Portugiesisch-Jüdische Gemeinden / Sefarden

Synagoge Bäckerstraße

Im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts wurde Hamburg zu einem begehrten Handelsplatz für englische und niederländische Kaufleute sowie Zufluchtsstätte für Glaubensflüchtlinge wie die Neuchristen (cristãos novos, conversos, marranos) von der Iberischen Halbinsel. Diese Portugiesen waren die ersten Juden, die sich in der protestantischen Hafenstadt dauerhaft niederlassen durften.

Zu diesen Hamburger Portugiesen gehörten der Brasilienkaufmann Emanuel Alvers, der Makler Adrian Gonsalves, der Zuckerimporteur Diego Gomes sowie der Arzt Dr. Rodrigo de Castro alias David Namias aus Lissabon, der 1592 in Hamburg seine Praxis eröffnete. 1595 waren wohl sieben portugiesische Familien in Hamburg ansässig, für 1609 sind 98 Personen nachgewiesen. Erster Rabbiner wurde 1617 Isaac Atias ( Rabbinat). Nach dem Ablauf des Waffenstillstands zwischen Spanien und den Niederlanden (1621) verlagerten weitere Portugiesen ihren Wohnsitz von Amsterdam nach Hamburg und Glückstadt. Die erhaltenen Protokollbücher der Jüdischen Gemeinde geben uns einen guten Einblick in die ausgeübten Berufe. Neben der hohen Zahl von Gemeindebeamten wie Rabbinern, Kantoren, Lehrern, Küstern oder Schächtern waren vor allem Ärzte sowie Apotheker, Steinschneider, Fleischhändler, Börsenmakler, Tabakhändler und Tabakspinner, Zuckersieder und Bankiers vertreten. Es waren die erfolgreichen portugiesischen Bankiers, Großkaufleute, Überseehändler, Seeversicherer, Handelsmakler und Juwelenhändler, denen die P. von Hamburg ihre wirtschaftlichen Grundlagen verdankt und die Hamburg im 17. Jahrhundert zum Aushängeschild des sefardischen Judentums im Westen machten ( Wirtschaftsleben).

Profitierte die Stadt von der ständig wachsenden Zahl der Fremden, so löste die Tatsache, dass es sich bei den Portugiesen um zwangsgetaufte Juden handelte, immer wieder Unbehagen innerhalb der christlichen Gesellschaft aus. Daraus entstand eine ständige Debatte, wie man mit diesen Fremden verfahren solle, ob man Juden überhaupt in der Stadt dulden könne und, wenn ja, unter welchen Bedingungen. Eine entscheidende Rolle spielte in diesem Zusammenhang die Frage, ob man den Juden die Ausübung ihrer Religion gestatten solle. Ein erstes Ergebnis dieser Hamburger Tolerierungsdebatte war der Kontrakt, den der Hamburger Rat im Februar 1612 mit der »portugiesischen Nation« schloss. Unter der Bedingung, dass sich die Portugiesen gehorsam verhielten und alle (finanziellen) Verpflichtungen erfüllten, sollten die Sefarden das Aufenthaltsrecht in der Stadt erhalten, Gewissensfreiheit genießen und von der Obrigkeit geschützt werden. Sie blieben aber weiterhin »Fremde«, denen der Rat nur für die Geltungsdauer des Kontraktes seinen Schutz gewährte. Die am 3. September 1652 aus dem Zusammenschluss der drei Synagogengemeinden Talmud Tora, Keter Tora und Neve Salom hervorgegangene sefardische Einheitsgemeinde Kahal Kadosch Bet Israel (Heilige Gemeinde des Hauses Israels) bestand aus ca. 1.200 Mitgliedern, größtenteils ehemalige Neuchristen. Ihnen schlossen sich wenig später zahlreiche iberische Juden aus Nordafrika, Italien und dem Osmanischen Reich sowie zahlreiche iberische Altchristen an. Rabbiner, Kantoren und Lehrer aus Nordafrika und Italien, später überwiegend aus Amsterdam, kümmerten sich um die Re-Judaisierung der ehemals katholischen Gemeindemitglieder. Nicht alle traten den P. bei, manche gingen enttäuscht nach Spanien und Portugal zurück. Wie in Amsterdam, Livorno, London oder Bordeaux war die oberste Exekutive der P. der Ma’amad, der nach dem Vorbild der jüdischen Gemeinde in Venedig die »vollständigen Rechte sowie die absolute Macht hatte, über die Nation zu herrschen« und sich überwiegend aus den Oberhäuptern der wohlhabenden Familien zusammensetzte. Für den Kontakt mit den Behörden wurden vor allem die Gemeindemitglieder bestimmt, die wegen ihres Reichtums bzw. ihres diplomatischen Status (z. B. als Residenten ausländischer Mächte) eine herausgehobene Stellung in der Stadt hatten. Kamen die ersten Rabbiner und Kantoren aus Italien (z. B. Isaac Jessurun), so hatten viele der später in Hamburg amtierenden geistlichen Beamten in Amsterdam studiert. Grundlage der in Hamburg und Altona gültigen Liturgie war das 1753 von Jacob Belinfante in portugiesischer und hebräischer Sprache verfasste Minhagim-Buch. Für die Sefarden, die sich in Hamburg und in Norddeutschland niederließ, lässt sich unabhängig von ihrer Herkunft folgende Sprachenverteilung feststellen: Portugiesisch war die verbindliche Umgangssprache innerhalb der Gemeinde sowie im Kontakt mit den anderen Gemeinden, und es wurde ausschließlich in portugiesischer Sprache gepredigt. Auch die (wenigen) gedruckten Predigten erschienen auf Portugiesisch, ebenso die Mehrzahl der Grabinschriften. Spanisch war als halbsakrale Sprache und Sprache der Rückkehr ins Judentum vor allem die Sprache der religiösen und literarischen Texte. Mit Hilfe von Nachdrucken zahlreicher klassischer Werke jüdischer Autoren in spanischer Sprache fanden die Neuchristen in der Marrano-Diaspora zurück ins normative Judentum. Die Sprache der Wissenschaft, aber auch die der gelehrten Dichtkunst, war vor allem Latein.

