Wohnstifte

Den Beinamen »Stiftungshauptstadt« verdankt Hamburg auch der Vielzahl von Stiftungen für Freiwohnungen, die eine aus kirchlichen Anfängen erwachsene Tradition bürgerlich-gemeinnützigen Verantwortungsgefühls und republikanischen Selbstverständnisses bezeugten.

Als sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die negativen Begleitsymptome des Urbanisierungsprozesses auch in dramatischer Wohnungsnot zeigten, stifteten Kaufleute testamentarisch oder zu Lebzeiten in solcher Zahl Freiwohnungen, dass man von einem Gründungsboom sprechen kann. Bis 1914 waren 66 Stiftungen errichtet worden. Der Beitrag jüdischer Stifter dazu war sehr hoch. Jüdische Kaufleute finanzierten zwölf Stiftungen für jüdische Familien, die zunächst in der Alt- und Neustadt, später im Grindelviertel angesiedelt wurden und sich zurückhaltend, teilweise mit mehreren Häusern, in die umgebende Wohnbebauung einfügten. Außer den obligatorischen Aufnahmevoraussetzungen mussten die Bewerber ihre Mitgliedschaft in einer jüdischen Gemeinde nachweisen und für die Aufnahme in drei Stiftungen außerdem nach orthodoxem Ritus leben. Juden stifteten 1849 auch die erste paritätische Stiftung, deren Wohnungen ohne konfessionelle Beschränkung vergeben wurden. 1914 reihten sich die 22 Häuser dieser insgesamt fünf Institutionen mit klar definierter Zweckbestimmung in die Stiftsviertel der Stadt (St. Georg, Rotherbaum, Borgfelde, Eppendorf) ein.

Unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurde die eigentlich wohltätige Zweckbestimmung der Wohnstifte in ihr Gegenteil pervertiert und die zwölf jüdischen Stiftungen und drei der paritätischen Stiftsgebäude als sog. »Judenhäuser« missbraucht. Die heute mehrheitlich noch erhaltenen Gebäude stellen deswegen zugleich Zeugnisse für den erfolgreichen Emanzipationsprozess der Hamburger Juden wie Mahnmale für dessen gewaltsames Ende dar.

Angela Schwarz