York 2001] [ZDB-ID: 1229907-8]. |
1877–1907 | Altona-Hamburger Israelitischer Kalender …, Jg. 5638 (1877/78) - 5668 (1907/08), Hamburg. |
1881–82 | Israelitischer Anzeiger, hrsg. Michael Levi Rodkinson, Jg. I (2 Monate), Hamburg. |
1884–1906? | Purim-Almanach, hrsg. Salomon Goldschmidt, Verlag: A. Goldschmidt, Bd. I (1884) – IV (1892) und V (1906) [?], Hamburg [ZDB-ID: 984833-2]. |
1884–1938 | Die Laubhütte. Israelitisches Familienblatt [wechselnde Untertitel], ab Jg. XVII (1900), Nr. 48 weitergeführt als Beilage zum Hauptblatt: Deutsche Israelitische Zeitung. Organ für die Gesamtinteressen des Judenthums, begr. Seligmann Meyer, Jg. I - LV, Regensburg [I - XLIV (1884-1927)], Hamburg / Regensburg [XLV - LV (1928-38)] [ZDB-ID: 561110-6 und 987563-3]. |
1889? | Neuer Hamburger Israelitischer Kalender auf das Jahr … nach Erschaffung der Welt, Jg. 5650 (1889/90), Hamburg [ZDB-ID: 2088043-1]. |
1891-92 | Die Menorah. Wochenschrift für Haus und Familie, ab Jg. I (1891), Nr. 4: Die Menorah. Deutsch-Israelitisches Familienblatt, hrsg. Moses Deutschländer, Jg. I - II, Hamburg. Beilage (Jg. I): Litteraturblatt der Menorah, hrsg. Isidor Hirsch, Nr. 1 - 8, Hamburg. |
1897–1938 | Hamburger Familienblatt für die israelitischen Gemeinden Hamburg, Altona, Wandsbek und Harburg, ab Jg. XXXVII (1935), Nr. 18: Hamburger Israelitisches Familienblatt. Ausgabe C, begr. Max Lessmann, Jg. I – XL [XLII?], Hamburg [u.a.] [ab Jg. II (1898/99) Hamburger Lokalausgabe zu Israelitisches Familienblatt (1898–1938)] [Mikrofilm-Ausgabe: Hamburg 1979] [ZDB-ID: 546793-7, 1406614-2 und 1406624-5]. |
1898–1929 | Mitteilungen der → Gesellschaft für jüdische Volkskunde, ab Jg. VIII (1905): Mitteilungen zur jüdischen Volkskunde [wechselnde Untertitel], Jg. XXV - XXVII (1923-25) vorübergehend als: Jahrbuch für jüdische Volkskunde, hrsg. Max Grunwald, Jg. I - XXXII, Hamburg [I - VII (1898-1904)], Berlin [VIII - X (1905-07)], Leipzig [XI - XII (1908-10)], Wien [XIII - XXIII (1910-22)], Berlin/ Wien [XXV - XXVII (1923-25)], Wien / Frankfurt a. M. [XXIX - XXXII (1926-29)] [ND: New York, o. J.; Mikrofilm-Ausgabe: New York, o. J.; Online-Ausgabe: Aachen: RWTH, 2000–06 (= Compact Memory. Internetarchiv jüdischer Periodika; www.compactmemory.de [269])] [ZDB-ID: 401588-5 und 2230582-8]. |
1898–1938 | Israelitisches Familienblatt, begr. Max Lessmann, Red.: Moses Deutschländer u. a., Jg. I - XL, Hamburg [I - XXXVI (1898 - 1934)], Berlin / Hamburg [XXXVII-XL (1935 - 38)]. Lokalausgaben für Groß-Berlin, Frankfurt a. M. und Umgebung, Hamburg [vgl. u. a. Hamburger Familienblatt… (1897 – 1938)]. Diverse Beilagen: u. a. Aus alter und neuer Zeit (1924 – 35 separat); Jüdische Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens (1898 – 1938); Blätter für Erziehung und Unterricht; Der jüdische Sport; Umschichtung und Auswanderung; Unser Familienblatt (1934 – 35) [Mikrofilm-/Mikrofiche-Ausgaben: Hamburg 1979 / Berlin 1985 und 1996 / Leiden, o. J.] [ZDB-ID: 551967-6, 551968-8, 1407420-5 u. a.]. |
