Riesser, Gabriel

Politiker und Jurist, geb. 2.4.1806 Hamburg, gest. 22.4.1863 Hamburg

R. wuchs in einer traditionellen jüdischen Familie Hamburgs auf. Der Vater Lazarus war zunächst Sekretär seines Schwiegervaters, des Rabbiners Raphael Cohen, gewesen, betätigte sich aber zur Jugendzeit seines Sohnes als Lotterie- und Geldhändler. R. besuchte die Eliteschulen Katharineum in Lübeck und Johanneum in Hamburg. 1824 bis Ende 1826 studierte er in Kiel und Heidelberg und schloss seine juristische Ausbildung summa cum laude ab. Danach gelang es ihm infolge der gegen Juden bestehenden Bestimmungen nicht, beruflich Fuß zu fassen. Der Konversionsdruck, den viele Regierungen ausübten, bewog ihn 1830, eine von Pathos erfüllte Schrift Über die Stellung der Bekenner des mosaischen Glaubens in Deutschland zu verfassen. Auf eine Replik des Heidelberger Theologie-Professor H. E. G. Paulus (Über die Nationalabsonderung der Juden …, Heidelberg 1831), der die Erteilung staatsbürgerlicher Rechte an die Bedingung einer Massentaufe geknüpft wissen wollte, reagierte R. wiederum scharf. 1832 gab er eine neue politische Zeitschrift Der Jude heraus ( Zeitungswesen), in der er die Debatten über die Rechtsstellung der Juden in den deutschen Staaten und in England kritisch kommentierte. Diese Form der säkularen Berichterstattung war neu und übte prägenden Einfluss auf die Entwicklung der jüdischen Presse in Deutschland aus. R.s Schriften erregten öffentliches Aufsehen und wurden auch vom christlichen Publikum gelesen. Von wichtigen jüdischen Notabeln wurde er gebeten, weitere Eingaben zu verfassen. In Hamburg gründete er 1833 das Comité zur Verbesserung der bürgerlichen Verhältnisse der Juden und wies ethnische Argumentationen gegen eine Gleichstellung der Juden energisch ab. Gegen Übergriffe auf Juden in Hamburg während der so genannten »Kaffeehauskrawalle« ( Ausschreitungen) setzte er sich 1835 persönlich ein. Nachdem ihm in Hessen-Kassel das Bürgerrecht und damit die Niederlassung als Rechtsanwalt verweigert worden war, nahm er 1839 die jüdische Notariatsstelle in seiner Vaterstadt Hamburg an. Als namhaften Juristen und Publizisten entsandten ihn die Wahlmänner des Herzogtums Lauenburg, das Juden bis dato keine Niederlassungsrechte gewährt hatte, in die Nationalversammlung der Frankfurter Paulskirche, wo er im August 1848 wiederum für die Gleichberechtigung der Juden eintrat. R. verurteilte die rechtlichen Benachteiligungen der Juden als Druck zum Religionsübertritt. Er wandte sich gegen den Wuchervorwurf gegenüber Juden und forderte gleiche Rechte ein, da sie ja schon gleiche Pflichten, etwa bezüglich des Militärdienstes, erfüllten. »Deutschtum« bedeutete für ihn in Deutschland geboren und durch deutsche Kultur geprägt zu sein sowie loyal zu den Gesetzen zu stehen. Auf den oft vorgebrachten Einwand, die Juden seien eine der deutschen entgegengesetzte »fremde Nation«, erwiderte er, dass sie weder eine ihnen gemeinsame Regierung aufwiesen noch durch Gesetze, Sprache oder Territorium eine Einheit bildeten. Er verband die allgemeinen Forderungen der Liberalen nach Gleichstellung und Gewissensfreiheit mit dem Anliegen der Emanzipation der Juden. Auch im innerjüdischen Bereich waren ihm liberale Prinzipien wichtig, so etwa, als orthodoxe Rabbiner 1841 die zweite Auflage des Gebetbuches des Neuen Israelitischen Tempelvereins heftig kritisierten. Mit der Gleichberechtigung für die Juden im Stadtstaat Hamburg im Jahr 1859 wurde R. Obergerichtsrat und Vizepräsident der Bürgerschaft. Er hatte endlich sein Lebensziel erreicht, verstarb aber im Alter von 57 Jahren. R. gehörte durch sein politisches Engagement zu den bekanntesten Juden seiner Zeit und hat sich große Verdienste im Kampf um die Emanzipation erworben.

Uri R. Kaufmann