Arisierung

Als A. bezeichnete man nach 1933 im engeren Sinne den Besitztransfer zwischen »Juden« und »Ariern«, im weiteren Sinne den Prozess der wirtschaftlichen Verdrängung und Existenzvernichtung der Juden unter nationalsozialistischer Herrschaft.

Als einer der größten Besitzwechsel der neueren Hamburger Geschichte wurden bis 1939 ca. 1.500 »jüdische« Unternehmen freiwillig oder gezwungenermaßen liquidiert oder an »arische« Erwerber verkauft. Im Rahmen der A. von Grundstücken wechselten in Hamburg Hunderte von Liegenschaften den Besitzer oder wurden unter Zwangsverwaltung gestellt.

Nach dem Boykott jüdischer Geschäfte am 1.April 1933 vollzog sich die Verdrängung jüdischer Unternehmen in Hamburg durchweg langsamer als andernorts. Bis Anfang 1938 wurden lediglich 20-30 Prozent (reichsweit mehr als 50 Prozent) der jüdischen Unternehmen verkauft oder von ihren Besitzern aufgegeben. Für die größere Beharrungskraft jüdischer Unternehmen in Hamburg waren drei Faktoren maßgeblich: Die Anonymität der Großstadt Hamburg, in der antijüdische Boykotte nur schwer durchzuführen und zu kontrollieren waren, die Leistungskraft der Jüdischen Gemeinde und ihrer Hilfsorganisationen sowie die anfängliche taktische Zurückhaltung der lokalen NS-Machthaber, die die schwierige Wirtschaftslage Hamburgs, das offiziell zum Notstandsgebiet erklärt worden war, nicht unnötig verschärfen wollten.

Während die A. und Liquidierung jüdischer Unternehmen bis 1938 nur zögernd in Gang kam, glich sie seit 1938/39 einem regelrechten Bereicherungswettlauf. Allein Anfang Dezember 1938 wurden rund 200 jüdische Einzelhandelsgeschäfte geschlossen. Um die verbleibenden 100 Geschäfte hatten sich mehr als 1.800 Personen beworben. Handlungsspielräume jüdischer Eigentümer, von denen viele nach dem Novemberpogrom verhaftet und in KZ eingeliefert worden waren, waren Ende 1938 praktisch nicht mehr vorhanden. Dementsprechend wurde den Besitzern nur ein Bruchteil des tatsächlichen Unternehmenswertes vergütet. Auch hatten jüdische Unternehmer nur in wenigen Ausnahmefällen einen marktüblichen Preis erzielen können, weil ihnen seit 1935 der immaterielle Firmenwert nicht mehr vergütet wurde, also der Wert, der sich aus der Marktposition, dem Kundenstamm, der Produktpalette, dem Ansehen und den Absatzwegen eines Unternehmens zusammensetzte. Zahlreiche traditionsreiche jüdische Unternehmen Hamburgs fielen der A. zum Opfer, darunter die Bank M. M. Warburg & Co., die Köhlbrand-Werft Paul Berendsohn, die Reederei Arnold Bernstein, die Fair-play Schleppdampfschiffs-Reederei Richard Borchardt, die Textilfabrik Rappolt & Söhne oder das Kaufhaus Tietz, das 1935 zum »Alsterhaus« wurde.

Parallel zur Liquidierung von Unternehmen forcierten die Finanzbehörden einen finanziellen Enteignungsprozess der jüdischen Besitzer durch Steuern (u. a. »Reichsfluchtsteuer«) und Zwangsabgaben (»Judenvermögensabgabe«, Auswanderungsabgabe), die im Falle der Emigration zu einer nahezu vollständigen Ausplünderung führten. Seit 1936/37 erließ die Devisenstelle der Oberfinanzdirektion Hamburg verstärkt »Sicherungsanordnungen« für die Konten und den Besitz der Hamburger Juden, die nur mit behördlicher Genehmigung über ihre Vermögenswerte verfügen konnten. Bis November 1939 wurden in Hamburg 1.372 dieser Sicherungsanordnungen erlassen. Die elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 bildete schließlich die Grundlage für die Konfiszierung des Vermögens der emigrierten bzw. seit Oktober 1941 deportierten Hamburger Juden, deren bewegliche Habe dann an die nichtjüdische Bevölkerung Hamburgs öffentlich versteigert wurde.

Frank Bajohr