Cassuto, Familie

Die ursprünglich aus Livorno stammende Familie C. gehörte im 19. und 20. Jahrhundert zu den einflussreichsten und aktivsten Hamburger Portugiesenfamilien. Der in einem Amsterdamer Waisenhaus aufgewachsene Jehuda de Mordechai C. (geb. 4.9.1808, gest. 11.3.1893) kam aus Amsterdam nach Hamburg, um 1827 als erst 19-Jähriger die Stelle eines Kantors und Lehrers an der kleinen Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde anzutreten.

Hier amtierte Jehuda C. bis zu seinem Tode, zeitweise auch als Rabbiner (Chacham) und als Administrator des Wohltätigkeitsvereins »Guemilut Hassadim«. 1854 veröffentlichte er unter dem Pseudonym Leon Quiros ein Lesebuch in spanischer Sprache (Colmena Española). Seinen Lebensunterhalt erwarb er sich aber vor allem als Sprachlehrer und Übersetzer. Das Übersetzungsbüro wurde später von seinem Sohn Isaac Haim C. und seinem Enkel Jehuda Leon C. bis 1933 erfolgreich fortgeführt. Isaac Haim C. (geb. 4.4.1848 Hamburg, gest. 30.1.1923 ebd.) wurde wiederholt in den Vorstand der Portugiesisch-Jüdischen Gemeinde gewählt. Zwischen 1906 und 1920 übersetzte und veröffentlichte er wichtige Teile aus dem Protokollbuch der Portugiesen, musste aber auf Druck der Gemeinde kompromittierende Teile unübersetzt lassen. 1917 gab er eine hebräisch-deutsche Sammlung von Friedhofsandachten nach sephardischem Ritus heraus. Die von seinem Vater erworbene und von ihm fortgeführte bedeutende Büchersammlung sefardischer Drucke wurde 1974 von seinem Enkel Alfonso C. (geb. 26.11.1910 Hamburg, gest. 8.1.1990 Lissabon) an die Bibliotheca Rosenthaliana verkauft. Der Gerichtsdolmetscher Jehuda Leon C. (geb. 5.10.1878 Hamburg, gest. 19.9.1953 Venda Nova/Portugal) erwarb 1911 den Hamburger Bürgerbrief. Nach dem »Judenboykott« am 1. April 1933 verließ er mit seiner Familie Hamburg und emigrierte zunächst nach Amsterdam, später nach Porto. In Porto arbeitete Jehuda Leon C. an seinen mehrbändigen (unveröffentlichten) Erinnerungen, die einen Einblick in das jüdische Leben Hamburgs im Kaiserreich und in der Weimarer Republik vermitteln. Sein Sohn Alfonso C. (1910-1990) studierte in Hamburg Romanistik und bereitete Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts eine (unvollendete) Dissertation über den Portugiesenfriedhof an der Königstraße (100) vor. Er emigrierte 1933 mit seinen Eltern nach Portugal und arbeitete zunächst als Hebräischlehrer an der Jüdischen Gemeinde von Porto, später als Fabrikant und Buchhändler in Lissabon.

Michael Studemund-Halévy