Sefardische SynagogeDie zunehmend antijüdische Stimmung und die Wiederbelebung des holländischen Iberienhandels führten in den sechziger und siebziger Jahren des 17. Jahrhunderts zu einer Abwanderung vor allem ärmerer Portugiesen. Ende des 17. Jahrhunderts löste eine restriktive Abgabenpolitik eine massive Abwanderung der reichen Hamburger Portugiesen nach Amsterdam aus. Interne Streitigkeiten führten wenig später zur Neugründung einer P. in Altona, die jedoch bis zu ihrer Auflösung Ende des 19. Jahrhunderts von den Hamburger Portugiesen abhing. Anfang des 19. Jahrhunderts verzeichneten die Hamburger und Altonaer P. nicht nur einen beträchtlichen Zuzug von sefardischen Juden aus dem Osmanischen Reich, aus Holland, Dänemark und Portugal, sondern vor allem auch aus Südamerika und Nordafrika. Die seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu beobachtende wachsende Zahl von Eheschließungen mit aschkenasischen Ehepartnern, ein Überaltern der Gemeinden sowie eine wachsende Bereitschaft, aus der Gemeinde auszutreten bzw. zum christlichen Glauben zu konvertieren, schwächte die Position dieser so traditionsbewussten Gemeinden. Innerhalb der Hamburger und Altonaer Jüdischen Gemeinden spielten die Sefarden im 20. Jahrhundert nicht nur zahlenmäßig, sondern auch wirtschaftlich und gesellschaftlich eine eher geringe Rolle. Ihre Abhängigkeit von den deutschen Juden, den tudescos, kompensierten sie zum einen durch eine herablassend ablehnende Haltung ihnen gegenüber, zum anderen durch einen intensiven geschäftlichen und familiären Kontakt mit den Gemeinden der Marranen-Diaspora, hier vor allem mit denen von Amsterdam und Curaçao. Wenige Jahre nach der Feier zum 275-jährigen Bestehen der Gemeinde Bet Israel und dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft emigrierten viele der einflussreichen Portugiesenfamilien nach Holland, in die USA und nach Frankreich, wenige wählten Palästina oder Portugal als ihre neue Heimat. Nach dem Verkauf ihrer Synagoge in der Markusstraße (18) diente eine Privatvilla in der Innocentiastraße (54) der kleinen Restgemeinde bis 1939 als religiöse Heimstatt. 1942 wurde die P. aufgelöst. Über 80 Portugiesen wurden Opfer der deutschen Vernichtungspolitik. An die Sefarden in Hamburg erinnern heute noch die ehemalige Synagoge in der Innocentiastraße und ihre Friedhöfe (Königstraße (100), Bornkampsweg (102), Ilandkoppel).

Michael Studemund-Halévy