Weichmann, Herbert

Politiker, geb. 23.2.1896 Landsberg a. d. Warthe (Oberschlesien), gest. 9.10.1983 Hamburg

W. wuchs in Liegnitz in einer liberalen jüdischen Arztfamilie auf. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Sanitäter teil. Von 1919 bis 1922 absolvierte er ein Jurastudium, das er mit der Promotion abschloss. Es folgte die Große Staatsprüfung für privates und öffentliches Recht. Da er erst 1926 als Richter eingestellt werden konnte, arbeitete er, wie schon während des Studiums, als Journalist. 1927 wurde er persönlicher Referent des preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun. 1928 lernte er bei den Verhandlungen über das preußisch-hamburgische Hafenabkommen Max Brauer, damals Oberbürgermeister von Altona, kennen. Noch als Student war er unter dem Einfluss des Kapp-Putsches in die SPD eingetreten, strebte aber keine Funktionärsaufgaben an. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde W. aufgrund des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« in den Ruhestand versetzt. Die Flucht aus Deutschland ( Emigration) führte ihn über die Tschechoslowakei und Frankreich in die USA. In New York arbeitete W. nach einem erneuten Studium als Wirtschaftsprüfer. 1948 rief ihn Brauer, der seit 1946 Hamburger Bürgermeister war, zurück nach Deutschland. Obwohl W.s Mutter und seine Schwester in Auschwitz ums Leben gekommen waren, nahm er den Ruf an. Von 1948 bis 1957 wirkte er in Hamburg als Präsident des Rechnungshofes, danach als Finanzsenator. 1965 wurde er nach dem Rücktritt von Paul Nevermann Bürgermeister. Gemeinsam mit seiner Frau Elsbeth genoss er über die Stadt hinaus großes Ansehen. Er überzeugte durch seinen Sachverstand, politischen Weitblick und die Glaubwürdigkeit, mit der er seine Entscheidungen vertrat. Bei den Bürgerschaftswahlen 1966 erreichte er als Spitzenkandidat für die SPD mit 59 Prozent die größte Mehrheit in der Nachkriegsgeschichte. 1971 trat er im Alter von 75 Jahren als Bürgermeister zurück. In seine Amtszeit fällt die Aufnahme des Programms, jährlich ehemalige jüdische Bürger in ihre Heimatstadt einzuladen. Seine eigene jüdische Herkunft hat W. nicht öffentlich herausgestellt, zum Teil aus Sorge, neuen Antisemitismus zu provozieren oder alten wieder hervorzurufen. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass er dennoch antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt war. So fällt möglicherweise doch ein Schatten auf die Meinung Max Brauers: »Es war eine Demonstration. Ich wollte beweisen, dass die Hamburger einen jüdischen Mitbürger an leitender Stelle akzeptieren würden. Ich habe diese Entscheidung nicht bedauert. Und Hamburg hat sie nicht bedauert.«

Christa Fladhammer