Friedhöfe

Friedhof Königstraße (aschkenasisch)

Jeder jüdische Friedhof (hebr. »Haus des Lebens«, »Haus der Gräber« oder »Haus der Ewigkeit«) spiegelt das wechselvolle Leben seiner Gemeinde wider, somit ist seine Geschichte aufs engste mit Geschichte und Schicksal der Gemeinschaft verbunden, und die Formensprache und Inschriften erzählen von der Geschichte der Juden und ihrer Kultur.

Von den sieben noch bestehenden jüdischen F. liegen zwei in Wandsbek (Königsreihe (119), Jenfelder Straße (120)), drei in Altona (Königstraße (100), Bornkamp (102), Langenfelde (103)), einer in Harburg (Schwarzenberg (128)) und einer in den Grenzen Hamburgs vor 1937 (Ilandkoppel). Von diesen sind sechs historische F., d. h., sie wurden von der jeweiligen Gemeinde auf ewige Zeiten erworben, der F. Ilandkoppel jedoch nur auf Zeit. Auf den F. Königstrasse, Bornkamp und Ilandkoppel gibt es klar abgetrennte Bereiche für die sefardischen Juden (Portugiesen) und für die deutschen Juden (Aschkenasim). Von den aufgelassenen bzw. von den Nationalsozialisten zerstörten F. Neuer Steinweg (3), Grindel (57) und Ottensen (101) befinden sich zahlreiche Grabsteine auf dem F. Ilandkoppel. Jeder dieser F. hatte einen unterschiedlichen gesellschaftlichen Stellenwert. Die F. Königstraße und Ottensen wurden vor allem als Begräbnisplatz für berühmte Rabbiner und Gemeindeführer genutzt, der Grindelfriedhof hingegen galt lange Zeit als Begräbnisstätte für Abtrünnige, Dienstboten, uneheliche Kinder und für Fremde, die am unteren Ende der sozialen Ordnung standen. Der F. Langenfelde wurde ausschließlich von orthodoxen Mitgliedern der Hamburger Gemeinde genutzt. Auf dem F. Königsreihe liegen die Wandsbeker Ortsrabbiner bestattet. Völlig verschwunden sind die zehn Gräber des kleinen, 1841 von Michael Nathan angelegten jüdischen Privatfriedhof Bergedorf. 1938 wurde er nach längeren Verhandlungen auf massiven staatlichen Druck aufgehoben und von den Nationalsozialisten zum staatlichen Eigentum deklariert. Nach der Exhumierung der Toten wurde die Fläche für Krankenhauszwecke (AK Gojenbergweg) überbaut.

In künstlerischer und epigraphischer Hinsicht weisen die F. große Unterschiede auf: Dominieren auf den drei sefardischen Arealen flache, liegende Grabplatten sowie sarkophagähnliche Blöcke und lang gezogene pyramidenartige Grabmale (hebr. ohalim, »Zelte«), so dominieren auf den aschkenasischen F. ausschließlich relativ schmucklose Stelen. Sefardische Grabinschriften sind meist einsprachig (Hebräisch bzw. Portugiesisch, seltener Spanisch), mitunter zweisprachig (Hebräisch und Portugiesisch). Auf den ornamental reich geschmückten sefardischen Grabmalen fallen Darstellungen biblischer Szenen auf, vor allem als Anspielungen auf den Namen des Verstorbenen. Dazu kommen noch Darstellungen von Stamm- bzw. Lebensbäumen und überall Memento-mori-Symbole wie Totenschädel, gekreuzte Knochen, Stundenglas, Engels- und Fledermausflügel. Aus den Inschriften ist viel über die Herkunft der Verstorbenen zu erfahren. Auf dem Neuen Jüdischen F. Ilandkoppel fallen Grabsteine in persischer und russischer Sprache ins Auge, ein Hinweis auf die hohe Anzahl jüdischer Neueinwanderer, die nach 1945 nach Hamburg kamen. Mit ihren Inschriften und ihrem Grabschmuck stellen die über 40.000 jüdischen Grabmale der Hansestadt Hamburg, von denen ein Großteil fotografisch dokumentiert wurde, ein eindrucksvolles Archiv aus Stein dar, das die wechselvolle Geschichte und Größe, die Heterogenität und einzigartige Struktur der jüdischen Gemeinschaften des Hamburger Raums widerspiegelt.

