Kunst und Kultur

Katalog Ausstellung Hamburgische Secession

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hatten jüdische Künstlerinnen und Künstler an den Aufbruchsbewegungen von Kunst und Kultur maßgeblichen Anteil. Im liberal-pluralistischen Kulturbetrieb der Weimarer Republik waren sie in allen künstlerischen Bereichen und Stilrichtungen vertreten. Das jüdische Bürgertum dieser Zeit fühlte sich mehrheitlich einer akkulturierten Judenheit zugehörig. Mehr als andere Kreise der Bevölkerung zeigte das jüdische Bürgertum eine große Bereitschaft, sich sowohl für die Pflege des humanistischen Erbes zu engagieren als auch offen zu sein für die Innovationen in den Bereichen Wissenschaft, Kunst und Erziehung.

Vor 1933 existierte in Hamburg eine reiche, pluralistische Kunstszene, in der Künstler jüdischer Abstammung vornehmlich als Künstler wahrgenommen wurden. Die älteren waren um 1900 der traditionellen Malerei verpflichtet. Richard Rothgießer und Karl Müller malten z. B. konventionelle Hamburg-Ansichten in lasierender Feinmalerei in der Nachfolge des Biedermeier. Letzterer, wegen seiner militärfreundlich-patriotischen Darstellungen auch »Soldaten-Müller« genannt, spezialisierte sich zudem auf gemütvoll Volkskundliches und Hamburgisches. Unter den 52 Mitgliedern der elitären Hamburgischen Sezession waren neun Künstler jüdischer Abstammung, assimiliert und z. T. getauft: die Bildhauer Paul Hamann und Paul Henle, die Maler Kurt Löwengard, Willy Davidson, Hilde Hamann, Lore Feldberg-Eber, nicht zuletzt das Trio der Malerinnen Alma del Banco, Anita Rée, Gretchen Wohlwill. Diese waren Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts stadtbekannt und angesehen, stellten auch auswärts aus und konnten von ihrer an der Avantgarde orientierten Kunst leben. Rée und Wohlwill bekamen vom Stadtbaudirektor Fritz Schumacher Aufträge für Wandbilder in den neuen Schulen in Hamburg, Hamann fertigte eine »Frühlingsgöttin« für den Hammer Park. Die Sezession löste sich im Mai 1933 selbst auf. Zu der konkurrierenden Hamburgischen Künstlerschaft zählten u. a. die Malerinnen Lore Feldberg-Eber, Maria Wolff, Edith Marcus, Paula Gans (bekannt als Porträtistin).

Plakat 1919An der Kunstgewerbeschule Hamburg wirkte Friedrich Adler als bedeutender Designer und Lehrer. Die Kunstschule für Frauen am Glockengießerwall wurde bis 1939 von jüdischen Malerinnen geleitet. 1891 durch Valeska Röver gegründet, übernahm 1904 die Malerin Gerda Koppel die Schule und leitete sie nach 1933 mit Geschick weiter. 1938 übergab sie die Leitung an ihre Schülerin Gabriele Schmilinsky und emigrierte nach Kopenhagen. Bei den großen Hamburger Künstlerfesten spielten bis 1933 auch jüdische Künstler und Kunstkritiker eine Rolle. Zu erwähnen sind besonders Friedrich Adler, Willy Davidson, Harry Reuss-Löwenstein, der für den Hamburger Anzeiger kurzweilige Rezensionen verfasste und auch einmal als Tarzan auftrat. Die Kunsthistorikerin Rosa Schapire verlieh der Hamburger Kunst und Kultur weltmännischen Anstrich durch unablässige Vermittlung überregionaler Avantgarde-Kunst und Förderung junger Talente mit Einführung in ihre Sammlung neuester Kunst. Kaufleute, Industrielle, Banker und Akademiker wie Otto Blumenfeld, Richard Samson, Siegfried Julius, Oskar Gerson, Richard Robinow, Valerie Alport, Albert Martin Wolffson förderten als Sammler mit Ankäufen und Aufträgen die Hamburger Kunst und Kultur.