1898–1938 | Jüdische Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Verlag: Max Lessmann, Hamburg / Berlin [Beilage zu Israelitisches Familienblatt (1898 – 1938)] [Mikrofilm-Ausgabe: Leiden, o. J.] [ZDB-ID: 997018-6]. |
1913–22? | Hamburger jüdische Nachrichten. Offizielles Organ der Zionistischen Ortsgruppe Hamburg-Altona, Jg. I (5673 = 1913) – X (5682 = 1922) [?], Hamburg [ZDB-ID: 2087160-0]. |
1915–36 | Israelitisches Familienblatt. Kalender für das Jahr…, Jg. 5676 (1915/16) – 5697 (1936/37), Verlag: Max Lessmann, Hamburg [ZDB-ID: 292935-1]. |
1918/19 | Jüdischer Volkskalender für das Jahr 5679 (1918/19), hrsg. Agudas-Jisroel-Jugendorganisation, Hamburg. |
1919–26 | Jüdische Jugendblätter, hrsg. Esra-Bundesleitung (Max Cohen / Louis Levinger / Isaak Bamberger), Jg. I - VII, Köln, München, Berlin, Hamburg [ZDB-ID: 2348170-5]. |
1924–35 | Aus alter und neuer Zeit. Illustrierte Beilage des Israelitischen Familienblattes [wechselnde Untertitel], Verlag: Max Lessmann, Jg. XXVII - XXXVII], Hamburg [Beilage zu Israelitisches Familienblatt (1898 - 1938)] [ZDB-ID: 2127794-1]. |
1925? | Blätter des Keren Hatorah, hrsg. Agudas Jisroel, [Heft 3], Hamburg [ZDB-ID: 2041695-7]. |
1925–38 | Gemeindeblatt der Deutsch-Israelitischen Gemeinde zu Hamburg, ab Jg. XIII (1937), Nr. 6: Jüdisches Gemeindeblatt für das Gebiet der Hansestadt Hamburg, Verlag: Max Lessmann, Jg. I - XIV, Hamburg [Mikrofilm-Ausgabe: New York 1985] [ZDB-ID: 804997-x und 804998-1]. |
1925–38 | Jüdische Schulzeitung [wechselnde Untertitel], hrsg. Verband der jüdischen Lehrervereine im Deutschen Reich (später: Reichsverband der jüdischen Lehrervereine), Red.: Moritz Steinhardt (später: Siegfried Braun), Jg. I-XIV, Hamburg, Mannheim [Mikrofilm-Ausgabe: Frankfurt/M., o. J. / New York, o. J.] [Online-Ausgabe: Aachen: RWTH, 2000-06 (= Compact Memory. Internetarchiv jüdischer Periodika; www.compactmemory.de [269])] [ZDB-ID: 987863-4 und 2239615-9]. |
1926–? | Bar Kochba-Blätter, Hamburg. |
1926–28 | Israelitischer Kalender für Schleswig-Holstein…, hrsg. → Verband der jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins, Jg. I (5687 = 1926/27) – III (5689 = 1928/29), Altona [fortgesetzt als Israelitischer Kalender für die Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte… (1929–37)] [ZDB-ID: 292024-4]. |
1927–? | Mitteilungsblatt der Hamburger Zionistischen Vereinigung, Hamburg. |
1927–38 | Der jüdische Kantor. Zweimonatsschrift des Allgemeinen deutschen Kantoren-Verbandes [ab XI (1937): … der Vereinigung jüdischer Kantoren in Deutschland], Jg. I - XII, Hamburg. |
1929–? | Die Wehr, Hamburg. |
1929–37 | Jahrbuch für die jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte, Jg. II - VI (1930-35): …und der Landesgemeinde Oldenburg, Jg. VII - IX (1935-38): …und des Regierungsbezirks Stade, hrsg. → Verband der jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte, Jg. I (5690 = 1929/30) – IX (5698 = 1937/38), Hamburg [Beilage: Israelitischer Kalender für die Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte… (1929–37)] [Mikrofilm-Ausgabe: Frederick/Md., o. J.] [ZDB-ID: 570430-3]. |
