Musik

Als synagogale M. wird die liturgische Musik im jüdischen Gottesdienst bezeichnet, die Ausdruck von Religion und Kultur des Judentums ist. Sie begleitet und reflektiert die Entwicklung der jüdischen Gemeinde von einer vorwiegend religiösen Gemeinschaft im 19. Jahrhundert zu einer verstärkt sozialen, kulturellen und ethnischen Institution im frühen 20. Jahrhundert.

Mit den Reformen des Hamburger Tempelvereins im Jahr 1817 begannen tiefgreifende Veränderungen in der Synagogalmusik, die viele Gemeinden beeinflussen sollten. Nach dem Vorbild der portugiesischen Gemeinde in Livorno wurden mit der Einweihung des Tempels an der Brunnenstraße (12) 1818 Choralgesang und Instrumentalmusik in die Hamburger jüdische Gemeinde ( DIG) eingeführt. Die Einführung der Orgel löste erbitterte Kämpfe und Diskussionen aus, die in mehreren Gutachtensammlungen ihren Niederschlag fanden. Die Orgelgegner argumentierten mit dem Verbot, am Schabbat und den Feiertagen ein Instrument zu spielen; darüber hinaus bestand für sie das generelle Verbot von M. in der Synagoge als Zeichen der Trauer um den Verlust des Tempels sowie das Verbot der Nachahmung fremder Gottesverehrung. Die Orgelgegner sahen in der Einführung der Orgel eine Verchristlichung des Gottesdienstes und damit einen Traditions- und Identitätsverlust des Judentums. Die Orgelbefürworter argumentierten, dass das Orgelspiel, wenn es durch einen Nichtjuden geschehe, erlaubt sei. Darüber hinaus sei schon früher Instrumentalmusik in der Synagoge gebraucht worden. Letztlich sei die Orgel kein explizit christliches Instrument. Die Organisten am Tempel waren zunächst nichtjüdisch: Bethuel (1818-1828), G. D. Demuth (1829-1837), A. F. Schinck (1837-1870), A. Dellith (1870-1906) und Caesar Stallmann (1906-1934). Seit 1934 waren die Organisten dann jüdischer Herkunft: Von 1934 bis 1935 Hermann Feiner und von 1935 bis 1938 Hermann Cerini. Die Anstellung jüdischer Organisten ging einher mit einer Wende, die sich um 1900 vollzog, als die erste jüdische Organistengeneration ausgebildet wurde. Um 1933 gab es schließlich eine Anzahl ausgezeichneter jüdischer Organisten. Zur gleichen Zeit durften christliche Musiker aufgrund der nationalsozialistischen Gesetzgebung nicht mehr in jüdischen Institutionen arbeiten. Die Orgel diente der Begleitung des zweistimmigen Knabenchores – bei besonderen Anlässen sang ein gemischter Laienchor – und der deutschsprachigen Gemeindegesänge, die überwiegend protestantischen Chorälen nachempfunden waren. 19 Gesänge wurden von nichtjüdischen Musikern vertont, die 1818 als Religiöse Lieder und Gesänge für Israeliten im Druck erschienen. Eine Reihe von erweiterten Auflagen folgte zwischen 1821 und 1880 mit Melodien u. a. von Albert Gottlieb Methfessel (1785-1869), der bis 1832 am Reformtempel als Chorleiter tätig war. 14 Titel waren Aufzeichnungen portugiesisch-jüdischer Melodien nach David Meldola, der im Oktober 1818 als Kantor angestellt worden war. Die Anstellung eines ausgerechnet orthodoxen, sefardischen Chasans scheint paradox, wollte die Reformgemeinde doch mit alten Traditionen brechen. In der portugiesisch-jüdischen Musiktradition verwurzelt ( Portugiesisch-Jüd. Gemeinde), brachte Meldola traditionelle sefardische Melodien ein und setzte außerdem die sefardische Aussprache der Gesänge durch. Ganze Teile des Festtagsrepertoires wurden aus der sefardischen Tradition übernommen und am Tempel gepflegt. Nachdem Meldola den Tempel 1859 verließ, übernahm der portugiesische Kantor Joseph Piza bis 1879 das Amt. Mit der Anstellung von Moritz Henle von 1879 bis 1913 begann eine Zeit des Übergangs. Henle versuchte, den Gottesdienst mehr und mehr nach aschkenasischer Tradition auszurichten, ohne jedoch das portugiesisch-jüdische Melodiengut ganz zu verwerfen. Im Jahr 1887 publizierte er eine Edition mit allen portugiesischen Melodien, die im Hamburger Tempel gesungen wurden. Sein Nachfolger Leon Kornitzer vollendete die von Henle eingeleiteten Veränderungen und stellte die M. am Tempel vollkommen in die aschkenasische Tradition. Während der Reformtempel verschiedene Elemente jüdischer Musikkultur verarbeitete, wurde der orthodoxe Synagogenverband in Hamburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts Schauplatz des »Goldenen Zeitalters der Chasanut«, einer Zeit, in der Kantoren auf virtuose Weise traditionelle liturgische Gesänge darboten. Mit der Einweihung der Synagoge am Bornplatz (50) 1906 wurde einer der führenden Kantoren der Zeit, Yossele Rosenblatt, als Oberkantor engagiert. Zusammen mit zwei weiteren Kantoren und einem Knaben- und Männerchor machte Rosenblatt bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahr 1912 Hamburg zu einem wichtigen Zentrum für synagogale M. Die Gründung des Jüdischen Kulturbundes in Hamburg 1935 hatte ungeahnte Folgen für die M. Sie führte zu einer substantiellen Bereicherung des Repertoires vor allem im Bereich der synagogalen M. und die teilweise daran anknüpfenden Werke zeitgenössischer jüdischer Komponisten. Synagogale M. stand auf dem Programm zahlreicher Veranstaltungen des Kulturbundes, dargeboten vom Chor des Tempels in der Oberstraße (53), Hermann Cerini und Leon Kornitzer. Die Blütezeit synagogaler M. war dennoch nur von kurzer Dauer. Durch die Zerstörung der Synagogen in der Reichspogromnacht ( Novemberpogrom) und die erzwungene Auflösung des Kulturbundes verlor die synagogale M. in Hamburg ihren Ort.

Tina Frühauf