Synagogenverband, Deutsch-Israelitischer

Der S. konstituierte sich 1868 nach längerer Diskussion als ein eigenständiger Kultusverband innerhalb der Deutsch-Israelitischen Gemeinde.

Der Gemeindevorstand befürchtete eine zu große Eigenständigkeit des S., während Teile des S. wiederum einen größeren, über rein religiöse Belange hinausgehenden Einfluss ihres Rabbiners wünschten. Im Statut von 1873 wurde dann ein Kompromiss gefunden. Der S. war in diesem »Hamburger System« rechtlich selbständig, hatte die eigene Finanzhoheit und betreute seine Angestellten eigenständig. Ziel des S. war es, die Interessen der orthodoxen Juden in Hamburg zu vertreten und ihnen ein streng religiöses Leben zu ermöglichen. Er war verantwortlich für den Gottesdienst in den beiden Gemeinde-Synagogen an den Kohlhöfen (19) und Elbstraße (7), seit 1906 auch für die Synagoge am Bornplatz (50), für Trauungen und Scheidungen, die rituellen Bäder, Beschneidungen, das Schächtwesen, den koscheren Fleischhandel, die Speisegesetze sowie die Anfertigung der Mazzot. Der S. sorgte auch für die orthodoxe Leitung des jüdischen Armenwesens, einer Jungen- und zweier Mädchenschulen, der zwei Waisenhäuser ( Sozial- und Wohlfahrtswesen) und des Israelitischen Krankenhauses. Unabhängig von der Staatsbürgerschaft und Gemeindemitgliedschaft konnte Mitglied nur werden, wer beschnitten war, die Beschneidung seiner Söhne zuließ und die jüdischen Eheschließungsgesetze einhielt. Der S. war mit 1.181 (1893) bzw. 1.700 (1927) Mitgliedern und deren Angehörigen der größte der drei Kultusverbände in der Gemeinde. Die soziale Zusammensetzung seiner Mitglieder war vielschichtig, insgesamt jedoch gehörten dem Verband vergleichsweise viele mittellose Mitglieder an. Oberrabbiner des S. waren Anschel Stern (1851-1888 im Amt), Mordechai Amram Hirsch (1889-1909), Samuel Spitzer (1909-1934) und Joseph Carlebach (1936-1941). Ein ebenfalls wichtiger Vertreter der orthodoxen jüdischen Gemeinschaft war der in Hamburg von 1907 bis 1909 tätige Nehemia Anton Nobel, Vorstandsmitglied der Zionistischen Vereinigung ( Zionismus) und Mitgründer der orthodox-zionistischen Misrachi-Organisation. Hirsch, Nobel und Spitzer stammten aus Ungarn und sollen – wie andere Funktionsträger in der jüdischen Gemeinde, die aus Osteuropa stammten, auch – Assimilationstendenzen abgeschwächt haben. Insgesamt zeigten sie sich jedoch weitgehend tolerant gegenüber anderen Strömungen in der Gemeinde. Zu Konflikten kam es allerdings in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts um die Mitnutzung des neuen Hamburger Zentralfriedhofs durch die Gemeinde ( Friedhof) – die Orthodoxen bemühten sich bereits um einen Begräbnisplatz auf preußischem Gebiet – und 1910 um die Feuerbestattung. Bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts bestand weiterhin ein gespanntes Verhältnis zwischen dem S. und der Gemeinde, die Konkurrenzverhalten und Selbständigkeitsbestrebungen des Verbandes kritisierte. Im Frühjahr 1939 löste sich der S. auf, um den Anordnungen des Reichssicherheitshauptamtes zuvorzukommen.

Ortwin Pelc