1929–37 | Israelitischer Kalender für die Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte… [wechselnde Titel], Jg. I (5690 = 1929/30) – IX (5698 = 1937/38). Hamburg [Beilage zu Jahrbuch für die jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte (1929–37); Fortsetzung von Israelitischer Kalender für Schleswig-Holstein… (1926–28)]. |
1929–37 | Israelitischer Drei-Gemeinden-Kalender Wandsbek, Hamburg, Altona, hrsg. Hamburgisches Deutsch-Israelitisches Waisen-Institut, Jg. I (5690 = 1929/30) - IX (5698 = 1937/38), Hamburg [ZDB-ID: 2071701-2]. |
1931? | Oilim-Bleter (jidd.), Jg. I/ Nr. 1 [?], Hamburg / Kolomea / München [Beilage zu Dos jiddische Wort] [ZDB-ID: 1489243-1]. |
1933–35? | ha-Ohel [Das Zelt]. Blatt der Maapilim der Jüdischen Jugendgemeinschaft Habonim Noar Chaluzi, Nr. 1 – 10/11 und N.F. Nr. 1 [?], Hamburg [ZDB-ID: 2264814-8]. |
1933–38 | Rundschreiben. Israelitischer Tempel-Verband in Hamburg, Jg. I – VI, Hamburg [ZDB-ID: 1402981-9 und 1402987-x]. |
1934 | Kolenu [Unsere Stimme]. Monatsblatt des Brith Hanoar schel Zeïre Misrachi in Deutschland, Nr. 1 – 4, Hamburg [ZDB-ID: 2251925-7]. |
1934–35 | Unser Familienblatt. Jugendbeilage des Israelitischen Familienblattes, Verlag: Max Lessmann, Nr. 1 – 7, Hamburg [Beilage zu Israelitisches Familienblatt (1898–1938)] [ZDB-ID: 2240393-0]. |
1935? | Verein zur Förderung ritueller Speisehäuser e.V., [Jg. XXXV (1935)], Hamburg [ZDB-ID: 2106162-2]. |
1935–38 | Jüdischer Kulturbund Hamburg. Programm, Jg. I – II (1935–36); fortgesetzt als: Monatsblätter des Jüdischen Kulturbundes Hamburg, Jg. I – III (1936–38), Hamburg [ND: New York, o. J.; Mikrofilm-Ausgabe: New York (1985); Online-Ausgabe: Frankfurt/M. 2006 (= Jüdische Zeitschriften in NS-Deutschland; http://deposit.ddb.de/online/jued/jued.htm [271])] [ZDB-ID: 26043-5, 26051-4, 2246950-3 und 2246955-2]. |
1936–38 | Monatsblätter des Jüdischen Kulturbundes Hamburg, Jg. I - III, Hamburg. |
1937–? | Hilfe und Aufbau in Hamburg, hrsg. Hilfsausschuß der Vereinigten Jüdischen Organisationen Hamburgs [Jg. 1937-?], Hamburg [ZDB-ID: 2350641-6]. |
1948–69? | Mitteilungsblatt der → Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen, Jg. I–XXII [?], Hamburg [ZDB-ID: 628100-x]. |
[1952–63] | Friede mit Israel. Mitteilungsblatt der → Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. in Hamburg, Nr. 1 – 45, Hamburg [ZDB-ID: 528973-7]. |
1953/59 | Die Juden in Deutschland. Ein Almanach, hrsg. Heinz Ganther, Ausgabe 1951/52 (5712), Frankfurt/M. und München 1953; Ausgabe 1951/59 (5712/19), Hamburg 1959 [ZDB-ID: 534311-2]. |
[1955–70?] | Gemeinde-Rundbrief. Gemeinde für Dienst an Israel in der Ev.-Luth. Kirche im Hamburgischen Staate, Jerusalem-Gemeinde, Hamburg [ZDB-ID: 1462508-8]. |
[1966–80?] | Nazareth-Gruß. Mitteilungen des Nazarethwerkes, Deutscher Verein zur Förderung des Evangeliums unter den Arabern in Israel, Jg. I–XIV, Hamburg [ZDB-ID: 1463336-x]. |
1966–94 | he-Atid [Die Zukunft]. Riv’on germani be-Ivrit (hebr.), Nr. 1 (5726) – 112 (5754), Hamburg [u. a.] [ZDB-ID: 303135-4]. |
[1974ff.] | Jerusalem-Brief. Gemeinde für Dienst an Israel in der Ev.-Luth. Kirche im Hamburgischen Staate und Diakonissenhaus Jerusalem, Hamburg [ZDB-ID: 1460536-3]. |
