Haller, Familie
Mendel Joseph H. (1770-1852) war mittellos aus Halle eingewandert. In Hamburg betrieb er einen Warenhandel und später ein Bankgeschäft, dessen Aktivitäten 1907 endeten. Eine Bibliothek und eine Gemäldesammlung zeugen von kulturellen Interessen, das Zusammenleben der Familien von Schwiegervater und Schwiegersohn in einem mit Waren gefüllten Kaufmannshaus, von der Geringschätzung materiellen Komforts.
Mehrfach äußerte sich H. publizistisch zu Fragen vor allem wirtschaftspolitischer Natur. Als die Beschneidung seines Sohnes Nikolaus Ferdinand (1805-1876) anstand, beantragte er die Genehmigung der Konversion seiner gesamten Familie. Er lehnte eine Religion ab, die Verstöße gegen Ritualgesetze ernster nehme als echte moralische Vergehen, doch wurde deutlich, dass er zentrale Lehren des Christentums nicht zu übernehmen gedachte. Dass sich jeder Einwohner Hamburgs zu einer Religionsgemeinschaft zu bekennen hatte, ist wohl der Hauptgrund dafür, dass H., der durch die Taufe seinen Vornamen Mendel in Martin änderte, nicht zu einem aufgeklärten Atheismus gelangte. Nikolaus Ferdinand H. studierte Jura und wurde 1844 Senator, 1863 Bürgermeister. Nach ihm sind H.-straße und H.-platz benannt. Dass er 1861 Kirchspielsherr von St. Petri wurde, lässt vermuten, dass die jüdische Vorgeschichte seiner Familie schon weitgehend in Vergessenheit geraten war. Für seinen Sohn Martin Emil Ferdinand (1835-1925) wünschte sich Nikolaus Ferdinand H. eine juristische Ausbildung, die auch ihm den Zugang zum Senat eröffnet hätte. Als Martin H. aber schon als Primaner mit einem Wettbewerbsentwurf für das Hamburger Rathaus Anerkennung fand, gestattete ihm sein Vater die Ausbildung zum Architekten. Sein Verständnis für bürgerliche Repräsentation und für die Anforderungen der unterschiedlichsten Bauaufgaben machten Martin H. zum bedeutendsten Baumeister im Hamburg seiner Zeit. Er prägte weitgehend das Gesicht des Alstervorlandes, schuf mit dem heute abgerissenen Dovenhof das erste Kontorhaus auf kontinentaleuropäischem Boden und zusammen mit Emil Meerwein die Laeiszhalle und begründete und führte den Bund der Rathausbaumeister. Seine Memoiren stellte er unter das Motto »Meminisse juvabit« (»Es wird erfreulich sein, sich zu erinnern«) – an das Judentum nämlich. Wie sein Vater offenbarte er sich aber nur wenigen Freunden als Nachkomme von Juden – auch sein zweiter Großvater hatte dieser Religion angehört. Für spätere Mitglieder der Familie – etwa für Martin Ferdinand H. (1871-1963), der als Direktor der Hapag mit mehreren Schriften über politische, insbesondere handelspolitische Fragen hervortrat – lässt sich ein inneres Verhältnis zum Judentum nicht mehr nachweisen.