Warburg, Familie
Die W.s gehörten seit dem 18./19. Jahrhundert zu den bedeutendsten Familien des jüdischen Bürgertums in Hamburg, Deutschland und den USA.
Einer ihrer Vorfahren, der Geldwechsler Simon von Kassel, hatte sich 1559 im westfälischen W. niedergelassen und den Namen der Stadt als Familiennamen angenommen. Mit seinem Urenkel Juspa Joseph W., der sich 1668 im damals dänischen Altona niederließ, verlagerte sich der Familiensitz in den hamburgisch-norddeutschen Raum. Einer seiner Nachkommen, Gumprich Marcus W., verlegte 1773 seinen Wohnsitz nach Hamburg, wo seine Söhne Moses Marcus und Gerson 1798 das Bankhaus M. M. Warburg & Co. gründeten. Als Matriarchin der künftigen W.-Dynastie gilt Sara W. (1804-1884), die nach dem Tod ihres Mannes Abraham 1856 mehr als zwanzig Jahre die Geschicke der Bank leitete, und deren Kinder Siegmund und Moritz die Familienzweige der Alsterufer- und der Mittelweg-W. begründeten.
Die bedeutendsten Repräsentanten der Familie W. brachte die »vierte« Generation (seit Moses Marcus W.) hervor, zu der u. a. der Kulturwissenschaftler → Aby W., der Bankier → Max W. und sein Bruder Paul W. (1868-1932) gehörte, der 1902 von Hamburg nach New York übersiedelte, die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm und zu den Begründern der amerikanischen Zentralbank zählte. Die lange Friedensperiode und der wirtschaftliche Aufstieg des Kaiserreiches sowie die Jahre der Weimarer Republik schufen einen günstigen Rahmen, innerhalb dessen sich der Aufstieg der »vierten« Generation vollziehen konnte, während der Lebensweg der »fünften« Generation – repräsentiert durch den Bankier → Eric W. (1900-1990) – von der Herrschaft des Nationalsozialismus, der → »Arisierung« der Bank, der erzwungenen → Emigration und der schwierigen Remigration nach 1945 überschattet wurde.
Insgesamt brachte die Familie W. keineswegs allein »Geldwechsler« und Bankiers hervor. Auch bedeutende Naturwissenschaftler sind unter den W.s zu finden: So der Botaniker Otto W. (1859-1938), Mitbegründer der Hebräischen Universität Jerusalem und Leiter der dortigen botanischen Abteilung, der als einer der Nachfolger Theodor Herzls von 1911 bis 1920 als Präsident der Zionistischen Organisation fungierte. Der Biochemiker Otto Heinrich W. (1882-1970), Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Zellphysiologie in Berlin, erhielt für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Biochemie 1931 den Nobelpreis für Medizin.
Philantropie und Mäzenatentum sind ebenfalls mit dem Namen der Familie W. eng verbunden. So fungierte der Bankier Felix W. (1871-1937) aus der »vierten« Generation als Gründer und langjähriger Präsident des American Jewish Joint Distribution Committee, der bedeutendsten Hilfsorganisation der amerikanischen Juden. Seine Gattin Frieda W. (1875-1958) bedachte zahlreiche jüdische Einrichtungen in Amerika mit großzügigen Stiftungen und engagierte sich in besonderem Maße für den Aufbau Israels, u. a. als Ehrenpräsidentin der Hebräischen Universität. Lola Hahn-W. (1901-1989) und Anita W. (1908-1995), Töchter Max W.s, waren in besonderer Weise bei der Betreuung deutsch-jüdischer Flüchtlinge in Großbritannien und vor allem der so genannten »Kindertransporte« 1938/39 engagiert, ebenso ihre Schwester Gisela W. (1912-1991), die sich schon in Deutschland für die Auswanderung junger Juden engagiert und zeitweise das Büro der Jugend-Alija in Berlin geleitet hatte. In ähnlicher Weise setzte sich Ingrid W. Spinelli (1910-2000), Tochter des Bankiers Fritz W., als Mitglied des Emergency Rescue Committee während des Zweiten Weltkrieges für jüdische Flüchtlinge aus Europa ein.