1978–86 | Geschäftsbericht. Jüdische Gemeinde in Hamburg. Für die Jahre… [Vierjahresbericht], Bd. I (1974/77) – III (1982/85), Hamburg [ZDB-ID: 2077899-5]. |
seit 1980? | [Rundschreiben der Jüdischen Gemeinde in Hamburg in loser Folge, fortgesetzt als Gemeindezeitung: Hamburger Jüdische Stimme (1990–91)] |
[1986ff.] | Mnemosyne. ZEIT-Schrift für Geisteswissenschaften [ab Heft 24 (1998): ZEIT-Schrift für jüdische Kultur], hrsg. Armin A. Wallas / Andrea M. Lauritsch, Heft 1ff., Villach / Klagenfurt [1986–97]; Münster / Hamburg [u. a.] [1998ff.] [ZDB-ID: 1224835-6]. |
1990–91 | Hamburger Jüdische Stimme [Gemeindezeitung], hrsg. Kadima, Jg. I – II (5750/51) [Nr. 1–6], Hamburg [ZDB-ID: 1402814-1]. |
[1990–2006] | Menora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte, hrsg. Julius H. Schoeps [u. a.], Jg. I – XVI, München / Zürich [I – VI (1990–95)], Bodenheim [VII – IX (1996–98)], Berlin / Bodenheim [X (1999)], Berlin / Wien [XI – XV (2000–04/05)], Hamburg [XVI (2005/06)] [ZDB-ID: 1022362-9]. |
1991–97 | [Rundschreiben der Jüdischen Gemeinde in Hamburg in loser Folge (meist monatlich), ab Juli 1997 erneut fortgesetzt als Gemeindezeitung: → Jüdische Gemeinde in Hamburg (1997 ff.)] |
[1991ff.] | Im Gespräch… Informationen für die Mitglieder der → Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Jg. Iff., Hamburg [ZDB-ID: 1364446-4]. |
1994–95 |
MaZe [Was ist das?]. Jüdisches Journal aus Hamburg, hrsg. Verein → Gedenk- und Bildungsstätte Israelitische Töchterschule, in Verbindung mit dem → Verein ehemaliger Hamburger, Bremer und Lübecker in Israel und der Gabriel-Riesser-Stiftung (Hamburg), Nr. 1 (1994 = 5754) – 2/3 (1994/95 = 5755), Hamburg [ZDB-ID: 1197509-x]. |
[1995ff.] | Studien zur jüdischen Geschichte [Schriftenreihe], hrsg. → Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Bd. 1 ff., Hamburg [ZDB-ID: 2170516-1]. |
1997ff. | Jüdische Gemeinde in Hamburg [Gemeindezeitung], Jg. I – III (1997–99) unter der Bezeichnung Rundschreiben, ab Jg. XI (2007) zweisprachig (dt./russ.): Jüdische Gemeinde in Hamburg / Evrejskaja Obscina Gamburga, ab Jg. XII (2008) in gekürzter Form unter der Bezeichnung Gemeinderundschreiben / Informacionnyj zurnal obsciny, Hamburg (mit diversen Beilagen) [ZDB-ID: 2122248-4]. |
1999–2000 | Chawerim. Die Zeitung der B’nai B’rith Youth Organization Hamburg e.V., hrsg. Yitzhak-Rabin-Gruppe Hamburg der B’nai B’rith Youth Organization, Jg. I – II (Nr. 1 – 5), Hamburg [ZDB-ID: 2016380-0]. |
[2004ff.] | Schriftenreihe des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes zu Widerstand, NS-Verfolgung und Nachkriegsaspekten [Schriftenreihe], Bd. 1 ff., Münster / Hamburg / Berlin / Wien [u. a.] [ZDB-ID: 2160053-3]. |
2007ff. | JONS [E-Mail-Rundschreiben (unregelmäßig)], hrsg. Jüdische Organisation Norddeutscher Studenten e. V., Hamburg [www.jons-ev.org]. |
[2007ff.] | Archiv aus Stein. Der Jüdische Friedhof Königstraße [Schriftenreihe], Bd. 1 ff., Hamburg [ZDB-ID: 2510941-8]. |
2008ff. | Jüdisches Hamburg, hrsg. Jüdisches Bildungszentrum Chabad Lubawitsch e.V., Nr. 1 ff., Hamburg [ZDB-ID: 2490523-9]. |
