Rabbinat
Seit dem 13. Jahrhundert beauftragten die europäisch-jüdischen Gemeinden Rabbiner mit der Lehre und Auslegung des Religionsgesetzes. Während im Rahmen der vormodernen Gemeindeautonomie »Oberrabbiner« und deren Assessoren die Gerichtsbarkeit über die Juden eines bestimmten Sprengels ausübten, erstrecken sich die Funktionen des neuzeitlichen Rabbiners eher auf Predigt und Religionsunterricht. Auch die Hamburger Juden haben im Laufe ihrer Geschichte unterschiedliche Modelle rabbinischer Autorität gekannt.
Die Rabbiner, die seit etwa 1617 in den → portugiesischen Gemeinden wirkten, waren Prediger ihrer jeweiligen Synagogen; sie führten den Titel »Chacham« (Weiser). Der bekannteste unter ihnen, → David Cohen de Lara, wurde 1652 auch Rabbiner der Gesamtgemeinde, musste aber 1656 dem neuen Oberrabbiner (haham geral) weichen. Seit dem frühen 18. Jahrhundert wurde die nur mehr kleine portugiesische Gemeinde von ehrenamtlichen Gelehrten und dem Personal der Talmudstudienstiftung des Abraham Sumbel betreut. Die aschkenasischen Juden Schleswig-Holsteins hatten seit 1664 einen Oberrabbiner mit Sitz in Altona. Kraft einer Übereinkunft der → Drei Gemeinden aus dem Jahr 1672 war dieser auch für Hamburg zuständig, dessen Juden keine eigenen Kultusinstitutionen unterhalten durften. Ein Quotensystem bestimmte die Zusammensetzung und die Wahl des rabbinischen Gerichtshofs, welcher Religions- und Sittenvergehen mit Geldbußen ahndete und in allen innerjüdischen Zivilprozessen das Urteil erster Instanz sprach. Übliches Zwangsmittel war der Synagogenbann. Die Stadt Hamburg verwahrte sich erfolglos gegen das Wirken des Altonaer Oberrabbinats auf ihrem Territorium; im »Gottorfer Tractat« von 1768 musste sie dessen Befugnisse sogar ausdrücklich anerkennen. Die Altonaer Rabbinatswürde bekleideten bedeutende Talmudisten des 18. Jahrhunderts, darunter → Zwi Aschkenasi, Ezechiel Katzenellenbogen, → Jonathan Eibeschütz, Isaak Horowitz und → Raphael Cohen. Das Oberrabbinat verlor seine Zuständigkeit für Lübeck 1802 und für Hamburg 1812, behielt aber seinen holsteinischen Sprengel; überdies blieb ihm, als letztem Rabbinat Westeuropas, seine zivilgerichtliche Kompetenz noch bis 1863 unbenommen. An seiner Spitze wirkten mit → Jakob Ettlinger, Elieser Loeb und → Maier Lerner drei bedeutende Vertreter der Neuorthodoxie. Das Altonaer Oberrabbinat und das seit 1863 in Wandsbek beheimatete Ortsrabbinat wurden beide unter dem Druck der Verfolgungen des Jahres 1938 aufgelöst. Einer der Beisitzer im Altonaer Gerichtshof war in der → Frühe Neuzeit zugleich Ritualgutachter, hebräisch »More-Zedek«, der Hamburger Gemeinde. Die französische Besatzung erhob diesen zum Konsistorial-Oberrabbiner (1813-14). Auf diese Stelle berief der Gemeindevorstand 1821 → Isaak Bernays, einen akademisch gebildeten Kandidaten (ein Novum in der Rabbinatsgeschichte), und gewährte ihm die Kultus- und Schulaufsicht. Nachdem schon Bernays sich den sefardischen Titel »Chacham« zulegte, versuchte auch die Gemeinde 1851 den in Stellung und Gehalt herabgestuften »More-Zedek« wenigstens nominell aufzuwerten; doch musste es aus Rücksicht auf den → Tempel bei dem vagen Titel »Oberrabbiner in Hamburg« bleiben. Auch diese Stelle wurde von Rabbinern der neuorthodoxen Richtung versehen, nämlich → Anschel Stern, Markus Hirsch, → Samuel Spitzer und schließlich → Joseph Carlebach, der von 1938 bis zu seiner → Deportation als einziger Rabbiner des → Verbands der jüdischen Gemeinden Schleswig-Holsteins und der Hansestädte verblieb. Die → Jüdische Gemeinde zu Hamburg berief in den fünfziger Jahren wieder einen Rabbiner, der bis 2003 zugleich Landesrabbiner von Schleswig-Holstein, zeitweilig auch von Niedersachsen war. Die Stelle besetzten zunächst Ludwig Salmonowicz, später H. I. Gruenewald und derzeit Dov-Levi Barsilay. Rabbiner wirkten auch an manchen privaten Synagogenvereinen, etwa am Tempel, dessen Erster Prediger seit 1921 »Oberrabbiner« hieß, und an der → Neuen Dammtor Synagoge. Die zahlreichen Stiftsgelehrten der »Klausen« (Lehrhausvereine, → Jeschiwa) vertraten ein streng traditionelles Talmudstudium. Von ihnen war der in Auschwitz ermordete Altonaer Klausrabbiner → Eduard Duckesz wichtigster Geschichtsschreiber des Hamburger Rabbinats.