Ballin, Albert

Reeder, geb. 15.8.1857 Hamburg, gest. 9.11.1918 Hamburg

B. wurde als dreizehntes Kind eines Kaufmanns geboren. Sein Vater stammte aus Jütland, seine Mutter Amalia aus der alteingesessenen Altonaer Rabbinerfamilie Meyer. Nach dem Tod des Vaters musste der siebzehnjährige Albert dessen winzige Passageagentur übernehmen. 1881 offerierte er den vor Pogromen fliehenden russischen Juden konkurrenzlos günstige Massentransporte in die USA. Damit lieferte er der etablierten Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (Hapag) einen derart harten Konkurrenzkampf, dass die Gesellschaft es vorzog, ihn 1886 als jüngsten Direktor zu engagieren. Es folgte die steilste Karriere des Kaiserreiches: 1899 war B. Generaldirektor und die Hapag die größte Reederei der Welt. Sein Erfolgsrezept hieß Service: B. erfand unter anderem 1891 die Kreuzfahrt, und die Hapag bot statt Rekordgeschwindigkeit Luxus auf der Nordatlantikroute. Zeitgemäß bescheiden galt das sogar für die armen Emigranten, denn B. beendete die Ära des berüchtigten Zwischendecks: Auf den großen Spitzenschiffen gab es ab 1905 eine zusätzliche günstige Kajütenklasse, von 1912 an grundsätzlich nur noch Kabinen, keine Massenquartiere mehr.

Für viele Deutschnationale verkörperte B. diffuse Ängste vor dem »internationalen jüdischen Großkapital«, vielen Juden war er als »Kaiserjude« zu assimiliert – und dem Ausland ein Symbol wilhelminischen Vormachtstrebens. Er galt als »Freund« Kaiser Wilhelms II. und war 1908 als Reichskanzler im Gespräch. Er lehnte es aber immer ab, sich taufen zu lassen. B. war nicht religiös, seine Frau Marianne und seine Adoptivtochter waren Christen, doch hielt er bewusst an seinem Judentum fest und verachtete Konvertiten. Für ihn selbst hatten der Patriotismus und der Einsatz für sein Unternehmen den Stellenwert, den die Religion für seine Vorfahren gehabt hatte. Der Mann, der »die Hapag war«, der kosmopolitische Deutsche jüdischen Glaubens, verkörperte wie niemand sonst die Zwiespältigkeit des wilhelminischen Deutschland, seiner Gesellschaftsschicht und seiner Epoche: den steilen Aufstieg, den blendenden Erfolg, den untergründigen Zweifel – und schließlich auch das Ende. B.s Sorge galt dem deutsch-britischen Verhältnis. Von 1908 an bemühte er sich in zahlreichen halboffiziellen Missionen, darunter 1912 die Haldane-Verhandlungen über Rüstungskontrolle zur See. Ende Juli 1914 unternahm er einen letzten Vermittlungsversuch in London. Der Erste Weltkrieg zerstörte sein Lebenswerk und seine Epoche. B. vergiftete sich und starb am Tag der Abdankung und Flucht des Kaisers.

Susanne Wiborg