2009ff. | JCS-Newsletter [hrsg. Elternvertreter der Joseph-Carlebach-Schule], Jg. I ff., Hamburg [ZDB-ID: 2523926-0]. |
2009ff. | ATID-Nachrichten, hrsg. Atid Hamburg, Redaktion: Daniel Killy, Jg. I ff., Hamburg. |
[2009ff.] | Institut für die Geschichte der deutschen Juden [Fünfjahresbericht], hrsg. → Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Bd. I (2003/08) – …, Hamburg [ZDB-ID: 2484730-6]. |
Die jüdische Nationalbewegung des Z. entstand Ende des 19. Jahrhunderts. Ihr Ziel war, durch eine geistige und kulturelle Wiederbelebung des Judentums die Voraussetzungen für die Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina zu schaffen.
In Deutschland gründete sich 1897 die Zionistische Vereinigung für Deutschland (ZVfD), die – im Gegensatz zu den im Misrachi vereinigten religiösen Zionisten – einen säkularen jüdischen Staat anstrebte. Vermutlich im Frühjahr 1898 bildete sich in Hamburg und Altona unter → Gustav G. Cohen [272] eine Ortsgruppe der ZVfD. Diese blieb zunächst eine bedeutungslose innerjüdische Gruppierung. Als 1909 der IX. Zionistische Weltkongress in Hamburg tagte, lehnten die jüdischen Gemeinden in Altona (→ HIG [19]) und Hamburg (→ DIG [18]) in Hinblick auf ein »deutsches« Grundverständnis jede organisatorische Zusammenarbeit ab. Nicht zuletzt aufgrund der Balfour-Deklaration von 1917 änderte sich diese Haltung nach dem Ersten Weltkrieg. In den Wahlen zum Repräsentanten-Kollegium konnten die Zionisten zunehmend ihren Einfluss in der Hamburger Gemeinde steigern. Für die Zeit der Weimarer Republik hatten sie einen Stimmanteil von etwa 20 Prozent. Der Z. konnte durch eine Vielzahl von Jugend-, Wander- (Blau-Weiß) und Turngruppen (Bar Kochba) (→ Jugendbewegung [128], → Sportvereine [126]), durch literarische Vereinigungen und Arbeitsgruppen für die hebräische Sprache und durch eine Frauengruppe (1905 gegründet) breite Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Vielfach wurden alle diese Aktivitäten als Kulturzionismus bezeichnet, da die tatsächliche Auswanderung nach Palästina nur selten erfolgte. Durch das nationalsozialistische Regime sahen sich die Hamburger Zionisten in ihren Zielen bestärkt. Sie förderten die Auswanderung (→ Emigration [16]), unter anderem durch Sprachschulung (Sprachschule Ivria), durch Berufsumschichtung (→ Hachschara [50]) und durch Geldsammlungen. Im Jahr 1937 waren ca. 1.000 Mitglieder in der Hamburger ZVfD in 17 Untergruppen organisiert. Das entsprach etwa 15 Prozent der zu diesem Zeitpunkt in Hamburg lebenden Juden. In den Gremien der Gemeinde, vor allem im Vorstand und im Repräsentanten-Kollegium, gewannen die Zionisten erheblichen Einfluss. Nach dem → Novemberpogrom [22] löste die Gestapo am 13. November 1938 die Zionistische Vereinigung auf. Die Unterstützung für Auswanderer nach Palästina konnte allerdings noch etwa bis zum Sommer 1941 fortgeführt werden, auch weil die Zielsetzung der zionistischen Politik hinsichtlich einer forcierten Auswanderung weitgehend mit den Vorstellungen der nationalsozialistischen Machthaber übereinstimmte.