Auch im Musik- und Theaterleben spielte das jüdische Bürgertum eine wichtige Rolle. Das Stadttheater (die Oper in der Dammtorstraße) unterlag der Aufsicht des Staatsrats Leo Lippmann, der sich während seiner Amtszeit von 1920 bis 1933 als leidenschaftlicher Förderer aller zehn Hamburger Bühnen erwies. Als Nachfolger Hans Loewenfelds war Leopold Sachse seit 1922 Intendant des Stadttheaters; unterstützt wurde er von Egon Pollak, Hamburgs erstem Generalmusikdirektor. Zwei Dirigenten standen ihm zur Seite, Werner Wolff und Georg Singer. Seit Ende des 19. Jahrhunderts hatten Gustav Mahler, Bruno Walter und Otto Klemperer dem Orchester vorgestanden. Willy Davidson wirkte am Haus als Bühnenbildner. Zu den herausragenden und beliebtesten Gesangssolisten gehörten die Altistin Sabine Kalter, der Bassist Julius Gutmann und der Tenorbuffo Paul Schwarz; im Orchester traten besonders die Violinistin Bertha Dehn und der Hornist Bruno Wolff hervor. Zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses gehörten die Regisseure und Schauspieler Julius Kobler und Arnold Marlé, der Dramaturg Julius Glücksmann, die Schauspieler Emil Stettner und Ulrich Arie sowie Margarethe Otto-Körner. Verwaltungsdirektor war Hans Kaufmann. Die Schauspielerinnen Charlotte Kramm und Emmeline Gadiel gehörten ebenso wie der Regisseur Arthur Holz zum Thalia Theater. Die Direktion der Hamburger Kammerspiele teilten sich Erich Ziegel und seine Frau Mirjam Horwitz. Dramaturg war hier zunächst der Schriftsteller Arthur Sakheim; sein Nachfolger wurde 1926 der Journalist und Schriftsteller Heinz Liepmann. Schauspielerinnen und Schauspieler wie Sascha Rares, Mira Rosowsky, Fritz Kortner und Hans Hinrich waren an den Kammerspielen engagiert; 1918/19 war Robert Müller-Hartmann als musikalischer Beirat, Alfred Müller hier wie an vielen anderen Hamburger Bühnen als Bühnenbildner tätig. Carl und Alexander Richter standen zeitweilig dem Kleinen Lustspielhaus, Große Bleichen, der Volksoper und dem Operettenhaus (»Richterbühnen«) vor. Zu ihren Ensembles gehörten Fritz Hirsch, Albert Walter und Max Berg, der Tenor Julius Kuthan, die Mezzosopranistin Karla Monti und Kurt Behrens als Repetitor. Das Schiller-Theater wurde von Max Ellen geleitet, die Schauspieler Kurt Appel, Fritz Benscher und Albert Walter traten hier auf. Konzertmeister der Philharmonie war Heinrich Bandler, sein berühmter Solocellist Jakob Sakom. José Eibenschütz, herausragender Mahler-Interpret und Dirigent der Philharmonie, war ab 1928 Generalmusikdirektor der Nordischen Rundfunk AG. Zahlreiche jüdische Künstler, u. a. die Geigerin Hertha Kahn und der Schauspieler Willi Hagen, traten im Rundfunk auf. Hermann Cerini war Leiter des Hamburger Tonkünstler-Orchesters, die Pianistin und Cembalistin Edith Weiß-Mann lehrte als Dozentin an der Hamburger Universität und gründete 1925 die »Vereinigung zur Pflege alter Musik in Hamburg«. Die Konzerte des jungen Pianisten Bernhard Abramowitsch in der Musikhalle wurden mit großem Lob bedacht.

Das Hamburger Stadtbild wurde durch die Bauten der Gebrüder Hans und Oskar Gerson sowie der Partner Fritz Block und Ernst Hochfeld entscheidend mitgeprägt. Bausenator in Altona war der Architekt Gustav Oelsner. Er gehörte ebenfalls zum Kreis Fritz Schumachers und war der norddeutschen Backsteintradition verpflichtet. 1930/31 errichteten Felix Ascher und Robert Friedmann mit dem Tempel in der Oberstraße (53) einen der letzten Synagogenbauten in Deutschland vor 1933. Friedrich Adler entwarf die Fenster und einen Teil der Innenausstattung. Zu den bedeutendsten Trägern jüdischer Kultur gehörten die Henry Jones-Loge, die Steinthal- sowie die Nehemia-Nobel-Loge ( Logenwesen), die Gesellschaft für Jüdische Volkskunde, der Verein für Jüdische Geschichte und Literatur und das Jüdische Gemeinschaftsheim.

1933, nach ihrem Ausschluss aus der »deutschen Volksgemeinschaft«, war für die deutschen Juden die Bildung einer jüdischen Enklave die einzige Alternative zur Emigration. Auf die Bedrohung von außen reagierten die Betroffenen mit zahlreichen Selbsthilfeaktionen, u. a. mit der Gründung des Jüdischen Kulturbundes. Die meisten Hamburger bildenden Künstler beteiligten sich 1936 an der Berliner Reichsausstellung Jüdischer Künstler im Jüdischen Museum. Vielen wurde Arbeitsverbot auferlegt, dessen Einhaltung durch Gestapobeamte kontrolliert wurde. Gebrauchsgraphikern, Designern, Kunsthandwerkern wie Ivan Seligmann, Alice Marcus, Marion Baruch, Naum Slutzky, Anni Glissmann widerfuhr das gleiche Schicksal des Ausschlusses aus der Hamburger Kunstszene wie den bildenden Künstlern. Viele Künstler waren von der NS-Verfolgung hart betroffen. Von 85 bildenden Künstlern überstanden fünf als »Mischlinge« oder in »privilegierter Mischehe« die gefährliche Zeit. 23 starben, ermordet in KZ, hingerichtet oder durch Freitod. Zwei überlebten das KZ Theresienstadt. Die anderen 55 emigrierten. Verloren sind meistenteils ihre Œuvres in Hamburg oder im Ausland. Die Sammlungen jüdischer Hamburger wurden vor der Emigration verkauft, mitgenommen und im Ausland veräußert oder aus dem Liftvans im Hafen geraubt und versteigert. Nach Kriegsende bildete sich eine vergleichbare kulturelle Blüte jüdischen Kunstschaffens in Hamburg nicht wieder.

Maike Bruhns, Barbara Müller-Wesemann