Königstraße (100): 1611 erwarben sefardische Juden das Gelände an der heutigen Königstraße in Altona, da ihnen Hamburg einen innerstädtischen Begräbnisplatz »auf Ewigkeit« verwehrte. Wenig später wurde an der Königstraße auch ein aschkenasischer Begräbnisplatz angelegt. Der heute noch knapp 20.000 m2 große Begräbnisplatz mit seinen ca. 7.000 Steinen und Bruchstücken wurde als einziger jüdischer F. Hamburgs unter Denkmalschutz gestellt (1960). Auf dem portugiesischen Teil befinden sich heute noch 1.652 mehr oder weniger gut erhaltene Grabsteine bzw. Steinfragmente. Zu den liegenden Grabplatten kommen 29 Tumben oder Zeltgräber, zwei Steinsarkophage sowie einige pflockartige Stelen. Der aschkenasische Teil des F. mit seinen ursprünglich 6.700 Steinen diente den Aschkenasen aus Altona und Hamburg als Begräbnisplatz.

Ilandkoppel: Der 1883 angelegte und 93.500 m2 große Jüdische F. Ilandkoppel liegt an der Südwestecke des 1877 errichteten Zentralfriedhofs Ohlsdorf. Er besteht heute aus dem Neuen Jüdischen F., dem historischen Grindelfriedhof (aschkenasischer und sefardischer Teil) mit ca. 450 Steinen (von ursprünglich 8.000), dem Ehrenfriedhof für die prominenten Mitglieder der Hamburger Gemeinden, dem Neuen Portugiesenfriedhof (145 Steine), dem historischen F. Ottensen mit 285 Steinen (von ursprünglich ca. 9.000), einem Ehrenf. für die im Ersten Weltkrieg gefallenen jüdischen Soldaten sowie einem Gedenkstein für die von den Nationalsozialisten ermordeten Hamburger Juden. Eine Platte und ein verrostetes Gitter erinnern an die von Januar bis Mai 1814 auf dem Jüdischen F. Neuer Steinweg begrabenen 57 aschkenasischen und sefardischen Toten. Von Tüchern drapierte und halb verhüllte steinerne Urnen in einigen Bereichen des F. deuten symbolisch auf eine Feuerbestattung hin, denn eine offene Zurschaustellung von Urnengräbern war nicht gestattet. Die erste Urnenbestattung fand 1897 statt.

Hamburg-Wandsbek (119): Unter den jüdischen F. der Dreigemeinde Altona-Hamburg-Wandsbek zählt der fast 5.000 m2 große und ab 1637 angelegte F. Königsreihe mit seinen 1.006 Steinen zu den kleinsten im Hamburger Raum. Der älteste erhaltene Grabstein stammt aus dem Jahr 1675, doch dürften bis dahin schon etwa 50 Gräber existiert haben. Neben Mitgliedern der Wandsbeker Gemeinde fanden hier auch Mitglieder der Hamburger Gemeinde ihre letzte Ruhe. Mitte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts verfügte die Regierung von Schleswig-Holstein die Schließung des nahezu vollständig belegten F., Beerdigungen fanden aber noch bis 1909 auf reservierten Stellen statt. Die erste Beerdigung auf dem Nachfolgefriedhof an der Jenfelderstraße fand erst 1889 statt.

Langenfelde (103): Der F. am Försterweg geht auf die Weigerung der Stadt Hamburg zurück, den orthodoxen Mitgliedern ein Friedhofsgelände »auf Ewigkeit« zu verkaufen. Diese Minderheit erwarb daraufhin im damals preußischen Langenfelde ein 2,5 ha großes Stück Land und begrub dort bis 1941 ihre Toten. In der südöstlichen Ecke befinden sich zehn Reihen mit Kinder- bzw. Kleinkindergräbern. An die Kinderreihen schließen sich Reihen für Ehepaare sowie für verwitwete bzw. unverheiratete Frauen und Männer an. Hinter dem Neubau (rechts) befinden sich in einer Extrareihe die Gräber der Kohanim (Priester), da die Nachkommen des biblischen Aron dem Priesterdienst geweiht wurden und nur auf gesonderten Feldern in der Nähe des Eingangs oder eines eigenen Eingangs bestattet werden durften.

Bornkampsweg (Bahrenfeld) (102): Nach der Schließung des F. Königstraße 1873 diente der neue, ca. 1 ha große F. Bornkamp der Altonaer Hochdeutschen Israelitengemeinde sowie der Altonaer Portugiesengemeinde bis 1939 als letzte Ruhestätte. Auf dem heute geschlossenen F. gab es nach 1945 noch einige Beerdigungen.

Schwarzenbergstraße (Harburg) (128): Auf dem vermutlich um 1614 angelegten F. (der früheste Plan stammt aus dem Jahre 1757) sind heute noch 239 Grabsteine aus der Zeit nach 1812 erhalten, einige wenige davon als Fragmente, sowie ein Kriegerdenkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs und eine Gedenktafel. Im Juli 1937 fand die letzte Bestattung auf dem gänzlich belegten F. statt. Zwei Jahre später ordnete der Hamburger Reichsstatthalter Karl Kaufmann die Schließung des F. für Bestattungen an, Anfang 1943 wurde der Harburger F. für 2.982 RM an die Stadt Hamburg verkauft.

Michael Studemund-Halévy