Bis zum Sommer 1942 waren etwa 500 männliche jüdische Häftlinge im → KZ Neuengamme [14] inhaftiert. Sie waren in Kolonnen für körperlich besonders schwere und schmutzige Arbeiten im Freien zusammengefasst, die oftmals nur den Zweck verfolgten, die Männer zu schikanieren und zu ermorden. Mindestens ein Viertel der jüdischen Häftlinge starb innerhalb kurzer Zeit.
Nachdem Himmler im Oktober 1942 bestimmt hatte, die KZ im Gebiet des Deutschen Reiches »judenfrei« zu machen, wurden die meisten in Neuengamme festgehaltenen Juden nach Auschwitz deportiert. Der gravierende Arbeitskräftemangel in der deutschen Kriegswirtschaft zwang jedoch die NS-Führung im Frühjahr 1944 dazu, diesen Beschluss zu revidieren. Alle »arbeitsfähigen Juden« sollten nun aus den Vernichtungslagern zum Einsatz bei Rüstungs- und Bauvorhaben im Reichsgebiet gebracht werden. In Hamburg waren insgesamt etwa 13.000 jüdische Gefangene, die meisten von ihnen Frauen, im KZ Neuengamme und seinen Außenlagern inhaftiert. Im Gebiet der Hansestadt gab es keine Lager für männliche jüdische Gefangene. Die Männer arbeiteten vor allem in den Außenlagern Ahlem im Continental-Werk und in Braunschweig für Büssing-Automobilwerke. In Hamburg war eine eher geringe Anzahl jüdischer Häftlinge aus Polen gemeinsam mit so genannten jüdischen »Mischlingen« auf dem HEW-Kraftwerksgelände in Neuhof im Hafen eingesetzt. Einige Hundert bauten für die Hamburgischen Elektricitäts-Werke AG ein Kohlekraftwerk in Alt-Garge im Südosten der Hansestadt. Da sich unter den für den Arbeitseinsatz in erster Linie vorgesehenen ungarischen Juden nicht genug arbeitsfähige Männer befanden, wurden den KZ ab Ende Mai 1944 auch jüdische Frauen zur Zwangsarbeit zugewiesen. Insgesamt sind etwa 13.500 Frauen, unter ihnen 9.700 Jüdinnen und 3.800 politische Häftlinge, in neu eingerichtete Außenlager des KZ Neuengamme eingewiesen worden, davon etwa 7.000 Jüdinnen allein in Außenlager auf Hamburger Gebiet. Die Frauen kamen mehrheitlich aus Polen, der Sowjetunion, Ungarn und der Tschechoslowakei, mehrere Hundert aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Deutschland. Frauen und Männer mussten 8 bis 10 Stunden täglich schwerste Arbeit leisten. Sie wurden in Kolonnen zu den Arbeitsstätten geführt und waren damit für die Hamburger Bevölkerung deutlich wahrnehmbar. Für das Bauunternehmen Wayss & Freitag bauten die weiblichen Häftlinge Plattenhäuser, für Kowahl & Bruns zermahlten sie Trümmerschutt, auf dem Gelände der großen Mineralölraffinerien Rhenania Ossag (Shell), Ebano Asphalt Werke AG und Julius Schindler GmbH führten sie Aufräumungsarbeiten durch, bei den Hanseatischen Kettenwerken in Langenhorn arbeiteten sie in der Munitionsproduktion, bei den Dräger-Werken in Wandsbek stellten sie Gasmasken her. In den häufig von einem mit Starkstrom geladenen Stacheldrahtzaun umgebenen Lagern wurden die jüdischen Häftlinge misshandelt und bei kleinsten Vergehen schwer bestraft. Als sich die alliierten Truppen näherten, ließ Himmler Anfang April 1945 viele Außenlager räumen. Die Häftlinge wurden ins KZ Bergen-Belsen verschleppt, das zu diesem Zeitpunkt aufgrund katastrophaler hygienischer Verhältnisse ein Todeslager war. Weitere Evakuierungsmärsche und -fahrten führten u. a. in die KZ Ravensbrück und Wöbbelin. Tausende erschöpfter und unterernährter Häftlinge starben noch nach Kriegsende an Hunger, Krankheit und Schwäche.
Verweise:
[1] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/gl%C3%BCckstadt
[2] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/portugiesisch-j%C3%BCdische-gemeinden-sefarden
[3] https://dasjuedischehamburg.de/bilder/adler-friedrich
[4] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/j%C3%BCdischer-kulturbund-hamburg
[5] https://dasjuedischehamburg.de/bilder/amulettenstreit
[6] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/emden-jakob-israel-ben-zwi
[7] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/aschkenasi-zwi-hirsch-ben-jacob
[8] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/eibesch%C3%BCtz-auch-eibensch%C3%BCtz-eybesch%C3%BCtz-eybensch%C3%BCtz-jonathan
[9] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/dreigemeinde-ahw-ahu
[10] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/rabbinat
[11] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/emanzipation
[12] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/ausschreitungen-antij%C3%BCdische
[13] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/deportationen
[14] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/konzentrationslager-hamburg
[15] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/arisierung
[16] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/emigration
[17] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/gerichtsbarkeit-j%C3%BCdische
[18] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/deutsch-israelitische-gemeinde-dig
[19] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/hochdeutsche-israelitengemeinde-zu-altona-hig
[20] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/wandsbek-j%C3%BCdische-gemeinde
[21] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/harburg-wilhelmsburg-synagogengemeinde
[22] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/novemberpogrom
[23] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/j%C3%BCdischer-religionsverband-hamburg
[24] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/warburg-max-m
[25] https://dasjuedischehamburg.de/bilder/arno-siegfried
[26] https://dasjuedischehamburg.de/bilder/aschkenasi-zwi-hirsch-ben-jacob
[27] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/gl%C3%BCckel-von-hameln
[28] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/neustadt
[29] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/wormser-daniel
[30] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/ballin-albert
[31] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/antisemitismus
[32] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/logenwesen
[33] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/grindelviertel
[34] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/friedh%C3%B6fe
[35] https://dasjuedischehamburg.de/bilder/siegelabdruck-beerdigungs-casse
[36] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/heine-salomon
[37] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/stiftungen
[38] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/talmud-tora-schule-ttr
[39] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/tempel-neuer-israelitischer-nit
[40] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/cassirer-ernst
[41] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/kulturwissenschaftliche-bibliothek-warburg
[42] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/saxl-fritz
[43] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/warburg-abrahamaby-moritz
[44] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/koppel-rudolph
[45] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/zionismus
[46] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/institut-f%C3%BCr-die-geschichte-der-deutschen-juden
[47] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/hochfeld-ernst
[48] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/vaterl%C3%A4ndischer-bund-j%C3%BCdischer-frontsoldaten
[49] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/gerson-hans-und-oskar
[50] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/hachschara
[51] https://dasjuedischehamburg.de/bilder/bornplatzsynagoge
[52] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/engel-semmy
[53] https://dasjuedischehamburg.de/node/461
[54] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/warburg-familie
[55] https://dasjuedischehamburg.de/bilder/titelblatt-predigt-sammlung
[56] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/mussaphia-binjamin
[57] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/dinis-%C3%A1lvaro
[58] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/abudiente-mose-gideon
[59] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/cohen-de-lara-david
[60] https://dasjuedischehamburg.de/bilder/budge-henry
[61] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/haller-familie
[62] https://dasjuedischehamburg.de/node/332
[63] https://dasjuedischehamburg.de/bilder/carlebach-joseph-hirsch
[64] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/stern-louis-william
[65] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/gruenwaldt-louis
[66] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/lippmann-leo
[67] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/mischehen-%C2%BBmischlinge%C2%AB
[68] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/heinemann-max-0
[69] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/carlebach-joseph-hirsch-zwi
[70] http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/deutsch-israelische-gesellschaft
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[72] https://dasjuedischehamburg.de/bilder/deportationen
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